Nachwirkung von Tarifverträgen: Bedeutung und Grundzüge
Die Nachwirkung von Tarifverträgen beschreibt den Zustand, in dem die in einem ausgelaufenen oder beendeten Tarifvertrag geregelten Arbeitsbedingungen weiterhin gelten, obwohl der Tarifvertrag selbst nicht mehr in Kraft ist. Diese fortdauernde Wirkung betrifft die klassischen Arbeitsbedingungen wie Entgelt, Arbeitszeit oder Urlaub und dient der rechtlichen Kontinuität, bis eine neue Regelung an die Stelle des ausgelaufenen Tarifvertrags tritt.
Beginn und Ende der Nachwirkung
Wann beginnt die Nachwirkung?
Die Nachwirkung setzt ein, wenn ein Tarifvertrag endet, etwa durch Ablauf einer Befristung oder nach einer wirksamen Kündigung, und keine neue Regelung in Kraft tritt. Voraussetzung ist, dass der Tarifvertrag zuvor auf das jeweilige Arbeitsverhältnis Anwendung fand.
Wodurch endet die Nachwirkung?
Die Nachwirkung endet, sobald eine andere Regelung den bisherigen Inhalt ersetzt. Als „andere Regelung“ kommen insbesondere ein neuer Tarifvertrag, eine arbeitsvertragliche Vereinbarung oder – im Rahmen ihrer Zuständigkeit – eine Betriebsvereinbarung in Betracht. Entscheidend ist, dass diese neue Regelung denselben Regelungsgegenstand erfasst und tatsächlich an die Stelle der bisherigen tariflichen Bestimmungen tritt.
Verhältnis zur Friedenspflicht
Mit dem Ende der regulären Laufzeit entfällt die tarifliche Friedenspflicht. Arbeitskämpfe sind damit grundsätzlich wieder möglich, auch wenn die inhaltlichen Arbeitsbedingungen zwischenzeitlich nachwirken. Die Nachwirkung sichert also die Weitergeltung von Arbeitsbedingungen, ohne den tarifpolitischen Handlungsspielraum der Tarifparteien zu beschränken.
Reichweite der Nachwirkung
Welche Regelungen wirken nach?
Nachwirkung entfaltet sich für normative Inhalte, also für Bestimmungen, die unmittelbar die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten regeln. Dazu zählen insbesondere Entgelttabellen und Zulagen, Arbeitszeitregelungen, Urlaubsansprüche, Zuschläge, Eingruppierungsregeln und häufig auch Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen, soweit sie individualrechtlich wirken.
Was wirkt nicht nach?
Nicht nachwirkend sind schuldrechtliche Bestimmungen, die die Beziehung der Tarifvertragsparteien untereinander betreffen (z. B. Verfahrensregeln der Parteien, Kooperations- oder Durchführungspflichten zwischen Verband und Gewerkschaft). Ebenso wirkt die Friedenspflicht nicht nach.
Geltung für bestehende und neue Arbeitsverhältnisse
Die Nachwirkung erfasst grundsätzlich die Arbeitsverhältnisse, die zum Zeitpunkt des Auslaufens vom Tarifvertrag erfasst waren. Neueinstellungen nach dem Ende der Laufzeit fallen nicht automatisch unter die Nachwirkung. Sie können jedoch erfasst werden, wenn ihre Arbeitsverträge die einschlägigen tariflichen Regelungen einbeziehen.
Voraussetzungen der Nachwirkung
Tarifliche Bindung beim Auslaufen
Die Nachwirkung setzt voraus, dass der ausgelaufene Tarifvertrag auf das konkrete Arbeitsverhältnis anwendbar war. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn Arbeitgeber und Beschäftigte tariflich gebunden waren oder wenn der Tarifvertrag durch arbeitsvertragliche Bezugnahme galt.
Fehlen einer ablösenden Regelung
Eine Nachwirkung tritt nur ein, solange keine neue Regelung denselben Gegenstand ordnet. Schon eine inhaltlich ausreichende, wirksam vereinbarte Ersetzung auf individueller oder kollektiver Ebene kann die Nachwirkung beenden.
Nachwirkung und andere Regelungsinstrumente
Neue Tarifverträge und Tarifwechsel
Schließen die Tarifparteien einen neuen Tarifvertrag, ersetzt dieser die nachwirkenden Bestimmungen. Kommt es zu einem Wechsel in ein anderes Tarifwerk, hängt die Ablösung davon ab, ob die neue Regelung inhaltlich denselben Regelungsbereich abdeckt und damit an die Stelle der nachwirkenden Normen tritt.
Arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln
Arbeitsverträge können Tarifverträge in statischer oder dynamischer Form einbeziehen. Dynamische Bezugnahmen knüpfen an die jeweils geltende Fassung eines Tarifvertrags an und erfassen damit auch spätere Änderungen oder Neuabschlüsse. Statische Bezugnahmen übernehmen den Stand zu einem bestimmten Zeitpunkt. Während der Nachwirkung hängt die Weitergeltung für einzelne Arbeitsverhältnisse maßgeblich davon ab, ob und wie eine Bezugnahme vereinbart wurde.
Betriebsvereinbarungen
Betriebsvereinbarungen können im Rahmen ihrer Regelungsbefugnis nachwirkende Tarifnormen ersetzen, sofern kein fortbestehender tariflicher Vorrang entgegensteht und der Regelungsgegenstand zulässig ist. In diesem Fall endet die Nachwirkung für die betroffenen Inhalte mit Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung.
Praktische Auswirkungen
Entgelt, Arbeitszeit und Zulagen
Vergütungsregelungen, Arbeitszeitmodelle und Zuschläge gelten im Rahmen der Nachwirkung weiter. Sie verändern sich währenddessen nicht automatisch, sondern bleiben auf dem zuletzt erreichten Niveau bestehen, bis sie durch eine neue Regelung ersetzt werden.
Betriebliche Veränderungen und Betriebsübergang
Bei betrieblichen Umstrukturierungen oder einem Übergang des Betriebs bleibt die Nachwirkung tariflicher Arbeitsbedingungen grundsätzlich unberührt. Maßgeblich ist, ob und wie die bisherigen tariflichen Inhalte im neuen Umfeld durch andere Regelungen ersetzt werden.
Verhandlungen und Arbeitskampf
Die Nachwirkung sichert die Stabilität der Arbeitsbedingungen in der Übergangsphase. Gleichzeitig eröffnet das Ende der Friedenspflicht die Möglichkeit, über neue Regelungen zu verhandeln oder Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen, bis eine Ablösung erfolgt.
Abgrenzung: Nachbindung und Nachwirkung
Nachbindung bedeutet, dass Tarifnormen bis zum planmäßigen Ende ihrer Laufzeit gelten, selbst wenn währenddessen eine Seite ihre Verbandszugehörigkeit ändert. Nachwirkung setzt erst nach dem Ende der Laufzeit ein. Während der Nachbindung wirken Tarifnormen vollumfänglich; in der Nachwirkung gelten nur noch die normativen Inhalte weiter und nur bis zu ihrer Ersetzung.
Grenzen und typische Streitpunkte
Günstigkeitsprinzip
Bei konkurrierenden Regelungen kann das Günstigkeitsprinzip eine Rolle spielen, wenn unterschiedliche Inhalte in einem Arbeitsverhältnis aufeinandertreffen. Entscheidend ist der konkrete Vergleich der betroffenen Arbeitsbedingung im Einzelfall.
Gleichbehandlung
Unterschiedliche Behandlung von Beschäftigtengruppen kann rechtlich relevant werden, etwa wenn einzelne Gruppen weiterhin von nachwirkenden Regelungen erfasst werden, während andere durch neue Regelungen gebunden sind. Hier stellen sich Fragen der innerbetrieblichen Gleichbehandlung.
Neueinstellungen
Neueinstellungen nach dem Auslaufen eines Tarifvertrags fallen nicht automatisch unter die Nachwirkung. Eine Erfassung ergibt sich nur aus neuen kollektivrechtlichen Regelungen oder aus einer arbeitsvertraglichen Einbeziehung tariflicher Inhalte.
Ausschlussfristen und Verfall
Fristen zur Geltendmachung von Ansprüchen können nachwirken, soweit sie die individuellen Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien betreffen. Ihre Anwendbarkeit richtet sich danach, ob sie als Arbeitsbedingung fortgelten und nicht durch eine neue Regelung abgelöst wurden.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet Nachwirkung eines Tarifvertrags?
Nachwirkung heißt, dass die Arbeitsbedingungen eines ausgelaufenen Tarifvertrags weitergelten, bis eine neue Regelung in Kraft tritt. Sie sichert eine verlässliche Übergangsordnung für bereits erfasste Arbeitsverhältnisse.
Wann beginnt die Nachwirkung und wie lange dauert sie?
Sie beginnt mit dem Ende der Laufzeit des Tarifvertrags, wenn keine Anschlussregelung existiert. Sie dauert an, bis eine andere Regelung denselben Gegenstand ersetzt, etwa ein neuer Tarifvertrag, eine arbeitsvertragliche Vereinbarung oder eine zulässige Betriebsvereinbarung.
Gilt die Nachwirkung auch für neu eingestellte Mitarbeitende?
Neueinstellungen nach dem Ende der Laufzeit sind nicht automatisch erfasst. Eine Geltung kann sich aus arbeitsvertraglichen Bezugnahmen oder aus neuen kollektiven Regelungen ergeben.
Welche Inhalte eines Tarifvertrags wirken nach?
Nachwirkend sind die Bestimmungen, die unmittelbar Arbeitsbedingungen regeln, etwa Entgelt, Arbeitszeit, Urlaub, Zuschläge und häufig auch Fristen zur Anspruchsgeltendmachung. Nicht nachwirkend sind Bestimmungen, die nur das Verhältnis der Tarifvertragsparteien untereinander betreffen.
Wie endet die Nachwirkung konkret?
Sie endet durch eine ablösende Regelung, die denselben Regelungsgegenstand erfasst. Das kann ein neuer Tarifvertrag, eine wirksame arbeitsvertragliche Vereinbarung oder eine zulässige Betriebsvereinbarung sein.
Spielt die Friedenspflicht in der Nachwirkung noch eine Rolle?
Die Friedenspflicht endet mit dem Auslaufen des Tarifvertrags. Während der Nachwirkung besteht keine Friedenspflicht mehr, auch wenn die bisherigen Arbeitsbedingungen weitergelten.
Können Betriebsvereinbarungen nachwirkende Tarifnormen ersetzen?
Ja, sofern die Betriebsvereinbarung den betreffenden Gegenstand zulässig regelt und kein fortbestehender tariflicher Vorrang entgegensteht. Mit ihrem Inkrafttreten endet insoweit die Nachwirkung.
Welche Bedeutung haben Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag?
Bezugnahmeklauseln bestimmen, ob und wie tarifliche Inhalte im Arbeitsverhältnis gelten, auch während der Nachwirkung. Dynamische Klauseln knüpfen an die jeweils aktuellen Tarifregelungen an, statische halten den Stand zu einem bestimmten Zeitpunkt fest.