Legal Lexikon

Oderkonto


Begriff und allgemeine Einordnung des Oderkontos

Ein Oderkonto, auch Gemeinschaftskonto mit Einzelverfügungsberechtigung genannt, ist im deutschen Bankrecht ein Kontomodell für zwei oder mehrere Kontoinhaber, bei dem jeder einzelne Kontoinhaber unabhängig und allein über das gesamte Kontoguthaben und eingeräumte Kredite verfügen kann. Das Oderkonto ist von großer praktischer Bedeutung, insbesondere für Ehepartner, Lebensgemeinschaften, Erbengemeinschaften, Gesellschaften bürgerlichen Rechts, aber auch für Geschäftspartner und Vereine.

Der Begriff „Oderkonto“ leitet sich von der Kontobezeichnung ab, bei der die Namen der Kontoinhaber mit „oder“ verbunden sind („Max Mustermann oder Erika Musterfrau“). Im Bankwesen existiert als Gegenform das sogenannte Und-Konto („Max Mustermann und Erika Musterfrau“), bei dem alle Verfügungen nur gemeinschaftlich möglich sind.

Rechtliche Grundlagen und Entstehung

Gesetzliche Regelungen

Für Oderkonten existieren keine speziellen, eigenständigen gesetzlichen Vorschriften. Rechtliche Grundlagen ergeben sich vielmehr aus allgemeinen zivilrechtlichen Normen, insbesondere den Vorschriften über die Gesamthand (§§ 718 ff. BGB), die Bruchteilsgemeinschaft (§ 741 BGB) und die Regeln des Schuldrechts zu Mehrpersonenverhältnissen. Ergänzend finden die Bedingungen der kontoführenden Geldinstitute Anwendung (Allgemeine Geschäftsbedingungen, AGB-Banken).

Vertragliche Aspekte

Ein Oderkonto setzt voraus, dass alle beteiligten Personen mit dem kontoführenden Kreditinstitut einen Vertrag als Kontoinhaber abschließen. Die Einzelverfügungsberechtigung jedes Inhabers ergibt sich aus dem gemeinschaftlichen Abschluss des Kontovertrags unter entsprechender Kontobezeichnung oder einer gesonderten Vereinbarung.

Rechte und Pflichten der Kontoinhaber

Einzelverfügungsbefugnis

Der charakteristische Unterschied zum Und-Konto besteht darin, dass beim Oderkonto jeder Kontoinhaber allein, ohne Zustimmung der weiteren Kontoinhaber, sämtliche Verfügungen treffen kann. Dies umfasst Bargeldabhebungen, Überweisungsaufträge, Erteilung und Widerruf von Daueraufträgen sowie sämtliche Kreditausnutzungen im Rahmen des eingeräumten Dispositionskredites.

Vertretung und Vollmacht

Jeder Kontoinhaber ist als Vertreter der übrigen berechtigt, gegenüber der Kreditinstitut Erklärungen bezüglich des Kontos abzugeben und entgegenzunehmen. Dies erstreckt sich auch auf Änderungen der Kontoführung, wie Adressänderungen oder Zustellungsanweisungen.

Haftung

Alle Kontoinhaber haften gesamtschuldnerisch gegenüber der Bank für Überziehungen und Verbindlichkeiten auf dem Oderkonto (§ 421 BGB). Das bedeutet, dass die Bank alle Inhaber auf die volle Summe in Anspruch nehmen kann, unabhängig davon, wer für die Entstehung der Verbindlichkeit verantwortlich ist.

Rechtsverhältnisse der Kontoinhaber untereinander

Innenverhältnis

Im Innenverhältnis, also im Verhältnis der Kontoinhaber zueinander, kann durch vertragliche Vereinbarungen abweichend von der Außenverfügungsmacht festgelegt werden, wer in welcher Höhe über das Kontoguthaben verfügen darf. Fehlt eine solche Regelung, wird vermutet, dass das Guthaben und eventuelle Verbindlichkeiten zu gleichen Teilen auf die Kontoinhaber entfallen. Im Streitfall (z. B. Abhebung durch einen einzelnen Kontoinhaber) sind zivilgerichtliche Auseinandersetzungen zwischen den Kontoinhabern zu führen.

Verfügung im Todesfall

Verstirbt einer der Kontoinhaber, wird das Oderkonto in der Regel als Gemeinschaftskonto der übrigen Inhaber weitergeführt. Über den Anteil des Verstorbenen können die Erben nur gemeinsam mit den überlebenden Kontoinhabern verfügen. Eine abweichende Regelung (insbesondere im Rahmen von Ehegattentestamenten oder erbrechtlichen Vereinbarungen) ist möglich, aber nicht zwingend rechtlich vorgeschrieben.

Ausgleichsansprüche

Tätigt ein Kontoinhaber ohne Zustimmung der übrigen Kontoinhaber eine Verfügung, die über den ihm im Innenverhältnis zustehenden Anteil hinausgeht, können Ausgleichsansprüche entstehen. Diese richten sich nach den allgemeinen Regelungen des Schuldrechts und können u. a. auch Schadensersatz umfassen.

Kontoführung und Besonderheiten im Geschäftsverkehr

Eröffnung und Legitimation

Die Eröffnung eines Oderkontos erfordert die Identifizierung und Legitimierung sämtlicher Kontoinhaber nach den Vorgaben des Geldwäschegesetzes (GwG). Änderungen an der Kontoverbindung (z. B. hinzu- oder abgehende Kontoinhaber) bedürfen der Zustimmung aller Beteiligten.

Schließung und Kündigung

Jeder Kontoinhaber ist grundsätzlich berechtigt, das Oderkonto zu kündigen. In der Regel wird das Konto dann in ein Einzelkonto umgewandelt oder aufgelöst; das Restguthaben wird nach Einigung oder entsprechend der Anteile ausgezahlt. Streitigkeiten werden häufig vor ordentlichen Gerichten ausgetragen, sofern keine Einigung im Innenverhältnis erzielt werden kann.

Pfändung und Zwangsvollstreckung

Wird das Oderkonto gepfändet, erstreckt sich die Pfändung grundsätzlich auf das gesamte Kontoguthaben, unabhängig vom Anteil des gepfändeten Kontoinhabers. Der nicht betroffene Kontoinhaber kann im Wege der Drittwiderspruchsklage seinen Anteil geltend machen.

Steuer- und erbrechtliche Aspekte

Steuerrecht

Im steuerrechtlichen Sinne wird das Oderkonto als gemeinschaftliches Vermögen betrachtet. Schenkungsteuerliche Probleme können auftreten, wenn ein Kontoinhaber das Konto wesentlich füllt und der andere Inhaber Verfügungen über diese Mittel vornimmt. Die Finanzverwaltungen werten dies regelmäßig als steuerpflichtige Schenkung.

Erbrecht

Nach dem Tod eines Kontoinhabers fällt dessen Anteil am Oderkonto in den Nachlass. Die Erben können lediglich gemeinsam mit den übrigen Kontoinhabern über den Anteil des Verstorbenen verfügen. Das Oderkonto wird damit zum Nachlassgegenstand, und es bestehen Auskunfts- und Herausgabeansprüche gegenüber den Überlebenden.

Abgrenzungen zu anderen Kontomodellen

Und-Konto

Das Gegenstück zum Oderkonto ist das Und-Konto, bei dem alle Transaktionen und Verfügungen nur gemeinschaftlich möglich sind. Im Rechtsverkehr ist das Und-Konto unpraktischer, bietet aber einen höheren Schutz vor unautorisierten Verfügungen.

Einzelkonto mit Bevollmächtigung

Eine Alternative zum Oderkonto ist das Einzelkonto mit eingeräumter Kontovollmacht für eine weitere Person. Die Vollmacht kann jederzeit widerrufen werden, während beim Oderkonto alle Inhaber gleichberechtigte Verfügungsmacht besitzen.

Zusammenfassung und Bedeutung im Rechtsverkehr

Das Oderkonto ist ein wesentliches Instrument im Zahlungs- und Wirtschaftsleben zur gemeinschaftlichen Verwaltung von Vermögen oder zur Abwicklung gemeinsamer finanzieller Verpflichtungen. Aufgrund seiner vielseitigen Einsatzmöglichkeiten und der rechtlichen Risiken, insbesondere bei fehlenden Vereinbarungen im Innenverhältnis und im Erbfall, sollte die Einrichtung eines Oderkontos sorgfältig geprüft und die Rechte sowie Pflichten aller Beteiligten klar geregelt werden. Die rechtliche Ausgestaltung des Oderkontos ist durch eine Vielzahl von zivilrechtlichen, bankrechtlichen und steuerlichen Vorschriften geprägt, sodass der rechtssicheren Handhabung große Bedeutung zukommt.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist bei einem Oderkonto rechtsverbindlich berechtigt, über das Guthaben zu verfügen?

Bei einem Oderkonto (Gemeinschaftskonto mit Einzelverfügungsberechtigung) sind von Rechts wegen alle Kontoinhaber gleichermaßen berechtigt, über das Guthaben zu verfügen. Dies bedeutet, dass jeder Kontoinhaber unabhängig und ohne Mitwirkung der anderen Kontoinhaber das Guthaben ganz oder teilweise abheben, Überweisungen tätigen oder Lastschriften einreichen kann. Banken gewähren diese Möglichkeit auf Basis des zugrundeliegenden Girovertrags, bei welchem die Kontoinhaber eine gemeinsame Gläubigerschaft in Form einer sogenannter Bruchteilsgemeinschaft (§§ 741 ff. BGB) innehaben. Einschränkungen können nur durch eine ausdrückliche vertragliche (z. B. bei Vereinbarung eines „Und-Kontos“) oder rechtsgeschäftliche Gestaltung erfolgen. Außenstehenden (z. B. der Bank) ist eine abweichende Abrede zwischen den Kontoinhabern normalerweise nicht bekannt und entfaltet gegenüber Dritten keine Wirkung (§ 428 BGB). Einseitige Verfügungsbeschränkungen müssen daher klar und eindeutig mit der Bank als Vertragspartner vereinbart werden, damit diese rechtlich verbindlich sind.

Wie wird die Haftung bei einem Oderkonto aus rechtlicher Sicht geregelt?

Die Haftung für Verbindlichkeiten, die aus einem Oderkonto entstehen (z. B. Überziehung), tragen sämtliche Kontoinhaber gesamtschuldnerisch gemäß § 421 BGB. Das bedeutet, dass jeder Kontoinhaber vom Gläubiger (in der Regel der kontoführenden Bank) auf die gesamte Forderung alleine in Anspruch genommen werden kann. Interne Abreden, dass nur ein Kontoinhaber haften soll, sind für die kontoführende Bank rechtlich bedeutungslos, solange die Bank von deren Existenz nicht Kenntnis hat. Regressansprüche zwischen den Kontoinhabern können jedoch intern, also im Innenverhältnis, bestehen bleiben und ggf. eingeklagt werden.

Welche rechtlichen Auswirkungen hat der Tod eines Kontoinhabers auf das Oderkonto?

Im Todesfall eines Kontoinhabers bleibt das Oderkonto grundsätzlich vollumfänglich bestehen, und die übrigen Kontoinhaber können weiterhin über das Konto verfügen. Das Recht zur Einzelverfügung bleibt unangetastet, es sei denn, die Bank wurde über den Todesfall informiert und ein Nachweis der Erbfolge wurde erbracht. Erst dann kann die Bank die Verfügungsmöglichkeiten einschränken, um den Schutz des Nachlasses zu gewährleisten. Erben des verstorbenen Kontoinhabers treten als Gesamthandsgemeinschaft in die Rechtsposition des Verstorbenen ein (§ 2033 ff. BGB), können jedoch im Außenverhältnis erst nach Legitimationsprüfung Zugriff auf das Konto erhalten.

Inwieweit können Gläubiger eines Kontoinhabers auf das Oderkonto zugreifen?

Gläubiger eines einzelnen Kontoinhabers können im Wege der Zwangsvollstreckung auf das Oderkonto zugreifen, indem das gesamte Guthaben gepfändet wird. Allerdings besteht nach § 430 BGB die Möglichkeit der Drittwiderspruchsklage für die weiteren Kontoinhaber mit der Behauptung, dass das Guthaben (oder Teile davon) ihnen zuzurechnen ist und somit nicht dem Schuldner (dem einzelnen, betroffenen Kontoinhaber) allein gehört. Die Bank muss im Regelfall die Pfändung auf das Gesamtguthaben ausführen, Rückschlüsse auf interne Guthabenaufteilungen zwischen den Kontoinhabern werden nur bei konkretem Nachweis berücksichtigt.

Ist eine Auflösung eines Oderkontos nur mit Zustimmung aller Kontoinhaber möglich?

Die rechtliche Auflösung eines Oderkontos bedarf zwingend der Zustimmung sämtlicher Kontoinhaber, da alle gemeinsam als Vertragspartner der Bank auftreten (§§ 705 ff. BGB). Einseitige Kündigungen oder Löschungen durch einzelne Kontoinhaber sind nicht möglich, außer es wurde im Vertrag ausdrücklich eine abweichende Regelung vereinbart oder nachgewiesen, dass besondere Umstände (z. B. gerichtlicher Beschluss) vorliegen. Zivilrechtlich kann jeder Kontoinhaber zwar jederzeit die Auseinandersetzung verlangen (§ 749 BGB), im Verhältnis zur Bank aber muss die Willenserklärung von allen Kontoinhabern zusammen abgegeben werden.

Welche Rechtslage gilt bei Streitigkeiten zwischen den Kontoinhabern über das Guthaben eines Oderkontos?

Kommt es zu Streitigkeiten über das Guthaben eines Oderkontos, regelt das Innenverhältnis im Zweifel entsprechend § 430 BGB, dass den Kontoinhabern das Guthaben zu gleichen Teilen zusteht, sofern keine andere Vereinbarung getroffen wurde. Einer kann vom anderen Ausgleich verlangen, falls dieser mehr verfügt hat, als ihm im Innenverhältnis zusteht. Solche Ansprüche sind privatrechtlich durchzusetzen und haben keine direkte Außenwirkung gegenüber der Bank. Bei gravierenden Streitfällen kann jeder Kontoinhaber die Auflösung des Kontos im Klagewege herbeiführen oder im Innenverhältnis Schadensersatzansprüche geltend machen. Bis zu einer gerichtlichen Klärung bleiben die Einzelverfügungsrechte aus dem Außenverhältnis nach wie vor bestehen.