Erklärungsirrtum – Bedeutung und Einordnung
Der Erklärungsirrtum ist ein Irrtum bei der Abgabe einer Willenserklärung. Er liegt vor, wenn die erklärende Person etwas anderes erklärt, als sie erklären wollte, weil ihr bei der Äußerung oder technischen Abgabe der Erklärung ein Missgeschick unterläuft. Das betrifft insbesondere Versprechen, Verschreiben, Vertippen, Vergreifen oder die Wahl eines falschen Erklärungszeichens. Der Sinn: Das gesprochene oder verkörperte Erklärte weicht ungewollt vom inneren Willen ab.
Der Erklärungsirrtum gehört zum System der Willensmängel. Er ist grundsätzlich beachtlich und eröffnet die Möglichkeit, eine Erklärung anzufechten. Dadurch wird das betroffene Rechtsgeschäft rückwirkend beseitigt, wobei der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers in bestimmten Grenzen berücksichtigt wird.
Begriff und Kerngedanke
Kern des Erklärungsirrtums ist die Fehlleistung beim Erklärungsakt: Ein falsches Wort, eine falsche Zahl, ein falsches Kästchen, eine falsche Taste – kurz: ein objektiv anderes Erklärungszeichen als beabsichtigt. Entscheidend ist nicht, dass die Person sich über Umstände geirrt hat, sondern dass die Äußerung selbst unrichtig abgegeben wurde.
Abgrenzung zu anderen Irrtumsarten
Inhaltsirrtum
Beim Inhaltsirrtum weiß die Person zwar, was sie sagt oder schreibt, irrt sich aber über die Bedeutung ihrer Erklärung. Beim Erklärungsirrtum wird hingegen etwas anderes erklärt als gewollt.
Eigenschaftsirrtum
Der Eigenschaftsirrtum betrifft bedeutsame Merkmale einer Person oder Sache (zum Beispiel Herkunft, Material oder Authentizität). Er betrifft nicht den Erklärungsakt, sondern die Vorstellungen über Eigenschaften.
Motivirrtum
Der Motivirrtum liegt vor, wenn sich jemand in der gedanklichen Grundlage seiner Entscheidung irrt (z. B. Annahmen über Bedarf, Markt oder künftige Entwicklungen). Er ist grundsätzlich unbeachtlich und führt nicht zur Anfechtung wegen Erklärungsirrtums.
Übermittlungsirrtum
Wird eine Erklärung durch Boten, Dritte oder technische Systeme fehlerhaft übermittelt, spricht man von Übermittlungsirrtum. Er steht dem Erklärungsirrtum nahe, da das tatsächlich zugegangene Erklärungszeichen vom Gewollten abweicht.
Voraussetzungen eines beachtlichen Erklärungsirrtums
Willenserklärung und Erklärungsakt
Es muss eine Willenserklärung vorliegen, die grundsätzlich geeignet ist, rechtliche Wirkungen auszulösen (z. B. Angebot, Annahme, Kündigung, Bestellung). Maßgeblich ist der Erklärungsakt, also das gesprochene Wort, die Schrift, der Klick, das Ankreuzen oder ein vergleichbares Erklärungszeichen.
Fehlleistung bei Abgabe
Die Erklärung muss infolge einer Fehlleistung ein anderes Erklärungszeichen enthalten als gewollt. Beispiele sind Zahlendreher (100 statt 10), falsche Einheiten, falsche Stückzahlen, das Anklicken der falschen Schaltfläche oder ein Versprechen, das dem Gegenüber einen anderen Inhalt vermittelt.
Kausalität und Erkennbarkeit
Der Irrtum muss kausal für die Abgabe der konkreten Erklärung gewesen sein. Zudem ist bedeutsam, dass die Abweichung zwischen Gewolltem und Erklärtem objektiv feststellbar ist. Fehlt der Erklärungswille vollständig, kann die Erklärung ausnahmsweise dennoch zugerechnet werden, wenn das Erklärungsverhalten nach außen als Erklärung erscheint und die Abgabe bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennbar gewesen wäre.
Beweislast
Wer sich auf einen Erklärungsirrtum beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine beachtliche Fehlleistung vorlag und die Anfechtung rechtzeitig erklärt wurde.
Typische Erscheinungsformen
Versprechen und Verlesen
Das gesprochene Wort weicht unbeabsichtigt vom Gewollten ab. Ein klassischer Fall ist das Versprechen bei der Preisnennung oder das Verlesen eines falschen Datums.
Verschreiben, Vertippen, Zahlendreher
Schriftliche Fehler wie „1000″ statt „100″, „12″ statt „21″, die Wahl der falschen Währung oder ein falscher Dezimalpunkt sind typische Erklärungsirrtümer.
Vergreifen, falsches Ankreuzen oder falsche Taste
Bei Formularen und digitalen Eingaben führen Fehlklicks oder falsches Ankreuzen häufig zu Erklärungsirrtümern, etwa wenn die falsche Option bestätigt wird.
Technische Fehlbedienung in elektronischen Systemen
Im Onlinehandel, bei Buchungssystemen oder Auktionsplattformen kann ein einziger Klick eine rechtsverbindliche Erklärung auslösen. Ein Irrtum liegt vor, wenn versehentlich die falsche Schaltfläche betätigt oder der falsche Artikel ausgewählt wird.
Rechtsfolgen der Anfechtung wegen Erklärungsirrtums
Wirkung auf das Rechtsgeschäft
Eine wirksam erklärte Anfechtung wegen Erklärungsirrtums führt dazu, dass das betroffene Rechtsgeschäft rückwirkend entfällt. Die Erklärung gilt dann als von Anfang an unwirksam.
Rückabwicklung erbrachter Leistungen
Bereits ausgetauschte Leistungen sind grundsätzlich zurückzugewähren. Dabei richtet sich die Rückabwicklung nach den allgemeinen Regeln über die Rückgewähr dessen, was ohne wirksame Rechtsgrundlage erlangt wurde.
Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers
Der Empfänger, der auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat, wird in gewissem Umfang geschützt. Dies erfolgt regelmäßig durch einen Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse). Der Ausgleich ist begrenzt; insbesondere wird der Zustand hergestellt, in dem der Empfänger stünde, wenn er nicht auf die Wirksamkeit vertraut hätte.
Anfechtung – Ablauf in Grundzügen
Anfechtungserklärung und Adressat
Die Anfechtung erfolgt durch eine eindeutige Erklärung gegenüber dem richtigen Adressaten. Sie muss erkennen lassen, dass die abgegebene Erklärung wegen eines Irrtums nicht gelten soll.
Frist und Fristbeginn
Für die Anfechtung wegen Erklärungsirrtums gilt eine kurze Frist, die mit der Kenntnis vom Irrtum beginnt. Ab diesem Zeitpunkt muss die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern erklärt werden.
Form und Zugang
Eine besondere Form ist nicht vorgeschrieben, soweit keine Formvorschriften für die zugrunde liegende Erklärung bestehen. Maßgeblich ist, dass die Anfechtung dem richtigen Empfänger zugeht.
Besondere Konstellationen
Massen- und Onlinegeschäfte
In standardisierten Abläufen sind Irrtümer häufig auf Eingabefehler oder Systemklicks zurückzuführen. Die rechtliche Bewertung orientiert sich am objektiven Erklärungszeichen (zum Beispiel bestätigter Button, übermittelter Warenkorb) und der Frage, ob eine Fehlleistung vorlag.
Auktionssituationen
Bei Gebotsplattformen kann ein fehlerhaftes Gebot ein Erklärungsirrtum sein. Entscheidend ist, ob das abgegebene Gebot auf einer Fehlleistung beruht und rechtzeitig angefochten wird. Die nachträgliche Erkenntnis, dass das Gebot wirtschaftlich nachteilig ist, genügt dagegen nicht.
Mehrdeutige Erklärungen und fehlendes Erklärungsbewusstsein
Fehlt das Bewusstsein, eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben, kann die Erklärung dennoch zugerechnet werden, wenn das Verhalten aus Sicht des Empfängers als Erklärung erscheinen durfte und der Irrtum bei pflichtgemäßer Sorgfalt vermeidbar gewesen wäre. In solchen Fällen kommt eine Anfechtung in Betracht, sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.
Beispiele aus dem Alltag
– Vertippen bei der Bestellung: Statt einer Packung werden versehentlich zehn bestellt.
– Falsche Preisnennung: Im Gespräch wird ein Preis mit einer Null zu viel genannt.
– Falscher Button: Statt „Zurück“ wird „Kaufen“ angeklickt.
– Zahlendreher im Datum: Kündigung wird mit einem unzutreffenden Datum erklärt.
– Falsche Einheit: Meter statt Zentimeter eingetragen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Erklärungsirrtum
Was ist ein Erklärungsirrtum?
Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn bei der Abgabe einer Willenserklärung das tatsächlich abgegebene Erklärungszeichen unbeabsichtigt vom Gewollten abweicht, etwa durch Versprechen, Verschreiben, Vertippen, Vergreifen oder einen falschen Klick.
Wodurch unterscheidet sich der Erklärungsirrtum vom Inhaltsirrtum?
Beim Erklärungsirrtum wird etwas anderes erklärt als beabsichtigt. Beim Inhaltsirrtum wird zwar das Gewollte erklärt, aber dessen Bedeutung oder Reichweite missverstanden.
Welche Frist gilt für die Anfechtung wegen Erklärungsirrtums?
Die Anfechtung ist innerhalb einer kurzen Frist zu erklären, die mit der Kenntnis vom Irrtum beginnt. Ab diesem Zeitpunkt ist zügiges Handeln erforderlich; zu langes Zuwarten führt regelmäßig zum Fristablauf.
Welche Rechtsfolgen hat eine erfolgreiche Anfechtung?
Das betroffene Rechtsgeschäft entfällt rückwirkend. Bereits erbrachte Leistungen sind grundsätzlich zurückzugewähren. Der Empfänger kann unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz für Vertrauensschäden verlangen.
Wer muss den Erklärungsirrtum beweisen?
Die Person, die sich auf den Erklärungsirrtum beruft, muss die Fehlleistung und die rechtzeitige Anfechtung darlegen und beweisen.
Reicht ein bloßer Motivirrtum für eine Anfechtung aus?
Nein. Ein Motivirrtum betrifft lediglich die inneren Beweggründe und ist grundsätzlich unbeachtlich. Für eine Anfechtung ist ein beachtlicher Irrtum, etwa ein Erklärungs- oder Inhaltsirrtum, erforderlich.
Wie werden Erklärungsirrtümer im Onlinehandel behandelt?
Auch im Onlinehandel gelten die allgemeinen Grundsätze. Ein falscher Klick, ein Zahlendreher oder eine fehlerhafte Auswahl können einen Erklärungsirrtum darstellen, wenn dadurch das Erklärungszeichen unbeabsichtigt vom Gewollten abweicht und die Anfechtung rechtzeitig erklärt wird.