Legal Lexikon

EWIV


Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV)

Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), französisch „Groupement européen d’intérêt économique“ (GEIE), ist eine supranationale Gesellschaftsform, die zur Schaffung eines rechtlichen Rahmens für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Unternehmen innerhalb der Europäischen Union (EU) geschaffen wurde. Die Rechtsgrundlage für die EWIV bildet die Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung.

Begriffsbestimmung und Zielsetzung der EWIV

Die EWIV ist eine Vereinigung mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen oder sonstiger Einrichtungen aus mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ziel ist es, die wirtschaftliche Tätigkeit ihrer Mitglieder zu fördern und zu erleichtern, ohne dass die EWIV selbst eine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt.

Im Unterschied zu Kapitalgesellschaften steht bei der EWIV die Förderung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen im Vordergrund, während die Mitglieder ihre unternehmerische Eigenständigkeit beibehalten.

Rechtsgrundlagen

EU-Verordnung Nr. 2137/85 (EWG)

Die maßgebliche Rechtsgrundlage für die EWIV ist die VO (EWG) Nr. 2137/85. Diese Verordnung ist in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar und regelt die Gründung, Struktur, Rechte und Pflichten sowie Beendigungsmodalitäten der EWIV.

Nationale Umsetzung und Ergänzungen

Die Verordnung wird durch die jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetze ergänzt. In Deutschland erfolgte die nationale Regelung durch das Gesetz zur Ausführung der EG-Verordnung über die EWIV (EWIV-Ausführungsgesetz, EWIVAG), in Österreich durch das EWIV-Ausführungsgesetz und in weiteren Mitgliedstaaten durch entsprechende Bestimmungen.

Gründung einer EWIV

Voraussetzungen

Eine EWIV kann von mindestens zwei Unternehmen, natürlichen oder juristischen Personen errichtet werden, die ihren Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten der EU haben. Zulässig ist auch die Beteiligung von Vereinigungen oder sonstigen Organisationen des öffentlichen oder privaten Rechts.

Gründungsverfahren

Die EWIV entsteht grundsätzlich durch einen schriftlichen Vertrag, der bestimmte Pflichtangaben enthalten muss (u. a. Name, Sitz, Gegenstand der Vereinigung, Mitglieder, Dauer). Der Sitz der EWIV muss innerhalb der EU liegen und ist frei wählbar, jedoch nicht notwendig identisch mit dem Verwaltungssitz.

Eintragungspflicht

Die ordnungsgemäße Gründung verlangt zudem die Eintragung der EWIV in das jeweils zuständige Register des Sitzstaates. Erst mit der Eintragung erlangt die EWIV ihre Rechtsfähigkeit. In Deutschland wird die EWIV beim Handelsregister eingetragen.

Rechtsfähigkeit und Vertretung

Die EWIV besitzt Rechtsfähigkeit, kann also unter ihrem Namen Rechte erwerben und Pflichten eingehen, als Partei vor Gerichten auftreten sowie Eigentum und sonstige Vermögensrechte halten.

Die Vertretung der EWIV nach außen obliegt den nach Vertrag oder Gesetz berufenen Organen, in der Regel den Geschäftsführern oder einem Verwaltungsausschuss.

Haftung und Verantwortlichkeit

Grundsatz der unbeschränkten, gesamtschuldnerischen Haftung

Die Mitglieder einer EWIV haften im Regelfall unbeschränkt, gesamtschuldnerisch und unmittelbar für die Verbindlichkeiten der EWIV. Dies bedeutet, dass Gläubiger unmittelbar an die Mitglieder herantreten können, sollten die Vermögenswerte der EWIV nicht ausreichen.

Haftungsausschlüsse und -beschränkungen

Vertragliche oder statutarische Haftungsbeschränkungen gegenüber Dritten sind grundsätzlich unwirksam. Ein Mitglied kann sich lediglich im Innenverhältnis zu anderen Mitgliedern auf Haftungsbeschränkungen berufen.

Organe der EWIV

Die wichtigsten Organe einer EWIV sind:

  • Versammlung der Mitglieder: Höchstes Organgesetz der EWIV, entscheidungsbefugt über wesentliche Grundsatzangelegenheiten, einschließlich Änderung der Satzung und Auflösung der Gesellschaft.
  • Geschäftsführung/Verwaltung: Verantwortlich für die laufende Geschäftsführung und Vertretung der EWIV nach außen.

Die organisatorischen Einzelheiten sind im Gründungsvertrag oder der Satzung der jeweiligen EWIV geregelt, wobei die EU-Verordnung lediglich Mindeststandards vorgibt.

Steuern und Rechnungslegung

Steuerliche Behandlung

Die EWIV ist steuertransparent ausgestaltet, das bedeutet, sie erzielte Gewinne oder Verluste werden unmittelbar den Mitgliedern zugerechnet und nach deren jeweiliger Steuerpflicht bei diesen versteuert. Die EWIV selbst ist nicht körperschaftsteuerpflichtig, unterliegt jedoch anderen Abgaben, wie etwa der Umsatzsteuer, je nach nationaler Umsetzung.

Buchführung und Jahresabschluss

Die EWIV ist zur ordnungsgemäßen Buchführung und zur Erstellung eines Jahresabschlusses verpflichtet. Diese Unterlagen sind, abhängig vom Sitzstaat, im jeweiligen Register offenzulegen.

Beendigung der EWIV

Gründe und Verfahren der Auflösung

Die Beendigung einer EWIV kann aus verschiedenen Gründen erfolgen, etwa durch Ablauf der im Gründungsvertrag bestimmten Dauer, durch Beschluss der Mitglieder oder durch gerichtliche Entscheidung (z. B. wegen Verlustes des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstandes).

Im Falle der Auflösung erfolgt die Liquidation der EWIV nach den jeweils anwendbaren rechtlichen Vorgaben und den Regelungen im Gesellschaftsvertrag.

Anwendungsbereiche der EWIV

EWIVen werden in der Praxis überwiegend von kleinen und mittleren Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Dienstleistern genutzt, um gemeinsame Projekte, Forschungsvorhaben oder grenzüberschreitende Dienstleistungen zu realisieren. Besonders in Bereichen wie Technologiekooperation, Industrieforschung und internationale Handelsvermittlung findet die EWIV Anwendung.

Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsformen

Die EWIV unterscheidet sich von Kapitalgesellschaften wie der GmbH oder der AG insbesondere durch

  • die Förderung gemeinsamer Zwecke ohne eigene Gewinnerzielungsabsicht,
  • die persönliche, unbeschränkte Haftung der Mitglieder,
  • steuerliche Transparenz,
  • grenzüberschreitenden Charakter.

Rechtsprechung und Praxis

Die Rechtsprechung einzelner EU-Staaten und des Europäischen Gerichtshofs spielt eine zunehmende Rolle bei der Auslegung und Anwendung der EWIV-Verordnung. Dabei rücken Fragen der Haftung, des Wettbewerbsrechts und der steuerlichen Behandlung immer wieder in den Fokus.

Bedeutung und Bewertung

Die EWIV ist als flexibles und rechtlich klar strukturiertes Instrument ein bedeutender Baustein der europäischen Wirtschaftsintegration. Sie begünstigt die Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg, erhält jedoch die Eigenständigkeit ihrer Mitglieder. Aufgrund der unbeschränkten Mitgliederhaftung ist eine sorgfältige Vertragsgestaltung und Risikoprüfung unerlässlich.


Literaturverzeichnis und weiterführende Links:

Dieser Artikel bietet einen umfassenden rechtlichen Überblick über die EWIV und ihre praktische Bedeutung im europäischen Wirtschaftsrecht.

Häufig gestellte Fragen

In welchem rechtlichen Rahmen wird die EWIV gegründet und welche Rechtsquellen sind maßgeblich?

Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) wird auf Grundlage der Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung geregelt. Diese Verordnung ist in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbar anwendbar und legt die Grundsatzregelungen, insbesondere zu Gründung, Organen, Haftung, Geschäftszweck und Beendigung der EWIV fest. Ergänzend gilt nationales Recht derjenigen Mitgliedstaaten, in denen die EWIV ihren Sitz hat, soweit die Verordnung explizit darauf verweist oder Lücken bestehen. Das betrifft insbesondere Aspekte wie Steuerrecht, Arbeitsrecht oder Registervorschriften. Maßgeblich ist somit eine Kombination aus EU-Rechtsakt und nationalen Regulierungen, was eine sorgfältige Rechtsprüfung bei der Gründung und Führung der EWIV notwendig macht.

Wie gestaltet sich die Haftung der Mitglieder einer EWIV aus rechtlicher Sicht?

Die Mitglieder der EWIV haften grundsätzlich unbeschränkt und gesamtschuldnerisch für die Schulden der EWIV. Dies bedeutet, dass im Falle von Außenverbindlichkeiten Gläubiger sich grundsätzlich an sämtlichen Mitgliedern der Vereinigung – notfalls auch an einzelnen vollständig – schadlos halten können. Die EWIV besitzt keine eigenständige „Haftungsmasse“, wie etwa eine Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH oder AG), sondern ist vielmehr eine Rechtsform mit rein ergänzendem Zweckcharakter, die die Haftung voll auf die Mitglieder überträgt. Die Haftung tritt allerdings subsidiär ein, das heißt, vorrangig haftet zunächst das Vermögen der EWIV; reicht dieses jedoch nicht aus, greifen die Gläubiger auf das persönliche Vermögen der Mitglieder zurück. Eine Begrenzung oder vertragliche Beschränkung der gesetzlichen Haftungsregelung ist Dritten gegenüber regelmäßig nicht zulässig.

Welche Anforderungen gelten rechtlich an den Sitz und die Tätigkeit einer EWIV?

Gemäß der EWIV-Verordnung muss der offizielle Sitz der EWIV innerhalb der Europäischen Union liegen, und es ist erforderlich, dass die EWIV mindestens Tätigkeiten ausübt, die über die Grenzen von mindestens zwei Mitgliedstaaten hinausgehen. Die EWIV dient explizit der grenzübergreifenden Zusammenarbeit und darf keine Tätigkeiten ausführen, die ausschließlich auf einen Mitgliedstaat beschränkt sind. Der tatsächliche Verwaltungssitz (Ort der Geschäftsleitung und Administration) muss identisch mit dem offiziellen Sitz sein und ebenfalls in einem EU-Mitgliedstaat liegen. Der Wechsel des Sitzes innerhalb der EU ist möglich, bleibt jedoch an enge rechtliche Vorgaben gebunden, etwa bezüglich der Eintragung und Bekanntmachung im jeweiligen Handelsregister oder Unternehmensregister sowie der Information der Gläubiger.

Unterliegt die EWIV einer Publizitätspflicht? Falls ja, welche Regelungen sind zu beachten?

Ja, die EWIV ist nach den Vorgaben der EWIV-Verordnung verpflichtend in das jeweilige Handels- bzw. Gesellschaftsregister des Sitzlandes einzutragen. Nach der Eintragung sind zentrale Angaben, wie Name, Sitz, Zweck, Mitglieder sowie die vertretungsberechtigten Personen, in den vorgeschriebenen Publikationsorganen zu veröffentlichen. Veränderungen, wie Wechsel von Mitgliedern, Geschäftsführern, Satzungsänderungen oder Sitzverlegungen, sind ebenfalls anmelde- und veröffentlichungspflichtig. Die jeweiligen nationalen Gesetze legen fest, in welcher Form und in welchem Register die Eintragung zu erfolgen hat (etwa im Handelsregister in Deutschland oder dem Registre du commerce in Frankreich). Die Publizität dient dabei dem Gläubigerschutz und der rechtlichen Transparenz.

Wie ist die Steuerpflicht einer EWIV aus rechtlicher Perspektive gestaltet?

Die EWIV selbst ist nach EU-Vorgabe grundsätzlich transparent konzipiert und soll als solche kein Steuersubjekt sein. Das bedeutet, dass Gewinne beziehungsweise Verluste der EWIV unmittelbar den Mitgliedern zugerechnet werden („Transparenzprinzip“) und auf Ebene der Mitglieder nach den jeweils anwendbaren nationalen Steuerregelungen besteuert werden. Eine eigenständige Körperschaftsteuer- oder Gewerbesteuerpflicht der EWIV ist grundsätzlich nicht vorgesehen, es sei denn, nationales Recht des Sitzstaates bestimmt etwas anderes; dies ist in bestimmten Staaten mitunter der Fall, sodass hier eine genaue Prüfung der nationalen Regelungen unumgänglich ist. Umsatzsteuerliche Fragen richten sich ebenfalls nach dem Tätigkeitsfeld und werden im Sitzstaat der EWIV sowie gegebenenfalls zusätzlich auf Ebene der Mitglieder geprüft.

Besteht für die EWIV eine Beschränkung hinsichtlich ihrer Tätigkeitsfelder?

Ja, die Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 sieht strikte Tätigkeitsbeschränkungen für die EWIV vor: Eine EWIV darf selbst keine originär gewerbliche Tätigkeit betreiben, sondern ausschließlich den Zweck verfolgen, die wirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Mitglieder zu fördern oder zu erleichtern. Insbesondere ist es der EWIV untersagt, Gewinne zu erzielen, die darüber hinausgehen, die Unkosten und erforderlichen Auslagen zu decken; sie darf keine eigene Beteiligung an den Kapitalmärkten eingehen, keine Arbeitskraft direkt für andere als ihre Mitglieder stellen und keine Einflussnahme auf die Leitung oder Kontrolle von Mitgliedsunternehmen ausüben. Ziel ist stets die Ergänzung und Unterstützung der wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder, nicht jedoch eigenständige Marktteilnahme.

Inwiefern ist die Kündigung oder der Ausschluss von Mitgliedern rechtlich geregelt?

Der rechtliche Rahmen zur Kündigung oder zum Ausschluss von Mitgliedern ist in der EWIV-Verordnung und ergänzend im Gründungsvertrag festgelegt. Jedes Mitglied kann grundsätzlich unter Einhaltung einer im Gründungsvertrag definierten Kündigungsfrist austreten, sofern diese nicht entgegen der Satzung oder aufgrund laufender Verpflichtungen ausgeschlossen ist. Der Ausschluss eines Mitglieds kann entweder nach Maßgabe des Gründungsvertrags oder – sollte eine solche Regelung fehlen – aus wichtigem Grund erfolgen, wobei ein wichtiger Grund insbesondere bei wiederholten Pflichtverletzungen, Insolvenz oder sonstigen schwerwiegenden Verstößen vorliegt. Der Ausschluss ist dem betroffenen Mitglied begründet mitzuteilen, und dieses hat in der Regel das Recht, sich zu verteidigen. Die Mitgliedschaft endet, sobald der Austritt wirksam oder der Ausschluss rechtskräftig ist. Die Eintragung ins Register und ggf. erforderliche Publikationen sind gesetzlich vorgeschrieben.