Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Steuerrecht»Festsetzungsfrist, Festsetzungsverjährung

Festsetzungsfrist, Festsetzungsverjährung


Festsetzungsfrist und Festsetzungsverjährung – Begriff und rechtliche Grundlagen

Die Festsetzungsfrist bzw. Festsetzungsverjährung ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Steuerrecht. Sie definiert den Zeitraum, in dem die Finanzbehörden Steuerbescheide erlassen oder ändern dürfen. Die Regelungen zur Festsetzungsfrist sind insbesondere in der Abgabenordnung (AO) verankert und erfassen die Verjährung der Möglichkeit, Steuern festzusetzen oder Steuerfestsetzungen zu ändern. Dieser Artikel bietet eine umfassende, systematische Darstellung der Festsetzungsfrist und erläutert deren Bedeutung, Fristenlauf, Verlängerung und Unterbrechung sowie praxisrelevante Besonderheiten.


Definition und Funktion der Festsetzungsfrist

Die Festsetzungsfrist ist gemäß § 169 AO die Frist, innerhalb derer Steuern durch Steuerbescheid festgesetzt oder aufgehoben werden können. Nach Ablauf dieser Frist tritt Festsetzungsverjährung ein, wodurch die Steueransprüche des Staates hinsichtlich Festsetzung oder Aufhebung erlöschen. Die Festsetzungsfrist ist abzugrenzen von der Zahlungsverjährung, die sich auf die Durchsetzbarkeit festgesetzter Steueransprüche bezieht.


Gesetzliche Regelungen in der Abgabenordnung

Allgemeine Vorschriften (§§ 169-171 AO)

Die Abgabenordnung regelt im vierten Teil (§§ 169 bis 171 AO) die Festsetzungsfristen. § 169 Abs. 1 AO bestimmt den Grundsatz der Verjährung:

  • Steuerbescheide dürfen nur ergehen, aufgehoben oder geändert werden, solange die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.

Fristbeginn (§ 170 AO)

Der Beginn der Festsetzungsfrist ist in § 170 AO geregelt und richtet sich danach, wann die Steuererklärung eingereicht wurde oder wann eine Pflicht zur Abgabe bestand:

  • Grundsätzlich beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.
  • Wird eine Steuererklärung eingereicht, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung eingereicht wird.

Dauer der Festsetzungsfrist (§ 169 AO)

Die regelmäßige Festsetzungsfrist beträgt:

  • Vier Jahre für Steuern, soweit keine längeren Fristen bestimmen (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO).
  • Fünf Jahre für Verbrauchssteuern und Verbrauchsteuervergütungen.
  • Zehn Jahre bei Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).
  • Fünf Jahre bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).

Hemmung, Ablaufhemmung und Unterbrechung der Festsetzungsfrist (§ 171 AO)

Hemmungen und Unterbrechungen der Festsetzungsfrist führen dazu, dass die Festsetzungsfrist verlängert wird, etwa in folgenden Fällen:

  • Außenprüfung: Während einer steuerlichen Außenprüfung wird die Festsetzungsfrist gehemmt.
  • Anlaufhemmung: Ist die Finanzbehörde ohne grobes Verschulden nicht in der Lage, die Steuer festzusetzen, beginnt die Frist erst mit Wegfall des Hindernisses.
  • Ruhen während eines Einspruchs- oder Klageverfahrens: Im Falle eines Steuerstreits ruht die Frist bis zur Entscheidung.
  • Schwebende Steuerfestsetzung: Bei vorläufigen oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Steuerbescheiden kann die Frist unterbrochen sein.

Auswirkungen der Festsetzungsverjährung

Mit Eintritt der Festsetzungsverjährung ist die Finanzbehörde gehindert, einen Steuerbescheid zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben. Nach Ablauf der Frist besteht kein materiell-rechtlicher Anspruch des Staates mehr auf Steuerfestsetzung. Bereits festgesetzte und gezahlte Steuern sind von einer Festsetzungsverjährung grundsätzlich nicht betroffen, sondern können nur über die Zahlungsverjährung (§ 228 ff. AO) erfasst werden.


Ausnahmen und Sonderregelungen

Offenbare Unrichtigkeiten und Korrekturvorschriften

Auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist kann keine Änderung eines Steuerbescheids nach den Korrekturvorschriften der §§ 129, 172 ff. AO erfolgen. Die Verjährung ist insoweit abschließend.

Rückwirkende Ereignisse (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO)

Kommt es nachträglich zu Ereignissen, die steuerliche Auswirkungen auf zurückliegende Besteuerungszeiträume haben, kann eine Änderung von Steuerbescheiden nur innerhalb der Festsetzungsfrist erfolgen.


Beispiele zur Berechnung der Festsetzungsfrist

Fallbeispiel 1: Einkommensteuererklärung 2019

  • Eingang beim Finanzamt: 15. Juli 2020
  • Fristbeginn: 31. Dezember 2020
  • Ablauf der Festsetzungsfrist: 31. Dezember 2024

Fallbeispiel 2: Steuerhinterziehung für das Jahr 2018

  • Fristbeginn: 31. Dezember 2018
  • Ablauf der Festsetzungsfrist: 31. Dezember 2028 (zehn Jahre)

Praktische Bedeutung der Festsetzungsfrist

Die Festsetzungsfrist dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Steuerpflichtige und Finanzverwaltung sollen Klarheit darüber haben, ab wann eine Steuerfestsetzung oder -änderung ausgeschlossen ist. Die Festsetzungsfrist sichert somit sowohl staatliche als auch individuelle Interessen.


Abgrenzung zur Zahlungsverjährung

Zu unterscheiden ist die Festsetzungsfrist von der Zahlungsverjährung gemäß §§ 228-232 AO. Diese beginnt erst mit der Steuerfestsetzung und regelt, wie lange der Staat eine festgesetzte Steuer tatsächlich noch eintreiben darf.


Literaturhinweise und weiterführende Normen

  • Abgabenordnung (AO), §§ 169-171, 228-232
  • Einkommensteuergesetz (EStG)
  • Umsatzsteuergesetz (UStG)

Zusammenfassung

Die Festsetzungsfrist und die daraus folgende Festsetzungsverjährung stellen zentrale Verfahrensbegrenzungen im deutschen Steuerrecht dar. Sie schützen den Bürger vor unbefristeten Steuerfestsetzungen und bieten zugleich der Verwaltung einen klaren Rahmen, innerhalb dessen sie Steueransprüche durchsetzen kann. Änderungen, Unterbrechungen und Besonderheiten der Festsetzungsfrist sind umfassend in der Abgabenordnung geregelt und wirken auf den gesamten Prozess der Steuerfestsetzung und ihrer Überprüfung.

Häufig gestellte Fragen

Wann beginnt die Festsetzungsfrist im deutschen Steuerrecht zu laufen?

Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Es gibt jedoch zahlreiche Besonderheiten, die den Beginn der Frist beeinflussen können. Wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Jahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 AO). Bei unrichtigen oder unterlassenen Steuererklärungen und Steuerverkürzungen (z.B. Steuerhinterziehung) gelten wiederum spezielle Regelungen: In diesen Fällen beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Finanzbehörde von den steuererhöhenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Diese verschiedenen Fristbeginne sind in der Praxis von enormer Bedeutung, da sie die spätere Durchsetzbarkeit des Steueranspruchs direkt beeinflussen.

Welche Fristen gelten für die Festsetzungsverjährung bei verschiedenen Steuerarten?

Die allgemeine Festsetzungsfrist beträgt laut § 169 Abs. 2 AO vier Jahre. Bei Verbrauchsteuern und Verbrauchsteuervergütungen beträgt sie ein Jahr. Besonders bedeutsam sind Verlängerungen der Frist bei Steuerhinterziehung und leichtfertiger Steuerverkürzung: Bei Steuerhinterziehung beträgt die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre. Diese Fristen gelten für sämtliche Steuerarten, d.h. sowohl für Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Grundsteuer sowie für Zölle und Verbrauchsteuern. Maßgeblich ist jedoch stets die individuelle steuerliche Situation und die Frage, ob besondere Tatbestände – wie Steuerhinterziehung – vorliegen.

Welche Ereignisse führen zu einer Ablaufhemmung oder Unterbrechung der Festsetzungsfrist?

Die Festsetzungsfrist kann gemäß § 171 AO durch verschiedene Vorgänge gehemmt („Ablaufhemmung“) oder „unterbrochen“ werden, wobei der Begriff Unterbrechung im Gesetz nicht ausdrücklich verwendet wird. Zu den wichtigsten Gründen für die Ablaufhemmung zählen: laufende Außenprüfungen (§ 171 Abs. 4 AO), schwebende Einspruchsverfahren (§ 171 Abs. 3 AO), Insolvenzverfahren (§ 171 Abs. 14 AO) oder Fälle, in denen das Finanzamt die Steuerfestsetzung von einer Zustimmung oder Entscheidung einer anderen Behörde abhängig machen muss. Während dieser Zeiträume ruht die Frist, läuft also nicht weiter. Nach Beendigung des hemmenden Ereignisses läuft die Restfrist weiter ab. Das Ziel solcher Regelungen ist es, der Finanzverwaltung ausreichend Zeit einzuräumen, den Sachverhalt rechtssicher aufzuklären und Steueransprüche festzustellen.

Wie wirken sich Einspruchs- und Klageverfahren auf die Festsetzungsverjährung aus?

Die Einlegung eines Einspruchs oder die Erhebung einer Klage bewirkt eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 3 AO. Die Frist läuft in diesen Fällen nicht weiter und wird erst wieder in Gang gesetzt, wenn das Verfahren durch unanfechtbare Entscheidung oder Rücknahme abgeschlossen ist. Dies gilt auch, wenn der Einspruch oder die Klage unzulässig oder unbegründet war. Die Ablaufhemmung gilt für den gesamten Zeitraum des Rechtsbehelfsverfahrens und verhindert, dass zu Ungunsten des Steuerpflichtigen eine Festsetzungsverjährung eintritt, bevor das Rechtsmittel endgültig erledigt ist. Die genaue Berechnung der Gesamtdauer bedarf einer detaillierten Betrachtung der konkreten Verfahrensabläufe.

Welche Konsequenzen hat das Eintreten der Festsetzungsverjährung für Steueransprüche?

Nach Eintritt der Festsetzungsverjährung erlöschen nach § 47 AO sämtliche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die durch Festsetzung geltend zu machen wären. Das bedeutet, dass Steuerbescheide, die nach Eintritt der Verjährung erlassen werden, rechtswidrig sind und mit Rechtsmitteln angefochten werden können. Die Finanzbehörde ist mit dem Eintritt der Verjährung gehindert, eine Steuer festzusetzen oder zu ändern – selbst wenn der Steuerpflichtige die Steuererklärung nachträglich abgibt. Liegen jedoch bereits festgesetzte Steuern vor, betrifft die Festsetzungsverjährung nicht deren Einziehung, sondern nur die erstmalige oder nachträgliche Festsetzung oder Änderung einer Steuer.

In welchen Fällen kann die Festsetzungsverjährung verlängert werden?

Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist ist insbesondere bei Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) gesetzlich vorgesehen: Die Frist beträgt dann zehn beziehungsweise fünf Jahre. Darüber hinaus kann eine Verlängerung indirekt durch Ablaufhemmungen eintreten, beispielsweise bei einer laufenden steuerlichen Außenprüfung, bei schwebenden Einspruchs- oder Strafverfahren oder wenn Behörden bei der Sachverhaltsaufklärung beteiligt sind. Verlängerte Verjährungsfristen dienen dem Schutz des Steueraufkommens und der Durchsetzung der Steuergerechtigkeit, vor allem in komplexen Sachverhaltskonstellationen oder bei Straftatbeständen.

Wie wird die Festsetzungsfrist im Zusammenhang mit Berichtigungs- und Änderungsbescheiden behandelt?

Werden Berichtigungs- oder Änderungsbescheide (z.B. nach § 129 AO oder § 173 AO) erlassen, dann setzt dies voraus, dass die Festsetzungsfrist für die Steuer zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses noch nicht abgelaufen ist. Der neue oder geänderte Bescheid wirkt auf den Zeitpunkt der erstmaligen Steuerfestsetzung zurück, doch eine Änderung nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist grundsätzlich unzulässig – hiervon ausgenommen sind Fälle der Anzeige falscher oder unvollständiger Tatsachen, bei denen bestimmte Sonderregeln die Frist verlängern können. Besonders bei Korrekturen aufgrund offensichtlicher Unrichtigkeiten ist eine genaue Prüfung der Fristläufe zwingend erforderlich, um die Wirksamkeit des Bescheids zu sichern.