Einführung zur Europäischen Erbrechtsverordnung
Die Europäische Erbrechtsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 650/2012), auch bekannt als EuErbVO, regelt seit dem 17. August 2015 grenzüberschreitende Erbfälle innerhalb der Europäischen Union. Ziel dieser Verordnung ist die Vereinheitlichung und Vereinfachung der Nachlassabwicklung mit Auslandsbezug. Durch die EuErbVO werden sowohl das anwendbare Erbrecht als auch die internationale Zuständigkeit der Gerichte und die Anerkennung, Vollstreckung und Vollstreckbarkeit erbrechtlicher Entscheidungen in den Mitgliedstaaten geregelt.
Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung
Sachlicher Anwendungsbereich
Die Europäische Erbrechtsverordnung findet Anwendung auf Rechtsnachfolgen von Todes wegen. Sie betrifft sämtliche Vermögenswerte, Rechte und Pflichten, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf eine oder mehrere Personen übergehen. Ausgenommen sind insbesondere Fragen des Gesellschaftsrechts, steuerliche Aspekte, Familienrecht wie Unterhaltsansprüche sowie Fragen zu Renten und Vorsorgeleistungen.
Räumlicher Anwendungsbereich
Die Verordnung gilt in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark und Irland, die sich an der EuErbVO nicht beteiligen (Opt-out). Folglich findet sie in diesen Staaten keine Anwendung, wobei dennoch eine mittelbare Auswirkung auf Drittstaatsfälle möglich ist.
Internationale Zuständigkeit
Die internationale Zuständigkeit richtet sich vorrangig nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes. Gemäß Art. 4 EuErbVO ist das Gericht des Mitgliedstaates zuständig, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Verordnung kennt darüber hinaus Ausnahmen und Sonderregelungen, etwa bei klarer Verlagerung des Lebensmittelpunkts oder auf Antrag der Parteien.
Bestimmung des anwendbaren Rechts
Grundsatz: Gewöhnlicher Aufenthalt
Maßgeblich für das auf den gesamten Nachlass anzuwendende Erbrecht ist der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Todeszeitpunkt (Art. 21 Abs. 1 EuErbVO). Dies sorgt für Rechtsklarheit, da das Recht des Staates zur Anwendung kommt, mit dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes am engsten verbunden war.
Rechtswahlmöglichkeit
Die Verordnung erlaubt es zudem, das Recht eines Staates zu wählen, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser im Zeitpunkt der Rechtswahl oder bei seinem Tod besitzt (Art. 22 EuErbVO). Diese Rechtswahl muss ausdrücklich in einer Erklärung oder letztwilligen Verfügung getroffen werden und ermöglicht so eine individualisierte Gestaltungsfreiheit insbesondere für Personen mit mehreren Staatsangehörigkeiten oder Auslandsbezug.
Auswirkungen auf die Nachlassabwicklung
Anerkennung und Vollstreckung
Erbrechtliche Entscheidungen sowie öffentliche Urkunden aus einem Mitgliedstaat werden laut EuErbVO in den übrigen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt. Dies stellt einen erheblichen Fortschritt dar, da bisher auf unterschiedliche nationale Verfahren zurückgegriffen werden musste.
Europäisches Nachlasszeugnis
Ein zentrales Instrument der Verordnung ist das Europäische Nachlasszeugnis (engl.: European Certificate of Succession). Es ermöglicht Erben, Testamentsvollstreckern oder Nachlassverwaltern die einfache und einheitliche Legitimation grenzüberschreitend innerhalb der EU. Das Nachlasszeugnis wirkt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und ersetzt langwierige nationale Erbschein- oder Anerkennungsverfahren.
Sondervorschriften und Ausnahmen
Verhältnis zu nationalem Erbrecht
Die EuErbVO regelt ausschließlich den internationalen Anwendungsbereich und das Kollisionsrecht, greift jedoch nicht in die materiellen Vorschriften der nationalen Erbrechte der Mitgliedstaaten ein. Das jeweils anzuwendende nationale Recht bestimmt dann beispielsweise die Erbfolge, die Pflichtteilsrechte oder die Formvorschriften für Testamente und Erbverträge.
Ausschluss bestimmter Fragen
Von der Anwendung der Verordnung ausdrücklich ausgenommen sind unter anderem Fragen des Gesellschaftsrechts, des Familienrechts, Steuerangelegenheiten, Versorgungseinrichtungen und die Übertragung des Eigentums an Vermögenswerten.
Bedeutung für die Praxis
Die Einführung der Europäischen Erbrechtsverordnung hat die Rechtslage für grenzüberschreitende Erbfälle in Europa maßgeblich vereinheitlicht. Sie erleichtert die Nachlassplanung wie auch die Nachlassabwicklung erheblich, minimiert Unsicherheiten und beugt langwierigen Rechtsstreitigkeiten vor. Die Möglichkeit einer Rechtswahl gestattet es Erblassern, frühzeitig vorzusorgen und familieninterne oder wirtschaftliche Interessen in der Nachfolgegestaltung besser zu berücksichtigen.
Schlussbemerkung
Die Europäische Erbrechtsverordnung stellt einen Meilenstein für das europäische Kollisionsrecht im Bereich Erbrecht dar. Sie harmonisiert das Zusammenspiel der unterschiedlichen nationalen Rechtssysteme bei grenzüberschreitenden Erbfällen und trägt maßgeblich zur Rechtssicherheit in der Europäischen Union bei. Durch die Einführung des Europäischen Nachlasszeugnisses und klarer Zuständigkeitsbestimmungen werden die Abwicklung internationaler Nachlassfälle nachhaltig vereinfacht.
Häufig gestellte Fragen
Welche Regelungen gelten nach der Europäischen Erbrechtsverordnung für die Bestimmung des anwendbaren Erbrechts bei grenzüberschreitenden Erbfällen?
Nach der Europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) – offiziell Verordnung (EU) Nr. 650/2012 – ist grundsätzlich das Recht des Staates anwendbar, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dies bedeutet, dass nicht das Staatsangehörigkeitsprinzip, sondern das Wohnsitzprinzip im Vordergrund steht. Die EuErbVO unterscheidet nicht zwischen mobiler oder fester Aufenthaltsqualität, sondern knüpft den gewöhnlichen Aufenthalt an tatsächliche Lebensumstände, wie etwa Wohnung, soziale und familiäre Bindungen oder auch Integration in die lokale Gemeinschaft. Ausnahmen sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich, etwa durch eine wirksam getroffene Rechtswahl des Erblassers zugunsten des Rechts seines Heimatstaates. Die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist regelmäßig Gegenstand ausführlicher Prüfung durch Gerichte und Behörden, insbesondere bei Personen mit mehreren Lebensmittelpunkten in unterschiedlichen Ländern.
Inwieweit kann der Erblasser eine Rechtswahl nach der Europäischen Erbrechtsverordnung treffen?
Gemäß Artikel 22 der EuErbVO hat der Erblasser das Recht, durch ausdrückliche Erklärung in Form einer letztwilligen Verfügung das Erbrecht des Staates zu wählen, dessen Staatsangehörigkeit er im Zeitpunkt der Rechtswahl oder zum Zeitpunkt seines Todes besitzt. Diese Rechtswahl gilt für die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen und nicht nur für einzelne Nachlassbestandteile. Eine partielle oder sachgebietsbezogene Rechtswahl ist nach der Verordnung nicht zulässig. Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen und in einer Verfügung von Todes wegen – etwa einem Testament oder Erbvertrag – klar kenntlich gemacht werden. Ohne wirksame Rechtswahl verbleibt es beim Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zum Todeszeitpunkt.
Was regelt die Europäische Nachlasszeugnis und wie ist dessen rechtliche Wirkung?
Das Europäische Nachlasszeugnis (ENZ) ist ein von der EuErbVO eingeführtes, standardisiertes Nachweisdokument, welches speziell für grenzüberschreitende Erbfälle geschaffen wurde. Mit ihm sollen Erben, Vermächtnisnehmer oder Testamentsvollstrecker in allen EU-Mitgliedstaaten (außer Irland und Dänemark) ihre Rechtsstellung einfach und unkompliziert belegen können, ohne für jeden Staat gesonderte nationale Erbnachweise erbringen zu müssen. Das ENZ wirkt unmittelbar und entfaltet – wie ein nationales Zeugnis – deklaratorische Wirkung: Es weist die im Zeugnis bezeichneten Personen als berechtigte Erben oder Verfügungsbefugte aus. Das ENZ gilt zeitlich befristet und hat Rechtswirkung in allen EU-Staaten, wobei keine Legalisations- oder Apostilleverfahren notwendig sind. Nationale Urkunden bleiben daneben weiterhin gültig.
Wie erfolgt die gerichtliche Zuständigkeit in Erbsachen nach der Europäischen Erbrechtsverordnung?
Die internationale Zuständigkeit für erbrechtliche Verfahren richtet sich nach Art. 4 der EuErbVO vorrangig nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Das bedeutet, dass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Abweichende Zuständigkeiten sind nur im Rahmen einer zulässigen Rechtswahl oder durch ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung unter sehr engen Voraussetzungen nach Art. 5 und 7 der Verordnung möglich. Gerichte eines anderen Mitgliedstaates können sich in Ausnahmefällen für zuständig erklären, wenn alle Verfahrensbeteiligten sich darauf einigen und die Verlagerung der Rechtssache deren Interessen dient.
Welche Nachweisanforderungen gelten für letztwillige Verfügungen unter der Europäischen Erbrechtsverordnung?
Die EuErbVO regelt in Art. 27 ff. die Formgültigkeit letzter Verfügungen von Todes wegen einheitlich für alle beteiligten Mitgliedstaaten. Eine letztwillige Verfügung (z. B. Testament, gemeinschaftliches Testament, Erbvertrag) gilt als formwirksam, wenn sie den Formerfordernissen des Rechts entspricht, das entweder am Errichtungsort, am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder am Heimatstaat des Erblassers im Errichtungszeitpunkt maßgeblich war, oder wenn sie den formellen Anforderungen des Rechts entspricht, das im Zeitpunkt des Todes maßgeblich ist. Dank dieser flexiblen Formwertigkeit sind viele letztwillige Verfügungen in mehreren Staaten anerkennungsfähig, selbst wenn sie formal nicht dem Landesrecht des Staates der Nachlassabwicklung entsprechen.
Kann die Gültigkeit eines Testaments oder Erbvertrages in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig überprüft werden?
Die Gültigkeit letztwilliger Verfügungen – also Testamente oder Erbverträge – kann in verschiedenen Mitgliedstaaten grundsätzlich geprüft und angefochten werden, sofern sich Nachlasswerte oder Beteiligte in mehreren Ländern befinden. Dabei sind jedoch die jeweiligen gerichtlichen Zuständigkeitsvorschriften nach der EuErbVO zu beachten. Grundsatz ist, dass die Gerichte des Staates des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers vorrangig zuständig sind. Wurde eine (zulässige) Rechtswahl getroffen, kann dies zur Zuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates führen. Parallelverfahren werden dabei durch die zwingenden Regeln zur Rechtshängigkeit und zu Anhängigkeiten nach der EuErbVO weitgehend vermieden.
Wie wirkt sich die Europäische Erbrechtsverordnung auf die Anerkennung und Vollstreckung erbrechtlicher Entscheidungen aus?
Entscheidungen in erbrechtlichen Verfahren, die in einem Mitgliedstaat aufgrund der EuErbVO ergangen sind, werden in allen anderen Mitgliedstaaten grundsätzlich ohne besonderes Anerkennungsverfahren anerkannt. Die Verordnung sieht ein vereinfachtes Vollstreckungsverfahren vor, sodass erbrechtliche Titel wie Gerichtsurteile oder Nachlasszeugnisse (einschließlich des Europäischen Nachlasszeugnisses) in der gesamten EU schnell und effektiv umgesetzt werden können. Voraussetzung ist, dass die Entscheidung in dem Ursprungsstaat formell rechtskräftig und vollstreckbar ist. Eine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit (révision au fond) findet im Anerkennungsstaat grundsätzlich nicht statt, es sei denn, es liegen bestimmte, eng definierte Gründe vor (z. B. offensichtliche Verstöße gegen die öffentliche Ordnung).