Geduldete Überziehung: Begriff, rechtliche Einordnung und Rechtsfolgen
Definition der Geduldeten Überziehung
Eine geduldete Überziehung (auch als „geduldete Kontoüberziehung” bezeichnet) beschreibt im Bank- und Kreditrecht den Sachverhalt, bei dem ein Kontoinhaber sein Konto über das verfügbare Guthaben oder das vereinbarte Dispolimit hinaus belastet und das Kreditinstitut diese Überziehung faktisch duldet, ohne dass dafür zuvor eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung über einen Kreditabschluss vorliegt.
Im Gegensatz zum Dispositionskredit (eingeräumte Überziehung), der auf einer vertraglichen Grundlage beruht, ist die geduldete Überziehung eine zeitlich befristete und vom Kreditinstitut jederzeit widerrufbare Kreditgewährung, bei der das Konto ohne vorherige Kreditabrede überzogen wird.
Rechtsgrundlagen der Geduldeten Überziehung
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Die rechtliche Grundlage für die geduldete Überziehung findet sich in § 505 BGB („Kreditverträge mit Verbrauchern über Überziehungsmöglichkeiten”). Dort unterscheidet das Gesetz zwischen der eingeräumten Überziehungsmöglichkeit (§ 504 BGB) und der geduldeten Überziehung (§ 505 BGB). Die relevante Regelung für geduldete Überziehungen lautet:
Eine Überziehung des Kontos liegt vor, wenn ein Kreditinstitut einem Verbraucher ermöglicht, das Konto über das verfügbare Guthaben oder einen vereinbarten Kreditrahmen hinaus zu nutzen, ohne dass eine vorherige Vereinbarung getroffen wurde.
Zahlungsdiensterichtlinie und Bankenaufsichtsrecht
Zusätzlich zu den Vorschriften des BGB sind die Bestimmungen der Europäischen Union zur Zahlungsdienstrichtlinie (PSD2, RL (EU) 2015/2366) sowie die jeweiligen bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften des Kreditwesengesetzes (KWG) und der Zahlungsdiensteaufsicht maßgeblich. Kreditinstitute sind hier zur Information und Transparenz gegenüber den Verbrauchern verpflichtet.
Informationspflichten und Verbraucherschutz
Das Kreditinstitut muss den Kontoinhaber spätestens nach erfolgter Überziehung – und sofern die Überziehung länger als einen Monat andauert – über
- den Betrag der Überziehung,
- den Überziehungszinssatz
- entstandene oder entstehende Kosten
informieren (vgl. § 505a BGB). Die Verpflichtung zur regelmäßigen Unterrichtung dient dem Verbraucherschutz und gewährleistet die Transparenz hinsichtlich der Belastung durch Zinsen und eventuell anfallende Gebühren.
Unterschiede zur eingeräumten Überziehung (Dispositionskredit)
Ein bedeutender Unterschied besteht darin, dass eine eingeräumte Überziehung auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Kontoinhaber und Kreditinstitut fußt, welche im Vorfeld eine bestimmte Kreditlinie (Dispolimit) festsetzt. Die Inanspruchnahme darüber hinaus bedarf keiner weiteren Zustimmung der Bank, solange das Limit eingehalten wird. Bei einer geduldeten Überziehung erfolgt keine explizite Vereinbarung, sondern lediglich das tatsächliche Belasten des Kontos über die verfügbaren Mittel hinaus, welches vom Kreditinstitut zeitweilig akzeptiert („geduldet”) wird.
Zinsen und Kosten
Zinssatz bei der Geduldeten Überziehung
Die Berechnung des Zinssatzes für eine geduldete Überziehung erfolgt eigenständig und losgelöst vom üblicherweise niedrigeren Dispozinssatz. Banken erheben im Regelfall einen wesentlich höheren Zins für die Inanspruchnahme der geduldeten Überziehung, wobei sie gesetzlich zur deutlichen Information über die geltenden Zinssätze verpflichtet sind. Die Zinsberechnung erfolgt tagesgenau auf den überzogenen Betrag ab dem ersten Tag der Überziehung.
Gebühren und sonstige Kosten
Zusätzlich zu den Überziehungszinsen können durch das Kreditinstitut weitere Kosten in Form von Bearbeitungsgebühren oder pauschalen Entgelten geltend gemacht werden. Solche Kosten müssen jedoch ausdrücklich vertraglich vereinbart und transparent ausgewiesen sein. Überzogene oder versteckte Gebühren unterliegen einer strengen gerichtlichen Kontrolle und können im Zweifel unwirksam sein.
Vertragsbeziehung und Rückzahlungsmodalitäten
Entstehung der vertraglichen Bindung
Eine geduldete Überziehung führt nicht zu einem förmlichen Kreditvertrag, sondern basiert auf einem faktischen Nutzungsverhältnis. Das Kreditinstitut kann die Duldung der Überziehung jederzeit widerrufen und die sofortige Rückzahlung des überzogenen Betrags verlangen. Ein Rückforderungsrecht besteht sowohl für die Bank als auch grundsätzlich eine Rückzahlungspflicht für den Kontoinhaber ohne besondere Kündigungsfrist.
Kündigung und Widerruf
Die Bank ist berechtigt, die Erlaubnis zur Überziehung jederzeit zu entziehen und auf Rückausgleich des Kontos zu bestehen. Der Widerruf der Duldung kann kurzfristig oder ohne Einhaltung einer Frist erfolgen, weshalb geduldete Überziehungen als besonders kurzfristige Kreditform gelten.
Pflichten des Kreditinstituts
Informationspflichten
Neben der bereits erwähnten Obliegenheit zur unverzüglichen Information nach erfolgter Überziehung und währenddessen, bestehen weitere Pflichten:
- Deutliche und rechtzeitige Mitteilung über Zinssatzänderungen und anfallende Gebühren
- Einräumung verständlicher Informationen über die Rechtsfolgen einer weiteren Kontoüberziehung
Missbrauchsschutz und Interessenausgleich
Kreditinstitute müssen die Kontobewegungen überwachen und dürfen eine Überziehung nur in Ausnahmefällen und unter Berücksichtigung der Zahlungsfähigkeit des Kontoinhabers dulden. Die Duldung setzt zudem voraus, dass keine erheblichen Zweifel an der Bonität oder Zahlungsfähigkeit des Kontoinhabers bestehen.
Rechtliche Risiken für Kontoinhaber
Überschreitungslimit und Bonitätsauswirkungen
Eine dauerhafte oder wiederholte Inanspruchnahme einer geduldeten Überziehung kann zu negativen Bonitätsbewertungen (beispielsweise bei Auskunfteien wie der SCHUFA) führen. Bereits eine kurzfristige Überschreitung kann als Zeichen für eine gereizte Liquiditätssituation gewertet werden.
Rückzahlungspflicht und Verzug
Die Überziehung ist unmittelbar und ohne weiteres auf kurzfristige Rückführung ausgelegt. Kommt der Kontoinhaber der Rückzahlung nicht unverzüglich nach und gerät in Verzug, können weitere Zinsforderungen sowie zusätzliche Mahnkosten und Zwangsmaßnahmen (z. B. Kontokündigung, Inkasso) entstehen.
Steuerliche und insolvenzrechtliche Aspekte
Die auf geduldete Überziehung entfallenden Zinsen sind für private Kontoinhaber grundsätzlich nicht steuerlich absetzbar. Im Fall der Insolvenz eines Kontoinhabers stellt die Forderung aus geduldeter Überziehung eine Insolvenzforderung dar und ist im Insolvenzverfahren entsprechend zu berücksichtigen.
Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung
Verbraucherfreundliche Rechtsprechung
Die Rechtsprechung misst der Eindeutigkeit der Bank-AGBs und deren Transparenz für die Verbraucher hohe Bedeutung bei. In der Vergangenheit wurden verschiedene Klauseln zu Überziehungszinsen und Überziehungsentgelten für unwirksam erklärt, wenn sie intransparent formuliert oder dem Kunden unangemessen benachteiligend erschienen (u. a. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2016 – XI ZR 9/15).
Regulatorische Bestrebungen
Auf EU- und nationaler Ebene bestehen fortlaufende Anstrengungen zur Begrenzung der Überziehungszinsen und zur Stärkung des Verbraucherschutzes, etwa durch Obergrenzen für Zinssätze und erweiterte Monitoringpflichten der Banken.
Literatur und weiterführende Quellen
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), §§ 504 bis 505a
- Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2), RL (EU) 2015/2366
- Kreditwesengesetz (KWG)
- Bundesgerichtshof (BGH), diverse Urteile zu Bankentgelten und Überziehungskosten
Zusammenfassung:
Die geduldete Überziehung stellt im deutschen Bankrecht eine kurzfristige, jederzeit widerrufbare Kreditform dar, die ohne vorherige Absprache mit dem Kreditinstitut entsteht. Sie ist streng vom Dispositionskredit zu unterscheiden und trägt ein erhöhtes Risiko erheblicher Zins- und Kostenbelastung für den Kontoinhaber. Umfangreiche Informations-, Transparenz- und Schutzpflichten seitens der Banken sollen Missbrauch und Überschuldung vorbeugen. Banken und Kontoinhaber sollten ihre jeweiligen Rechte und Pflichten in Bezug auf geduldete Überziehungen genau kennen, um finanzielle Nachteile zu vermeiden.
Häufig gestellte Fragen
Ist eine geduldete Überziehung rechtlich bindend oder lediglich eine vorübergehende Duldung durch die Bank?
Eine geduldete Überziehung ist rechtlich betrachtet keine eigenständige Kreditvereinbarung, sondern stellt eine vorübergehende Duldung der Kontoüberziehung durch das Kreditinstitut dar. Die rechtliche Grundlage bildet § 505 BGB, in dem die besonderen Vorschriften für Überziehungskredite geregelt sind. Bei der geduldeten Überziehung handelt es sich jedoch lediglich um ein kurzfristiges Dulden der Überziehung ohne vorherige Kreditrahmenvereinbarung. Ein rechtsverbindlicher Anspruch des Kontoinhabers auf eine dauerhafte oder erneute Überziehung besteht nicht. Die Bank kann die Duldung jederzeit widerrufen und ist berechtigt, die sofortige Rückzahlung des überzogenen Betrags zu verlangen. Es empfiehlt sich, die jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Bank zu prüfen, da diese oft explizite Regelungen enthalten, unter welchen Bedingungen eine Überziehung akzeptiert oder zurückgefordert wird.
Müssen für die geduldete Überziehung besondere Pflichtinformationen erteilt werden?
Ja, nach § 504 BGB sowie den Vorgaben des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes (ZAG) sind Kreditinstitute verpflichtet, bestimmte Informationspflichten auch bei einer geduldeten Überziehung zu erfüllen. Dazu zählt insbesondere, dass der Kontoinhaber spätestens einen Monat nach Eintritt der Überziehung über den überzogenen Betrag, den Sollzinssatz, etwaige angefallene Gebühren sowie über die Rückzahlungsmodalitäten informiert werden muss. Diese Informationspflicht besteht unabhängig davon, ob die Überziehung durch eine bewusste Verfügung oder durch automatische Abbuchungen (z. B. Lastschriften) entsteht. Die Bank hat dem Kunden ebenfalls mitzuteilen, welche Kostenregelung im Fall der Fortdauer der Überziehung zur Anwendung kommt.
Inwieweit ist der Kontoinhaber zum Ausgleich der geduldeten Überziehung verpflichtet?
Der Kontoinhaber ist rechtlich verpflichtet, den überzogenen Betrag umgehend zurückzuführen. Da keine explizite Kreditvereinbarung vorliegt, ist die Rückzahlungsforderung der Bank sofort fällig bzw. spätestens zum nächstmöglichen Zeitpunkt, an dem eine Kontogutschrift erfolgt. Es ist unerheblich, ob die Überziehung versehentlich oder absichtlich entstanden ist; entscheidend ist, dass der Kontoinhaber keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung der Überziehung hat und über das Guthaben hinausgehende Verfügungen zu vermeiden hat. Die Bank kann, wenn der Ausgleich nicht zeitnah erfolgt, Mahngebühren und Verzugszinsen bis zur Rückzahlung fordern und das Konto gegebenenfalls sogar kündigen.
In welchen Fällen kann die Bank eine geduldete Überziehung verweigern oder widerrufen?
Die Entscheidung über das Dulden einer Überziehung liegt im Ermessen der Bank. Rechtlich ist die Bank zu keiner Zeit verpflichtet, eine Überziehung zuzulassen, es sei denn, ein Dispositionskredit wurde ausdrücklich eingeräumt. Selbst wenn die Bank in der Vergangenheit eine Überziehung geduldet hat, kann sie diese jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen. Insbesondere bei Bonitätsverschlechterung des Kontoinhabers, Auffälligkeiten im Zahlungsverhalten oder anderen gravierenden Umständen (z. B. Pfändungen, Kontosperrung) kann die Bank die Überziehung sofort beenden. Auch kann eine generelle bankinterne oder gesetzliche Änderung dazu führen, dass eine Überziehung künftig nicht mehr hingenommen wird.
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei längerer oder wiederholter Inanspruchnahme einer geduldeten Überziehung?
Wird das Konto wiederholt oder über längere Zeiträume überzogen, kann dies verschiedene rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die Bank ist berechtigt, das Konto fristlos zu kündigen, sobald sie die Fortführung der Geschäftsbeziehung für nicht mehr zumutbar hält, insbesondere wenn der Kunde den überzogenen Betrag nicht zeitnah ausgleicht. Zudem können sich länger andauernde Überziehungen negativ auf die Bonität des Kontoinhabers auswirken; entsprechende Meldungen an die SCHUFA und andere Auskunfteien sind rechtlich zulässig. Bestehen Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit des Kunden, kann das Institut unter Umständen weitere Schritte, wie das Einleiten eines gerichtlichen Mahnverfahrens oder einer Zwangsvollstreckung, einleiten.
Gibt es eine gesetzliche Höchstgrenze für geduldete Überziehungen?
Eine ausdrücklich gesetzliche Höchstgrenze für die Höhe einer geduldeten Überziehung besteht nicht. Die Obergrenze wird in der Praxis durch das Bankinterne Risikomanagement sowie durch die im Einzelfall bestehende Kundenbeziehung festgelegt. Banken können jedoch in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Preis- und Leistungsverzeichnissen bestimmte Höchstbeträge für eine Duldung definieren und sich vorbehalten, bei Überschreitung den ausstehenden Betrag ohne Frist einzufordern. Die Entscheidung über eine Höchstgrenze liegt somit im pflichtgemäßen Ermessen der Bank, im Rahmen der gesetzlich gebotenen Sorgfaltspflichten.