Begriff und Grundlagen der Öffentlich-rechtlichen Verträge
Öffentlich-rechtliche Verträge sind ein besonderes Institut des deutschen Verwaltungsrechts, das die vertragliche Regelung von Rechtsverhältnissen im öffentlichen Recht ermöglicht. Sie dienen der flexiblen und kooperativen Ausgestaltung von Rechtsbeziehungen zwischen Verwaltung und Privaten oder zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern. Die zentrale gesetzliche Grundlage bilden die §§ 54 ff. Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG).
Definition und Abgrenzung
Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist ein Vertrag, durch den ein Verwaltungsakt ersetzt oder ergänzt werden kann und der ausschließlich auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts abgeschlossen wird. Die Vertragsparteien unterscheiden sich danach, ob die Verwaltung einem Privaten (z. B. Bürger, Unternehmen) oder einem anderen Verwaltungsträger gegenübertritt. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zu privatrechtlichen Verträgen ist die Anwendung des öffentlichen Rechts sowohl hinsichtlich der Form als auch der inhaltlichen Ausgestaltung.
Gesetzliche Regelungen
Die §§ 54 bis 62 VwVfG regeln detailliert die Voraussetzungen, das Zustandekommen, die Wirksamkeit und die Rückabwicklung öffentlich-rechtlicher Verträge. Je nach Vertragstyp werden unterschiedliche Anforderungen gestellt, etwa eine Schriftform (§ 57 VwVfG) und häufig die Zustimmung übergeordneter Behörden.
Vertragstypen und Anwendungsbereiche
Austauschvertrag
Bei einem öffentlich-rechtlichen Austauschvertrag verpflichten sich Verwaltung und Privater (oder ein anderer Verwaltungsträger) gegenseitig zu bestimmten Leistungen (§ 56 Satz 1 VwVfG). Ein Beispiel ist die Verpflichtung der Verwaltung zur Erteilung einer Baugenehmigung gegen Übernahme bestimmter Auflagen oder Herstellung von Ausgleichsmaßnahmen durch den Vertragspartner.
Koordinationsvertrag
Koordinationsverträge (§ 56 Satz 2 VwVfG) regeln die gegenseitige Abstimmung zwischen mehreren öffentlichen Verwaltungsträgern. Hierdurch können beispielsweise Aufgabenverteilungen und Kostentragung zwischen Kommunen, Ländern oder Behörden organisiert werden.
Vergleich (§ 55 VwVfG)
Ein öffentlich-rechtlicher Vergleich dient der Beilegung eines Streits über ein Rechtsverhältnis durch gegenseitige Nachgabe. Er ist der Einigung der Parteien im Zivilrecht vergleichbar, jedoch an die Besonderheiten des Verwaltungshandelns und die Bindung an Gesetz und Recht angepasst.
Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten
Abgrenzung zum Verwaltungsakt
Während der Verwaltungsakt ein einseitiges, hoheitliches Handeln ist, handelt es sich bei öffentlich-rechtlichen Verträgen um zweiseitige, einvernehmliche Rechtsvereinbarungen. Beide Instrumente sind im Verwaltungshandeln zulässig und aufeinander abgestimmt. Ein Verwaltungsakt kann durch Vertrag ersetzt werden, sofern das Gesetz dies vorsieht oder zulässt.
Öffentlich-rechtlicher Vertrag und Privatrecht
Öffentlich-rechtliche Verträge unterscheiden sich grundsätzlich von privatrechtlichen Verträgen, insbesondere durch die Steuerung durch das öffentliche Recht, die besonderen Form- und Genehmigungserfordernisse sowie die spezialgesetzlichen Rückabwicklungsmechanismen.
Voraussetzungen und Wirksamkeit
Zulässigkeit des Vertragsschlusses
Die Verwaltung darf einen öffentlich-rechtlichen Vertrag nur abschließen, wenn das Gesetz oder die Natur der Sache dies nicht ausschließen. Besonders verboten ist der Vertragsschluss, wenn die Regelung durch einen Verwaltungsakt zwingend vorgeschrieben ist (sog. Verbot des Vertragszwangs, § 54 Satz 2 VwVfG).
Formvorschriften
Der öffentlich-rechtliche Vertrag bedarf grundsätzlich der Schriftform (§ 57 VwVfG). Ausnahmen sind möglich, wenn durch Rechtsvorschrift etwas anderes geregelt ist.
Zustimmungserfordernisse
In bestimmten Fällen ist die Zustimmung einer Aufsichtsbehörde oder einer weiteren Stelle erforderlich, insbesondere bei Verträgen mit weitreichenden Verpflichtungen oder mit erheblicher finanzieller Bedeutung.
Nichtigkeits- und Anfechtungsvorschriften
Nichtigkeit
Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist von Anfang an nichtig, wenn er gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, das zum Schutze der Vertragspartner oder Dritter besteht, oder gegen die guten Sitten (§ 59 VwVfG). Ebenfalls nichtig sind Verträge, die rechtswidrige Leistungen zum Gegenstand haben oder auf einen unzulässigen Gegenstand gerichtet sind.
Anfechtung
Daneben ist die Anfechtung öffentlich-rechtlicher Verträge unter den Voraussetzungen der §§ 119, 123 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechend möglich (§ 59 Abs. 2 VwVfG), etwa bei Irrtum oder arglistiger Täuschung.
Rückabwicklung und Folgen unwirksamer Verträge
Der öffentlich-rechtliche Vertrag enthält spezifische Regelungen zur Rückabwicklung unwirksamer oder teilweise nichtiger Verträge (§ 60 VwVfG). Dabei haben die Beteiligten die erlangten Leistungen zurückzugewähren; regelmäßig finden die Vorschriften zur ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 ff. BGB entsprechende Anwendung.
Rechtsschutz und Durchsetzbarkeit
Vertraglicher Rechtsschutz
Die Verpflichtungen und Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag sind grundsätzlich mit den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzinstrumenten durchsetzbar. Die Beteiligten können Leistungsklagen, Feststellungsklagen und Verpflichtungsklagen beim zuständigen Verwaltungsgericht erheben.
Vorrang und Auswirkung auf das Verwaltungsermessen
Mit Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ist der Verwaltung die Möglichkeit genommen, aus eigenem Ermessen einen gegensätzlichen Verwaltungsakt erlassen. Die Verwaltung ist vielmehr an den Inhalt des Vertrages gebunden, soweit dieser nicht nichtig oder aufgehoben ist.
Praxisbeispiele und Bedeutung der Öffentlich-rechtlichen Verträge
Öffentlich-rechtliche Verträge spielen eine zentrale Rolle im Bau- und Umweltrecht (z. B. städtebauliche Verträge nach § 11 BauGB), bei öffentlich-rechtlichen Planungsprozessen und in der Daseinsvorsorge. Auch interkommunale Kooperationen oder Vereinbarungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen erfolgen häufig in dieser Vertragsform.
Zusammenfassung
Öffentlich-rechtliche Verträge ermöglichen einen flexiblen Ausgleich zwischen gesetzlichen Geboten und praktischen Anforderungen der Verwaltungspraxis. Sie bieten Instrumente zur konsensorientierten Regelung komplexer Rechtsverhältnisse und tragen maßgeblich zu einer modernen Verwaltungskultur bei. Der Abschluss, die Wirksamkeit und die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Verträge richtet sich nach speziellen gesetzlichen Vorgaben, die sowohl die rechtsstaatlichen Grundsätze als auch die Interessen der Vertragspartner wahren sollen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Formvorschriften sind bei öffentlich-rechtlichen Verträgen zu beachten?
Öffentlich-rechtliche Verträge müssen gemäß § 54 Satz 2 VwVfG grundsätzlich schriftlich abgeschlossen werden. Die Anforderungen an die Form können sich jedoch abhängig von der Art des Vertrages unterscheiden. Während für den Austauschvertrag (§ 54 Satz 1, Alternative 1 VwVfG) die einfache Schriftform genügt, gilt für den sogenannten subordinationsrechtlichen Vertrag (§ 54 Satz 1, Alternative 2 VwVfG) teilweise ein stärker formalisiertes Verfahren, insbesondere wenn der Vertrag eine Regelung ersetzt, die sonst als Verwaltungsakt mit Anhörungs- und Begründungspflichten erlassen worden wäre. In Einzelfällen können zudem Spezialgesetze weitergehende Formvorschriften festlegen, wie beispielsweise die notarielle Beurkundung bei Grundstücksverträgen in besonderen Regelungszusammenhängen. Verstöße gegen Formvorgaben führen in der Regel zur Nichtigkeit des Vertrages (§ 59 Abs. 1 VwVfG), es sei denn, die Heilungsmöglichkeiten des § 60 VwVfG greifen.
Welche inhaltlichen Grenzen bestehen für öffentlich-rechtliche Verträge?
Die Gestaltung öffentlich-rechtlicher Verträge ist durch das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung begrenzt. Nach § 59 Abs. 1 VwVfG ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn sein Inhalt gegen gesetzliche Verbote, die guten Sitten oder die verfassungsmäßige Ordnung verstößt. Insbesondere sind sogenannte „Vertragsgesetze“ unzulässig, das heißt, Verträge dürfen nicht dazu dienen, zwingende gesetzliche Vorschriften zu umgehen, insbesondere nicht zu Lasten Dritter oder des öffentlichen Interesses. Inhaltliche Schranken ergeben sich somit sowohl aus dem Verwaltungsrecht als auch aus anderen Rechtsgebieten, die das Verwaltungshandeln bestimmen (z.B. Umweltrecht, Haushaltsrecht). Der Inhalt muss zudem bestimmt und ausreichend geregelt sein; unklare oder lückenhafte Vertragsregelungen gefährden die Wirksamkeit.
Wer ist zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags berechtigt?
Grundsätzlich sind alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts, also Gemeinden, Länder, Bund sowie sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, berechtigt, öffentlich-rechtliche Verträge zu schließen, soweit sie sich innerhalb ihrer jeweiligen Verwaltungskompetenz bewegen. Die Vertragsparteien müssen fachlich und örtlich zuständig sein; das ergibt sich aus Spezialgesetzen, kommunalen Satzungen oder behördlichen Zuständigkeitsordnungen. Auf Seiten des Vertragspartners kann es sich sowohl um einen Privaten (natürliche oder juristische Person des Privatrechts) als auch um eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts handeln. Die jeweiligen Vertretungsregelungen sind zu beachten; dies kann etwa einen Gemeinderatsbeschluss oder eine gesonderte Vollmacht erfordern.
Welche Schutzmechanismen bestehen zur Sicherung des öffentlichen Interesses?
Zur Absicherung des öffentlichen Interesses sieht das Verwaltungsverfahrensgesetz verschiedene Mechanismen vor. Insbesondere die Regelungen über die Nichtigkeit (§ 59 VwVfG) schützen vor inhaltlich unzulässigen Verträgen. Zudem besteht für bestimmte Vertragsarten eine Pflicht zur Beteiligung Dritter, deren Rechte betroffen sein könnten, zum Beispiel durch Anhörung oder Beiladung. Weitere Instrumente sind die Anfechtbarkeit des Vertrags bei Willensmängeln (§ 58 VwVfG) sowie die besonderen Sanktionsmöglichkeiten bis hin zu behördlichen Aufhebungs- oder Änderungsbefugnissen. In bestimmten sensiblen Bereichen sind Zustimmungs- oder Genehmigungspflichten vorgeschrieben (z.B. durch Aufsichtsbehörden), um Fehlentwicklungen vorzubeugen.
Besteht ein Anspruch auf Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags?
Ein unmittelbarer Anspruch auf Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags besteht grundsätzlich nicht. Der Abschluss eines solchen Vertrags steht im Ermessen der beteiligten Verwaltung, es sei denn, das Gesetz ordnet ausdrücklich eine Vertragspflicht an (sogenannter Kontrahierungszwang). Nach § 54 VwVfG kann die Behörde anstelle eines Verwaltungsaktes einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen, ist dazu jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet. Allerdings ergibt sich aus dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) die Pflicht, bei der Entscheidung über den Vertragsabschluss Willkür zu vermeiden und eine sachgerechte, ermessensfehlerfreie Entscheidung zu treffen.
Wie können öffentlich-rechtliche Verträge aufgehoben oder geändert werden?
Die Aufhebung oder Änderung öffentlich-rechtlicher Verträge richtet sich in erster Linie nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien (sog. Änderungsklauseln). Sind solche Vereinbarungen nicht getroffen, kommt eine Änderung nur durch übereinstimmende Willenserklärung beider Parteien in Betracht. Daneben sieht das Gesetz in engen Grenzen die Möglichkeit einer einseitigen Lösung (Kündigung) vor, etwa bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Vertragspartners oder bei nachträglicher Unzulässigkeit des Vertrages (§§ 60, 62 VwVfG). Auch die Anpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls oder der Änderung der Geschäftsgrundlage (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 313 BGB analog) ist unter bestimmten Umständen möglich. In jedem Fall muss das öffentliche Interesse ausreichend berücksichtigt werden.