Hemmung der Verjährung
Die Hemmung der Verjährung ist ein zentrales Institut des deutschen Zivilrechts und regelt, unter welchen Voraussetzungen und durch welche Umstände die gesetzlich festgesetzte Verjährungsfrist einer Forderung oder eines Rechtsanspruchs unterbrochen bzw. verlängert wird. Die Regelungen zur Hemmung der Verjährung dienen dem Ausgleich zwischen dem Interesse des Schuldners an Rechtsfrieden und dem Interesse des Gläubigers an der Durchsetzung seiner Ansprüche. Die rechtliche Ausgestaltung der Hemmung ist insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zu finden.
Definition und Abgrenzung
Die Hemmung der Verjährung bewirkt, dass der Zeitraum, in dem der Hemmungsgrund besteht, nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird. Man spricht auch davon, dass die Verjährungsfrist für einen bestimmten Zeitraum „angehalten“ wird. Im Gegensatz dazu steht die Neubeginn der Verjährung (§ 212 BGB), bei dem die Verjährungsfrist nach einem bestimmten Ereignis von Neuem zu laufen beginnt. Die Hemmung hat jedoch zur Folge, dass nach Wegfall des Hemmungsgrundes die Verjährungsfrist weiterläuft, wobei der Zeitraum der Hemmung nicht mitgezählt wird (§ 209 BGB).
Gesetzliche Grundlagen
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Die maßgeblichen Vorschriften zur Hemmung der Verjährung finden sich in den §§ 203 bis 209 BGB. Folgende Regelungen sind dabei besonders maßgeblich:
- § 203 BGB – Verhandlungen: Verhandlungen zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände hemmen die Verjährung.
- § 204 BGB – Rechtsverfolgung: Die Verjährung wird durch die Erhebung bestimmter Rechtsmittel (z.B. Klageerhebung, Zustellung eines Mahnbescheids, Zustellung eines Antrags auf Durchführung eines Schlichtungsverfahrens, Anmeldung zur Insolvenztabelle usw.) gehemmt.
- § 205 BGB – Leistungsverweigerungsrecht: Besteht ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners, ist die Verjährung gehemmt, solange das Recht besteht.
- § 206 BGB – Höhere Gewalt: Ist der Gläubiger durch höhere Gewalt an der Rechtsverfolgung gehindert, wird die Verjährung für die Dauer der Behinderung gehemmt.
- § 207 BGB – Hemmung bei und für bestimmte Personen: Für Minderjährige, Personen unter Betreuung oder bei Pflegeanordnung gelten Sonderregelungen zur Hemmung der Verjährung.
Anwendungsfälle und praktische Bedeutung
Verhandlungen (gemäß § 203 BGB)
Die Verjährung ist während der Dauer von Verhandlungen über den Anspruch gehemmt. Als Verhandlung gilt jeder Austausch zwischen den Beteiligten, der auf die Klärung des Anspruchs zielt oder eine einvernehmliche Regelung anstrebt. Die Hemmung endet, wenn eine Partei die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert oder abbricht, wobei in diesem Fall die Verjährung nicht sofort, sondern frühestens drei Monate nach dem Ende der Verhandlungen weiterläuft.
Rechtsverfolgung und gerichtliche Geltendmachung (§ 204 BGB)
Auch durch die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs kann dessen Verjährung gehemmt werden. Dies betrifft die Klageerhebung, Zustellung eines Mahnbescheids oder die Anmeldung von Ansprüchen in einem Insolvenzverfahren. Die Hemmungswirkung tritt grundsätzlich mit der Rechtshängigkeit ein und bleibt bis zur rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des Verfahrens bestehen.
Weitere Hemmungsgründe
Weitere Gründe für die Hemmung der Verjährung sind in besonderen Konstellationen denkbar, beispielsweise:
- Wenn der Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht geltend macht (§ 205 BGB),
- Wenn das Gesetz für bestimmte Personen eine Hemmung ausdrücklich vorsieht, beispielsweise bei Minderjährigen und dauerhaft Betreuten (§ 207 BGB),
- Bei höherer Gewalt, die die Rechtsverfolgung verhindert (§ 206 BGB).
Wirkungen und Folgen der Hemmung
Während der Hemmung ruht die Verjährungsfrist, das heißt, sie läuft für die Dauer des Hemmungsgrundes nicht weiter. Nach Wegfall des Hemmungsgrundes läuft die Verjährungsfrist weiter, wobei der Zeitraum der Hemmung nicht angerechnet wird. Dies kann im Einzelfall zu erheblichen Verlängerungen führen, etwa wenn sich lange Verhandlungen an eine ohnehin schon laufende Verjährungsfrist anschließen.
Wird beispielsweise eine Forderung aus einem Kaufvertrag geltend gemacht, die einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt, und treten während des zweiten Jahres Verhandlungen auf, die ein weiteres Jahr andauern, so bleibt dieses Jahr bei der Berechnung der Verjährungsfrist außer Ansatz. Die Verjährung tritt dann erst nach Ablauf eines weiteren Jahres nach dem Ende der Hemmung ein.
Unterschied: Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn
Es ist wichtig, Hemmung von Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung zu unterscheiden:
- Hemmung (§§ 203 ff. BGB): Zeitraum wird aus der Verjährungsberechnung ausgeklammert, Verjährungsfrist „pausiert“.
- Ablaufhemmung (§ 210 BGB): Hemmung der Vollendung, beispielsweise bei Minderjährigen oder geschäftsunfähigen Personen, die Frist beginnt später.
- Neubeginn der Verjährung (§ 212 BGB): Verjährungsfrist beginnt nach einem bestimmten Ereignis (z.B. Anerkenntnis) von vorn.
Besonderheiten und Spezialregelungen
Minderjährige und geschäftsunfähige Personen
Besonderer Schutz besteht für Minderjährige und Personen, die unter Betreuung stehen. Hier beginnt die Verjährungsfrist bei bestimmten Ansprüchen erst mit Eintritt der Volljährigkeit bzw. dem Wegfall der Betreuung oder der behördlichen Anordnung (§ 207 BGB). Für solche Fälle wird verhindert, dass rechtliche Ansprüche verjähren, bevor die betreffende Person in der Lage ist, diese auch durchzusetzen.
Insolvenz und Zwangsversteigerung
Meldet ein Gläubiger seine Forderung zur Insolvenztabelle an oder betreibt ein gerichtliches Vollstreckungsverfahren, hemmt dies die Verjährung für die Dauer des Verfahrens.
Internationale Aspekte
Auch im internationalen Privatrecht gibt es Regelungen zur Verjährung und deren Hemmung. Allerdings können sich im Einzelfall andere nationale Regelungen ergeben, wenn zum Beispiel bei grenzüberschreitenden Sachverhalten das ausländische Verjährungsrecht auf den Anspruch Anwendung findet. Maßgeblich ist hier regelmäßig das auf den Hauptanspruch anzuwendende Recht.
Rechtsprechung und Auslegung
Die Rechtsprechung hat bestimmte Kriterien zum Vorliegen und zur Beendigung von Verhandlungen sowie zur Frage, wann von einer höheren Gewalt im Sinne des § 206 BGB auszugehen ist, herausgearbeitet. Auch zu den Voraussetzungen für eine wirksame gerichtliche Geltendmachung nach § 204 BGB gibt es zahlreiche Urteile, die etwa das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Zustellung konkretisieren.
Zusammenfassung
Die Hemmung der Verjährung ist ein wichtiges Rechtsinstitut, das die Verjährungsfrist in gesetzlich bestimmten Fällen unterbricht und dem Anspruchsinhaber zusätzlichen Schutz vor einem Fristablauf gibt. Sie greift insbesondere bei Verhandlungen, Rechtsverfolgungsmaßnahmen und besonderen persönlichen Situationen. Die präzise Bestimmung der Voraussetzungen und Dauer der Hemmung ist entscheidend für die Wirksamkeit der Anspruchsdurchsetzung vor Eintritt der Verjährung.
Siehe auch
- Verjährung
- Neubeginn der Verjährung
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
- Rechtsschutz
- Anspruch
Literaturhinweise
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 194 ff.
- Palandt, BGB-Kommentar
- MüKoBGB, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
- Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch
Diese Darstellung bietet eine umfassende Übersicht zur Hemmung der Verjährung und deren Bedeutung im Zivilrecht.
Häufig gestellte Fragen
Wann beginnt die Hemmung der Verjährung und wie lange dauert sie an?
Die Hemmung der Verjährung beginnt grundsätzlich mit dem Eintritt des hemmenden Ereignisses, etwa der Erhebung einer Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder der Zustellung eines Mahnbescheids. Während der Hemmung läuft der Verjährungszeitraum nicht weiter, das heißt, die Zeit, die die Hemmung andauert, wird auf die verbleibende Verjährungsfrist nicht angerechnet. Die Hemmung dauert bis zum Wegfall des hemmenden Grundes und zusätzliche Übergangsfristen können vorgesehen sein, etwa nach Abschluss des Hemmungsgrundes weitere sechs Monate gemäß § 204 Abs. 2 BGB.
Welche Rechtsgeschäfte oder Handlungen führen regelmäßig zur Hemmung der Verjährung?
Zu den Rechtsgeschäften und Handlungen, die eine Hemmung der Verjährung bewirken, zählen im Wesentlichen: die Erhebung einer Klage auf Leistung oder Feststellung des Anspruchs, die Einleitung eines Mahnverfahrens, die Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren oder die Einleitung eines Schlichtungs-, Güte- oder Mediationsverfahrens. Darüber hinaus kann auch die Zustellung eines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zur Hemmung führen. Die abschließende Aufzählung der hemmenden Tatbestände findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch, insbesondere in § 204 BGB.
Wie wirkt sich ein laufendes Güte- oder Mediationsverfahren auf die Verjährungshemmung aus?
Wird ein Güte- oder Mediationsverfahren eingeleitet, hemmt dies die Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB. Die Hemmung beginnt mit der Einreichung des Antrags oder der Erklärung der Beteiligten und dauert für die Dauer des Verfahrens an. Sie endet frühestens sechs Monate nach dessen Beendigung (§ 204 Abs. 2 BGB), sodass Parteien nach dem Verfahrensende noch eine Übergangszeit bleibt, in der die Verjährung nicht weiterläuft. Damit wird sichergestellt, dass Anschlussmaßnahmen getroffen werden können, etwa die Erhebung einer Klage, falls keine gütliche Einigung erzielt wurde.
Welche Folgen hat die Hemmung der Verjährung für bereits verjährte Ansprüche?
Für bereits verjährte Ansprüche entfaltet eine später eintretende Hemmung keine Wirkung. Das bedeutet, dass wenn ein Anspruch bereits verjährt ist, eine spätere Handlung, die grundsätzlich hemmend wirken könnte (z. B. Klageerhebung), die Verjährung nicht rückwirkend „aufhält“ oder unterbricht. Die Hemmung ist stets an den noch laufenden Verjährungsfristen anknüpfend und entfaltet daher ihre Wirkung lediglich während eines laufenden Fristenlaufes. Ein nachträgliches „Heilen“ der Verjährung durch eine Hemmung ist rechtlich nicht möglich.
In welchem Verhältnis stehen die Hemmung und die Unterbrechung der Verjährung?
Im heutigen deutschen Zivilrecht wird der Begriff der „Unterbrechung“ der Verjährung nicht mehr verwendet, seitdem das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zum 1. Januar 2002 die Terminologie geändert hat. Seither unterscheidet man nur noch zwischen Hemmung und Neubeginn der Verjährung. Während die Hemmung bewirkt, dass der Ablauf der Verjährungsfrist während eines bestimmten Ereignisses pausiert und danach wieder weiterläuft, wird beim Neubeginn (§ 212 BGB) die Verjährungsfrist vollständig zurückgesetzt und beginnt von Neuem. Die Hemmung „friert“ also den aktuellen Fristenstand ein, der Neubeginn löscht ihn.
Welche besonderen Regelungen existieren für die Hemmung der Verjährung im Zusammenhang mit Verhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner?
Finden zwischen Gläubiger und Schuldner Verhandlungen über den Anspruch oder Anspruchsgrund statt, hemmt dies gemäß § 203 BGB die Verjährung. Die Hemmung beginnt mit dem Beginn der Verhandlungen und endet, sobald einer der Beteiligten die Fortsetzung der Verhandlungen ablehnt. Nach Beendigung der Verhandlungen läuft die Verjährungsfrist allerdings mindestens noch drei Monate weiter, sodass dem Gläubiger ausreichend Zeit verbleibt, gerichtliche Schritte einzuleiten.
Beeinflusst die Hemmung der Verjährung weitere Rechte oder Ansprüche zwischen den Parteien?
Die Hemmung betrifft ausschließlich die Verjährungsfrist des jeweiligen Anspruchs und hat keinen Einfluss auf das materielle Bestehen oder den Umfang des Anspruchs selbst. Sie verhindert lediglich das vollständige Erlöschen des Anspruchs durch Zeitablauf während der Dauer des Hemmungsgrundes. Andere sich daraus ableitende Rechte, etwa ein Zurückbehaltungsrecht oder Ansprüche aus demselben Rechtsverhältnis, bleiben hiervon unberührt, sofern sie nicht selbstständig verjähren oder hemmende Umstände vorliegen.