Begriff und rechtliche Grundlagen der Karenzentschädigung
Die Karenzentschädigung ist ein im deutschen Arbeitsrecht verankerter Begriff, der eine finanzielle Ausgleichsleistung bezeichnet, welche Arbeitgeber den Arbeitnehmern während der Dauer eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots zahlen müssen. Die Regelungen hierzu finden sich insbesondere in § 74 ff. Handelsgesetzbuch (HGB). Ziel ist der Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen des Arbeitgebers, ohne den Arbeitnehmer unverhältnismäßig in seiner beruflichen Freiheit einzuschränken.
Anwendungsbereiche und Voraussetzungen
Nachvertragliches Wettbewerbsverbot
Die Karenzentschädigung wird im Kontext des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots relevant. Ein solches Verbot untersagt es dem ehemaligen Arbeitnehmer, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für einen bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Region und Branche eine konkurrenzierende Tätigkeit auszuüben oder ein entsprechendes Unternehmen zu gründen.
Für die rechtliche Wirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots sind die folgenden Voraussetzungen maßgeblich:
- Schriftform des Verbots (§ 74 Abs. 1 HGB)
- Vereinbarung einer Karenzentschädigung
- Höchstdauer von zwei Jahren (§ 74a Abs. 1 HGB)
- Angemessene Reichweite (zeitlich, räumlich, gegenständlich)
Pflicht zur Zahlung
Ohne die vertragliche Vereinbarung einer Karenzentschädigung ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot in der Regel nichtig. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Karenzentschädigung für die vom Wettbewerbsverbot erfasste Zeit zu zahlen, unabhängig davon, ob und wie der Arbeitnehmer von einer Konkurrenzsituation tatsächlich Gebrauch gemacht hätte.
Höhe und Berechnung der Karenzentschädigung
Mindesthöhe gemäß § 74 Abs. 2 HGB
Die gesetzliche Mindesthöhe der Karenzentschädigung beträgt 50% der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Vergütung. Zur Berechnung werden das feste Gehalt sowie auch andere regelmäßig gewährte Leistungen wie Sachbezüge, Prämien und Provisionen herangezogen. Einmalzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sind ebenfalls zu berücksichtigen, soweit sie regelmäßig gezahlt wurden.
Anrechnung anderweitigen Erwerbs
Gemäß § 74c HGB muss sich der Arbeitnehmer auf die Karenzentschädigung das anrechnen lassen, was er während der Karenzzeit durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Höhe der zu gewährenden Entschädigung kann sich dadurch dementsprechend verringern.
Vertragsgestaltung und rechtliche Folgen
Form und Inhalt des Wettbewerbsverbots
Damit das nachvertragliche Wettbewerbsverbot mit der Karenzentschädigung wirksam ist, muss es schriftlich vereinbart sein. Die Vereinbarung muss sowohl das Wettbewerbsverbot im Detail festlegen als auch klare Regelungen zur Karenzentschädigung enthalten.
Teilnichtigkeit und Wahlrechte
Ist das Wettbewerbsverbot unzulässig weit gefasst, kann es nach § 74a HGB auf das zulässige Maß reduziert werden (sogenannte geltungserhaltende Reduktion). Der Arbeitnehmer hat im Regelfall das Recht, zwischen Einhaltung des Verbots mitsamt Anspruch auf die Entschädigung oder Nichteinhaltung des Verbots ohne Zahlungsanspruch zu wählen.
Rücktrittsrecht und Verzicht
Der Arbeitgeber kann ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot durch schriftliche Erklärung aufheben (Verzichtserklärung). Tritt der Arbeitgeber spätestens bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom Wettbewerbsverbot zurück, entfällt die Pflicht zur Karenzentschädigung. Andernfalls bleibt die Zahlungsverpflichtung bis zum Ablauf eines Jahres nach der erklärten Aufhebung bestehen (§ 75 HGB).
Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung
Die Karenzentschädigung gilt als Einkunft aus nichtselbständiger Arbeit und unterliegt der Lohnsteuerpflicht. Daneben ist die Karenzentschädigung beitragspflichtig in der gesetzlichen Sozialversicherung. Die genaue Einstufung erfolgt im Einzelfall nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.
Besonderheiten im Arbeits- und Dienstvertragsrecht
Geltung im Arbeitsrecht außerhalb des HGB
Obwohl die gesetzlichen Regelungen zur Karenzentschädigung ursprünglich für kaufmännische Angestellte entwickelt wurden, werden die Grundsätze analog auch auf andere Arbeitnehmergruppen angewandt. Im öffentlichen Dienst, bei leitenden Angestellten oder im Geschäftsleiterbereich (z.B. Geschäftsführer und Vorstände) gelten teilweise modifizierte Regelungen, wobei eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung entscheidend ist.
Unwirksamkeit und Rechtsfolgen
Ein Wettbewerbsverbot ohne Karenzentschädigungsvereinbarung ist nichtig. Fordert der Arbeitgeber dennoch die Einhaltung, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, das Wettbewerbsverbot als unwirksam zurückzuweisen.
Gerichtliche Durchsetzung und typische Streitpunkte
Bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Karenzentschädigung sind die Arbeitsgerichte zuständig. Oftmals besteht Uneinigkeit über die Berechnung der Vergütungsbestandteile, die Anrechnung anderweitigen Erwerbs sowie die Reichweite des Wettbewerbsverbots. Für die gerichtliche Durchsetzung sind insbesondere schriftliche Nachweise und Abrechnungen maßgeblich.
Zusammenfassung
Die Karenzentschädigung ist ein gesetzlich vorgeschriebener Ausgleich, der bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten zu leisten ist. Ihr Ziel ist die Herstellung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen den Interessen des ehemaligen Arbeitgebers und der beruflichen Handlungsfreiheit des Arbeitnehmers. Für die Wirksamkeit ist vor allem die schriftliche Vereinbarung und die Höhe der Entschädigung maßgeblich, wobei deren Ausgestaltung eine Vielzahl rechtlicher Vorgaben zu beachten hat. Entsprechend ist die Karenzentschädigung ein zentraler Begriff im deutschen Arbeitsrecht mit weitreichender Praxisrelevanz.
Häufig gestellte Fragen
Wie wird die Höhe der Karenzentschädigung berechnet?
Die Höhe der Karenzentschädigung richtet sich grundsätzlich nach den gesetzlichen Vorgaben des § 74 Handelsgesetzbuch (HGB) bzw. den jeweils einschlägigen spezialgesetzlichen oder tarifvertraglichen Regelungen. Gemäß § 74 Abs. 2 HGB zum Beispiel beträgt die Karenzentschädigung während der Dauer des Wettbewerbsverbots mindestens die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen des Arbeitnehmers, zu denen auch regelmäßige Sondervergütungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld zählen, soweit diese zuletzt gewährt wurden. Zulagen, Provisionen und andere variable Vergütungen werden ebenfalls berücksichtigt, sofern sie regelmäßig geleistet wurden. Nicht erfasst werden hingegen einmalige Bonuszahlungen oder Abfindungen. Es ist zu beachten, dass die Parteien des Arbeitsvertrags eine höhere Karenzentschädigung vereinbaren können, die gesetzlich festgelegte Untergrenze darf allerdings nicht unterschritten werden. Bei selbstständigen Handelsvertretern gelten gesonderte Berechnungsgrundlagen nach § 90a HGB. Der Berechnung sind sämtliche Sozialleistungen und Steuern zugrunde zu legen, da die Karenzentschädigung wie ein Arbeitsentgelt zu behandeln ist.
Unter welchen Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Karenzentschädigung?
Ein Anspruch auf Karenzentschädigung setzt voraus, dass ein wirksames, schriftlich vereinbartes Wettbewerbsverbot nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht (§ 74 Abs. 1 HGB). Ohne eine explizite Vereinbarung, die sowohl inhaltlich klar als auch zeitlich und räumlich bestimmt ist, besteht kein Anspruch. Das Wettbewerbsverbot muss zudem den Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen des Arbeitgebers bezwecken und darf die weitere berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers nicht unbillig behindern. Nur wenn der Arbeitnehmer das Wettbewerbsverbot tatsächlich einhält, entsteht der Entschädigungsanspruch für die Dauer des Verbotes. Ob ein Geheimhaltungstatbestand verletzt wird, ist dabei unerheblich – allein das Nichtausüben einer Wettbewerbshandlung genügt für den Anspruch. Schließlich darf das Wettbewerbsverbot nicht länger als zwei Jahre nach Ende des Arbeitsverhältnisses andauern.
Ist die Karenzentschädigung steuer- und sozialversicherungspflichtig?
Die Karenzentschädigung gilt als Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit im Sinne des § 19 Einkommensteuergesetz (EStG) und unterliegt grundsätzlich der Lohnsteuerpflicht. Für die Sozialversicherung ist die Karenzentschädigung als Arbeitsentgelt einzustufen, was bedeutet, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer die vollen Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung abzuführen haben; hierbei gelten die selben Beitragssätze und Bemessungsgrenzen wie bei einem regulären Beschäftigungsverhältnis. Sollte die Karenzentschädigung zeitlich nachgezahlt werden oder in einer einmaligen Zahlung erfolgen, sind gegebenenfalls die Besonderheiten der sogenannten „Einmalzahlungen“ in der Sozialversicherung zu beachten, insbesondere hinsichtlich der Zuordnung zu den Abrechnungszeiträumen und der beitragsrechtlichen Behandlung.
Kann die Karenzentschädigung auf anderweitige Erwerbseinkünfte angerechnet werden?
Ja, § 74c HGB regelt ausdrücklich, dass Einkünfte aus anderweitiger Tätigkeit während des Verbotszeitraums auf die Karenzentschädigung angerechnet werden müssen, soweit diese zusammen mit der Karenzentschädigung das zuletzt bezogene Durchschnittsgehalt übersteigen. Dazu zählt jedes Einkommen aus einer neuen Beschäftigung oder aus selbständiger Tätigkeit, das im Zeitraum des Wettbewerbsverbots erzielt wird. Die Anrechnung erfolgt in der Weise, dass nur der übersteigende Betrag auf die Entschädigung angerechnet wird, so dass der ehemalige Arbeitnehmer stets auf mindestens 100 % des zuletzt bezogenen Einkommens kommt. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, über das erzielte anderweitige Einkommen Auskunft zu geben; unterlässt er dies, kann der Arbeitgeber die Karenzentschädigung auf einen zulässigen Mindestbetrag beschränken.
Welche Folgen hat die verspätete oder ausbleibende Zahlung der Karenzentschädigung durch den Arbeitgeber?
Leistet der Arbeitgeber die Karenzentschädigung nicht rechtzeitig, gerät er in Zahlungsverzug und der Arbeitnehmer kann den rückständigen Betrag einschließlich Verzugszinsen (§ 288 BGB) einklagen. Zudem hat der Arbeitnehmer unter gewissen Voraussetzungen ein Sonderkündigungsrecht hinsichtlich des vereinbarten Wettbewerbsverbots: Er kann vom Wettbewerbsverbot zurücktreten, wenn der Arbeitgeber trotz Abmahnung und Fristsetzung weiterhin nicht zahlt (§ 75 Abs. 1 HGB). In diesem Fall entfällt seine Verpflichtung zur Unterlassung der Wettbewerbshandlungen; er kann eine neue Anstellung im Konkurrenzunternehmen aufnehmen, ohne den Anspruch auf die bis dahin entstandene Entschädigung zu verlieren. Darüber hinaus kann der Arbeitnehmer ggf. Schadensersatz geltend machen, soweit durch die verzögerte oder unterlassene Zahlung ein zusätzlicher Schaden entstanden ist.
Ist eine nachträgliche Anpassung oder Aufhebung der Karenzentschädigung möglich?
Eine einvernehmliche Anpassung der Karenzentschädigung oder die gänzliche Aufhebung des Wettbewerbsverbots ist jederzeit durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich. Unilateral kann nur der Arbeitnehmer auf das Wettbewerbsverbot verzichten, wobei dies zwingend schriftlich zu erfolgen hat. Der Arbeitgeber kann frühestens am Ende des Arbeitsverhältnisses (§ 75a Abs. 1 HGB) auf das Wettbewerbsverbot verzichten, wobei der Arbeitnehmer für die Dauer von zwölf Monaten nach Ausspruch des Verzichts keinen Anspruch mehr auf Karenzentschädigung hat. Eine Vertragsanpassung z.B. bei wesentlicher Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist nur im gegenseitigen Einverständnis möglich. Werden die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Karenzentschädigung unterschritten, ist das Wettbewerbsverbot insoweit nichtig.
Welche Rolle spielen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen bei der Karenzentschädigung?
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen können ergänzend oder abweichend von den gesetzlichen Regelungen individuelle Bestimmungen zur Karenzentschädigung enthalten. Das betrifft insbesondere die Berechnungsgrundlagen, die Mindesthöhe, etwaige Obergrenzen oder spezifische Anrechnungsvorschriften bezüglich anderweitiger Verdienste. Ist ein auf das Arbeitsverhältnis anwendbarer Tarifvertrag vorhanden, sind dessen Regelungen vorrangig zu beachten. Gleiches gilt, wenn ein Betriebsrat existiert, der mit dem Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen über nachvertragliche Wettbewerbsverbote abgeschlossen hat. In allen Fällen gilt jedoch das Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG): Die jeweils für den Arbeitnehmer vorteilhaftere Regelung findet Anwendung, gesetzliche Mindeststandards dürfen durch tarifliche oder betriebliche Regelungen nicht unterschritten werden.