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Faktischer Konzern


Begriff und rechtliche Einordnung des Faktischen Konzerns

Der faktische Konzern ist ein im deutschen Gesellschaftsrecht etablierter Begriff zur Bezeichnung eines Unternehmensverbunds, bei dem ein herrschendes und ein abhängiges Unternehmen ohne einen entsprechenden Beherrschungsvertrag verbunden sind. Die relevante Regelung hierzu findet sich im Aktiengesetz (AktG), insbesondere in den Vorschriften der §§ 311 bis 313 AktG. Im Gegensatz zum Vertragskonzern, der auf ausdrücklichen (vertraglichen) Vereinbarungen gründet, basiert der faktische Konzern auf einer tatsächlichen einheitlichen Leitung oder Kontrolle durch ein herrschendes Unternehmen.

Abgrenzung und Systematik der Konzernarten

Vertragskonzern

Ein Vertragskonzern entsteht durch einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag gemäß §§ 291 ff. AktG. In diesem Fall gibt es einen rechtlich festgelegten Rahmen, innerhalb dessen das herrschende Unternehmen verbindlich Weisungen an das abhängige Unternehmen erteilen kann.

Faktischer Konzern

Im Unterschied dazu liegt beim faktischen Konzern kein solcher Vertrag vor. Die Abhängigkeit resultiert aus der tatsächlichen Möglichkeit einer einheitlichen Leitung. Dies geschieht typischerweise durch eine Mehrheitsbeteiligung oder durch sonstige Einflussmöglichkeiten, die zu einer konzernartigen Struktur führen.

Unterordnungskonzern und Gleichordnungskonzern

Es wird ferner zwischen Unterordnungskonzernen, in denen ein Unternehmen ein anderes beherrscht, und Gleichordnungskonzernen, die auf vertraglicher Zusammenarbeit beruhen, unterschieden. Der faktische Konzern bildet hierbei eine Unterform des Unterordnungskonzerns.

Rechtsgrundlagen des Faktischen Konzerns

Die rechtliche Behandlung des faktischen Konzerns ist in den §§ 17, 18, 311 AktG geregelt.

§ 17 AktG – Begriff des verbundenen Unternehmens

Gemäß § 17 Abs. 1 AktG gilt ein Unternehmen als abhängig, wenn ein anderes Unternehmen auf dieses unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss ausüben kann, in der Regel aufgrund einer Mehrheitsbeteiligung. Der Konzernbegriff umfasst gemäß § 18 Abs. 1 AktG rechtlich selbstständige Unternehmen, die unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind.

§ 311 Abs. 1 AktG – Schutz der Minderheitsaktionäre

§ 311 AktG schützt die Minderheitsaktionäre des abhängigen Unternehmens innerhalb eines faktischen Konzerns. Es wird untersagt, das abhängige Unternehmen zu einem Nachteil zu steuern, der nicht durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Dies betrifft insbesondere die Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre.

Rechtsprechung und Entwicklung

Die höchstrichterliche Rechtsprechung (insbesondere die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs) hat die Grundsätze zur Abgrenzung und Haftung im faktischen Konzern weiter konkretisiert. Demnach kann ein faktischer Konzern auch ohne formalen Vertrag vorliegen, wenn die tatsächlichen Umstände auf eine einheitliche Leitung schließen lassen.

Merkmale und Funktionsweise eines Faktischen Konzerns

Einheitliche Leitung

Das zentrale Merkmal des faktischen Konzerns ist die einheitliche Leitung. Eine solche Leitung liegt vor, wenn das herrschende Unternehmen in der Lage ist, entscheidenden Einfluss auf die Geschäftsführung des abhängigen Unternehmens auszuüben. Dies kann zum Beispiel durch Stimmrechtsmehrheiten, Einfluss auf die Geschäftsführung oder Präferenz bei wichtigen Entscheidungen geschehen.

Fehlen eines Beherrschungsvertrags

Im Unterschied zum Vertragskonzern besteht beim faktischen Konzern kein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag. Die Verbindung der Unternehmen erfolgt allein durch tatsächliche Einflussnahme und faktisches Handeln.

Weisungsrechte und deren Grenzen

Im faktischen Konzern existieren keine formalen Weisungsrechte wie beim Vertragskonzern. Die Einflussnahme erfolgt vielmehr informell, etwa durch Einfluss auf die Hauptversammlung oder den Aufsichtsrat.

Rechtsfolgen und Haftungsfragen im Faktischen Konzern

Innenhaftung gegenüber der abhängigen Gesellschaft

Im faktischen Konzern ist das herrschende Unternehmen dem abhängigen Unternehmen für Nachteile ersatzpflichtig, die diesem ohne Ausgleich zugefügt werden (§ 311 Abs. 2 AktG). Dies betrifft insbesondere konzerninterne Geschäfte oder Maßnahmen, die das Vermögen des abhängigen Unternehmens verringern.

Haftungsprivilegien des Vertragskonzerns gelten nicht

Die für den Vertragskonzern gültigen Haftungserleichterungen und Kontrollrechte (§§ 302-310 AktG) gelten im faktischen Konzern grundsätzlich nicht. Der faktische Konzern unterliegt dadurch strengeren Haftungsmaßstäben.

Klage- und Kontrollrechte der Aktionäre

Aktionäre des abhängigen Unternehmens erhalten im faktischen Konzern weitreichende Informations- und Klagerechte. Sie können Auskunft verlangen und gegebenenfalls im Fall eines Benachteiligungsvorwurfs Schadensersatz verlangen oder Unterlassungsklagen anstrengen.

Konzerninterne Verträge und fortlaufende Einflussausübung

Im faktischen Konzern bleibt grundsätzlich Raum für konzerninterne Verträge, sofern sie nicht die Schwelle zu einem Vertragskonzern überschreiten. Hierzu können beispielsweise Liefer- oder Darlehensverträge zählen, solange diese dem Drittvergleich standhalten.

Sonderkonstellationen im internationalen Zusammenhang

Im internationalen Kontext ist zu beachten, dass deutsche Konzernregelungen grundsätzlich nur auf in Deutschland registrierte Kapitalgesellschaften Anwendung finden. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten können sich weitere komplexe Fragen zur Anwendbarkeit und Durchsetzbarkeit der Vorschriften ergeben.

Abgrenzung zu anderen Unternehmensverbindungen

Wirtschaftliche Einheit versus rechtliche Selbstständigkeit

Während ein faktischer Konzern stets von einer wirtschaftlichen Einheit, aber rechtlicher Selbstständigkeit der beteiligten Unternehmen geprägt ist, kann eine Unternehmung auch ohne einheitliche Leitung zu einem bloßen Unternehmensverbund zählen. Maßgeblich ist hier stets die tatsächliche Einflussnahme.

Bedeutung in der Unternehmenspraxis

In der Praxis kommt dem faktischen Konzern vor allem bei börsennotierten Gesellschaften und institutionellen Beteiligungen eine große Bedeutung zu. Häufig wird auf Beherrschungsverträge verzichtet, um größere Flexibilität und geringeren Aufwand zu gewährleisten, zugleich bleiben die Kontrolle der Einflussnahme und der Schutz der Minderheitsaktionäre zentral.

Zusammenfassung

Der faktische Konzern ist eine bedeutende Figur des deutschen Gesellschaftsrechts, die eine Vielzahl rechtlicher Fragestellungen im Hinblick auf Leitungsmacht, Minderheitenschutz und Haftungsfragen aufwirft. Seine rechtliche Behandlung zielt auf einen effektiven Schutz der abhängigen Gesellschaft und deren Aktionäre ab, indem schädigende Einflussnahmen ohne Ausgleich verhindert oder sanktioniert werden. Wesentliche Grundlage bildet die tatsächliche Ausübung der Leitungsmacht, ergänzt um zahlreiche klärende Details durch Gesetzgebung und Rechtsprechung.

Weiterführende Literatur und Rechtsprechung

  • Aktiengesetz (AktG), insbesondere §§ 17, 18, 311-313
  • Bundesgerichtshof, verschiedene Grundsatzentscheidungen zum faktischen Konzern
  • Handbuch des Aktienrechts, verschiedene Autoren
  • Zeitschriftenaufsätze zum Konzernrecht

Dieser Artikel bietet eine umfassende Übersicht des Begriffs faktischer Konzern im Gesellschaftsrecht und beleuchtet vertiefend die rechtliche Systematik, die haftungsrechtlichen Konstellationen sowie die praktische Bedeutung für Unternehmensstrukturen.

Häufig gestellte Fragen

Wie unterscheidet sich die rechtliche Behandlung eines faktischen Konzerns von der eines Vertragskonzerns nach deutschem Aktienrecht?

Im deutschen Aktienrecht werden faktische Konzerne (§ 18 Abs. 1 S. 2 AktG) grundlegend anders behandelt als Vertragskonzerne (§ 291 AktG). Während bei Vertragskonzernen ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag die Grundlage bildet und diese Verträge der strengen gerichtlichen Kontrolle einschließlich einer Hauptversammlungszustimmung sowie einer Eintragung ins Handelsregister bedürfen, fehlt es beim faktischen Konzern an einer solchen formalisierten rechtlichen Vereinbarung. Die rechtliche Behandlung orientiert sich daher beim faktischen Konzern an der tatsächlichen Ausübung eines beherrschenden Einflusses durch das herrschende Unternehmen auf das abhängige Unternehmen. Dies macht die Feststellung eines faktischen Konzerns oftmals schwieriger, denn ein beherrschender Einfluss kann auch ohne Kapitalmehrheit oder ohne sichtbare vertragliche Grundlage bestehen, etwa durch wirtschaftliche Abhängigkeiten oder personelle Verflechtungen. Die Schutzmechanismen zugunsten der Minderheitsaktionäre und Gläubiger sind bei faktischen Konzernen in erster Linie im Rahmen von § 311 AktG (Verbot der Benachteiligung der abhängigen Gesellschaft) und § 317 AktG (Ersatzpflicht wegen Nachteilszufügung) geregelt und bieten lediglich nachlaufende Korrekturmöglichkeiten, wohingegen beim Vertragskonzern bereits präventiv Schutzmechanismen existieren.

Welche Rechte haben Minderheitsaktionäre im faktischen Konzern und wie können sie diese geltend machen?

Minderheitsaktionäre einer abhängigen Gesellschaft in einem faktischen Konzern stehen in einer besonders schutzwürdigen Position, da sie potenziell durch die Einflussnahme des herrschenden Unternehmens benachteiligt werden können, ohne von den formalisierten Schutzinstrumenten eines Vertragskonzerns (z.B. Ausgleichszahlungen, Abfindungsrechte) zu profitieren. Ihr Schutz ergibt sich insbesondere aus dem Verbot der Benachteiligung gemäß § 311 AktG. Werden Rechte oder Interessen von Minderheitsaktionären im Zuge eines beherrschenden Einflusses verletzt, so stehen ihnen Individualklagebefugnisse zu. Dazu zählt etwa die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen das herrschende Unternehmen oder gegen Organmitglieder beider Unternehmen. Ansprüche können im Wege der sogenannten actio pro socio gemäß §§ 317 ff. AktG (insb. § 318 AktG) erhoben werden, sodass auch einzelne Aktionäre Klage erheben können, wenn die Organe der abhängigen Gesellschaft untätig bleiben. Zudem kann die Hauptversammlung den Jahresabschluss nur mit einfacher Mehrheit feststellen, wenn ein Vorteilsausgleich zu Gunsten der abhängigen Gesellschaft beschlossen wird.

Welche Rolle spielt der Abhängigkeitsbericht im faktischen Konzern und welche Konsequenzen hat dessen Unvollständigkeit?

Der Vorstand der abhängigen Gesellschaft ist nach § 312 AktG verpflichtet, einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen, wenn ein beherrschender Einfluss besteht. Dieser Bericht muss sämtliche Rechtsgeschäfte und Maßnahmen dokumentieren, bei denen auf Veranlassung oder im Interesse des herrschenden Unternehmens gehandelt wurde. Eine unvollständige oder fehlerhafte Berichterstattung kann gravierende rechtliche Konsequenzen zur Folge haben. Insbesondere drohen Vorstandshaftung zum Schadensersatz gemäß § 317 AktG sowie strafrechtliche Konsequenzen nach § 400 AktG. Die Berichtspflicht dient der Transparenz und Kontrolle, da der Bericht vom Aufsichtsrat geprüft, bei Zweifeln ein Sonderprüfer bestellt und der Bericht zusammen mit dem Prüfungsbericht offen gelegt werden muss. Aktionäre erhalten somit die Möglichkeit, etwaige Pflichtverletzungen oder Nachteilszufügungen aufzudecken und Schadenersatz geltend zu machen.

Wann liegt ein beherrschender Einfluss im Sinne eines faktischen Konzerns vor?

Ein beherrschender Einfluss im Sinne eines faktischen Konzerns wird nicht nur durch Mehrheitsbesitz von Aktien begründet, sondern kann auch aus anderen tatsächlichen Umständen resultieren, die eine einheitliche Leitung der abhängigen Gesellschaft durch das herrschende Unternehmen ermöglichen. Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse, etwa wenn die abhängige Gesellschaft in zentralen Geschäftsbereichen auf Weisungen oder Interessen des herrschenden Unternehmens ausgerichtet wird oder personelle Überschneidungen im Vorstand bzw. Aufsichtsrat bestehen, die einen solchen Einfluss ermöglichen. Entscheidend ist, dass die abhängige Gesellschaft ihren eigenen unternehmerischen Entscheidungsspielraum im Wesentlichen verliert. Die Rechtsprechung legt dabei hohe Anforderungen an die Feststellung eines beherrschenden Einflusses; bloße wirtschaftliche Abhängigkeit oder Überschneidung in einzelnen Interessen genügt nicht. Es bedarf konkreter Anhaltspunkte, die eine dauerhafte und umfassende Einflussnahme erkennen lassen.

Welche Haftungsregelungen gelten im faktischen Konzern für das herrschende Unternehmen?

Im faktischen Konzern ist das herrschende Unternehmen grundsätzlich nicht gesamtschuldnerisch für sämtliche Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft haftbar. Allerdings ergibt sich eine Haftung nach § 317 AktG für Schäden, die der abhängigen Gesellschaft durch unzulässige Einflussnahme oder pflichtwidrige Weisungen zugefügt wurden. Voraussetzung hierfür ist ein schuldhaftes Verhalten (mindestens Fahrlässigkeit) und ein kausaler Zusammenhang zwischen Einflussnahme und entstandenem Schaden. Neben dem herrschenden Unternehmen haften auch die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der abhängigen Gesellschaft, sofern sie infolge der Weisung eine Pflichtverletzung begangen haben. Die Ersatzpflicht betrifft insbesondere Fälle, in denen die abhängige Gesellschaft unübliche Nachteile erleidet, z. B. durch unangemessene Geschäftsführungsmaßnahmen oder verlustreiche Geschäfte im Interesse des herrschenden Unternehmens.

Welche Möglichkeiten der gerichtlichen Durchsetzung bestehen bei Verstößen im faktischen Konzern?

Bei Pflicht- oder Gesetzesverstößen im Rahmen eines faktischen Konzerns können betroffene Gesellschafter oder Aktionäre gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Sie haben insbesondere die Möglichkeit einer Schadensersatzklage gegen das herrschende Unternehmen nach § 317 AktG. Statt des Vorstands oder Aufsichtsrats der abhängigen Gesellschaft kann – unter den Voraussetzungen des § 318 AktG – auch eine Minderheit der Aktionäre auf Klageerhebung drängen oder diese selbst einreichen. Darüber hinaus kann auf Antrag eine Sonderprüfung (§§ 142, 315 AktG) erfolgen, falls Zweifel an den in den Abhängigkeitsbericht aufgenommenen Angaben bestehen. Im Fall existenzbedrohender Nachteile oder Pflichtverstöße kann auch eine Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen geprüft werden. Die rechtlichen Möglichkeiten sind vielschichtig und dienen dem Zweck, sowohl das Vermögen der abhängigen Gesellschaft als auch die Rechte der Minderheitsaktionäre effektiv zu schützen.

Gibt es Unterschiede im Konzernrecht hinsichtlich des Schutzes von Gläubigern zwischen faktischem und Vertragskonzern?

Im Unterschied zum Vertragskonzern, in dem Gläubigerschutz über eine Patronatserklärung, Abfindung, Ausgleichszahlungen oder spezielle Sicherheiten im Rahmen des Unternehmensvertrages geregelt sein kann, ist der Schutz der Gläubiger im faktischen Konzern weitaus weniger ausgeprägt und erfolgt hauptsächlich nachträglich über die Haftungsregelungen aus § 317 AktG. Da keine umfassende gesamtschuldnerische Haftung oder Einstandspflicht des herrschenden Unternehmens gegenüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft besteht, bleibt für Gläubiger vorwiegend die Möglichkeit, bei nachgewiesener Nachteilsfügung durch das herrschende Unternehmen Schadensersatz geltend zu machen. Eine Sonderregelung für die Insolvenzsituation sieht das Gesetz nicht explizit vor, sodass im Regelfall die allgemeinen Insolvenzvorschriften zur Anwendung kommen. Dies kann die Rechtsposition der Gläubiger im faktischen Konzern gegenüber dem Vertragskonzern schwächen.