Legal Lexikon

Fehlbestand


Begriff und rechtliche Einordnung des Fehlbestands

Der Begriff Fehlbestand bezeichnet im rechtlichen und wirtschaftlichen Kontext das Fehlen von Vermögensgegenständen, insbesondere Waren oder Geldmitteln, in einem Unternehmen oder einer Behörde, das sich aus einer Soll-Ist-Abweichung ergibt. Fehlbestände werden häufig im Rahmen von Inventuren, Kassenprüfungen oder Lagerbestandsaufnahmen festgestellt. Sie können sowohl aus organisatorischen als auch aus deliktischen Gründen resultieren und sind von Differenzen, die beispielsweise durch Bewertungsfehler oder Schwund entstehen, abzugrenzen.

Rechtliche Grundlagen des Fehlbestands

Zivilrechtliche Einordnung

Im Zivilrecht ist der Fehlbestand vor allem für die Haftung im Innenverhältnis wichtig. Fehlbestände können die Haftung von Mitarbeitern, Organen oder Geschäftspartnern auslösen, zum Beispiel im Rahmen von Arbeits-, Geschäftsbesorgungs- oder Verwahrungsverhältnissen. Die Haftung kann sich aus vertraglichen oder gesetzlichen Vorschriften ergeben und ist häufig von Verschuldens- oder Sorgfaltspflichten abhängig.

Allgemeine Haftungsgrundlagen

  • § 280 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung): Wenn ein Fehlbestand infolge einer Pflichtverletzung (z. B. unsorgfältiger Umgang mit anvertrautem Gut) entsteht, kann der Geschädigte Schadensersatz verlangen.
  • § 823 BGB (Schadensersatzpflicht): Entsteht der Fehlbestand durch eine unerlaubte Handlung (z. B. Diebstahl, Unterschlagung), kommt eine Haftung nach Deliktsrecht in Betracht.
  • Vermögensbetreuungspflichten: Bei Fehlbeständen, die sich aus einer Pflicht zur besonderen Obhut über fremde Vermögenswerte ergeben (§ 266 StGB, Treuebruch), kann auch eine strafrechtliche Relevanz gegeben sein.

Vertragliche Sonderbereiche

  • Verwahrung (§§ 688 ff. BGB): Wird eine Sache zur Aufbewahrung übergeben, haftet der Verwahrer grundsätzlich für den Erhalt und die Rückgabe der Sache. Das Fehlen beim Rückgabezeitpunkt begründet die Vermutung eines schadensbedingten Fehlbestands.
  • Pacht und Mietverhältnisse: Im Rahmen der Pacht können Fehlbestände bei Rückgabe eine Pflichtverletzung und ggf. einen Schadensersatzanspruch auslösen.

Arbeitsrechtliche Aspekte

Im Arbeitsverhältnis sind Fehlbestände bei Mitarbeitern in sensiblen Bereichen wie Kassen oder Lagern ein häufiger Streitpunkt. Die Haftung richtet sich hier nach dem sog. innerbetrieblichen Schadensausgleich und dem Verschuldensprinzip. Eine Haftung des Arbeitnehmers für Fehlbestände liegt meist nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz vor. Die Beweislast über die Entstehung des Fehlbestands und dessen Verantwortlichkeit liegt beim Arbeitgeber.

Kassenführung und Verantwortlichkeit

Die sogenannte Kassenhaftung oder Kassendifferenzhaftung verlangt eine exakte Dokumentation, Aufzeichnung und Prüfung. Fehlbestände führen nur dann zu einer Haftung des Arbeitnehmers, wenn eine sorgfältige Kassenführung nicht nachgewiesen werden kann und betriebliche Sorgfaltspflichten verletzt wurden.

Strafrechtliche Dimensionen

Fehlbestände können strafrechtliche Konsequenzen haben, wenn Vermögenswerte widerrechtlich entzogen oder unterschlagen wurden. Zu den relevanten Straftatbeständen zählen:

  • Diebstahl (§ 242 StGB): Wenn Gegenstände vorsätzlich entwendet werden.
  • Unterschlagung (§ 246 StGB): Wenn anvertrautes Gut unrechtmäßig einbehalten oder verwendet wird.
  • Veruntreuung (§ 266 StGB): Bei Verstößen gegen Vermögensbetreuungspflichten und Treuepflichten.

Die Feststellung eines Fehlbestands ist häufig Ausgangspunkt strafrechtlicher Ermittlungen und ggf. arbeitsrechtlicher Kündigungen.

Handels- und steuerrechtliche Bedeutung

Im Handelsrecht spielt der Fehlbestand insbesondere im Rahmen der Inventur und Jahresabschlüsse nach §§ 240, 242 HGB eine Rolle. Fehlbestände, die zu einer Unterdeckung des Sollbestands führen, bedürfen einer buchhalterischen Korrektur und ggf. einer Erläuterung im Anhang des Jahresabschlusses. Ergibt sich der Fehlbestand aus Schwund oder Verderb, finden handelsrechtliche Vorschriften zur Bewertung Anwendung.

Im Steuerrecht wirken sich Fehlbestände auf die Bilanz und den steuerpflichtigen Gewinn aus. Fehlbestände benötigen eine plausible Dokumentation und können als Betriebsausgabe unter bestimmten Voraussetzungen steuermindernd geltend gemacht werden, sofern sie nicht auf privaten Entnahmen beruhen.

Melde- und Aufzeichnungspflichten

Gesetzliche Regelungen wie die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) und die Abgabenordnung (AO) verpflichten zur ordnungsgemäßen Erfassung und Dokumentation von Beständen. Fehlbestände stellen bei fehlender Dokumentation einen Verletzungstatbestand der Buchführungspflichten dar.

Verfahren bei Feststellung von Fehlbeständen

Feststellungsmethoden

  • Inventur: Physische Bestandsaufnahme und Abgleich mit Buchbeständen
  • Soll-Ist-Vergleich: Abgleich zwischen den Soll-Buchwerten und dem tatsächlich vorhandenen Bestand
  • Kassenprüfung: Abgleich der Kassenführung mit Kassenbelegen und Guthaben

Reaktions- und Korrekturmaßnahmen

Werden Fehlbestände entdeckt, folgen in der Praxis häufig folgende Maßnahmen:

  • Dokumentation und Ursachenanalyse
  • Anpassung der Buchführung
  • Einleitung interner oder externer Ermittlungen
  • Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen
  • Strafanzeige bei Verdacht auf deliktische Handlungen

Abgrenzung des Fehlbestands zu ähnlichen Begriffen

Fehlmenge, Manko, Schwund

Der Fehlbestand ist von geringfügigen Mengenabweichungen (Schwund), natürlichen Verlusten (Verderb, Ablauf) und technischen Defiziten (Manko) zu unterscheiden. Während der Fehlbestand regelmäßig einen gravierenden Unterschied zwischen Soll und Ist beschreibt, sind Schwund und Manko meist durch unvermeidbare, natürliche Prozesse verursacht und daher in der Regel kein Haftungstatbestand.

Inventurdifferenz

Eine Inventurdifferenz erfasst die Gesamtheit aller zwischen Soll- und Istbeständen feststellbaren Unterschiede, zu denen der Fehlbestand einen zentralen Teil bildet.

Literatur, Urteile und weiterführende Normen

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Handelsgesetzbuch (HGB)
  • Strafgesetzbuch (StGB)
  • Abgabenordnung (AO)
  • BAG, Urteil vom 18.07.2013, Az. 8 AZR 102/12 (zur Arbeitnehmerhaftung bei Kassenfehlbeständen)

Zusammenfassung:
Der Fehlbestand ist eine rechtlich umfassend definierte Abweichung zwischen tatsächlichen und buchmäßigen Vermögens- und Warenbeständen, deren Feststellung und Behandlung einer Vielzahl zivil-, arbeits-, handels- und strafrechtlicher Normen unterliegt. Die genaue rechtliche Bewertung hängt von der Ursache, dem Beteiligtenkreis sowie den zugrunde liegenden Vertrags- und Organisationsstrukturen ab. Eine präzise Dokumentation und rechtliche Einordnung sind für Haftung, Bilanzierung und mögliche Sanktionen entscheidend.

Häufig gestellte Fragen

Wer haftet rechtlich bei einem Fehlbestand in einem Unternehmen?

Für einen Fehlbestand in einem Unternehmen haftet grundsätzlich der Inhaber oder das Unternehmen selbst, sofern keine abweichenden Haftungsregelungen bestehen. Allerdings kann die Haftung auf einzelne Mitarbeiter übergehen, insbesondere wenn diesen grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz nachgewiesen werden kann. Im Arbeitsrecht wird zwischen einfacher Fahrlässigkeit, mittlerer Fahrlässigkeit und grober Fahrlässigkeit unterschieden. Bei reiner einfacher Fahrlässigkeit trägt in der Regel der Arbeitgeber den Fehlbestand, während bei grober Fahrlässigkeit der Arbeitnehmer unter Umständen vollumfänglich haften kann. Die Beweislast für das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung liegt jedoch beim Arbeitgeber. Zusätzlich können einzelvertragliche oder tarifliche Regelungen die Haftung modifizieren, was eine genaue Prüfung der jeweiligen Vertragswerke erforderlich macht.

Welche rechtlichen Verpflichtungen bestehen zur Dokumentation eines Fehlbestands?

Aus rechtlicher Sicht ergibt sich die Pflicht zur Dokumentation von Fehlbeständen insbesondere aus handels- und steuerrechtlichen Vorgaben, etwa gemäß §§ 238 ff. Handelsgesetzbuch (HGB) für Kaufleute. Danach sind vollständige und nachvollziehbare Aufzeichnungen über Bestandsveränderungen zu führen, auch um gegenüber dem Finanzamt Belegbarkeit zu gewährleisten. Zudem verlangen z. B. interne Kontrollsysteme und die GoBD (Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form) eine lückenlose Dokumentation, insbesondere wenn es um die Rekonstruktion von Fehlbeständen im Rahmen von Prüfungen oder Ermittlungen geht. Werden diese Pflichten verletzt, können steuerliche Nachteile, Bußgelder oder auch strafrechtliche Konsequenzen drohen.

Kann ein Fehlbestand einen Tatbestand der Unterschlagung erfüllen?

Ein Fehlbestand allein reicht nicht automatisch aus, um den Tatbestand der Unterschlagung zu erfüllen. Für eine strafrechtliche Verfolgung, zum Beispiel nach § 246 Strafgesetzbuch (StGB), muss ein vorsätzliches Zueignen fremder Sachen durch eine natürliche Person nachgewiesen werden. Das reine Feststellen eines Fehlbestands belegt jedoch nicht zweifelsfrei einen Vorsatz oder eine Veruntreuung. Erst wenn Ermittlungen konkrete Anhaltspunkte ergeben, dass ein Mitarbeiter sich den fehlenden Bestand widerrechtlich zugeeignet hat, wird der Straftatbestand erfüllt. In solchen Fällen ist eine sorgfältige Beweissicherung und gegebenenfalls die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens angezeigt.

Gibt es gesetzliche Meldepflichten bei der Feststellung eines Fehlbestands?

Für Unternehmen bestehen keine speziellen gesetzlichen Meldepflichten gegenüber Behörden bei der Feststellung eines Fehlbestands, sofern kein Verdacht auf eine Straftat vorliegt. Sollte jedoch der Verdacht auf Diebstahl, Unterschlagung oder eine andere strafbare Handlung bestehen, kann unter Umständen eine Strafanzeige zu erstatten sein – dies ist jedoch keine allgemeine Pflicht, sondern ergibt sich aus dem Einzelfall oder kann etwa bei Versicherungspflichten verlangt werden. Bei bestimmten staatlichen Einrichtungen, zum Beispiel im Bereich Lagerhaltung von Gefahrstoffen, können besondere Meldepflichten bestehen. Darüber hinaus können vertragliche oder branchenspezifische Vorgaben zusätzliche Meldepflichten begründen.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei unaufgeklärtem Fehlbestand?

Unaufgeklärte Fehlbestände können verschiedene rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Steuerrechtlich kann das Finanzamt bei ungewöhnlichen oder häufigen Fehlbeständen die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung infrage stellen und im Zweifel Hinzuschätzungen von Besteuerungsgrundlagen vornehmen. Im Zivilrecht kann ein Anspruch auf Schadensersatz gegen verantwortliche Mitarbeiter bestehen, wenn deren Fehlverhalten oder Pflichtverletzung nachweisbar ist. Kommt es im Rahmen einer Betriebsprüfung zu nicht nachvollziehbaren Fehlbeständen, können darüber hinaus Bußgelder oder im Falle von nachgewiesener Manipulation sogar strafrechtliche Konsequenzen daraus entstehen. Auch im Rahmen des Arbeitsrechts droht bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit eine außerordentliche Kündigung.

Welche Prüf- und Sicherungspflichten bestehen, um rechtlich Fehlbestände zu vermeiden?

Rechtlich sind Unternehmen verpflichtet, Organisations- und Kontrollmaßnahmen zu ergreifen, die Fehlbestände möglichst verhindern. Dies folgt aus allgemeinen Sorgfaltspflichten nach § 91 Abs. 2 Aktiengesetz (für AGs) bzw. aus Analogie für andere Rechtsformen, sowie aus § 130 OWiG, der die Aufsichtspflicht in Unternehmen konkretisiert. Dazu zählen u. a. regelmäßige Inventuren, das Vier-Augen-Prinzip, klare Zugriffsregelungen auf Lager und Kassen sowie dokumentierte Übergabeprozesse. Werden diese Pflichten verletzt, kann daraus ein Organisationsverschulden entstehen, das zu Schadensersatz- oder sogar Bußgeldforderungen führt. Zudem fordern zahlreiche Branchenstandards und interne Compliance-Richtlinien Maßnahmen zur Vorbeugung von Fehlbeständen, deren Nichteinhaltung ebenfalls rechtliche Risiken nach sich ziehen kann.