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Firmentarif(vertrag)

Firmentarifvertrag: Begriff, Einordnung und rechtliche Wirkung

Ein Firmentarifvertrag (auch: Haustarifvertrag) ist ein zwischen einem einzelnen Unternehmen und einer Gewerkschaft geschlossener Tarifvertrag. Er gilt für die in seinem Geltungsbereich erfassten Beschäftigten dieses Unternehmens und regelt insbesondere Arbeitsbedingungen wie Entgelt, Arbeitszeit, Eingruppierung und weitere Leistungen. Anders als ein branchenweiter Tarifvertrag bezieht sich der Firmentarifvertrag auf einen konkreten Arbeitgeber und kann passgenau auf dessen betriebliche Situation zugeschnitten werden.

Abgrenzung zu anderen Tarifarten

Der Firmentarifvertrag unterscheidet sich vor allem vom Flächentarifvertrag, der für eine ganze Branche oder Region zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften geschlossen wird. Er ist enger gefasst, kann aber flexibler auf betriebliche Besonderheiten reagieren.

  • Tragende Ebene: Firmentarifvertrag auf Unternehmensebene; Flächentarifvertrag auf Branchen- oder Verbandsebene.
  • Adressatenkreis: Firmentarifvertrag für Beschäftigte eines konkreten Unternehmens; Flächentarifvertrag für Beschäftigte vieler Unternehmen derselben Branche.
  • Anpassungstiefe: Firmentarifverträge erlauben maßgeschneiderte Regelungen; Flächentarifverträge setzen breite Standards.

Tarifparteien, Abschluss und Geltungsbereich

Tarifparteien

Tarifparteien eines Firmentarifvertrags sind das einzelne Unternehmen als Arbeitgeber sowie eine oder mehrere zuständige Gewerkschaften. Arbeitnehmervertretungen im Betrieb sind keine Tarifparteien; sie können jedoch im Vorfeld einbezogen sein und wirken häufig begleitend.

Abschluss, Form und Hinterlegung

Firmentarifverträge werden typischerweise nach Verhandlungen abgeschlossen und schriftlich niedergelegt. Üblich ist die Hinterlegung in einem Tarifregister. Der Vertrag enthält Regelungen zur Laufzeit, zur Beendigung (z. B. Kündigungsmöglichkeit) sowie zu Verfahrensfragen wie Schlichtung oder Verhandlungsterminen.

Geltungsbereich (räumlich, sachlich, persönlich)

Ein Firmentarifvertrag definiert, für welche Betriebe oder Betriebsteile eines Unternehmens (räumlich), für welche Themen (sachlich) und für welche Personengruppen (persönlich) er gilt. Er kann für das gesamte Unternehmen oder nur für bestimmte Standorte, Berufsgruppen oder Entgeltgruppen abgeschlossen werden. Bindungsadressat auf Arbeitgeberseite ist grundsätzlich die vertragsschließende Rechtseinheit; Konzernzugehörigkeit ändert daran nichts, sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht.

Inhalt und rechtliche Wirkung

Schuldrechtlicher und normativer Teil

Ein Firmentarifvertrag hat zwei Ebenen der Wirkung:

  • Schuldrechtlicher Teil: Pflichten zwischen den Tarifparteien (z. B. Friedenspflicht während der Laufzeit, Verfahrens- und Kooperationspflichten, Einrichtung von Kommissionen).
  • Normativer Teil: Unmittelbar geltende Arbeitsbedingungen für die tarifgebundenen Beschäftigten (z. B. Entgelttabellen, Arbeitszeitmodelle, Zuschläge, Urlaubsdauer, Eingruppierungssysteme, Jahressonderzahlungen, betriebliche Altersversorgung).

Typische Regelungsgegenstände

  • Entgeltordnung: Tabellen, Entgeltgruppen, Zulagen, Leistungs- und Erfolgsentgelte.
  • Arbeitszeit: Wochenarbeitszeit, Schichtsysteme, Arbeitszeitkonten, Mehrarbeit und Zuschläge.
  • Urlaub und Freistellungen: Urlaubsansprüche, Zusatzurlaub, Freistellungsanlässe.
  • Eingruppierung und Versetzung: Kriterien, Verfahren, Rechtsfolgen.
  • Sonderleistungen: Jahressonderzahlungen, Prämien, Zuschüsse, Altersversorgung.
  • Verfahrensregeln: Beteiligungsgremien, Auskunftspflichten, Schlichtung, Einigungsmechanismen.
  • Friedenspflicht: Verzicht auf Arbeitskampfmaßnahmen zu geregelten Themen während der Laufzeit.

Tarifbindung und unmittelbare Wirkung

Normative Tarifregelungen gelten unmittelbar und zwingend für tarifgebundene Beschäftigte. Tarifgebunden sind die Mitglieder der vertragsschließenden Gewerkschaft im erfassten Unternehmen sowie der Arbeitgeber, der den Vertrag abgeschlossen hat. Für nicht organisierte Beschäftigte entfalten die Regelungen keine unmittelbare Tarifwirkung; sie können aber über arbeitsvertragliche Verweisungsklauseln oder durch einheitliche betriebliche Anwendung zur Geltung kommen.

Günstigkeitsprinzip

Arbeitsverträge können einzelvertraglich von einem Firmentarifvertrag abweichen, soweit dies zugunsten der Beschäftigten erfolgt. Tarifliche Mindeststandards dürfen durch Verträge mit ungünstigeren Regelungen nicht unterschritten werden. Im Verhältnis mehrerer Tarifverträge kann der speziellere oder günstigere Tarif je nach Konstellation den Ausschlag geben.

Laufzeit, Beendigung und Nachwirkung

Firmentarifverträge laufen befristet oder unbefristet mit Kündigungsmöglichkeit. Nach Ablauf oder Kündigung wirken normative Regelungen regelmäßig fort, bis sie durch eine neue Abmachung ersetzt werden. Diese Fortgeltung betrifft typischerweise die zuvor tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse; für arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifnormen gelten die jeweiligen Vereinbarungen des Einzelvertrags.

Anwendbarkeit im Betrieb und Zusammenspiel mit anderen Regelungen

Bezugnahmeklauseln und betriebliche Praxis

Viele Arbeitsverträge enthalten Bezugnahmeklauseln auf firmen- oder branchenbezogene Tarifverträge. Dadurch gelten die tariflichen Bedingungen auch unabhängig von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung. Unabhängig davon können Arbeitgeber tarifliche Standards betriebseinheitlich anwenden, ohne dass daraus automatisch eine tarifrechtliche Bindung entsteht.

Zusammenwirken mit Betriebsrat und Betriebsvereinbarungen

In Bereichen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, sind Betriebsvereinbarungen grundsätzlich nachrangig. Tarifverträge können jedoch Öffnungsklauseln enthalten, die betriebliche Ausgestaltung durch Betriebsvereinbarungen zulassen. Ohne solche Öffnungen besteht eine Regelungssperre: Der Tarifvertrag hat Vorrang, und eine abweichende Betriebsvereinbarung ist insoweit unwirksam.

Kollision mehrerer Tarifverträge

Gelten in einem Betrieb mehrere Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften oder Ebenen, greifen gesetzlich vorgegebene Konfliktlösungen. Maßgeblich sind insbesondere betriebliche Repräsentanzverhältnisse der Gewerkschaften und das Prinzip, dass für denselben Regelungsbereich nicht gleichzeitig widersprüchliche Tarifnormen angewandt werden. Daneben kommen anerkannte Grundsätze zur Anwendung, etwa Vorrang der spezielleren oder der zeitlich jüngeren Regelung, soweit keine vorrangigen gesetzlichen Anordnungen entgegenstehen.

Verhältnis zum Flächentarifvertrag

Ein Firmentarifvertrag kann Flächentarifregelungen ergänzen, konkretisieren oder – soweit zulässig – abweichend gestalten. Häufig ermöglichen sogenannte Öffnungsklauseln ausdrücklich betriebliche Abweichungen. Ohne solche Öffnungen gilt der Vorrang des jeweils anwendbaren Flächentarifvertrags, sofern er denselben Regelungsbereich bindend erfasst.

Besondere Erscheinungsformen

Sanierungs- und Zukunftstarifverträge

Firmentarifverträge werden oft als Sanierungs- oder Zukunftstarifverträge eingesetzt. Sie verbinden vorübergehende Abweichungen (z. B. bei Entgelt oder Arbeitszeit) mit Sicherungen wie Beschäftigungszusagen oder Investitionsplänen. Typisch sind klare Befristungen, Rückführungsklauseln und Kontrollmechanismen.

Sparten- und Ergänzungstarifverträge

Neben umfassenden Haustarifverträgen existieren Firmentarifverträge für einzelne Beschäftigtengruppen (Spartentarifverträge) oder Themen (Ergänzungstarifverträge). Sie regeln nur spezielle Ausschnitte, etwa ein betriebliches Entgeltsystem oder ein Arbeitszeitmodell für bestimmte Bereiche.

Allgemeinverbindlichkeit

Die Erklärung zur Allgemeinverbindlichkeit spielt bei Firmentarifverträgen in der Praxis kaum eine Rolle. Deren Regelungen wirken in erster Linie unternehmensintern und richten sich an die vertraglich erfassten Beschäftigten.

Rechtliche Bedeutung und praktische Auswirkungen

Firmentarifverträge prägen die Arbeitsbedingungen im Unternehmen verbindlich. Sie schaffen klar strukturierte Entgelt- und Arbeitszeitsysteme, ordnen Verfahrenswege und regeln das Verhältnis der Tarifparteien. Im Vergleich zu branchenweiten Regelungen bieten sie größere Gestaltungstiefe, erfordern aber zugleich sorgfältige Abstimmung mit bestehenden Flächenregelungen, betrieblichen Vereinbarungen und arbeitsvertraglichen Bezugnahmen.

Häufig gestellte Fragen

Was ist ein Firmentarifvertrag?

Ein Firmentarifvertrag ist ein Tarifvertrag zwischen einem einzelnen Unternehmen und einer Gewerkschaft. Er regelt Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten dieses Unternehmens und gilt innerhalb des vertraglich festgelegten Geltungsbereichs.

Wer ist durch einen Firmentarifvertrag gebunden?

Gebunden sind der Arbeitgeber als Vertragspartner und die im erfassten Bereich beschäftigten Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft. Für andere Beschäftigte entfaltet der Vertrag keine unmittelbare Tarifwirkung, es sei denn, ihr Arbeitsvertrag verweist auf den Tarifvertrag oder er wird betriebsweit einheitlich angewendet.

Gilt ein Firmentarifvertrag auch für Nichtmitglieder der Gewerkschaft?

Nichtmitglieder sind nicht automatisch tarifgebunden. Eine Geltung kann sich aus arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln oder aus einer einheitlichen betrieblichen Anwendung ergeben, die die vereinbarten Tarifbedingungen faktisch für alle Beschäftigten zur Grundlage macht.

Kann ein Firmentarifvertrag von einem Flächentarifvertrag abweichen?

Abweichungen sind möglich, wenn der Flächentarif solche Öffnungen vorsieht oder wenn unterschiedliche Regelungsbereiche betroffen sind. Ohne entsprechende Öffnung gilt grundsätzlich der Vorrang bindender Flächentarifregelungen für denselben Gegenstand.

Was passiert, wenn der Firmentarifvertrag endet?

Nach Ablauf oder Kündigung wirken die normativen Regelungen regelmäßig fort, bis sie durch neue Abmachungen ersetzt werden. Für arbeitsvertragliche Bezugnahmen gelten die vereinbarten Regeln des Einzelvertrags. Der schuldrechtliche Teil zwischen den Tarifparteien endet mit der Beendigung.

Dürfen Betriebsvereinbarungen Themen regeln, die im Firmentarifvertrag stehen?

Grundsätzlich nicht. In tariflich geregelten oder üblicherweise tariflich geregelten Bereichen besteht eine Regelungssperre. Abweichungen sind nur möglich, wenn der Tarifvertrag dies durch Öffnungsklauseln zulässt.

Wer verhandelt und schließt den Firmentarifvertrag ab?

Vertragspartner sind das Unternehmen und die zuständige Gewerkschaft. Sie führen Verhandlungen, vereinbaren Inhalte und unterzeichnen den Tarifvertrag. Betriebsparteien können beteiligt sein, sind aber nicht selbst Tarifparteien.

Gilt ein Firmentarifvertrag in allen Betrieben eines Konzerns?

Nein. Er bindet grundsätzlich die vertragsschließende Rechtseinheit. Er kann mehrere Betriebe dieses Unternehmens erfassen, gilt aber nicht automatisch für andere Konzerngesellschaften, sofern der Vertrag sie nicht ausdrücklich einbezieht.