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Lieferschwelle

Begriff und Einordnung der Lieferschwelle

Die Lieferschwelle bezeichnet einen umsatzbezogenen Grenzwert im Binnenmarkt der Europäischen Union, der für die Besteuerung grenzüberschreitender Lieferungen von Waren an private Abnehmer maßgeblich ist. Wird dieser Grenzwert überschritten, verlagert sich der Ort der Lieferung in den Bestimmungsstaat, sodass dessen Umsatzsteuerrecht Anwendung findet. Die Lieferschwelle ist damit ein Instrument zur Abgrenzung, wann Lieferungen in anderen Mitgliedstaaten nach deren Regeln zu versteuern sind.

Historisch gab es in jedem Mitgliedstaat eigene Lieferschwellen für den sogenannten Versandhandel. Seit einer grundlegenden Reform gilt eine einheitliche, EU-weite Schwelle für innergemeinschaftliche Fernverkäufe. In der Praxis wird der Begriff „Lieferschwelle“ weiterhin verwendet, wobei rechtssystematisch die Rede von einer EU-weiten Umsatzschwelle ist.

Die Lieferschwelle ist von nationalen Regelungen zu inländischen Kleinbetrags- oder Kleinunternehmergrenzen zu unterscheiden. Sie bezieht sich auf grenzüberschreitende B2C-Lieferungen innerhalb der EU und verfolgt einen anderen Zweck als innerstaatliche Entlastungs- oder Vereinfachungsmechanismen.

Rechtlicher Hintergrund und Entwicklung

Historische Lieferschwellen in den Mitgliedstaaten

Vor der Vereinheitlichung bestanden je Mitgliedstaat eigene Schwellenwerte. Überschritten Unternehmen bei Lieferungen an private Abnehmer in einen bestimmten Mitgliedstaat dessen nationale Lieferschwelle, führte dies zur Steuerpflicht im Bestimmungsland und regelmäßig zur Registrierungspflicht in diesem Staat. Diese Zersplitterung wurde durch ein harmonisiertes System abgelöst.

Aktuelle EU-weite Schwelle für Fernverkäufe

Heute existiert eine einheitliche, EU-weit geltende Umsatzschwelle für innergemeinschaftliche Fernverkäufe an private Abnehmer. Maßgeblich ist der Netto-Umsatz bestimmter grenzüberschreitender B2C-Lieferungen innerhalb eines Kalenderjahres, zusammen mit bestimmten digitalen Dienstleistungen an private Abnehmer in anderen Mitgliedstaaten. Wird die Schwelle überschritten, gilt der Ort der Lieferung im Bestimmungsland. Wird sie nicht überschritten, verbleibt der Ort der Lieferung grundsätzlich im Abgangsstaat.

Die EU-weite Schwelle gilt insbesondere für in der EU ansässige Unternehmen und wird unionsweit aggregiert. Bei mehreren Niederlassungen in verschiedenen Mitgliedstaaten oder bei fehlender Ansässigkeit in der EU kann die Anwendung eingeschränkt oder ausgeschlossen sein. Unabhängig von der Überschreitung kann die Besteuerung im Bestimmungsland auf Wahl hin angewandt werden; eine solche Option ist verbindlich und wirkt für einen festgelegten Zeitraum.

Der Begriff „Lieferschwelle“ wird umgangssprachlich weiter genutzt; systematisch handelt es sich um die EU-weite Umsatzschwelle für innergemeinschaftliche Fernverkäufe und bestimmte digitale Leistungen.

Geltungsbereich der Lieferschwelle

Personeller Anwendungsbereich

Adressaten sind Unternehmer, die Waren an private Abnehmer in anderen EU-Mitgliedstaaten liefern, wobei der Transport durch den Lieferer oder in dessen Auftrag veranlasst wird. Die Schwelle ist primär auf in der EU ansässige Unternehmer zugeschnitten. Für nicht in der EU ansässige Unternehmer kann die Schwelle nicht zur Anwendung kommen; für diese richtet sich der Ort der Lieferung regelmäßig nach dem Bestimmungsland ohne Schwellenprüfung.

Sachlicher Anwendungsbereich

Erfasst sind innergemeinschaftliche Fernverkäufe an Nichtunternehmer (B2C). Nicht erfasst sind insbesondere B2B-Lieferungen, Lieferungen mit Montage oder Installation, die Lieferung neuer Fahrzeuge, verbrauchsteuerpflichtige Waren mit Sonderregeln sowie rein inländische Lieferungen. Import-Fernverkäufe aus Drittländern an private Abnehmer unterliegen einem eigenen Regelungsrahmen, der nicht auf der hier beschriebenen Schwelle beruht.

Räumlicher Anwendungsbereich

Die Lieferschwelle wirkt innerhalb des Mehrwertsteuergebiets der EU. Lieferungen in oder aus Gebiete(n), die nicht zum mehrwertsteuerlichen Hoheitsgebiet gehören (z. B. bestimmte Sondergebiete), fallen nicht unter diese Regel und sind gesondert zu beurteilen.

Rechtsfolgen in Abhängigkeit von der Lieferschwelle

Unterschreiten der Schwelle

Wird die Schwelle im laufenden und im vorangegangenen Kalenderjahr nicht überschritten, gilt der Ort der Lieferung grundsätzlich im Abgangsmitgliedstaat. Es kommt dann dessen Umsatzsteuerrecht zur Anwendung. Eine freiwillige Verlagerung in den Bestimmungsstaat ist möglich und wirkt nach Erklärung bindend.

Überschreiten der Schwelle

Wird die Schwelle im vorangegangenen Jahr überschritten, gilt für das gesamte folgende Kalenderjahr der Bestimmungsstaat als Ort der Lieferung. Wird die Schwelle erst im laufenden Jahr überschritten, tritt die Verlagerung in den Bestimmungsstaat ab dem Zeitpunkt der Überschreitung ein. Die Rechtsfolge ist die Anwendung des Umsatzsteuerrechts des Bestimmungsstaats für die betroffenen Lieferungen.

Abwicklung und Meldung

Registrierung und Erklärung

Bei Anwendung des Bestimmungslandprinzips bestehen Pflichten zur Erklärung und Abführung der Steuer im Bestimmungsstaat. Zur Vereinfachung existiert ein unionsweites Verfahren, über das relevante Umsätze zentral erklärt und abgeführt werden können, anstatt getrennte Registrierungen in jedem Bestimmungsstaat vorzunehmen.

Nachweis- und Dokumentationspflichten

Für die Anwendung der Lieferschwellenregelung sind die zutreffende Einordnung der Lieferung als Fernverkauf, die Ermittlung der maßgeblichen Umsätze und der Nachweis des Bestimmungslands bedeutsam. Erforderlich sind nachvollziehbare Unterlagen zum Transport, zum Ort des Lieferendes sowie eine ordnungsgemäße Rechnungs- und Aufzeichnungsführung nach den jeweils einschlägigen Vorgaben.

Marktplatz- und Plattformfälle

Werden Lieferungen über elektronische Schnittstellen an private Abnehmer vermittelt, kann die Schnittstelle in bestimmten Konstellationen als Lieferer fingiert werden. In diesen Fällen trifft die Steuerpflicht die elektronische Schnittstelle; die Lieferschwellenprüfung verlagert sich entsprechend.

Abgrenzungen und Sonderfälle

Unterschied zur inländischen Kleinunternehmergrenze

Die Lieferschwelle betrifft ausschließlich grenzüberschreitende B2C-Lieferungen innerhalb der EU und entscheidet über den Ort der Besteuerung. Nationale Kleinunternehmerregelungen regeln demgegenüber eine mögliche Steuerbefreiung oder Vereinfachung innerhalb eines Mitgliedstaats und sind unabhängig von der Frage, in welchem Staat die Lieferung steuerbar ist.

Verbrauchsteuerpflichtige Waren und neue Fahrzeuge

Für verbrauchsteuerpflichtige Waren sowie für neue Fahrzeuge gelten eigenständige Vorgaben. Diese Lieferungen unterfallen nicht der allgemeinen Lieferschwellenregel, sondern werden nach speziellen Bestimmungsland- oder Sonderregelungen beurteilt.

Lieferungen mit Montage/Installation; Lagerfälle

Lieferungen, die mit Montage oder Installation verbunden sind, bestimmen ihren Lieferort nach spezifischen Kriterien und sind nicht Teil der Lieferschwellenregel. Werden Waren aus Lagern in mehreren Mitgliedstaaten geliefert, kann dies zur Begründung von steuerlich relevanten Niederlassungen führen; die Anwendung der Schwelle ist insoweit eingeschränkt.

Praktische Bedeutung und Risiken

Die zutreffende Einordnung im Verhältnis zur Lieferschwelle ist für die Bestimmung des Lieferorts und des anwendbaren Steuersatzes maßgeblich. Fehler bei der Schwellenberechnung oder bei der Zuordnung des Bestimmungslands können zu Nachforderungen, Zinsen und Sanktionen führen. Auch systematische Risiken wie Doppelbesteuerung oder Nichtbesteuerung lassen sich ohne konsistente Einstufung nicht zuverlässig vermeiden.

Häufig gestellte Fragen zur Lieferschwelle

Was ist unter der Lieferschwelle im aktuellen EU-System zu verstehen?

Die Lieferschwelle ist ein EU-weit geltender Nettogrenzwert für innergemeinschaftliche Fernverkäufe an private Abnehmer. Sie entscheidet, ob die Lieferung im Abgangsstaat oder im Bestimmungsstaat zu versteuern ist. Historische nationale Schwellen wurden durch diese einheitliche Regel ersetzt.

Gilt die Lieferschwelle auch für Unternehmen außerhalb der EU?

Nicht in der EU ansässige Unternehmen können die EU-weite Lieferschwelle regelmäßig nicht in Anspruch nehmen. Für sie gilt häufig das Bestimmungslandprinzip ohne Schwellenprüfung. Gesonderte Regelungen gelten für Import-Fernverkäufe und für Fälle, in denen elektronische Schnittstellen als Lieferer fingiert werden.

Welche Umsätze werden auf die Lieferschwelle angerechnet?

Angerechnet werden die Nettoentgelte für innergemeinschaftliche Fernverkäufe an private Abnehmer. Einbezogen werden zudem bestimmte digitale Dienstleistungen an private Abnehmer in anderen Mitgliedstaaten. Nicht einzubeziehen sind B2B-Lieferungen, rein inländische Umsätze sowie Lieferungen, die aufgrund besonderer Vorschriften außerhalb der Lieferschwellenregel liegen.

Ab wann verlagert sich der Ort der Lieferung in den Bestimmungsstaat?

Ist die Schwelle im Vorjahr überschritten, gelten die Lieferungen im laufenden Jahr von Beginn an im Bestimmungsstaat als erbracht. Wird die Schwelle erst im laufenden Jahr überschritten, tritt die Verlagerung ab dem Zeitpunkt der Überschreitung ein.

Welche Rolle spielt das One-Stop-Shop-Verfahren im Zusammenhang mit der Lieferschwelle?

Das One-Stop-Shop-Verfahren ermöglicht es, die Umsatzsteuer auf in verschiedenen Bestimmungsstaaten steuerbare Fernverkäufe zentral zu erklären und abzuführen. Es dient der Vereinfachung, wenn aufgrund der Lieferschwellenregel der Bestimmungsstaat maßgeblich ist.

Gibt es Lieferungen, die nicht unter die Lieferschwellenregel fallen?

Ja. Ausgenommen sind insbesondere B2B-Lieferungen, Lieferungen mit Montage oder Installation, neue Fahrzeuge, bestimmte verbrauchsteuerpflichtige Waren sowie Lieferungen in oder aus Gebiete(n), die nicht Teil des mehrwertsteuerlichen Hoheitsgebiets der EU sind.

Wie verhält sich die Lieferschwelle zu nationalen Kleinunternehmerregelungen?

Beide Regelungskomplexe verfolgen unterschiedliche Ziele. Die Lieferschwelle steuert den Ort der Besteuerung grenzüberschreitender B2C-Lieferungen. Nationale Kleinunternehmerregelungen betreffen innerstaatliche Erleichterungen und sind unabhängig davon, in welchem Staat eine grenzüberschreitende Lieferung steuerbar ist.

Welche Folgen hat eine Fehleinordnung hinsichtlich der Lieferschwelle?

Fehleinordnungen können zu falschem Steuersatz, fehlerhafter Ortsbestimmung, Nachforderungen, Zinsen und Sanktionen führen. Zudem sind Korrekturen über mehrere Mitgliedstaaten hinweg mit erhöhtem administrativem Aufwand verbunden.