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Herkunftsland, sicheres


Sicheres Herkunftsland – Rechtsbegriff, Definition und Bedeutung

Begriff des „sicheren Herkunftslandes“

Der Begriff „sicheres Herkunftsland“ bezeichnet einen zentralen Begriff im Asylrecht. Er beschreibt Staaten, für die nach allgemeinverbindlicher Bewertung davon ausgegangen wird, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Der rechtliche Status als sicheres Herkunftsland hat erhebliche Auswirkungen auf das Asylverfahren von Personen, die aus diesen Ländern stammen.

Rechtliche Grundlagen in Deutschland

Gesetzliche Regelungen und Definition

Die maßgebliche gesetzliche Grundlage in Deutschland stellt das Asylgesetz (AsylG) dar. Die Definition sowie die rechtlichen Auswirkungen sicherer Herkunftsstaaten werden insbesondere in § 29a und Anlage II des Asylgesetzes geregelt. Demnach sind sichere Herkunftsstaaten Staaten, bei denen auf der Grundlage der politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der allgemeinen Lage gewährleistet ist, dass weder Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung stattfindet.

Die konkrete Liste der sicheren Herkunftsstaaten wird durch Gesetz oder Verordnung bestimmt und regelmäßig überprüft sowie aktualisiert. Dieser Vorgang orientiert sich an rechtsstaatlichen Grundsätzen und erfolgt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und europarechtlicher Vorgaben.

Europarechtliche Vorgaben

Auf europäischer Ebene wird das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten durch die EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU (Artikel 36) geregelt. Mitgliedstaaten können Staaten als sichere Herkunftsländer bestimmen, sofern sie die in der Richtlinie festgelegten Kriterien erfüllen. Die in Deutschland geführte Liste muss sich an diesen Vorgaben ausrichten, wobei auch europaweit eine gemeinsame Liste angestrebt wird.

Auswirkungen auf das Asylverfahren

Beschleunigtes Verfahren

Kommt eine antragstellende Person aus einem als sicher eingestuften Herkunftsland, wird ihr Asylantrag nach einem beschleunigten Verfahren bearbeitet (§ 29a AsylG). Die Behörden gehen grundsätzlich davon aus, dass der Antrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, es sei denn, der oder die Antragstellende kann individuell begründen und glaubhaft machen, dass sie oder er entgegen der allgemeinen Annahme persönlich von Verfolgung bedroht ist.

Beweislastumkehr

Eine wesentliche rechtliche Folge der Einstufung ist die sogenannte Beweislastumkehr. Die Antragstellenden müssen selbst substanzielle Hinweise und Nachweise liefern, dass für sie eine individuelle Bedrohungssituation im Herkunftsland besteht. Dies erschwert die Anerkennung als Schutzberechtigter erheblich.

Rechtsschutz und Eilrechtsschutz

Im Falle einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet ist der Rechtsschutz für Antragstellende aus sicheren Herkunftsstaaten eingeschränkt. Die Klage gegen einen Negativbescheid hat in der Regel keine aufschiebende Wirkung. Die angeordneten Rechtsmittel (z. B. Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz) müssen innerhalb von einer Woche eingelegt und besonders begründet werden.

Kriterien zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten

Prüfung der Menschenrechtslage

Die Aufnahme eines Staates als sicherer Herkunftsstaat verlangt eine Gesamtbetrachtung der dortigen politischen, rechtlichen und allgemeinen Lage, insbesondere in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte, wie sie durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention garantiert werden. Exemplarisch werden berücksichtigt:

  • Funktionierende staatliche Strukturen und Rechtsschutzmechanismen
  • Demokratische Grundordnungen
  • Kein systemischer Schutzmangel für bestimmte Personengruppen
  • Allgemeines Fehlen politischer Verfolgung und unmenschlicher Behandlung

Gesetzgebungsverfahren und politische Kontrolle

Die Entscheidung über die Aufnahme oder Streichung eines Staates von der Liste der sicheren Herkunftsstaaten kann ausschließlich durch Gesetz erfolgen. Hierbei ist der Bundestag beteiligt, der Bundesrat muss zustimmen.

Einzelfallorientierung als Rechtsstaatsprinzip

Trotz der Listenregelung bleibt die Einzelfallprüfung im Asylprozess gewahrt: Auch für Antragstellende aus sicheren Herkunftsländern müssen individuelle Gefahren oder Besonderheiten im Verfahren geprüft werden.

Rechtsprechung und Kontrolle

Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die Anforderungen und verfassungsrechtlichen Grenzen bei der Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten präzisiert, insbesondere hinsichtlich der Wahrung effektiven Rechtsschutzes und der Sicherung des individuellen Asylgrundrechts nach Art. 16a GG. Die Listenregelung darf nicht dazu führen, dass Einzelfälle unangemessen übergangen werden.

Europäische Gerichtsbarkeit

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) überwachen, ob die Regelungen im Einklang mit europäischem Recht und internationalen Schutzstandards stehen.

Kritische Diskussion und Weiterentwicklung

Die Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsländer ist regelmäßig Gegenstand politischer und rechtlicher Debatten. Kritiker führen an, dass die pauschale Annahme von Sicherheit Minderheiten oder besonders gefährdete Gruppen nicht immer ausreichend schützt. Regelmäßige Überprüfungen und rechtsstaatliche Korrekturmöglichkeiten sind daher integraler Bestandteil des Systems.

Aktuelle Liste sicherer Herkunftsstaaten (Deutschland, Stand 2024)

Die aktuelle Liste umfasst insbesondere Länder des westlichen Balkans (u.a. Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien) sowie Ghana und Senegal. Erweiterungen oder Änderungen werden fortlaufend auf Basis der politischen Entwicklung geprüft.

Literatur und weiterführende Vorschriften

  • Asylgesetz (AsylG)
  • EU-Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU)
  • Genfer Flüchtlingskonvention
  • Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
  • Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
  • Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Der Begriff „sicheres Herkunftsland“ ist somit ein zentrales Instrument der Asylantragsprüfung und beeinflusst wesentlich den Verfahrensablauf, die Rechtsschutzmöglichkeiten und die Schutzgewährung in Asylverfahren. Seine rechtliche Ausgestaltung orientiert sich maßgeblich an der Sicherung effektiven Grundrechtsschutzes und der internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland sowie der Europäischen Union.

Häufig gestellte Fragen

Gilt ein sicheres Herkunftsland automatisch als ausschlaggebend für die Ablehnung eines Asylantrags?

Nein, die Einstufung eines Staates als sicheres Herkunftsland gemäß § 29a des Asylgesetzes (AsylG) führt nicht automatisch zur Ablehnung eines Asylantrags, sondern bewirkt lediglich eine gesetzliche Vermutung, dass keine Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Der Antrag einer Person aus einem solchen Staat wird im sogenannten „beschleunigten Verfahren“ behandelt, was eine verkürzte Bearbeitungsdauer, schnellere Entscheidungen und eine Einschränkung aufenthaltsrechtlicher Möglichkeiten, etwa des Arbeitsmarktzugangs, zur Folge hat. Die Antragstellenden können die gesetzliche Vermutung widerlegen, indem sie glaubhaft machen, dass ihnen im Einzelfall doch politische Verfolgung droht oder menschenrechtswidrige Behandlungen bevorstehen (sogenannte „Einzelfallprüfung“). Trotz Herkunft aus einem als sicher eingestuften Land bleibt somit die individuelle Anhörung und Entscheidung im Asylverfahren gewährleistet.

Welche Staaten gelten aktuell als sichere Herkunftsländer und anhand welcher Kriterien werden sie eingestuft?

Die Liste sicherer Herkunftsstaaten ist in Anlage II zu § 29a AsylG festgelegt und wird auf Grundlage einer umfangreichen Prüfung durch den Gesetzgeber bestimmt. Zu den derzeitigen sicheren Herkunftsstaaten zählen unter anderem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Senegal und Serbien. Die Einordnung basiert auf einer Gesamtbetrachtung, ob in dem jeweiligen Staat – allgemein und dauerhaft – weder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention noch Folter, unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfinden. Die Bundesregierung prüft regelmäßig unter Einbeziehung von Lage- und Menschenrechtsberichten sowie Empfehlungen internationaler Organisationen, ob die Kriterien weiterhin erfüllt sind. Änderungen oder Erweiterungen der Liste bedürfen einer gesetzlichen Anpassung.

Wie wird das individuelle Vorbringen einer asylsuchenden Person aus einem sicheren Herkunftsland geprüft?

Auch wenn ein Herkunftsstaat als sicher eingestuft ist, verlangt das Asylgesetz eine individuelle Prüfung jedes einzelnen Asylantrags. Die gesetzliche Vermutung der Sicherheit kann widerlegt werden, wenn der oder die Antragstellende relevante, spezifische Gründe für eine Verfolgung oder eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Herkunftsland substantiiert und plausibel darlegt. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sich die vorgetragenen Verfolgungsgründe auf besondere Merkmale (z.B. sexuelle Orientierung, Religion, politische Überzeugung) oder auf außergewöhnliche regionale Situationen im Herkunftsland beziehen. Die Beweislast für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung liegt vollständig bei den Antragstellenden.

Welche Rechtsmittel stehen zur Verfügung, wenn ein Asylantrag aus einem sicheren Herkunftsstaat abgelehnt wird?

Wird ein Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ mit Bezug auf die Herkunft aus einem sicheren Staat abgelehnt, sind die Rechtsschutzmöglichkeiten eingeschränkt. Die Klage gegen den ablehnenden Bescheid hat keine aufschiebende Wirkung (§ 36 AsylG). Antragsteller:innen können gegen die Entscheidung innerhalb einer Woche Klage beim Verwaltungsgericht erheben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stellen. Das Gericht prüft beide Anträge – Klage und Eilantrag – inhaltlich, konzentriert sich hierbei aber vor allem auf die Glaubhaftmachung einer individuellen Gefährdungssituation. Ein weiteres Rechtsmittel (Berufung oder Revision) ist regelmäßig ausgeschlossen, soweit das Gericht die Klage als unbegründet abweist.

Welche Auswirkungen hat die Einstufung als sicheres Herkunftsland auf die Unterbringung und Residenzpflicht?

Asylbewerber:innen aus als sicher eingestuften Herkunftsstaaten sind verpflichtet, bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens in einer Aufnahmeeinrichtung zu verbleiben. Diese Pflicht kann sich unter Umständen bis zu sechs Monate oder bis zur Ausreise erstrecken (§ 47 AsylG). Während dieses Aufenthalts gelten für die Betroffenen eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit (Residenzpflicht) und zahlreiche rechtliche Einschränkungen, etwa beim Zugang zu Sozialleistungen oder zum Arbeitsmarkt. Ziel dieser Regelungen ist eine beschleunigte Bearbeitung des Antrags und eine unmittelbare Durchsetzung einer drohenden Ausreisepflicht nach Ablehnung des Antrags.

Kann der Status eines sicheren Herkunftslandes gerichtlich überprüft werden?

Die Einstufung eines Landes als sicher basiert auf einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren und kann nicht im Einzelfall durch Verwaltungsgerichte infrage gestellt werden. Allerdings ist es möglich, im Rahmen eines konkreten Asylverfahrens geltend zu machen, dass die Voraussetzungen, die zur Annahme eines sicheren Herkunftslandes führen, individuell nicht zutreffen, etwa aufgrund spezifischer Gruppenverfolgungen oder aktueller Entwicklungen (z.B. politische Umstürze, gewaltsame Auseinandersetzungen). Neue Sachlage im Herkunftsstaat kann einen Überprüfungsbedarf beim Gesetzgeber begründen; Gerichte können jedoch nur prüfen, ob im Einzelfall die gesetzliche Vermutung der Verfolgungsfreiheit widerlegt ist.

Gibt es Ausnahmen von den Rechtsfolgen der sicheren Herkunftsstaatenregelung?

Ja, Ausnahmen sind insbesondere bei Minderjährigen und besonders schutzbedürftigen Personen möglich. Im Rahmen des sogenannten „Vulnerabilitätsprinzips“ werden beispielsweise unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Überlebende von Folter oder Menschenhandel sowie schwerkranke Personen besonderen Schutzstandards unterworfen. In diesen Fällen kann das beschleunigte Verfahren ausgesetzt oder verlängert und die Abschiebung bis zur Klärung der Sachlage ausgesetzt werden. Die allgemeinen Grundrechte, insbesondere das Gebot effektiven Rechtsschutzes und das Verbot der Zurückweisung in einen Staat, in dem Gefahr für Leib und Leben besteht (Non-Refoulement), gelten uneingeschränkt.