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Fernabsatzvertrag


Definition und rechtlicher Rahmen des Fernabsatzvertrags

Ein Fernabsatzvertrag ist ein Vertrag, bei dem zwischen Unternehmer und Verbraucher ausschließlich Fernkommunikationsmittel zur Anbahnung und zum Abschluss des Vertrags verwendet werden. Fernkommunikationsmittel sind beispielsweise Briefe, Telefonate, Telefax, E-Mails oder Webseiten. Der Begriff ist insbesondere im deutschen und europäischen Verbraucherrecht von erheblicher Bedeutung, da er spezielle Informations- und Widerrufsrechte zum Schutz der Verbraucher auslöst.

Die grundlegenden Regelungen zum Fernabsatzvertrag finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), insbesondere in den §§ 312 ff. BGB, sowie in der Europäischen Richtlinie über Verbraucherrechte (Richtlinie 2011/83/EU). Ziel ist es, Verbrauchern ein adäquates Schutzniveau bei Verträgen zu bieten, bei denen sie den Vertragspartner und die Ware nicht physisch erleben können.


Abgrenzung zu anderen Vertragsarten

Präsenzgeschäft versus Fernabsatzvertrag

Der zentrale Unterschied zwischen einem Fernabsatzvertrag und einem Präsenzgeschäft ist, dass bei Fernabsatzverträgen sämtliche Verhandlungen und der Vertragsschluss ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erfolgen. Kommt es im Vorfeld oder beim Vertragsschluss zu einem persönlichen Kontakt zwischen Unternehmer und Verbraucher, handelt es sich nicht mehr um einen Fernabsatzvertrag im Sinne des Gesetzes.

Fernabsatzvertrag und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag

Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, etwa an der Haustür, im Rahmen von Werbefahrten oder auf Messen, werden rechtlich gesondert behandelt. Zwar bestehen auch hier besondere Verbraucherrechte, dennoch liegt der Unterschied darin, dass der Vertrag nicht mittels Fernkommunikation, sondern im persönlichen Kontakt zustande kommt.


Anwendungsbereich der Fernabsatzregelungen

Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

Fernabsatzverträge setzen voraus, dass

  • auf Unternehmerseite ein Unternehmer (§ 14 BGB) handelt,
  • auf Verbraucherseite ein Verbraucher (§ 13 BGB) beteiligt ist,
  • und der Vertrag mit ausschließlich Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wird.

Nicht erfasst sind Verträge zwischen Privatpersonen, Verträge zwischen Unternehmern sowie Verträge, bei denen der persönliche Kontakt den Vertragsabschluss bestimmt.

Ausnahmen von den Fernabsatzvorschriften

Das Gesetz sieht in § 312g Abs. 2 BGB diverse Ausnahmen vor, bei denen das Widerrufsrecht und die besonderen Pflichten für Fernabsatzverträge nicht gelten, beispielsweise:

  • Verträge über schnell verderbliche Waren,
  • maßgefertigte oder eindeutig personalisierte Produkte,
  • Dienstleistungen im Bereich Beherbergung, Beförderung, Lieferung von Speisen und Getränken sowie Freizeitgestaltung, wenn für die Leistung ein spezifischer Termin oder Zeitraum vorgesehen ist,
  • Hygieneartikel, sofern deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde,
  • Verträge über digitales Sofort-Streaming und -Downloads nach ausdrücklicher Zustimmung.

Pflichten des Unternehmers beim Fernabsatzvertrag

Informationspflichten

Unternehmer müssen Verbrauchern vor Abgabe der Vertragserklärung umfangreiche Informationen zur Verfügung stellen. Nach Art. 246a EGBGB umfasst dies insbesondere:

  • Wesentliche Produkteigenschaften,
  • Identität und Kontaktdaten des Unternehmers,
  • Gesamtpreis inklusive aller Steuern und Abgaben,
  • Liefer- und Zahlungsbedingungen,
  • Bestehen und Bedingungen des Widerrufsrechts,
  • Laufzeit des Vertrags bzw. Bedingungen für die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen,
  • Informationen zu digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen.

Diese Informationen müssen dem Verbraucher rechtzeitig vor Vertragsschluss auf einem dauerhaften Datenträger mitgeteilt werden.

Bestätigungspflichten und Vertragstext

Nach Vertragsschluss ist der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher eine Bestätigung des Vertrags mit allen Pflichtinformationen auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen. Das kann beispielsweise per E-Mail oder als schriftliches Dokument geschehen.


Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen

Gesetzliches Widerrufsrecht

Verbraucher haben grundsätzlich das Recht, einen Fernabsatzvertrag binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zu widerrufen (§ 355 BGB). Die Frist beginnt mit Erhalt der Ware bzw. bei Dienstleistungen mit Vertragsschluss, sofern alle erforderlichen Informationen ordnungsgemäß übermittelt wurden.

Ablauf und Rechtsfolgen des Widerrufs

Der Widerruf ist formlos möglich, etwa per E-Mail, Brief oder Online-Formular. Nach erfolgtem Widerruf sind empfangene Leistungen zurückzugewähren. Der Unternehmer hat sämtliche geleisteten Zahlungen einschließlich der Lieferkosten zu erstatten. Der Verbraucher muss lediglich für einen etwaigen Wertverlust aufkommen, wenn er die Ware über die Prüfung der Beschaffenheit hinaus genutzt hat.

Besondere Konstellationen: Dienstleistungen und digitale Inhalte

Bei Dienstleistungen oder digitalen Inhalten kann das Widerrufsrecht bereits vor Ablauf der Frist erlöschen, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat und der Verbraucher vorab ausdrücklich zugestimmt und die Kenntnis vom Erlöschen des Widerrufsrechts bestätigt hat (§ 356 Abs. 4 und 5 BGB).


Rechtliche Folgen bei Verstößen gegen die Fernabsatzvorschriften

Folgen fehlender oder unvollständiger Belehrung

Wird der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehrt, verlängert sich die Widerrufsfrist auf maximal zwölf Monate und 14 Tage (§ 356 Abs. 3 BGB).

Wettbewerbsrechtliche Konsequenzen

Verstöße gegen die Informations- und Belehrungspflichten stellen wettbewerbsrechtlich relevante Rechtsverletzungen dar. Abmahnungen, Unterlassungsansprüche und Schadensersatzforderungen können daraus resultieren.


Bedeutung in der Praxis

Fernabsatzverträge prägen den E-Commerce und den Versandhandel maßgeblich. Sie stellen sicher, dass Verbraucher beim Kauf „auf Distanz“ ähnlich gut geschützt sind wie im stationären Handel. Insbesondere die umfassenden Informationspflichten und das Widerrufsrecht dienen der Transparenz und stärken das Vertrauen in den Online-Handel. Unternehmer müssen ihre Prozesse und Vertragsdokumente fortlaufend an die Anforderungen des Fernabsatzrechts anpassen.


Europarechtliche Grundlagen und Umsetzung in Deutschland

Der rechtliche Rahmen von Fernabsatzverträgen ist europaweit durch die Richtlinie 2011/83/EU weitgehend harmonisiert. Ziel ist eine einheitliche Mindestabsicherung der Verbraucherrechte innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Das deutsche Umsetzungsgesetz orientiert sich eng an diesen Vorgaben, weshalb die Regelungen in Deutschland weitestgehend denen anderer europäischer Länder entsprechen.


Literaturhinweise und weiterführende Links

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), §§ 312 ff.
  • Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB), Art. 246a
  • Richtlinie 2011/83/EU über Verbraucherrechte
  • Bundesministerium der Justiz: Gesetze-im-Internet.de

Dieser Beitrag bietet eine vertiefte, umfassende Darstellung des Begriffs Fernabsatzvertrag und beleuchtet die wichtigsten rechtlichen Aspekte, Rechte und Pflichten sowie die praktische Bedeutung in Deutschland und im gemeinschaftlichen europäischen Verbraucherrecht.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen muss ein Fernabsatzvertrag rechtlich erfüllen?

Ein Fernabsatzvertrag ist nach deutschem Recht insbesondere gemäß §§ 312c, 312g BGB gekennzeichnet durch den Abschluss eines Vertrages unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, also etwa Telefon, E-Mail, Online-Formularen oder Fax, wobei keine gleichzeitige physische Anwesenheit von Unternehmer und Verbraucher stattfindet. Rechtlich ist erforderlich, dass der Vertrag ausschließlich im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems des Unternehmers zustande kommt. Zudem muss ein Verbraucher beteiligt sein, der zu privaten Zwecken handelt, während auf der Gegenseite ein Unternehmer steht, der in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit handelt. Ohne diesen doppelseitigen Sachverhalt – Unternehmer versus Verbraucher sowie ausschließliche Fernkommunikation – liegt kein Fernabsatzvertrag im Sinne des Gesetzes vor. Darüber hinaus sind gesetzliche Ausnahmen zu beachten, etwa bei Verträgen über Finanzdienstleistungen oder Notarverträgen.

Welche Informationspflichten hat der Unternehmer bei Fernabsatzverträgen?

Vor Vertragsschluss ist der Unternehmer verpflichtet, dem Verbraucher umfangreiche, klar und verständlich formulierte Informationen zur Verfügung zu stellen. Dies folgt insbesondere aus Art. 246a EGBGB. Zu den Pflichtinformationen zählen unter anderem die wesentlichen Eigenschaften der Ware oder Dienstleistung, die Identität des Unternehmers inklusive vollständiger Anschrift und Kontaktdaten, der Gesamtpreis einschließlich aller Steuern und Abgaben, Angaben zu Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, das Bestehen eines Widerrufsrechts mit den entsprechenden Modalitäten sowie der Mindestlaufzeit bei Dauerschuldverhältnissen. Werden diese Informationspflichten verletzt, kann dies rechtliche Konsequenzen wie eine Verlängerung der Widerrufsfrist auf bis zu zwölf Monate nach sich ziehen.

Welches Widerrufsrecht steht dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen zu?

Nach § 355 BGB steht dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen grundsätzlich ein Widerrufsrecht zu, welches innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen ausgeübt werden kann. Die Frist beginnt meist mit Erhalt der Ware beziehungsweise bei Dienstleistungen mit Vertragsschluss und ordnungsgemäßer Belehrung. Eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung ist hierbei Voraussetzung, andernfalls verlängert sich das Widerrufsrecht bis zu zwölf Monate nach dem regulären Ablauf. Der Widerruf muss eindeutig gegenüber dem Unternehmer erklärt werden, kann jedoch formfrei erfolgen. Bestimmte Verträge, wie etwa maßgefertigte Waren oder verderbliche Güter, sind gemäß § 312g Abs. 2 BGB vom Widerrufsrecht ausgeschlossen.

Welche besonderen Regelungen gelten für die Rückabwicklung nach Widerruf eines Fernabsatzvertrages?

Mit wirksamen Widerruf wird der Fernabsatzvertrag rückabgewickelt. Das bedeutet, dass empfangene Leistungen innerhalb von 14 Tagen zurückzugewähren sind: Der Verbraucher muss die Ware zurückgeben und der Unternehmer den Kaufpreis einschließlich etwaig bezahlter Lieferkosten (Standardversand) erstatten. Der Verbraucher trägt in der Regel die Rücksendekosten, wenn er darüber vorab informiert wurde, andernfalls muss der Unternehmer diese Kosten tragen (§ 357 Abs. 6 BGB). Der Unternehmer kann die Rückzahlung verweigern, bis er die Ware zurückerhalten hat oder der Verbraucher den Nachweis darüber erbringt. Eventuelle Wertverluste, die auf einen nicht bestimmungsgemäßen Umgang mit der Ware zurückzuführen sind, muss der Verbraucher ersetzen.

Wie wird der Beginn und das Ende der Widerrufsfrist ermittelt?

Die Widerrufsfrist beginnt gemäß § 355 BGB mit dem Erhalt der Ware durch den Verbraucher oder einen von ihm benannten Dritten, nicht jedoch dem Beförderer. Bei Dienstleistungsverträgen beginnt die Frist mit Vertragsschluss. Voraussetzung ist stets, dass der Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde; erfolgt dies verspätet oder gar nicht, verschiebt sich der Fristbeginn entsprechend oder sie verlängert sich auf maximal zwölf Monate. Bei Lieferung mehrerer Waren beginnt die Frist mit Erhalt der letzten Ware, bei Teillieferungen mit Erhalt der letzten Teillieferung.

Sind Fernabsatzverträge auch elektronisch bindend?

Ja, Fernabsatzverträge können vollumfänglich elektronisch abgeschlossen werden und sind rechtlich bindend. Die Schriftsform ist im Regelfall nicht erforderlich, da Fernabsatzverträge der Formfreiheit unterliegen. Bei bestimmten Vertragstypen, wie Mietverträgen über längere Zeiträume oder Verbraucherdarlehensverträgen, kann jedoch das Gesetz eine strengere Form (beispielsweise Textform oder elektronische Signatur) verlangen. Im Allgemeinen genügt der Versand von E-Mails oder das Ausfüllen und Bestätigen eines Online-Formulars, damit der Vertrag wirksam zustande kommt.

Welche Ausnahmen und Einschränkungen bestehen beim Fernabsatzvertrag?

Nicht alle Verträge, die über Fernkommunikationsmittel abgeschlossen werden, fallen unter die Vorschriften des Fernabsatzrechts. Vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sind insbesondere Verträge über die Lieferung von Lebensmitteln, Getränken oder sonstigen Haushaltsgegenständen mit häufiger Auslieferung im Rahmen von Fahrten des Unternehmers zu oder in der Nähe der Wohnung des Verbrauchers, Verträge, bei denen der Preis von Finanzmarktfluktuationen abhängt, die nicht vom Unternehmer beeinflussbar sind, sowie Verträge über dringende Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten. Außerdem gelten besondere Vorschriften für digitale Inhalte und Finanzdienstleistungen, die von den allgemeinen Bestimmungen abweichen können.