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Erfüllungsinteresse


Definition und Bedeutung des Erfüllungsinteresses

Das Erfüllungsinteresse ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilrecht und beschreibt das Interesse eines Gläubigers, einen Vertrag ordnungsgemäß erfüllt zu bekommen. Es steht im Gegensatz zum sogenannten Vertrauensinteresse (auch negatives Interesse). Das Erfüllungsinteresse stellt sicher, dass der Gläubiger so gestellt wird, wie er stehen würde, wenn der Schuldner die von ihm vertraglich geschuldete Leistung in gehöriger Weise erbracht hätte. Das Erfüllungsinteresse wird auch als positives Interesse bezeichnet.

Rechtsgrundlagen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Die maßgeblichen Regelungen zum Erfüllungsinteresse finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Insbesondere die Vorschriften über Schadensersatz wegen Nichterfüllung, Schlechterfüllung und Verzug (§§ 280 ff. BGB sowie § 249 BGB) sind hier von Bedeutung. Sie konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang das Erfüllungsinteresse durchgesetzt werden kann.

Schadensersatzanspruch

Die zentrale Anspruchsgrundlage im Zusammenhang mit dem Erfüllungsinteresse ist der Schadensersatzanspruch. Der Gläubiger kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre (§ 249 Abs. 1 BGB). Dadurch sollen sämtliche Nachteile ausgeglichen werden, die durch die Nicht- oder Schlechterfüllung des Vertrages entstehen.

Inhalt und Umfang des Erfüllungsinteresses

Vergleich zum Vertrauensinteresse

Das Erfüllungsinteresse ist vom Vertrauensinteresse abzugrenzen. Während das Vertrauensinteresse den Zustand herstellt, wie er ohne das schädigende Verhalten bestanden hätte, zielt das Erfüllungsinteresse auf die völlige Vertragserfüllung ab. Der Gläubiger soll nicht lediglich einen „Schadensausgleich“ erhalten, sondern gerade die Vorteile, die er mit dem Vertragsschluss erwartet hat.

Umfang der Schadensersatzleistung

Das Erfüllungsinteresse umfasst insbesondere:

  • Ersatz des entgangenen Gewinns: Der Gläubiger kann den Gewinn verlangen, den er bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung erzielt hätte.
  • Ersatzlaufende Kosten und Aufwendungen: Auslagen, die im Zusammenhang mit der geplanten Vertragserfüllung standen und durch deren Nichterfüllung nutzlos wurden, sind zu ersetzen.
  • Vermögensschäden: Sämtliche weiteren materiellen Schäden, die auf der Nichterfüllung oder Schlechterfüllung des Vertrages beruhen.

Beispiele

  1. Kaufvertrag: Wird eine mangelhafte Sache geliefert, kann der Käufer Ersatz der Kosten verlangen, die ihm zur Beschaffung einer mangelfreien Sache entstehen (Deckungskauf).
  2. Werkvertrag: Erfüllt der Werkunternehmer nicht vertragsgemäß, so kann der Besteller Ersatz der Mehrkosten für die ordnungsgemäße Herstellung des Werks verlangen.

Dogmatische Einordnung

Das Erfüllungsinteresse zählt systematisch zu den Primäransprüchen innerhalb des Schuldverhältnisses. Wird die Erfüllung durch den Schuldner vereitelt oder verweigert, wandelt sich der Anspruch auf Leistung in einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§ 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB).

Unterschied zur Naturalrestitution

Die Naturalrestitution (§ 249 BGB) stellt grundsätzlich die bevorzugte Schadensersatzform dar, doch im Bereich des Erfüllungsinteresses ist diese häufig nicht mehr möglich, sodass der Ausgleich durch Geldzahlung erfolgt.

Begrenzung und Ausschluss

Mitverschulden und Schadensminderung

Das Erfüllungsinteresse ist begrenzt durch das Mitverschulden des Gläubigers (§ 254 BGB) sowie durch das in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB normierte Gebot der Schadensminderung.

Haftungsausschlüsse und vertragliche Regelungen

Vertragliche Vereinbarungen können den Umfang des Erfüllungsinteresses begrenzen oder ausschließen. Insbesondere Haftungsklauseln begrenzen häufig die Ersatzpflicht des Schuldners auf bestimmte Schäden oder schließen die Haftung ganz aus, sofern dies gesetzlich zulässig ist.

Bedeutung im internationalen Recht und Rechtsprechung

Auch im internationalen Zivilrecht und im europäischen Vertragsrecht spielt das Erfüllungsinteresse eine bedeutende Rolle, etwa in der CISG (UN-Kaufrecht) oder in den Principles of European Contract Law (PECL). Die deutsche Rechtsprechung hat das Erfüllungsinteresse in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert und weiterentwickelt.

Fazit

Das Erfüllungsinteresse sichert dem Gläubiger den vertraglich vereinbarten Vorteil und trägt maßgeblich zur Verlässlichkeit und Durchsetzbarkeit vertraglicher Abmachungen bei. Es genießt im deutschen Vertragsrecht eine herausragende Stellung und ist oftmals maßgeblich für die Bemessung von Schadensersatzansprüchen. Damit ist das Erfüllungsinteresse ein wesentlicher Eckpfeiler zur Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche und zur Sicherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichts im Vertragsverkehr.

Häufig gestellte Fragen

Welche Ansprüche können aus dem Erfüllungsinteresse abgeleitet werden?

Das Erfüllungsinteresse, auch positives Interesse genannt, umfasst sämtliche Ansprüche, die darauf gerichtet sind, den Gläubiger so zu stellen, wie er stünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Im deutschen Zivilrecht ergibt sich dieser Anspruch insbesondere aus § 249 ff. BGB (Schadensersatz) bei Pflichtverletzungen im Schuldverhältnis. Zu den Erfüllungsinteressen zählen insbesondere der Anspruch auf die tatsächliche vertragsgemäße Leistung (sog. Naturalrestitution), aber auch Ersatz des entgangenen Gewinns, Mehraufwendungen, Ausgleich von bereits getätigten Vorleistungen sowie eventuell weitere Begleitschäden. Bei einer zu vertretenden Nichterfüllung kommen Schadensersatzansprüche statt der Leistung in Betracht, die sämtliche Vermögensnachteile erfassen, die dem Gläubiger durch die unterbliebene Vertragserfüllung entstanden sind. Der Gläubiger soll auf diese Weise wirtschaftlich so gestellt werden, als hätte der Schuldner den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt. Abzugrenzen vom Erfüllungsinteresse ist das sog. Vertrauensinteresse (negatives Interesse), das nur den Schaden abdeckt, der dadurch entsteht, dass auf das Zustandekommen oder die Gültigkeit des Vertrags vertraut wurde.

Welche Voraussetzungen müssen vorliegen, damit das Erfüllungsinteresse geltend gemacht werden kann?

Das Erfüllungsinteresse kann grundsätzlich geltend gemacht werden, wenn ein wirksamer Vertrag vorliegt und der Schuldner seine Verpflichtungen nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt (Nichterfüllung oder Schlechterfüllung). Hinzu kommt in der Regel das Verschulden des Schuldners (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB), es sei denn, das Gesetz sieht eine verschuldensunabhängige Haftung vor (z.B. Garantie, Übernahme eines Beschaffungsrisikos). Weiterhin muss ein kausaler Schaden beim Gläubiger entstanden sein, der gerade durch die Nichterfüllung verursacht wurde. Im Schadensersatzrecht sind außerdem die Grundsätze der Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) sowie die Zumutbarkeit und Erforderlichkeit der Schadenspositionen zu beachten.

Wie wird das Erfüllungsinteresse berechnet?

Die Berechnung des Erfüllungsinteresses erfolgt grundsätzlich anhand einer Vergleichsbetrachtung: Es wird der Zustand betrachtet, der bei vollständiger und ordnungsgemäßer Vertragserfüllung eingetreten wäre, und verglichen mit der tatsächlichen Situation infolge der Nichterfüllung. Der daraus resultierende Differenzbetrag bildet das Erfüllungsinteresse. Bei einen Kaufvertrag etwa entspricht das Erfüllungsinteresse dem Wert des gekauften Gegenstandes abzüglich des tatsächlich erzielten Ergebnisses infolge der Leistungsstörung. Hinzuzurechnen sind beispielsweise Aufwendungen, die im Zuge der Vertragserfüllung getätigt wurden (z.B. Transport- oder Montagekosten) oder der entgangene Gewinn (§ 252 BGB). Ggf. zu berücksichtigen sind auch vereitelte Ersatzgeschäfte, Nutzungsausfall und alle mittelbaren Schäden, die adäquat kausal auf die Pflichtverletzung zurückgehen.

Gibt es eine Pflicht zur Schadensminderung beim Erfüllungsinteresse?

Ja, der Gläubiger ist nach § 254 BGB verpflichtet, den Schaden möglichst gering zu halten (Schadensminderungspflicht). Verstößt er dagegen, kann der Ersatzanspruch um den Teil gekürzt werden, den der Gläubiger durch zumutbare Maßnahmen hätte verhindern können. Im Kontext des Erfüllungsinteresses bedeutet dies, dass der Gläubiger nach der Nichterfüllung oder Schlechterfüllung des Schuldners zumutbare Ersatzgeschäfte vornehmen, Gegenmaßnahmen ergreifen oder alternative Angebote in Betracht ziehen muss, um den Schaden zu reduzieren. Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, trägt er den Mehraufwand selbst.

Wann kann anstelle der Erfüllung das Erfüllungsinteresse verlangt werden?

Ein Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses tritt regelmäßig an die Stelle der Erfüllung, wenn die Erfüllung unmöglich geworden ist (§ 275 BGB) oder der Gläubiger unter den Voraussetzungen des § 281 BGB (Schadensersatz statt der Leistung) von der Erfüllung zurücktritt und Schadensersatz verlangt. Voraussetzung ist regelmäßig ein Rücktritt vom Vertrag aufgrund einer Pflichtverletzung, die der Schuldner zu vertreten hat. Alternativ kann das Erfüllungsinteresse in Fällen von Verzögerung der Leistung (§ 286 BGB) oder Mängeln bei der Leistungserbringung (§§ 280, 281, 283 BGB) gefordert werden, insbesondere wenn die ordnungsgemäße Vertragserfüllung dem Gläubiger nicht mehr zumutbar oder objektiv nicht möglich ist.

Wie verhält sich das Erfüllungsinteresse zu anderen Schadensposten wie dem Vertrauensinteresse?

Das Erfüllungsinteresse wird abgegrenzt vom Vertrauensinteresse (negatives Interesse). Während das Erfüllungsinteresse den Zustand herstellt, der bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung bestünde, ersetzt das Vertrauensinteresse nur die Schäden, die im Vertrauen auf das Zustandekommen oder die Wirksamkeit des Vertrags entstanden sind. Das Vertrauensinteresse ist regelmäßig im Vorfeld des Vertragsschlusses oder bei Anfechtung bzw. Unwirksamkeit eines Vertrags relevant, z.B. wenn Auslagen getätigt wurden, weil man vom Bestehen eines wirksamen Vertrags ausgegangen ist. Das Erfüllungsinteresse ist demnach der weitergehende Anspruch und kommt nur zum Tragen, wenn ein rechtswirksamer Vertrag vorliegt.

Kann das Erfüllungsinteresse auch für künftige Schäden geltend gemacht werden?

Das Erfüllungsinteresse umfasst nach deutschem Zivilrecht grundsätzlich auch den Ersatz zukünftiger Schäden, sofern deren Eintritt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehbar und abschätzbar ist (§ 249 BGB). Diese Schäden müssen im Zeitpunkt der Anspruchserhebung nicht bereits endgültig eingetreten sein, es genügt, dass sie adäquat kausal auf die Vertragsverletzung zurückzuführen sind. Der Anspruchsteller muss die Schadensprognose jedoch nachvollziehbar darlegen und schlüssig beziffern. Typische Fälle sind etwa zukünftige Ausfälle von Einnahmen, dauerhaft erhöhter Aufwand durch Ersatzlösungen oder entgangener Gewinn.

Welche Rolle spielt die Zurechenbarkeit (Kausalität) beim Erfüllungsinteresse?

Die Zurechenbarkeit, d.h. die Kausalität, ist beim Erfüllungsinteresse eine zentrale Anspruchsvoraussetzung. Nach allgemeinen Grundsätzen des Schadensrechts (§ 249 ff. BGB) ist nur derjenige Schaden zu ersetzen, der adäquat kausal auf die Pflichtverletzung des Schuldners zurückgeht und für den Schuldner vorhersehbar war. Es muss also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Vertragsverletzung und dem eingetretenen Nachteil bestehen. Fernliegende, atypische oder nicht vorhersehbare Schäden sind ausgenommen. Kommt beim Erfüllungsinteresse ein Mitverschulden des Gläubigers oder Dritter hinzu, so kann dies zu einer Anspruchskürzung führen (§ 254 BGB).