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Ersatzvornahme


Begriff und rechtliche Einordnung der Ersatzvornahme

Die Ersatzvornahme ist ein zentrales Instrument des Verwaltungszwangsrechts im deutschen Recht. Sie bezeichnet die Vornahme einer von einer Behörde angeordneten Handlung, die grundsätzlich vom Adressaten der behördlichen Maßnahme selbst durchzuführen wäre, durch einen Dritten oder durch die Behörde selbst auf Kosten des Pflichtigen. Die Ersatzvornahme betrifft ausschließlich vertretbare Handlungen und zählt zu den sogenannten Zwangsmitteln im Rahmen des Verwaltungszwangs.


Gesetzliche Grundlagen

Regelungen im Bundesrecht

Die rechtliche Grundlage für die Ersatzvornahme auf Bundesebene findet sich in § 6 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG). Für Landesebene finden sich in den einzelnen Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzen spiegelbildliche Regelungen. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlangt für den Einsatz der Ersatzvornahme eine spezielle normative Grundlage.

Relevante Norm des Bundes

* § 6 VwVG: „Ist die Verpflichtung zu einer Handlung, deren Vornahme durch einen anderen zulässig ist (vertretbare Handlung), nicht erfüllt, so kann die Behörde die Handlung auf Kosten des Pflichtigen vornehmen oder vornehmen lassen […].“

Voraussetzungen

Für die Zulässigkeit der Ersatzvornahme müssen kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Bestehende Verpflichtung: Eine wirksame und vollziehbare behördliche Anordnung, typischerweise in Form eines Verwaltungsakts, muss vorliegen.
  2. Vertretbarkeit: Die Handlung muss vertretbar sein, d. h. von einer anderen Person als der eigentlich Verpflichteten vorgenommen werden können.
  3. Nichtbefolgung: Der Verpflichtete hat die ihm aufgegebene Handlung nicht fristgerecht erfüllt.
  4. Androhung: In der Regel ist die Ersatzvornahme als Zwangsmittel vorher anzudrohen, es sei denn, Gefahr im Verzug besteht.
  5. Verhältnismäßigkeit: Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen im Hinblick auf das angestrebte Ziel sein.

Ablauf und Durchführung

Androhung und Festsetzung

Vor Durchführung der Ersatzvornahme hat die zuständige Behörde dieses Zwangsmittel gewöhnlich schriftlich anzudrohen (§ 13 VwVG), soweit nicht Gefahr im Verzug gegeben ist. Die Androhung konkretisiert die Maßnahme, deren Kosten und die Konsequenzen der Nichtbefolgung.

Durchführung durch Dritte oder Behörde

Die Ersatzvornahme kann entweder durch die Behörde selbst oder durch beauftragte Dritte (z. B. private Unternehmen) erfolgen. Die Auswahl des Dritten steht der Behörde im Rahmen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit frei.

Kostentragung

Die für die Ersatzvornahme entstandenen Kosten sind grundsätzlich vom Pflichtigen zu tragen. Die Behörde ist berechtigt, die Kosten im Verwaltungswege festzusetzen und gegebenenfalls zu vollstrecken (§ 11 VwVG).


Arten von Ersatzvornahmen

Unmittelbare Ersatzvornahme

Bei der unmittelbaren Ersatzvornahme wird die Handlung direkt durch die Behörde selbst ausgeführt.

Mittelbare Ersatzvornahme

Die mittelbare Ersatzvornahme zeichnet sich dadurch aus, dass ein Dritter im Auftrag der Behörde die Handlung vornimmt.


Abgrenzung zu anderen Zwangsmitteln

Die Ersatzvornahme ist nur bei sogenannten vertretbaren Handlungen zulässig (z. B. Beseitigung von baulichen Anlagen, Reinigung von Grundstücken). Für unvertretbare Handlungen (z. B. höchstpersönliche Willensäußerungen) kommen andere Zwangsmittel in Betracht, wie zum Beispiel Zwangsgeld oder unmittelbarer Zwang.


Zweck und praktische Relevanz

Ersatzvornahmen werden insbesondere im Bereich des Ordnungsrechts, der Gefahrenabwehr und bei der Durchsetzung bau- oder umweltrechtlicher Verpflichtungen genutzt. Ein häufiges Beispiel ist die Beseitigung widerrechtlich abgelagerter Abfälle auf einem Grundstück durch die Gemeinde, nachdem der Eigentümer trotz behördlicher Aufforderung nicht selbst tätig geworden ist.


Rechtschutzmöglichkeiten und Kosten

Rechtsschutz

Der Betroffene kann gegen die Androhung, Festsetzung oder Durchführung der Ersatzvornahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz suchen, insbesondere mittels Anfechtungsklage oder im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO.

Kostenfestsetzung und Kostenerstattung

Die konkrete Höhe der zu erstattenden Kosten richtet sich nach dem tatsächlich entstandenen Aufwand. Es besteht zudem die Möglichkeit, die Kostenerstattung im Rahmen eines Verfahrens gegenüber der Behörde anzufechten.


Ersatzvornahme im Zivilrecht

Im Zivilrecht findet der Begriff der Ersatzvornahme in § 887 ZPO eine Parallele. Hier kann eine vertretbare Handlung, zu der jemand aufgrund eines zivilrechtlichen Titels verpflichtet ist, durch einen Dritten auf Kosten des Schuldners vorgenommen werden, wenn dieser selbst nicht tätig wird. Die praktische Relevanz ist etwa bei Werkverträgen oder Unterlassungsansprüchen gegeben.


Zusammenfassung

Die Ersatzvornahme stellt ein effektives Zwangsmittel dar, mit dem Behörden auf die Nichtbefolgung von Anordnungen reagieren können. Ihre rechtlichen Voraussetzungen sind strikt geregelt, die Durchführung ist an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebunden. Sie gewährleistet insbesondere im Gefahrenabwehrrecht und Ordnungsrecht die effektive Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Pflichten.


Literatur (Auswahl)

  • Kopp/Ramsauer, VwVfG. Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, jeweils aktuelle Auflage
  • Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, jeweils aktuelle Auflage
  • OVG NRW, Beschluss v. 2.2.2017 – 15 B 25/17
  • BVerwG, Urteil v. 19.1.1989 – 3 C 87/86

Hinweis: Die Regelungen können je nach Bundesland abweichen; maßgeblich sind stets die jeweiligen Verwaltungsvollstreckungsgesetze und -verordnungen.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist zur Durchführung einer Ersatzvornahme berechtigt?

Zur Durchführung einer Ersatzvornahme ist ausschließlich die zuständige Verwaltungsbehörde befugt, die den zugrunde liegenden Verwaltungsakt erlassen hat oder für seine Durchsetzung ermächtigt ist. Die Behörde kann die Ersatzvornahme entweder selbst durchführen oder geeignete Dritte damit beauftragen, beispielsweise private Unternehmen oder Dienstleister, sofern keine spezialgesetzlichen Regelungen entgegenstehen. Maßgeblich ist, dass die Ersatzvornahme im Einklang mit den Vorgaben des Verwaltungsverfahrensgesetzes (z.B. § 6 VwVfG) sowie landes- oder spezialrechtlichen Vorschriften erfolgt. Für die Auswahl der beauftragten Person oder Institution gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, und es muss sichergestellt sein, dass die beauftragten Dritten über die fachlichen und sachlichen Voraussetzungen zur ordnungsgemäßen Erledigung der Maßnahme verfügen. Die beauftragte Person handelt hierbei nicht als Verwaltungsorgan, sondern als sogenannter Verwaltungshelfer, sodass der Hoheitsakt weiterhin der Behörde zugerechnet wird.

Wie wird der Bürger über die bevorstehende Ersatzvornahme informiert?

Vor Durchführung einer Ersatzvornahme ist der betroffene Bürger regelmäßig durch einen vollstreckbaren Verwaltungsakt zur Vornahme einer bestimmten Handlung verpflichtet worden. Erhält die Verpflichtung keine Folge, muss ihm in aller Regel zuvor eine angemessene Frist zur selbständigen Erledigung gesetzt werden, gegebenenfalls unter Androhung der Ersatzvornahme sowie der voraussichtlich entstehenden Kosten gemäß § 63 VwVG (Bund) oder den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen. Die Androhung hat schriftlich zu erfolgen und ist zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit der Ersatzvornahme, sofern nicht Gefahr im Verzug vorliegt. Vor der konkreten Ausführung wird dem Bürger meist ein weiterer Hinweis erteilt, insbesondere über den Zeitpunkt und die Art der Durchführung. Dies dient dem rechtlichen Gehör und der Möglichkeit, die Maßnahme noch eigenständig zu erfüllen oder Einwände vorzubringen. Ausnahmen hiervon bestehen meist nur bei unmittelbaren Gefahrenlagen, wenn der ordnungsgemäße Ablauf ansonsten vereitelt würde.

Wie werden die Kosten einer Ersatzvornahme berechnet und beigetrieben?

Die Kosten der Ersatzvornahme umfassen alle notwendigen und angemessenen Aufwendungen, die zur Durchführung der Maßnahme anfallen. Dazu gehören insbesondere die Auslagen für Material, Personal, Fremdleistungen und, soweit einschlägig, etwaige Verwaltungskosten. Die Behörde ist gesetzlich verpflichtet, dem Pflichtigen die entstandenen Kosten durch einen Kostenbescheid bekanntzugeben und zur Zahlung aufzufordern. Die Kostenberechnung richtet sich nach den Vorschriften der Vollstreckungsgesetze (vgl. §§ 19 ff. VwVG Bund bzw. den landesrechtlichen Entsprechungen) und steht unter dem Gebot der Kostendeckung, nicht aber der Gewinnerzielung. Gegen den Kostenbescheid ist ein Rechtsbehelf möglich. Die Beitreibung erfolgt regelmäßig nach Maßgabe der Verwaltungszwangs- bzw. Verwaltungsvollstreckungsgesetze, gegebenenfalls durch Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften über die Beitreibung öffentlicher Forderungen.

Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit eine Ersatzvornahme rechtmäßig ist?

Für die Rechtmäßigkeit einer Ersatzvornahme sind mehrere Voraussetzungen kumulativ erforderlich. Zunächst muss ein wirksamer und vollstreckbarer Verwaltungsakt vorliegen, der einen vertretbaren Inhalt hat, das heißt, die geforderte Handlung kann von einem Dritten vorgenommen werden (§ 6 VwVfG). Zudem muss der Verwaltungsakt nicht erledigt oder umgesetzt worden sein. Vor Durchführung der Ersatzvornahme ist eine wirksame Androhung und Fristsetzung zur Selbstvornahme gegenüber dem Pflichtigen erforderlich, es sei denn, es liegt Gefahr im Verzug vor. Außerdem muss die Ersatzvornahme verhältnismäßig sein, d.h. geeignet, erforderlich und zumutbar, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Die Durchführung muss den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie alle maßgeblichen Verfahrensvorschriften beachten.

Welche Rechtsschutzmöglichkeiten stehen dem Betroffenen gegen eine Ersatzvornahme zur Verfügung?

Dem von einer Ersatzvornahme Betroffenen stehen mehrere Wege des Rechtsschutzes offen. Gegen den zugrundeliegenden Verwaltungsakt kann Widerspruch (sofern vorgesehen) und Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden (§§ 68 ff. VwGO). Gegen die Androhung, Anordnung und Durchführung der Ersatzvornahme selbst kommen Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen sowie gegebenenfalls einstweiliger Rechtsschutz in Betracht. Bei fehlerhafter oder unverhältnismäßig durchgeführter Ersatzvornahme und im Zusammenhang mit den Kostenbescheiden stehen dem Betroffenen ebenfalls Rechtsschutzmöglichkeiten nach den allgemeinen verwaltungsgerichtlichen Vorschriften offen. Zu beachten ist, dass Rechtsschutz insbesondere im einstweiligen Verfahren unter Umständen nur eingeschränkt gewährt werden kann, wenn durch sofortige Vollziehung oder Gefahr im Verzug bereits Tatsachen geschaffen wurden.

Können durch Ersatzvornahmen entstandene Schäden ersetzt werden?

Schäden, die dem Pflichtigen oder Dritten im Zuge der rechtmäßigen Durchführung einer Ersatzvornahme infolge ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns entstehen, müssen im Allgemeinen nicht ersetzt werden, da diese aufgrund gesetzlicher Anordnung und im öffentlichen Interesse erfolgen. Erleidet jedoch der Betroffene durch fehlerhafte, unverhältnismäßige oder nicht vom zugrundeliegenden Verwaltungsakt gedeckte Ausführungen Schäden, kann ein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bestehen. Darüber hinaus können Entschädigungsansprüche nach dem Staatshaftungsrecht (z.B. nach den jeweiligen Landeshaftungsgesetzen) denkbar sein. Voraussetzung ist stets ein rechtswidriger, kausaler Schaden sowie Verschulden bei der Amtsträgerhandlung, außer bei Eingriffen in besondere Rechtsschutzpositionen, für die ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch bestehen kann.

Was passiert, wenn die Ersatzvornahme scheitert oder nicht vollständig durchführbar ist?

Falls die Ersatzvornahme aus tatsächlichen Gründen nicht oder nicht vollständig durchgeführt werden kann, etwa weil unvorhergesehene Hindernisse eintreten oder der Pflichtige eingreift und dadurch die Maßnahme verhindert, muss die Behörde prüfen, ob und inwieweit eine Wiederholung oder eine andere Form der Zwangsvollstreckung in Betracht kommt. Kann das Ziel der Ersatzvornahme auf anderem Wege erreicht werden, etwa durch weitere Ersatzvornahmen oder andere Zwangsmittel (wie Zwangsgeld), ist ein erneutes Verwaltungsverfahren einzuleiten. Die Kosten für die erfolglose Ersatzvornahme können dem Pflichtigen nur auferlegt werden, wenn dieser das Scheitern zu verantworten hat. Andernfalls trägt die Behörde die Kosten des Fehlschlags. Auch hier besteht Rechtsschutz gegen etwaige rechtswidrige Maßnahmen und Kostenbescheide nach den allgemeinen Regeln der Verwaltungsgerichtsbarkeit.