Begriff und Zweck der EWIV
Die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV, englisch: European Economic Interest Grouping – EEIG) ist eine eigenständige, grenzüberschreitende Organisationsform des europäischen Wirtschaftsrechts. Sie dient dazu, die wirtschaftliche Tätigkeit ihrer Mitglieder zu erleichtern und zu fördern, ohne selbst einen von den Mitgliedern unabhängigen Gewinnzweck zu verfolgen. Die EWIV ist darauf angelegt, unterstützende Aufgaben für ihre Mitglieder zu übernehmen, etwa durch gemeinsame Beschaffung, Vermarktung, Forschung, Dienstleistungen oder Koordinierung.
Wesentliche Merkmale
- Rechtsfähige Organisationsform mit eigenem Namen und Sitz innerhalb der Europäischen Union
- Grenzüberschreitender Charakter: Zusammenschluss von Mitgliedern aus mindestens zwei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten
- Hilfs- und Förderfunktion gegenüber den Tätigkeiten der Mitglieder; keine eigenständige auf Dauer angelegte Gewinnerzielung
- Firmierung mit dem Zusatz „EWIV“
- Keine Mindestkapitalanforderung
- Hohe Flexibilität der internen Organisation im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben
Rechtliche Einordnung und Grundlagen
Die EWIV ist ein unionsweit harmonisiertes Rechtsgebilde, das auf einem EU-Rechtsakt beruht und in den Mitgliedstaaten durch nationale Vorschriften ergänzt wird. Dadurch wird die grenzüberschreitende Zusammenarbeit rechtssicher gestaltet, während Einzelheiten der Ausgestaltung – etwa zur Registrierung, Rechnungslegung oder Publizität – dem Recht des Sitzstaates der EWIV unterliegen.
Persönlicher und räumlicher Anwendungsbereich
Mitglieder können Unternehmen, andere Rechtsträger sowie natürliche Personen sein, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Voraussetzung ist der Zusammenschluss von Mitgliedern aus mindestens zwei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Der satzungsmäßige Sitz der EWIV befindet sich in einem EU-Mitgliedstaat und bestimmt regelmäßig das anwendbare Gesellschafts- und Registerrecht.
Gründung und Registrierung
Gründungsvoraussetzungen
- Schriftlicher Gründungsvertrag (Satzung) mit Angaben insbesondere zu Name, Sitz, Gegenstand, Dauer und interner Organisation
- Mindestens zwei Mitglieder aus unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten
- Eintragung in das zuständige öffentliche Register am Sitz der EWIV
Die Rechtsfähigkeit entsteht durch die Eintragung. Die Gründung ist auf Publizität angelegt, um Rechtsklarheit gegenüber Dritten zu gewährleisten.
Firma und Sitz
Die Bezeichnung der Vereinigung muss den Zusatz „EWIV“ enthalten. Der Sitz kann innerhalb der Europäischen Union verlegt werden; die Kontinuität der Rechtspersönlichkeit bleibt dabei gewahrt, wenn die formellen Voraussetzungen des Sitzwechsels eingehalten werden.
Publizität
Registereintragungen und wesentliche Änderungen (z. B. zu Geschäftsführern, Sitz, Gegenstand) unterliegen Bekanntmachungs- und Offenlegungspflichten nach dem Recht des Sitzstaates. Das dient der Transparenz im Rechtsverkehr.
Organisation und interne Ordnung
Organe
Das interne Organisationsmodell ist schlank. Zentrale Rolle haben die Mitglieder und die Geschäftsführung.
Mitglieder und Beschlussfassung
Die Mitglieder treffen grundlegende Entscheidungen. Für wesentliche Strukturfragen ist regelmäßig Einstimmigkeit vorgesehen (z. B. Änderungen des Gegenstands, Aufnahme neuer Mitglieder, grundlegende Vertragsänderungen), während laufende Angelegenheiten nach den vereinbarten Mehrheitsregeln entschieden werden können.
Geschäftsführung und Vertretung
Ein oder mehrere Geschäftsführer führen die laufenden Geschäfte und vertreten die EWIV nach außen. Umfang und Beschränkungen der Vertretungsmacht ergeben sich aus dem Gründungsvertrag und der Registerpublizität. Dritte dürfen grundsätzlich auf die im Register bekannt gemachten Vertretungsverhältnisse vertrauen.
Mitgliedschaft
Beitritt und Ausscheiden richten sich nach dem Gründungsvertrag und dem Recht des Sitzstaates. Die Mitgliedschaft ist personengebunden; die Übertragung bedarf regelmäßig der Zustimmung. Das Ausscheiden wirkt sich auf die Haftung für während der Mitgliedschaft begründete Verbindlichkeiten aus; Näheres bestimmt das anwendbare Recht.
Tätigkeitsrahmen und Beschränkungen
Die EWIV ist als Unterstützungsvehikel für ihre Mitglieder konzipiert. Sie soll die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder erleichtern oder entwickeln. Sie übernimmt typischerweise ergänzende Aufgaben und darf nicht die Leitung oder Kontrolle der Unternehmenstätigkeit ihrer Mitglieder an sich ziehen. Eigene, von den Mitgliedern losgelöste Gewinnerzielung ist nicht Zweck der EWIV.
Wettbewerbsrechtliche Grenzen
Kooperationen innerhalb einer EWIV müssen die Wettbewerbsregeln beachten. Insbesondere dürfen Absprachen oder Strukturen, die den Wettbewerb spürbar beschränken, nicht etabliert werden. Zulässig sind Zusammenarbeit und Ressourcenteilung, soweit diese den Wettbewerb nicht verfälschen.
Auftreten im Wirtschaftsverkehr
Die EWIV kann unter ihrer Firma Verträge schließen, am öffentlichen Beschaffungswesen teilnehmen und gegenüber Dritten auftreten. Ihre Fähigkeit, Rechte zu erwerben, Verbindlichkeiten einzugehen und vor Behörden oder Gerichten aufzutreten, folgt aus ihrer Rechtsfähigkeit nach dem Recht des Sitzstaates.
Haftung und Vermögen
Die EWIV verfügt über ein eigenes Vermögen. Gegenüber Gläubigern haftet vorrangig die EWIV mit ihrem Vermögen. Soweit dieses nicht ausreicht, haften die Mitglieder im Regelfall unbeschränkt und gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der EWIV. Intern gelten Ausgleichsregeln nach dem Gründungsvertrag; divergierende Beiträge oder Nutzungen können dabei berücksichtigt werden.
Rechnungslegung und Transparenz
Die EWIV ist zur ordnungsgemäßen Buchführung verpflichtet. Jahresabschlüsse sind nach dem Recht des Sitzstaates aufzustellen und in der Regel offenzulegen. Umfang und Detaillierung der Rechnungslegung orientieren sich an den im Sitzstaat vorgesehenen Vorgaben für vergleichbare Vereinigungen.
Steuerliche Einordnung
Die EWIV ist auf die Förderung der Mitglieder ausgerichtet; wirtschaftliche Ergebnisse werden den Mitgliedern zugerechnet. Die steuerliche Behandlung richtet sich nach dem Recht des Sitzstaates und dem Steuerrecht der beteiligten Mitglieder. In vielen Rechtsordnungen wird die EWIV als steuerlich transparent behandelt, sodass Gewinne und Verluste auf Ebene der Mitglieder erfasst werden. Grenzüberschreitende Sachverhalte können eine Zuordnung der Ergebnisse nach nationalen und unionsrechtlichen Regeln erforderlich machen.
Beendigung, Auflösung und Insolvenz
Die EWIV kann aus den im Gründungsvertrag vorgesehenen Gründen, durch Zeitablauf, durch Beschluss der Mitglieder oder aus gesetzlichen Gründen aufgelöst werden. Es folgt eine Abwicklung (Liquidation), in der die laufenden Geschäfte beendet, Vermögenswerte verwertet und Verbindlichkeiten erfüllt werden. Insolvenzverfahren richten sich nach dem Recht des Sitzstaates; die grenzüberschreitende Wirkung bestimmt sich nach den einschlägigen unionsrechtlichen und nationalen Vorschriften.
Abgrenzung zu anderen Rechtsformen
- Gegenüber Personengesellschaften: ähnlich flexible Struktur und persönliche Haftung der Mitglieder, jedoch mit klarem grenzüberschreitendem Bezug und unionsrechtlicher Prägung
- Gegenüber Kapitalgesellschaften: keine Mindestkapitalanforderung, Hilfsfunktion ohne eigenständigen Gewinnzweck, grundsätzlich persönliche Mitgliederhaftung
- Gegenüber Genossenschaften: keine auf Dauer angelegte gemeinschaftliche Geschäftstätigkeit für eigene Zwecke, sondern Förderung der Mitgliederaktivitäten
- Gegenüber der Europäischen Gesellschaft (SE): andere Zielrichtung; die EWIV dient der Kooperation, die SE ist eine eigenständige Kapitalgesellschaft
Häufig gestellte Fragen
Was ist der rechtliche Zweck einer EWIV?
Der Zweck besteht darin, die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder zu erleichtern oder zu entwickeln. Die EWIV verfolgt selbst keinen eigenständigen, von den Mitgliedern losgelösten Gewinnzweck; vielmehr dient sie der Unterstützung und Koordinierung gemeinsamer Aktivitäten.
Wer kann Mitglied einer EWIV werden?
Mitglied werden können Unternehmen, sonstige Rechtsträger sowie natürliche Personen mit wirtschaftlicher Tätigkeit. Erforderlich ist, dass die Mitglieder aus mindestens zwei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten stammen.
Wie entsteht die Rechtsfähigkeit einer EWIV?
Die Rechtsfähigkeit entsteht durch Eintragung in das zuständige öffentliche Register des Sitzstaates. Grundlage ist ein schriftlicher Gründungsvertrag, der insbesondere Firma, Sitz, Gegenstand, Dauer und interne Organisation regelt.
Wie ist die Haftung gegenüber Dritten ausgestaltet?
Primär haftet die EWIV mit ihrem eigenen Vermögen. Reicht dieses nicht aus, haften die Mitglieder in der Regel unbeschränkt und gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der EWIV; Näheres ergibt sich aus dem anwendbaren Recht und dem Gründungsvertrag.
Benötigt eine EWIV ein Mindestkapital?
Ein gesetzliches Mindestkapital ist nicht vorgesehen. Beiträge und Ressourcen der Mitglieder werden im Gründungsvertrag festgelegt und dienen der Erfüllung des Förderzwecks.
Darf eine EWIV Arbeitnehmer beschäftigen?
Die EWIV kann Personal beschäftigen, soweit dies zur Erfüllung ihres Förderzwecks erforderlich ist. Die Personalaufnahme hat sich an die rechtlichen Grenzen der EWIV und an das Arbeitsrecht des Sitzstaates zu halten.
Kann der Sitz einer EWIV verlegt werden?
Eine Sitzverlegung innerhalb der Europäischen Union ist möglich. Sie erfolgt nach einem formalisierten Verfahren und wahrt die rechtliche Identität der EWIV, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Wie werden Gewinne und Verluste behandelt?
Wirtschaftliche Ergebnisse der EWIV werden den Mitgliedern zugerechnet. Die konkrete Behandlung – einschließlich steuerlicher Aspekte – richtet sich nach dem Recht des Sitzstaates und den Regelungen des Gründungsvertrags.