Legal Lexikon

Wiki»Fernabsatzvertrag

Fernabsatzvertrag


Definition und rechtlicher Rahmen des Fernabsatzvertrags

Ein Fernabsatzvertrag ist ein Vertrag über die Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen, der unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wird. Die rechtliche Grundlage für Fernabsatzverträge findet sich in Deutschland insbesondere in den §§ 312c bis 312k des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Regelungen dienen dem Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern bei Vertragsabschlüssen, die außerhalb von Geschäftsräumen und ohne direkten persönlichen Kontakt erfolgen.

Begriff und Abgrenzung

Fernabsatzverträge zeichnen sich dadurch aus, dass der Vertragsabschluss und auch die Anbahnung ausschließlich unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln erfolgen. Zu diesen Mitteln gehören insbesondere Briefe, Telefonanrufe, E-Mails, Telefax sowie Online-Angebote im Internet. Die Vertragsparteien – typischerweise ein Unternehmer auf der einen und ein Verbraucher auf der anderen Seite – befinden sich während des Vertragsschlusses sowie gegebenenfalls bei Vertragsverhandlungen nicht körperlich anwesend.

Rechtliche Einordnung

Gesetzliche Grundlagen

Die gesetzlichen Vorschriften zum Fernabsatzvertrag sind in § 312c BGB sowie, bezüglich Informationspflichten und Widerrufsrecht, in den §§ 312d-312k BGB niedergelegt. Diese Regelungen setzen Vorgaben der EU-Richtlinie 2011/83/EU über Verbraucherrechte in deutsches Recht um.

Anwendungsbereich

Fernabsatzrechtliche Vorschriften gelten ausschließlich bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher („Business-to-Consumer“, B2C). Ein Unternehmer ist dabei gemäß § 14 BGB jede natürliche oder juristische Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Verbraucher im Sinne von § 13 BGB ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.

Kein Fernabsatz liegt vor, wenn während der vorvertraglichen Kommunikation ein gleichzeitiger physischer Kontakt der Parteien stattfindet, etwa bei Beratungsgesprächen vor Ort.

Charakteristische Merkmale eines Fernabsatzvertrags

Ausschließliche Nutzung von Fernkommunikation

Ein wesentliches Erfordernis für einen Fernabsatzvertrag ist die ausschließliche Nutzung von Fernkommunikationsmitteln – von der Anbahnung bis zum Vertragsschluss. Selbst eine einmalige persönliche Beratung oder Vertragsverhandlung unterbricht diese ausschließliche Fernkommunikation und schließt die Anwendung der Regeln zum Fernabsatz aus.

Vorliegen eines Verbrauchervertrags

Fernabsatzverträge setzen das Vorliegen eines Verbrauchervertrags voraus. Die Schutzvorschriften finden keine Anwendung bei Verträgen zwischen Unternehmen oder zwischen Privatpersonen (z. B. im Rahmen privater eBay-Verkäufe).

Unternehmerinitiative

Da die Vorschriften Verbraucherschutz bezwecken, muss der Unternehmer die Initiative zum Vertragsschluss unter Nutzung von Fernkommunikationsmitteln ergriffen haben. Dies ist etwa bei Online-Shops und Telefonverkauf der Fall, nicht aber bei Loseblattbestellungen oder spontanen Auktionen.

Informationspflichten des Unternehmers

Pflichtangaben vor Vertragsschluss

Nach § 312d BGB i. V. m. Art. 246a EGBGB ist der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung ausführliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Zu den wesentlichen Informationspflichten gehören insbesondere:

  • Wesentliche Eigenschaften der Ware oder Dienstleistung
  • Identität und Anschrift des Unternehmers
  • Gesamtpreis einschließlich aller Steuern und gegebenenfalls anfallender Liefer- und Versandkosten
  • Bestehen und Bedingungen eines Widerrufsrechts (einschließlich Widerrufsformular)
  • Vertragslaufzeit und Bedingungen für dessen Beendigung
  • Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen

Bestätigung auf dauerhaftem Datenträger

Nach Vertragsschluss muss der Unternehmer dem Verbraucher die Vertragsbestimmungen und oben genannte Pflichtangaben spätestens bei Lieferung auf einem dauerhaften Datenträger (z. B. E-Mail, Papier) zur Verfügung stellen.

Das Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen

Umfang und Ausübung

Ein zentrales Schutzinstrument für Verbraucher ist das Widerrufsrecht gemäß §§ 355, 356 BGB. Verbraucher können einen Fernabsatzvertrag innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen. Die Widerrufsfrist beginnt grundsätzlich mit dem Erhalt der Ware bzw. – bei Dienstleistungen – mit Vertragsschluss.

Ausnahmen vom Widerrufsrecht

Das Widerrufsrecht besteht nicht uneingeschränkt. Ausnahmen finden sich in § 312g Abs. 2 BGB, dazu zählen unter anderem:

  • Verträge zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind
  • Verträge über schnell verderbliche Waren
  • Individuell angefertigte Produkte (Sonderanfertigungen)
  • Lieferung digitaler Inhalte nach ausdrücklicher Zustimmung und Kenntnis des Verlustes des Widerrufsrechts vor Ausführung

Rechtsfolgen des Widerrufs

Übt der Verbraucher den Widerruf fristgerecht aus, sind beide Parteien zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen verpflichtet. Der Unternehmer hat binnen 14 Tagen nach Erklärung des Widerrufs den Kaufpreis einschließlich Lieferkosten zu erstatten. Der Verbraucher muss die Ware zurücksenden, wobei regelmäßig die Rücksendekosten zu dessen Lasten gehen können, sofern darüber vorab informiert wurde.

Vertragserfüllung, Verzug und Rücktritt

Lieferung und Gefahrübergang

Die Lieferung erfolgt innerhalb der vereinbarten oder gesetzlich vorgegebenen Frist. Bei Verbrauchsgüterkäufen trägt das Risiko eines zufälligen Untergangs oder einer Verschlechterung der Ware bis zur Übergabe grundsätzlich der Unternehmer (§ 474 Abs. 2 BGB).

Verzug und Rücktrittsrechte

Überschreitet der Unternehmer verbindliche Lieferzeiten, kann der Verbraucher nach angemessener Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten und ggf. Schadensersatz verlangen. Weitergehende Rücktritts- und Kündigungsrechte ergeben sich insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen im digitalen Bereich.

Besondere Arten von Fernabsatzverträgen

Verträge über digitale Inhalte

Mit Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/770 (Digitale-Inhalte-Richtlinie) bestehen für digitale Güter wie Software, Apps oder digitale Medien zum Teil eigene Regelungen zum Widerrufsrecht und zu Mängelrechten, die im Fernabsatz Anwendung finden.

Dienstleistungen im Fernabsatz

Auch Dienstleistungsverträge (z. B. Streaming, Buchungen von Online-Kursen) können Fernabsatzverträge sein, soweit sie ausschließlich unter Nutzung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden. Hier gelten jeweils spezifische Ausnahmen und Ergänzungen beispielsweise zu Beginn der Dienstleistungsausführung oder bei digitalen Diensten.

Internationale Aspekte beim Fernabsatzvertrag

Anwendbares Recht und Gerichtsstand

Beim grenzüberschreitenden Fernabsatz innerhalb der Europäischen Union finden die Vorschriften der Rom-I-Verordnung (EG) Nr. 593/2008 Anwendung. Für Verbraucher gelten in der Regel deren Heimatrechte, sofern der Unternehmer seine Geschäftstätigkeit auf das jeweilige Land ausrichtet.

Der Gerichtsstand bei Streitfällen richtet sich nach der Brüssel-Ia-Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, die verbraucherfreundliche Gerichtsstände vorsieht.

Bedeutung und Auswirkungen

Fernabsatzverträge sind ein zentrales Element des modernen E-Commerce. Die rechtlichen Vorgaben zielen darauf ab, ein hohes Maß an Verbraucherschutz sicherzustellen, Vertrauen in den Online-Handel zu schaffen und einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen.

Zusammenfassung

Der Fernabsatzvertrag ist im deutschen Zivilrecht ein typisierter Verbrauchervertrag, der unter ausschließlicher Nutzung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wird. Die Rechtsvorschriften umfassen detaillierte Informationspflichten, ein Widerrufsrecht zugunsten des Verbrauchers, Regeln zur Vertragserfüllung und zum Schutz der Vertragsparteien. Mit der zunehmenden Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle ist das Fernabsatzrecht ein dynamisches Feld, das kontinuierlich durch europäische Vorgaben und nationale Gesetzesänderungen geprägt wird.

Häufig gestellte Fragen

Welche Informationspflichten bestehen bei einem Fernabsatzvertrag?

Bei einem Fernabsatzvertrag ist der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher vor Vertragsschluss eine Vielzahl von Informationen klar und verständlich zur Verfügung zu stellen. Diese Informationspflichten sind in § 312d in Verbindung mit Art. 246a EGBGB geregelt. Dazu gehören unter anderem Angaben zur Identität und ladungsfähigen Anschrift des Unternehmers, eine genaue Beschreibung der Waren oder Dienstleistungen, den Gesamtpreis einschließlich aller Steuern und Abgaben, die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, das Bestehen eines Widerrufsrechts sowie die Bedingungen, Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts und das Muster-Widerrufsformular. Weiterhin ist über das Bestehen von gesetzlichen Gewährleistungsrechten, gegebenenfalls vorhandene Kundendienstleistungen, Garantien und deren Bedingungen sowie über die Laufzeit eines Vertrags und die Bedingungen seiner Kündigung zu informieren. Werden diese Informationspflichten nicht erfüllt, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen, und der Unternehmer kann abgemahnt werden.

Wann beginnt die Widerrufsfrist bei einem Fernabsatzvertrag zu laufen?

Die Widerrufsfrist für einen Fernabsatzvertrag beträgt grundsätzlich 14 Tage und beginnt mit dem Tag, an dem der Verbraucher oder ein von ihm benannter Dritter, der nicht der Beförderer ist, die Ware erhält. Bei mehreren Waren, die im Rahmen einer einheitlichen Bestellung bestellt und getrennt geliefert werden, beginnt die Frist erst mit Erhalt der letzten Ware. Im Falle eines Vertrags über die regelmäßige Lieferung von Waren über einen festgelegten Zeitraum verteilt, beginnt die Widerrufsfrist mit Erhalt der ersten Ware. Entscheidend für den Beginn der Widerrufsfrist ist zudem, dass der Verbraucher ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt wurde. Erfolgt diese Belehrung nicht oder nicht korrekt, verlängert sich die Frist auf bis zu 12 Monate und 14 Tage nach Erhalt der Ware (§ 356 Abs. 3 BGB).

Gibt es Ausnahmen vom Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen?

Ja, das Widerrufsrecht ist bei gewissen Fernabsatzverträgen ausgeschlossen. Ausnahmen sind in § 312g Abs. 2 BGB geregelt. Zu den wichtigsten Ausschlussgründen zählen Verträge zur Lieferung von Waren, die nach Kundenspezifikation angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten sind, schnell verderbliche Waren, versiegelte Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde, sowie Verträge über die Lieferung von Zeitungen, Zeitschriften oder Illustrierten (mit Ausnahme von Abonnement-Verträgen). Auch bei digitalen Inhalten, bei denen der Verbraucher ausdrücklich zugestimmt hat, dass mit der Ausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen wird, und Kenntnis davon hat, dass er dadurch sein Widerrufsrecht verliert, entfällt dieses.

Welche Rechtsfolgen treten bei Ausübung des Widerrufsrechts ein?

Übt der Verbraucher sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß aus, sind die empfangenen Leistungen von beiden Seiten zurückzugewähren. Dies bedeutet, dass der Verbraucher die erhaltene Ware zurückzugeben hat und der Unternehmer den Kaufpreis sowie gegebenenfalls erhaltene Lieferkosten zu erstatten hat (§ 357 BGB). Die Rückzahlung muss unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von 14 Tagen nach Zugang der Widerrufserklärung, erfolgen. Für einen etwaigen Wertverlust der Ware muss der Verbraucher nur aufkommen, wenn der Wertverlust auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Ware nicht notwendigen Umgang mit ihr zurückzuführen ist. Die Kosten der Rücksendung sind grundsätzlich vom Unternehmer zu tragen, es sei denn, er hat vorab ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Verbraucher diese Kosten zu übernehmen hat.

Welche Besonderheiten gelten bei Fernabsatzverträgen über Dienstleistungen?

Wird ein Fernabsatzvertrag über die Erbringung einer Dienstleistung abgeschlossen, besteht ebenfalls grundsätzlich ein Widerrufsrecht. Eine Besonderheit besteht jedoch darin, dass das Widerrufsrecht vorzeitig erlöschen kann, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat und der Verbraucher vor Beginn der Ausführung ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, und seine Kenntnis vom Erlöschen des Widerrufsrechts bestätigt hat (§ 356 Abs. 4 BGB). Diese Absicherung dient dem Schutz des Unternehmers vor Missbrauch, falls Dienstleistungen bereits vollständig erbracht wurden.

Welche Pflichten treffen den Unternehmer nach Zugang des Widerrufs?

Nach Zugang des Widerrufs ist der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher sämtliche geleisteten Zahlungen einschließlich etwaiger Lieferkosten unverzüglich, spätestens jedoch binnen 14 Tagen zurückzuerstatten. Die Rückzahlung muss mit demselben Zahlungsmittel erfolgen, das der Verbraucher eingesetzt hat, es sei denn, mit dem Verbraucher wurde ausdrücklich etwas anderes vereinbart. Bis zum Rückerhalt der Ware oder bis der Verbraucher einen Nachweis über die Rücksendung erbracht hat, kann der Unternehmer die Rückzahlung verweigern. Zudem darf vom Verbraucher für die Rückzahlung kein Entgelt verlangt werden. Die Regelungen finden sich insbesondere in § 357 BGB.