Begriff und rechtliche Grundlagen der Mehrfachversicherung
Die Mehrfachversicherung bezeichnet im deutschen Versicherungsrecht die mehrfache Absicherung desselben Interesses gegen dieselbe Gefahr durch mehrere voneinander unabhängige Versicherungsverträge bei verschiedenen (oder auch demselben) Versicherern. Zentrale rechtliche Grundlage ist insbesondere § 78 Versicherungsvertragsgesetz (VVG).
Definition und Abgrenzung
Eine Mehrfachversicherung liegt vor, wenn eine Person für denselben Gegenstand, gegen die gleiche Gefahr und für denselben Zeitraum Versicherungsschutz bei mehreren Versicherern erlangt. Entscheidend sind die Kongruenz von versichertem Interesse, Gegenstand, Gefahr und Zeitraum. Rein additive Versicherungen, bei denen mehrere Verträge unterschiedliche Risiken oder Zeiträume abdecken, sind abzugrenzen.
Abgrenzung zur Doppelversicherung
Die Doppelversicherung ist ein Unterfall der Mehrfachversicherung, wenn die Versicherungssummen der Verträge die tatsächliche Versicherungssumme nicht überschreiten (keine Überversicherung). Im Übrigen überschneidet sich die Mehrfachversicherung teils mit der Überversicherung nach § 74 VVG.
Gesetzliche Regelung
Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG)
Das VVG behandelt die Mehrfachversicherung in den §§ 78 bis 80. Diese regeln das Verhältnis der Versicherer untereinander und zum Versicherungsnehmer.
§ 78 VVG – Anzeige- und Informationspflichten
Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, bei Abschluss einer weiteren Versicherung desselben Interesses gegen dieselbe Gefahr alle vorhandenen Versicherungen unverzüglich dem neuen Versicherer anzuzeigen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, kann der Versicherer nach Maßgabe des VVG vom Vertrag zurücktreten.
§ 79 VVG – Leistungspflicht der Versicherer
Im Versicherungsfall haften mehrere Versicherer der Mehrfachversicherung als Gesamtschuldner jedes nur anteilig, höchstens jedoch in Höhe des Gesamtschadens, jedoch nie über die Versicherungssumme hinaus. Der Versicherungsnehmer darf keine Überkompensation, also keinen Gewinn aus der Versicherungsleistung ziehen.
§ 80 VVG – Regressanspruch und Ausgleich unter Versicherern
Erbringt ein Versicherer mehr als seinen Anteil, kann er von den weiteren Beteiligten Ausgleich verlangen. Dies schützt die Versicherer vor ungleicher Lastenverteilung.
Praktische Bedeutung
Beispiele für Mehrfachversicherung
Typische Anwendungsfälle finden sich etwa in der Sachversicherung (Hausrat-, Wohngebäudeversicherung) oder der Kfz-Kaskoversicherung, wenn mehrere Policen parallel dasselbe Risiko absichern – häufig teils unbeabsichtigt, z.B. durch Unachtsamkeit bei Versicherungswechseln.
Rechtsfolgen bei unzulässiger Mehrfachversicherung
Kommt der Versicherungsnehmer seiner Anzeigepflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nach, kann dies zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag oder zur Leistungsfreiheit eines Versicherers führen. Dies dient spätestens im Schadenfall auch dem Schutz der Solidargemeinschaft der Versicherten vor ungerechtfertigter Mehrfachentschädigung.
Verhältnis zur Überversicherung
Mehrfachversicherung kann sowohl zu einer bloßen Doppelversicherung als auch zu einer Überversicherung führen, Letzteres wenn die Gesamtsumme der Versicherungsleistungen den Wert des versicherten Interesses übersteigt (§ 74 VVG). In solchen Fällen besteht nach § 78 Abs. 2 VVG unter Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers.
Besonderheiten in einzelnen Versicherungszweigen
Sachversicherung
In der Sachversicherung ist die Mehrfachversicherung besonders relevant. Der Versicherungsnehmer riskiert bei Nichtanzeige der Verträge Leistungskürzungen oder Rücktritte. Die Versicherer können untereinander Rückgriff nehmen.
Haftpflichtversicherung
In der Haftpflichtversicherung ist eine Mehrfachversicherung meist unerheblich, da jeder Versicherer nur subsidiär haftet und kein Versicherungsschutz über den realen Schaden hinaus zugesprochen werden kann.
Lebens- und Krankenversicherung
Hier kann Mehrfachversicherung sinnvoll und rechtlich zulässig sein, da es um Summenversicherungen geht und eine Überentschädigung des Versicherungsnehmers nicht im Mittelpunkt steht.
Internationales Versicherungsrecht
Die Regelungen zur Mehrfachversicherung finden sich so oder in abgewandelter Form auch in anderen europäischen und internationalen Rechtsordnungen. In vielen Staaten gilt der Grundsatz, dass Mehrfachleistungen nicht beansprucht werden dürfen und Versicherer Ausgleich untereinander verlangen können.
Rechtsprechung zur Mehrfachversicherung
Die deutsche Rechtsprechung hat mehrfach klargestellt, dass eine bewusste Umgehung der Anzeigepflichten Konsequenzen bis hin zur Anfechtung des Versicherungsvertrages nach sich ziehen kann. Gleichzeitig wird das Verbot der Überentschädigung strikt kontrolliert.
Zusammenfassung und Bedeutung
Die Mehrfachversicherung ist ein bedeutendes Thema im Versicherungsrecht und dient dem Schutz vor Doppelleistungen sowie der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern. Für Versicherungsnehmer ist die Pflicht zur Offenlegung aller bestehenden Versicherungen wesentlich, um rechtliche Nachteile zu vermeiden. Versicherer wiederum sind gehalten, im Schadenfall gemeinsam nur bis zur Höhe des individuellen Interesses zu leisten und untereinander einen finanziellen Ausgleich zu schaffen.
Damit trägt die Mehrfachversicherung der Fairness und Klarheit im Versicherungswesen entscheidend Rechnung und verhindert missbräuchliche Bereicherungsvorgänge.
Häufig gestellte Fragen
Was passiert rechtlich, wenn ein Schadensfall bei mehreren Versicherern gemeldet wird?
Wird ein Schadensfall bei mehr als einem Versicherer gemeldet und liegt eine Mehrfachversicherung vor, sind die rechtlichen Folgen im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt. Gemäß § 78 VVG sind die Versicherer bei ein und demselben Interesse, derselben Gefahr und gleichem Zeitraum insgesamt nur finanziell so verpflichtet, wie wenn nur eine Versicherung bestehen würde. Die Entschädigungsleistungen der einzelnen Versicherungen werden also aufgeteilt oder der Schaden wird insgesamt nur bis zur maximalen Deckungssumme ersetzt, eine Überentschädigung des Versicherungsnehmers ist ausgeschlossen. Die Versicherungsunternehmen können die Leistung anteilig je nach Vertragssumme untereinander aufteilen (Quotenregel). Der Versicherungsnehmer ist zudem verpflichtet, alle Verträge und Gesellschaften offen zu legen; geschieht dies nicht, kann unter Umständen der Versicherungsschutz gefährdet sein. Außerdem können sich die Versicherer über die geleisteten Zahlungen gegenseitig im Wege des Innenausgleichs regressieren.
Besteht eine Offenlegungspflicht gegenüber den Versicherern?
Aus rechtlicher Sicht obliegt dem Versicherungsnehmer die Pflicht, bei Schadensanmeldung oder im Schadenfall sämtliche bestehenden gleichartigen Versicherungen über dasselbe Risiko gegenüber den jeweiligen Gesellschaften offenzulegen (§ 78 Abs. 2 VVG). Wird eine solche Offenlegung unterlassen oder bewusst verschwiegen, kann dies den Vorwurf der arglistigen Täuschung begründen und zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Der Versicherungsnehmer muss sämtliche Policen und Versicherungssummen angeben, da den Gesellschaften sonst die Möglichkeit genommen wird, eine korrekte Schadenaufteilung und Rückgriffnahme untereinander vorzunehmen. Bei vorsätzlicher Täuschung können Versicherer unter Umständen ganz oder teilweise leistungsfrei sein.
Gibt es ein Rücktrittsrecht bei Vorliegen einer ungewollten Mehrfachversicherung?
Rechtlich normiert § 80 VVG für Fälle der Doppel- oder Mehrfachversicherung das Rücktrittsrecht beider Parteien. Stellt sich eine objektiv ungewollte Doppelversicherung – also beispielsweise aus Unkenntnis oder Irrtum – heraus, so hat sowohl der Versicherungsnehmer als auch der Versicherer das Recht, den Versicherungsvertrag, sofern er später abgeschlossen wurde, mit sofortiger Wirkung zu kündigen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn keine gesteigerte Gefährdung vorliegt und die Police lediglich versehentlich mehrfach abgeschlossen wurde. Der Rücktritt muss schriftlich erklärt werden; gezahlte Prämien für die überschüssige Mehrfachversicherung können ggf. anteilig erstattet werden.
Wie verhält es sich mit dem Beitragsanspruch bei doppelten Policen?
Im Regelfall behalten alle Versicherer, mit denen die Mehrfachversicherung abgeschlossen wurde, ihren Beitragsanspruch solange, wie die entsprechenden Verträge bestehen und nicht von einer Partei rechtmäßig beendet wurden. Die Verpflichtung zur Beitragszahlung entfällt erst nach wirksamer Kündigung des überschüssigen Vertrags gemäß § 80 Abs. 3 VVG. Besonderheiten bestehen, wenn eine Überversicherung vorliegt: Sobald diese erkannt und angezeigt wird, kann der Versicherungsnehmer Rückzahlung überzahlter Prämien verlangen. Die Frage des Beitragsrückbehalts hängt zusätzlich davon ab, ob und für welchen Zeitraum tatsächlich Versicherungsschutz bestand.
Können Versicherer Regressnahmen untereinander vornehmen?
Hat bei einer Mehrfachversicherung ein Versicherer mehr geleistet, als es dem von ihm übernommenen Anteil am versicherten Interesse entspricht, besitzt er gegenüber den anderen Versicherern einen sogenannten Innenausgleichsanspruch (§ 78 Abs. 2 VVG). Dieser Regress erfolgt im Nachgang zur Schadenregulierung und dient dazu, die Versicherer ihrem jeweiligen Umfang ihrer Verpflichtung entsprechend zu beteiligen. Die Anspruchsdurchsetzung erfolgt untereinander direkt zwischen den Versicherungsunternehmen, der Versicherungsnehmer hat regelmäßig keine weiteren Pflichten in diesem Ausgleichsverfahren.
Welche rechtlichen Folgen hat eine absichtliche Mehrfachversicherung (Mehrfacheinschluss in Bereicherungsabsicht)?
Die vorsätzliche Mehrfachversicherung zum Zweck ungerechtfertigter Bereicherung – etwa, um im Schadenfall von mehreren Versicherern mehrfach Leistungen oberhalb des tatsächlichen Schadens zu beziehen – ist nach deutschem Recht als Versicherungsbetrug strafbar (§ 263 StGB i.V.m. § 265 StGB). Zudem führt ein solcher Betrugsversuch unmittelbar zur Leistungsfreiheit aller betroffenen Versicherer (§ 81 VVG). Neben straf- und zivilrechtlichen Sanktionen wird meist auch das Versicherungsverhältnis außerordentlich gekündigt.
Was sind die gesetzlichen Vorgaben bei der Schadenregulierung in Fällen der Überversicherung?
Liegt eine Überversicherung infolge einer Mehrfachversicherung vor, ist der geschädigte Versicherungsnehmer gesetzlich verpflichtet, dies unverzüglich allen Versicherern anzuzeigen (§ 80 VVG). Bei der Schadenregulierung werden die Entschädigungsleistungen der einzelnen Versicherer am Gesamtinteresse (dem real entstandenen Schaden) ausgerichtet und nach Quoten berechnet. Eine Auszahlung des Gesamtbetrags über den tatsächlich eingetretenen Schaden hinaus ist durch das Bereicherungsverbot (§ 78 Abs. 1 VVG) untersagt, der Versicherungsnehmer kann also keinen Vermögensvorteil durch Mehrfachversicherungen erlangen. Unternehmen die Versicherer dennoch Auszahlungen über die tatsächliche Schadenshöhe hinaus, können sie gegen den Versicherungsnehmer auf Herausgabe und Rückzahlung klagen.