Erweiterter Verfall: Begriff, Zweck und Einordnung
Der erweiterte Verfall bezeichnet eine Maßnahme der Vermögensabschöpfung, mit der dem Staat Vermögenswerte entzogen werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit aus rechtswidrigen Handlungen stammen, ohne dass die genaue Vortat im Einzelnen nachgewiesen werden muss. Ziel ist es, unrechtmäßige Gewinne zu neutralisieren und zu verhindern, dass strafbares Verhalten finanziell belohnt wird.
Kernaussage
Während beim „normalen“ Verfall beziehungsweise der Einziehung die Erträge einer konkret festgestellten Tat entzogen werden, ermöglicht der erweiterte Verfall die Abschöpfung von Vermögenswerten, die erkennbar nicht aus legalen Quellen stammen, auch wenn die zugehörigen Einzelhandlungen nicht im Detail festgestellt werden.
Abgrenzung zu verwandten Maßnahmen
Der erweiterte Verfall ist keine Strafe, sondern eine vermögensrechtliche Maßnahme. Er unterscheidet sich von Geldstrafen oder Geldbußen, die auf Ahndung zielen. Er ist auch von der Einziehung von Tatprodukten oder Tatmitteln abzugrenzen, die sich auf Gegenstände beziehen, die durch oder für eine Tat eingesetzt wurden. Der erweiterte Verfall knüpft speziell an unrechtmäßige Erträge an.
Terminologie und Entwicklung
Historisch wurde im Sprachgebrauch zwischen „Verfall“ und „erweitertem Verfall“ unterschieden. Reformen der Vermögensabschöpfung haben die Systematik modernisiert; der Begriff „erweiterter Verfall“ wird dennoch weiterhin verwendet, um das Konzept der erweiterten Abschöpfung von Taterträgen verständlich zu beschreiben.
Ziele und Funktionen
Die Maßnahme dient der Wiederherstellung rechtmäßiger Vermögensverhältnisse. Sie soll:
- ungerechtfertigte Bereicherungen entziehen,
- kriminelle Geschäftsmodelle unattraktiv machen,
- präventiv wirken, indem illegale Gewinne nicht behalten werden dürfen,
- die Position von Geschädigten stärken, deren Ansprüche vorrangig zu berücksichtigen sind.
Voraussetzungen und Beweisfragen
Typische Anknüpfungspunkte
Der erweiterte Verfall setzt regelmäßig voraus, dass eine rechtswidrige Handlung festgestellt wird und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass weitere Vermögenswerte aus rechtswidrigen Handlungen stammen. Es genügt nicht ein bloßer Verdacht; erforderlich ist eine tragfähige Überzeugung des Gerichts, gestützt auf Indizien und eine Gesamtwürdigung aller Umstände.
Rolle von Indizien
Die Beurteilung stützt sich häufig auf Indizien wie auffällige Vermögenszuwächse ohne nachvollziehbare legale Herkunft, ungewöhnliche Finanzströme, verschleiernde Strukturen, Barzahlungsdominanzen oder Vermögenswerte, die in keinem Verhältnis zu erklärten Einkünften stehen. Die betroffene Person hat die Möglichkeit, eine legale Herkunft plausibel darzustellen.
Verhältnismäßigkeit und Schutzmechanismen
Die Anordnung muss verhältnismäßig sein. Schutzvorkehrungen bestehen insbesondere zugunsten unbeteiligter Dritter und Geschädigter. Zudem dürfen nur Vermögenswerte entzogen werden, für die die illegale Herkunft hinreichend feststeht. Härtegesichtspunkte können berücksichtigt werden.
Verfahren und Zuständigkeit
Verfahrensweg
Über den erweiterten Verfall entscheidet in der Regel das zuständige Gericht im Zusammenhang mit einem Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die Entscheidung kann im Urteil oder durch gesonderten Beschluss erfolgen. In bestimmten Fallkonstellationen sind auch eigenständige Entscheidungen möglich.
Sicherungsmaßnahmen
Um die Vollstreckung zu sichern, können vorläufige Maßnahmen ergriffen werden, etwa die Sicherstellung von Bargeld, das Einfrieren von Konten, Arrest in Immobilien oder die Pfändung von Forderungen. Diese Sicherungen sollen verhindern, dass Vermögenswerte beiseite geschafft werden.
Rechtsmittel und nachträgliche Entscheidungen
Gegen Entscheidungen zum erweiterten Verfall stehen reguläre Rechtsmittel des Verfahrens zur Verfügung. Nachträgliche Anpassungen sind möglich, beispielsweise wenn neue Umstände auftauchen oder Rechte Dritter zu berücksichtigen sind.
Betroffene und Rechte Dritter
Betroffener Personenkreis
Betroffen sind in erster Linie Personen, gegen die ein Verfahren geführt wird. Unter Umständen können auch Vermögenswerte erfasst werden, die auf andere übertragen wurden, wenn die Übertragung der Umgehung diente oder kein eigenständiger Rechtserwerb vorliegt.
Rechte unbeteiligter Dritter
Dritte, die Vermögenswerte rechtmäßig erworben und keine Kenntnis von einer rechtswidrigen Herkunft hatten, genießen besonderen Schutz. Sie können ihre Rechte im Verfahren geltend machen. Das Gericht hat ihre Stellung zu prüfen und gegebenenfalls von der Abschöpfung auszunehmen.
Geschädigteninteressen
Ansprüche von Geschädigten werden vorrangig berücksichtigt. Die Vermögensabschöpfung soll nicht dazu führen, dass Opfer schlechter gestellt werden. Es bestehen Mechanismen, wonach abgeschöpfte Beträge an Geschädigte geleitet werden können.
Umfang der Vermögensabschöpfung
Erfasste Vermögenswerte
Erfasst werden können insbesondere Geldbeträge, Kontoguthaben, Wertpapiere, Kryptowerte, Fahrzeuge, Schmuck, Immobilien sowie mittelbar erlangte Vorteile wie eingesparte Aufwendungen. Maßgeblich ist der wirtschaftliche Wertzuwachs aus rechtswidriger Herkunft.
Wertersatz
Ist ein konkreter Gegenstand nicht mehr vorhanden (z. B. veräußert oder verbraucht), kann ein Geldbetrag in entsprechender Höhe angeordnet werden. Dadurch wird verhindert, dass das Leermachen von Konten oder der schnelle Verbrauch von Geldern die Abschöpfung vereitelt.
Umgehungs- und Verschleierungsgeschäfte
Übertragungen an Dritte, die der Verschleierung dienen, hindern die Abschöpfung nicht. Entscheidend ist, ob ein schutzwürdiger Erwerb vorliegt oder ob die Übertragung der Verlagerung unrechtmäßiger Vermögenswerte dient.
Internationale Bezüge
Der erweiterte Verfall hat häufig grenzüberschreitende Dimensionen. Internationale Zusammenarbeit ermöglicht die Sicherung und Rückführung von Vermögenswerten im Ausland. Gegenseitige Rechtshilfe, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen sowie gemeinsame Ermittlungsteams spielen dabei eine Rolle.
Abwicklung und Verwendung der eingezogenen Werte
Nach rechtskräftiger Anordnung werden Vermögenswerte verwertet oder Geldbeträge vereinnahmt. Geschädigte können vorrangig bedacht werden. Überschüsse fließen dem Staat zu. Die Abwicklung erfolgt über die zuständigen Vollstreckungs- und Verwertungsstellen.
Abgrenzungen und Verhältnis zu anderen Maßnahmen
Einziehung von Tatprodukten und Tatmitteln
Gegenstände, die durch eine Tat hervorgebracht wurden oder als Tatmittel dienten, können unabhängig von ihrer Werthaltigkeit eingezogen werden. Dies ist von der Gewinnabschöpfung zu unterscheiden, die auf wirtschaftliche Vorteile zielt.
Geldstrafe, Geldbuße und Schadensersatz
Geldstrafen und Geldbußen ahnden ein Fehlverhalten. Schadensersatz dient dem Ausgleich von Vermögensschäden der Opfer. Der erweiterte Verfall hat demgegenüber den Zweck, unrechtmäßige Vorteile zu entziehen, und ist daher der Kategorie der vermögensrechtlichen Maßnahmen zuzurechnen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum erweiterten Verfall
Was bedeutet erweiterter Verfall in einfachen Worten?
Es handelt sich um die staatliche Abschöpfung von Vermögenswerten, die offensichtlich nicht aus legalen Quellen stammen, ohne dass die genaue Vortat im Detail bewiesen werden muss.
Wodurch unterscheidet sich der erweiterte Verfall von der „normalen“ Einziehung?
Die normale Einziehung knüpft an eine konkret festgestellte Tat und deren Erträge an. Der erweiterte Verfall erlaubt die Abschöpfung weiterer Vermögenswerte mit erkennbar illegaler Herkunft, auch wenn diese nicht einer einzelnen Tat zugeordnet werden.
Muss die konkrete Vortat nachgewiesen werden?
Nein, die konkrete Vortat muss nicht im Detail festgestellt werden. Erforderlich ist jedoch eine tragfähige gerichtliche Überzeugung, dass die Vermögenswerte aus rechtswidrigen Handlungen stammen.
Können auch Vermögenswerte Dritter betroffen sein?
Ja, wenn Vermögenswerte auf Dritte übertragen wurden, um Abschöpfung zu umgehen, können sie erfasst werden. Rechte unbeteiligter Dritter mit gutgläubigem Erwerb bleiben geschützt.
Was passiert, wenn die Vermögenswerte nicht mehr vorhanden sind?
In solchen Fällen kann ein Wertersatz in Geld angeordnet werden, der dem Wert der unrechtmäßig erlangten Vorteile entspricht.
Wie werden die Interessen von Geschädigten berücksichtigt?
Ansprüche von Geschädigten haben Vorrang. Abgeschöpfte Beträge können zur Befriedigung der Ansprüche der Opfer eingesetzt werden.
Gibt es zeitliche Grenzen oder Fristen?
Es gelten verfahrensrechtliche Fristen und Grenzen. Zudem sind Entscheidungen über den erweiterten Verfall grundsätzlich an das jeweilige Verfahren und dessen zeitliche Abläufe gebunden.