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Hilfsaufrechnung


Begriff und Definition der Hilfsaufrechnung

Die Hilfsaufrechnung ist ein Begriff des deutschen Zivilprozessrechts und beschreibt eine besondere prozessuale Form der Aufrechnung mit einer Gegenforderung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens. Sie dient als rechtliche Strategie, die regelmäßig eingesetzt wird, um für den Fall der Erfolglosigkeit von Hauptansprüchen einen weiteren Einwand im Verfahren vorzubereiten. Rechtlich gesehen handelt es sich bei der Hilfsaufrechnung um eine Eventualaufrechnung im rechtstechnischen Sinn.

Im Unterschied zur Primäraufrechnung erfolgt die Hilfsaufrechnung nicht unbedingt bereits zu Beginn des Verfahrens, sondern lediglich „hilfsweise“, also für den Fall, dass einer bestimmten Rechtsposition – typischerweise der Hauptverteidigung – nicht stattgegeben wird. Die hilfsweise erklärte Aufrechnung verfolgt das Ziel, den rechtskräftigen Anspruch des Klägers auch dann vollumfänglich oder teilweise zu Fall zu bringen, wenn die Hauptverteidigung nicht greift.


Rechtsgrundlagen der Hilfsaufrechnung

Zivilprozessordnung (ZPO)

Die Hilfsaufrechnung ist weder im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) noch ausdrücklich in der Zivilprozessordnung (ZPO) normiert, wird jedoch aus den allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozessrechts und der Struktur des Zivilprozesses hergeleitet. Wesentliche Rechtsgrundlagen betreffen:

§ 388 ff. BGB (Aufrechnung)

Das materielle Recht, also die Voraussetzungen und Wirkungen der Aufrechnung, ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 387, 388 ff. BGB.

§ 33 ZPO (Aufrechnung im Zivilprozess)

Nach § 33 ZPO kann eine Gegenforderung im Prozess durch Aufrechnung geltend gemacht werden. Dabei wird klargestellt, dass der Beklagte Einwendungen gegen den Anspruch des Klägers auch noch im laufenden Prozess aufrechnerisch vorbringen kann.

Eventualanträge und innerprozessuale Erklärung

Die Hilfsaufrechnung ist ein klassisches Beispiel eines Eventualantrags („hilfsweise für den Fall…“), als prozessuales Gestaltungsmittel. Hier gilt, dass mehrere Rechtsverteidigungen nebeneinander oder nacheinander angeboten werden können.


Abgrenzung: Hauptaufrechnung und Hilfsaufrechnung

Unterschieden wird zwischen Primär- (oder Haupt-) und Hilfsaufrechnung:

  • Hauptaufrechnung: Der Beklagte stellt von Beginn an klar, dass der Anspruch des Klägers vollständig oder teilweise durch die erklärten Gegenforderungen erlöschen soll, unabhängig von anderen Verteidigungsmitteln.
  • Hilfsaufrechnung: Der Beklagte erklärt, dass die Aufrechnung nur für den Fall erfolgen soll, dass die Hauptverteidigung gegen den Anspruch des Klägers nicht erfolgreich ist. Dadurch ist der Streitgegenstand für das Gericht in eine Haupt- und eine Eventualverteidigung unterteilt.

Prozessuale Bedeutung und Folgen der Hilfsaufrechnung

Streiterweiterung und Streitgegenstand

Mit der Hilfsaufrechnung wird der Streitgegenstand des Prozesses nicht schon mit der bloßen Hilfsaufrechnung erweitert, sondern erst, wenn die Bedingung („für den Fall“) eintritt. Wird die Hauptverteidigung erfolgreich, erübrigt sich die Entscheidung über die Hilfsaufrechnung; bei deren Misserfolg wird – sofern zulässig – über die Aufrechnung und die dazugehörende Gegenforderung entschieden.

Wirkung und rechtliche Folgen

Durch die Hilfsaufrechnung wird die Gegenforderung materiell-rechtlich wie eine bedingte Erklärung behandelt. Im prozessualen Sinn erhält die Hilfsaufrechnung jedoch nur dann Wirkung, wenn die Vorrangverteidigung abgewiesen wird. Das Gericht prüft dann, ob alle Voraussetzungen der Aufrechnung vorliegen (Gleichartigkeit, Fälligkeit, Erfüllbarkeit etc.).

Rechtskraft und Bindungswirkung

Die über die Hilfsaufrechnung entschiedenen Einwendungen werden Bestandteil des Urteils. Damit erlangt die Entscheidung über die Gegenforderung und deren Aufrechenbarkeit Rechtskraft – was insbesondere prozessökonomisch bedeutsam wird.


Typische Anwendungsfälle der Hilfsaufrechnung

  • Klage auf Kaufpreiszahlung: Der Beklagte verteidigt sich zunächst mit der Einrede des Nichterfüllens („Zug um Zug“), erklärt aber hilfsweise die Aufrechnung mit einer Gegenforderung (etwa wegen Schadensersatz).
  • Dienst- und Werkvertragsrecht: Der Auftragnehmer wehrt sich gegen eine Vergütungsklage des Auftraggebers primär mit Einwendungen aus dem Vertrag und erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit seiner Honorarforderung.
  • Miet- und Pachtverhältnisse: Der Mieter verteidigt sich gegen eine Räumungsklage und macht hilfsweise Mietminderungsansprüche aufrechnend geltend.

Form und Zeitpunkt der Hilfsaufrechnung

Form der Erklärung

Die Hilfsaufrechnung muss eindeutig und hinreichend bestimmt erklärt werden. Sie kann sowohl im schriftlichen Vorbringen (Klageerwiderung, Schriftsatz) als auch mündlich in der Verhandlung erfolgen. Dabei ist die Hilfsbedingung („hilfsweise“, „für den Fall, dass…“) klar zu bezeichnen.

Zeitpunkt der Erklärung

Die Hilfsaufrechnung kann – vorbehaltlich der Regelungen über verspätetes Vorbringen (§ 296 ZPO) – grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgen. Tritt erst während des Verfahrens die Notwendigkeit einer Eventualaufrechnung zu Tage, so ist auch eine nachträgliche, hilfsweise Aufrechnung denkbar.


Besonderheiten und Einschränkungen

Zulässigkeit und Prozesssituation

Nicht in jedem Fall ist die Hilfsaufrechnung zulässig. Sie ist insbesondere ausgeschlossen, wenn etwa die Gegenforderung noch nicht fällig oder die Hauptforderung nicht gleichartig ist. Auch können prozessuale Restriktionen, wie Verspätungstatbestände oder das fehlende Rechtsschutzinteresse, zum Ausschluss führen.

Aufrechnung in Sonderverfahren

Das Insolvenzverfahren und die Zwangsvollstreckung kennen eigene Regeln zur Aufrechnung, welche die Hilfsaufrechnung beschränken oder erweitern können (§§ 94 ff. InsO).


Zusammenfassung

Die Hilfsaufrechnung stellt ein bedeutsames Instrument innerhalb des Zivilprozesses dar, das dem Beklagten ermöglicht, flexibel auf den Ausgang der Hauptverteidigung zu reagieren, seine Rechte optimal zu verteidigen und auf verschiedene Verfahrensabläufe zu reagieren. Sie ist rechtlich eine Eventualaufrechnung, die in alternativer Weise neben anderen Verteidigungsmitteln als „Auffangnetz“ im Prozess dient. Ihre rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen bestimmen sich maßgeblich nach den Vorschriften des materiellen und prozessualen Aufrechnungsrechts.


Weiterführende Literatur und Rechtsprechung

  • BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 – IX ZR 173/07
  • Thomas/Putzo, ZPO, § 33
  • Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 33
  • MüKoBGB/Westermann, BGB, §§ 387 ff.

Hinweis: Der vorliegende Artikel dient der allgemeinen Information zum Begriff Hilfsaufrechnung im Kontext des deutschen Zivilprozessrechts.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Hilfsaufrechnung im Zivilprozess erfüllt sein?

Die Hilfsaufrechnung ist ein prozessuales Hilfsmittel, das es einer Partei ermöglicht, eine Aufrechnung für den Fall zu erklären, dass ihre Hauptverteidigung im Prozess nicht durchdringt. Grundvoraussetzung ist zunächst das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB. Dies sind insbesondere die Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen sowie deren Durchsetzbarkeit und Fälligkeit. Darüber hinaus sind prozessuale Anforderungen zu beachten: Die hilfsweise Aufrechnung muss „eventualiter“ erklärt werden, also ausdrücklich nur für den Fall, dass das Gericht das Hauptvorbringen nicht für durchgreifend erachtet. Die Erklärung der Hilfsaufrechnung muss im Rahmen der prozessualen Regeln abgegeben werden (§ 33 ZPO), sie ist insbesondere rechtzeitig im Prozess anzubringen (regelmäßig spätestens in der mündlichen Verhandlung) und muss bestimmt, also die aufzurechnende Gegenforderung ausreichend spezifiziert sein. Zudem ist die Hilfsaufrechnung als tatsächliches Verteidigungsmittel im Erkenntnisverfahren zu qualifizieren und kann grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingeführt werden, sofern nicht ausnahmsweise eine Präklusion eingreift.

Ist für die Hilfsaufrechnung eine Klageänderung nach § 263 ZPO erforderlich?

Eine Hilfsaufrechnung stellt keine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO dar, da sie die Verteidigung des Beklagten betrifft und keine Modifikation des Klageantrags oder -grundes bewirkt. Vielmehr handelt es sich um ein Verteidigungsmittel in Form eines materiell-rechtlichen Einwands (Einwendung), das lediglich vorsorglich, das heißt für den Fall des Unterliegens mit anderen Verteidigungen, geltend gemacht wird. Eine Zustimmung des Klägers oder gerichtliche Zulassung ist daher nicht erforderlich. Die geltend gemachte Gegenforderung bleibt auch im Fall der Hilfsaufrechnung unselbstständiges Verteidigungsvorbringen und führt nicht zur Erweiterung des Streitgegenstandes im Wege der prozessualen Klageänderung.

Kann die Reihenfolge von Haupt- und Hilfsaufrechnung im Prozessverlauf geändert werden?

Die Reihenfolge zwischen Haupt- und Hilfsaufrechnung kann grundsätzlich vom Beklagten im Rahmen seines Streitvorbringens bestimmt werden. Es steht ihm frei, seine Verteidigungsstrategie auf eine Primäraufrechnung oder eine Hilfsaufrechnung auszurichten. Sollte sich im Verlauf des Prozesses herausstellen, dass die ursprünglich als Hauptaufrechnung vorgetragene Verteidigung nicht erfolgversprechend ist, kann diese vom Beklagten auch hilfsweise umgestellt werden, solange dies vor Schluss der mündlichen Verhandlung geschieht und keine Präklusionsfristen verletzt werden. Das Gericht ist insoweit an die Prozesserklärungen der Parteien gebunden und muss die Reihenfolge und Bedingung der Aufrechnungserklärungen bei seiner rechtlichen Würdigung berücksichtigen.

Was passiert mit der Aufrechnungserklärung, wenn das Gericht die Hauptverteidigung für begründet hält?

Wird die Klage bereits aus einem anderen, vom Beklagten vorrangig geltend gemachten Gesichtspunkt abgewiesen – etwa wegen vollständiger Erfüllung der Forderung, Verjährung oder eines anderen materiellen oder prozessualen Einwands -, so kommt es auf die hilfsweise erklärte Aufrechnung nicht an. Die Hilfsaufrechnung bleibt dann rechtlich ohne Wirkung, da sie von der auflösenden Bedingung abhängig war, dass das Gericht die Hauptverteidigung verwirft. Sie wird rechtlich nicht geprüft und im Urteil auch nicht verbeschieden. Der Beklagte kann sie gegebenenfalls in einem anderen Prozess erneut zur Geltung bringen, da keine Rechtskraftwirkung in Bezug auf die hilfsweise erklärte Aufrechnung eintritt.

Welcher Prüfungsmaßstab gilt für die Hilfsaufrechnung im Urteil?

Das Gericht hat bei der Urteilsfindung eine gestufte Prüfung vorzunehmen. Zuerst prüft es die vorrangig erhobene (Haupt-)Verteidigung des Beklagten. Erst wenn diese nicht durchgreift, wird die hilfsweise erklärte Aufrechnung geprüft. Das Urteil muss dies im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen klar erkennen lassen. Die Entscheidung über die Hilfsaufrechnung muss im Urteil explizit festgehalten werden, sofern sie zur Entscheidung steht, das heißt, sofern die Hauptverteidigung nicht durchgreift. Bei Abweisung der Klage aufgrund der Hauptverteidigung erübrigt sich eine Prüfung der Hilfsaufrechnung.

Ist gegen eine die Hilfsaufrechnung betreffende Entscheidung ein Rechtsmittel zulässig?

Sofern das Gericht die Hilfsaufrechnung prüft und ihr stattgibt oder sie zurückweist, wird dies Teil der materiellen Rechtskraft des Urteils. Der unterliegende Teil kann entsprechend die Berufung oder das Rechtsmittel einlegen. Da die Hilfsaufrechnung jedoch nur geprüft wird, wenn die vorrangige Verteidigung nicht greift, ist ein Rechtsmittel hinsichtlich der Hilfsaufrechnung nur möglich, wenn über diese tatsächlich entschieden wurde. Wurde hingegen der Hauptverteidigung stattgegeben und die Hilfsaufrechnung daher nicht geprüft, entfaltet das Urteil insoweit keine Rechtskraft und es besteht auch keine Beschwer, die den Rechtsmittelzug insoweit eröffnet.