Begriff und rechtliche Einordnung des Einvernehmens
Das Einvernehmen stellt im deutschen Recht einen zentralen Begriff dar, der die übereinstimmende Willensbildung oder Zustimmung mehrerer Rechtsträger zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen kennzeichnet. Dabei kann es sich sowohl um ein bloßes Einverständnis als auch um eine rechtlich bindende Mitwirkung im Rahmen von Verwaltungsakten, privatrechtlichen Verträgen oder gesetzlich normierten Entscheidungsprozessen handeln.
Das Einvernehmen unterscheidet sich von juristischen Begriffen wie Einwilligung oder Genehmigung hinsichtlich Voraussetzungen, Wirkungen und insbesondere der Bindungswirkung. Innerhalb des Verwaltungsrechts, aber auch im Privatrecht und Verfassungsrecht, besitzt das Einvernehmen unterschiedliche rechtliche Auswirkungen und wird teils als Zustimmung, teils als verselbständigtes Mitwirkungsrecht ausgestaltet.
Einvernehmen im Verwaltungsrecht
Bedeutung und Funktion
Im Verwaltungsrecht ist das Einvernehmen ein häufig verwendetes Instrument der Koordination zwischen unterschiedlichen Verwaltungsträgern. Es verlangt, dass zwei oder mehrere Behörden eine einheitliche Entscheidung über Sachverhalte herbeiführen, bei denen ihre Zuständigkeiten berührt werden. Das Einvernehmen dient damit der Sicherung abgestimmter Verwaltungspraxis sowie der Wahrung spezifischer Interessen bei behördlichen Entscheidungen.
Formen des Einvernehmens
- Konsensuales Einvernehmen: Es liegt vor, wenn die beteiligten Behörden freiwillig eine übereinstimmende Entscheidung oder Auffassung erzielen.
- Erzwungenes oder gesetzliches Einvernehmen: Hier verlangt das Gesetz explizit das Einvernehmen einer oder mehrerer Behörden, bevor eine Entscheidung ergehen darf. Fehlt das Einvernehmen, wird die jeweilige Maßnahme rechtlich unwirksam.
Rechtswirkungen und Folgen bei fehlendem Einvernehmen
Das gesetzlich geforderte Einvernehmen ist in aller Regel eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die getroffene Entscheidung oder Maßnahme. Wird dieses Vorverfahren unterlassen oder besteht kein Einvernehmen, so ist die erlassene Verfügung in der Regel rechtswidrig und aufhebbar. Dies betrifft beispielsweise Genehmigungen im Baurecht (§ 36 BauGB) oder wasserrechtliche Erlaubnisse.
Ersatzvornahme und Ersetzung des Einvernehmens
Das Gesetz sieht in manchen Fällen vor, dass das Einvernehmen ersetzt werden kann, etwa durch eine übergeordnete Fachaufsichtsbehörde. Darüber hinaus kann das Landesrecht spezielle Regelungen zur Behandlung verweigerter Einvernehmen vorsehen, um Verwaltungsblockaden zu verhindern.
Beispiele im Verwaltungsrecht
- Bauplanungsrecht: Das Einvernehmen der Gemeinde ist nach § 36 Abs. 1 BauGB erforderlich, wenn eine Baugenehmigungsbehörde entscheidet; ohne das Einvernehmen kann keine Genehmigung erteilt werden. Wird es verweigert, prüft die zuständige Behörde, ob die Verweigerung zu Recht erfolgt.
- Immissionsschutzrecht: Die Fachbehörde muss bei bestimmten umweltrechtlichen Genehmigungen das Einvernehmen anderer beteiligter Behörden oder Gemeinden einholen.
Einvernehmen im Privatrecht
Im Privatrecht beschreibt das Einvernehmen vor allem die Übereinstimmung der Willenserklärungen mehrerer Personen oder Parteien, wie sie für das Zustandekommen eines Vertrags notwendig ist. Das Einvernehmen kennzeichnet somit das Vorliegen eines Konsenses über die vertraglichen Regelungen.
Abgrenzung zu Einwilligung und Genehmigung
Im Gegensatz zur Einwilligung, bei der eine Person aktiv in einen sonst unzulässigen Eingriff einwilligt, und zur Genehmigung, bei der eine bereits erfolgte Handlung im Nachhinein gebilligt wird, setzt das Einvernehmen die gleichzeitige Zustimmung aller Beteiligten voraus.
Ein Einvernehmen kann auch als notwendiger Bestandteil bestimmter Vertragsgestaltungen oder gesellschaftsrechtlicher Entscheidungen erforderlich sein, etwa bei personellen Veränderungen im Vorstand einer GmbH, sofern hierfür die Zustimmung mehrerer Organe vorgeschrieben ist.
Einvernehmen im öffentlichen Recht und Verfassungsrecht
Im Verfassungsrecht findet sich das Einvernehmen als Bestandteil von Zustimmungsverfahren zwischen föderalen Ebenen und Organen. Hier ist insbesondere das Mitwirkungsrecht des Bundesrates bei Gesetzesvorhaben zu nennen.
Bundesgesetze und Bundesrats-Einvernehmen
Viele Materien des Grundgesetzes regeln explizit, dass bestimmte Rechtsakte nur mit dem Einvernehmen des Bundesrates umgesetzt werden können. Fehlt dieses, entfaltet das Gesetz keine Geltung. Das Einvernehmen sichert die föderale Beteiligung und Mitentscheidung der Länder.
Further-Federalistische Instrumente
Das Einvernehmen wird im Föderalismus verwendet, um die Rechte der Gliedstaaten bei einschneidenden bundespolitischen Entscheidungen zu schützen. Es ist ein zentraler Mechanismus zur Wahrung des kooperativen Bundesstaatsprinzips.
Unterschied zwischen Einvernehmen, Einwilligung, Zustimmung und Genehmigung
Obwohl die Begriffe in der Alltagssprache oft gleich verwendet werden, bestehen im Recht wesentliche Unterschiede:
Begriff | Zeitpunkt | Beteiligte | Rechtswirkung |
---|---|---|---|
Einvernehmen | Vor einer Maßnahme | Beide/alle | Bindend, gleichzeitige Übereinstimmung |
Einwilligung | Vor oder bei einer Maßnahme | Nur Betroffener | Gestattung eines Handelns |
Zustimmung | Vor einer Maßnahme | Dritter | Ggf. Mitwirkung, aber untergeordnet |
Genehmigung | Nach einer Maßnahme | Dritter | Nachträgliche Rechtfertigung |
Das Einvernehmen stellt dabei stets einen echten Konsens dar und ist zwingende Voraussetzung zur Wirksamkeit vieler rechtsgestaltender Maßnahmen.
Bedeutung des Einvernehmens für Verwaltungsprozesse und Rechtssicherheit
Das Instrument des Einvernehmens gewährleistet eine abgestimmte, transparente und verlässliche Entscheidungsfindung mehrerer Rechtsträger. Es verhindert Alleinentscheidungen und schützt betroffene Interessen durch Beteiligung aller maßgeblichen Akteure. Dadurch wird sowohl die Staats- als auch die Vertragspraxis berechenbar und kontrollierbar gestaltet.
Literaturverweise
- Ehlers, Dirk: „Handbuch des Verwaltungsrechts”, München 2019.
- Sachs, Michael: „Grundgesetz – Kommentar”, München 2024.
- Schmidt-Aßmann, Eberhard: „Allgemeines Verwaltungsrecht”, Heidelberg 2020.
- Stelkens, Ulrich / Bonk, Heinz / Sachs, Michael: „Verwaltungsverfahrensgesetz: Kommentar”, 10. Auflage, München 2023.
Dieser Artikel bietet eine detaillierte rechtliche Darstellung des Begriffs Einvernehmen und beleuchtet dessen Auswirkungen und Funktion in verschiedenen Rechtsgebieten.
Häufig gestellte Fragen
Kann das Einvernehmen auch stillschweigend erteilt werden?
Ein rechtliches Einvernehmen kann grundsätzlich ausdrücklich oder stillschweigend (konkludent) erteilt werden. Das bedeutet, dass eine förmliche oder schriftliche Zustimmung nicht zwingend erforderlich ist, sofern sich aus den Umständen eindeutig ergibt, dass eine Partei mit einer bestimmten Handlung oder Maßnahme einverstanden ist. In bestimmten Rechtsgebieten, insbesondere im Verwaltungsrecht oder Privatrecht, ist jedoch zu prüfen, ob das Gesetz, vertragliche Regelungen oder die Rechtsprechung eine bestimmte Form des Einvernehmens erfordern. Still-schweigendes Einvernehmen wird meist angenommen, wenn eine zustimmungsberechtigte Person von einer Maßnahme Kenntnis hat und trotz Möglichkeit zum Widerspruch keine Einwendungen erhebt. In Verwaltungsverfahren kann jedoch eine ausdrückliche Erklärung verlangt sein, vor allem, wenn dies dem Schutz Dritter dient oder Transparenz hergestellt werden soll. So etwa beim baurechtlichen Einvernehmen der Gemeinde nach §36 BauGB, das eindeutig und ausdrücklich erklärt werden muss.
Kann ein bereits erteiltes Einvernehmen widerrufen werden?
Ob ein Einvernehmen widerrufbar ist, richtet sich nach der einschlägigen Rechtsgrundlage und dem Einzelfall. Im Verwaltungsrecht gilt grundsätzlich, dass ein Einvernehmen, sobald es rechtmäßig erteilt wurde und in einen Verwaltungsakt eingeflossen ist, nicht mehr einseitig widerrufen werden kann. Die Bindungswirkung tritt insbesondere dann ein, wenn durch das Einvernehmen bei einer anderen Behörde oder einer dritten Partei bereits schutzwürdiges Vertrauen entstanden ist. In besonderen Konstellationen – etwa bei wesentlichen, nachträglich eingetretenen Veränderungen der Sach- oder Rechtslage – kann eine Korrektur in Betracht kommen, verlangt aber zumeist ein förmliches Verfahren (Rücknahme oder Widerruf des Verwaltungsakts nach §§ 48, 49 VwVfG). Im Zivilrecht kann ein Einvernehmen grundsätzlich jederzeit widerrufen werden, es sei denn, es ist vertraglich oder gesetzlich eine Bindung vorgesehen.
Welche Rechtswirkungen entfaltet das Einvernehmen?
Das Einvernehmen hat insbesondere im Verwaltungsrecht die Funktion einer eigenständigen Verfahrensvoraussetzung oder eines Zustimmungsakts. Seine Rechtswirkung bedeutet, dass ein bestimmtes Verwaltungshandeln oder -verfahren von der Zustimmung oder dem Mitwirken einer anderen Stelle oder Person abhängt. Bis zur Herstellung des geforderten Einvernehmens ist das betreffende Verfahren ausgesetzt oder kann nicht abgeschlossen werden. Beim Fehlen eines erforderlichen Einvernehmens ist der daraufhin ergangene Verwaltungsakt in der Regel rechtswidrig und kann ggf. aufgehoben werden. In zivilrechtlichen Zusammenhängen stellt das Einvernehmen eine Willensübereinstimmung dar, die Vertragsteile zu einem gemeinsamen Tun oder Unterlassen verpflichtet und ggf. Bindungswirkungen entfalten kann.
Gibt es Formvorschriften für das Einvernehmen?
Ob für das Einvernehmen bestimmte Formvorschriften gelten, richtet sich danach, um welches Rechtsgebiet oder welche Vorschrift es sich handelt. Im Baurecht (§36 BauGB) ist das Einvernehmen der Gemeinde grundsätzlich schriftlich zu erklären; die fehlende Schriftform kann den Verwaltungsakt fehlerhaft machen. Im Privatrecht und in anderen Bereichen genügt in vielen Fällen die mündliche oder konkludente (durch schlüssiges Verhalten) Erteilung. Bestehen jedoch gesetzliche oder vertragliche Formerfordernisse (z. B. Schriftform, notarielle Beurkundung), so ist die entsprechende Form zwingend einzuhalten, da sonst das Einvernehmen unwirksam ist. Formmängel können je nach Bereich heilbar sein oder zur Nichtigkeit der Handlung führen.
Wer ist zur Erteilung des Einvernehmens berechtigt?
Die Berechtigung zur Erteilung des Einvernehmens ergibt sich stets aus der jeweils einschlägigen gesetzlichen oder vertraglichen Regelung. Im Verwaltungsrecht sind dies regelmäßig Behörden, die durch Gesetz oder Rechtsverordnung zur Mitwirkung oder Kontrolle befugt sind. So ist etwa im Baurecht die Gemeinde die zuständige Stelle zur Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens. Im Privatrecht können dies die Parteien eines Rechtsverhältnisses oder bestimmte Organ- oder Vertretungsorgane (z. B. Geschäftsführer, Vorstand) sein. Damit das Einvernehmen wirksam ist, muss die Person oder das Gremium zumindest handlungs- und geschäftsfähig bzw. zuständig sein.
Welche Folgen hat das Fehlen des Einvernehmens?
Das Fehlen eines rechtlich geforderten Einvernehmens kann erhebliche Folgen nach sich ziehen. Im öffentlich-rechtlichen Bereich ist ein ohne erforderliches Einvernehmen erlassener Verwaltungsakt fehlerhaft, oftmals sogar nichtig. In bestimmten Fällen kann ein solches Defizit durch Nachholung des Einvernehmens im laufenden Verfahren geheilt werden (Heilungsmöglichkeit gem. §45 VwVfG), in anderen Fällen ist dies ausgeschlossen. Im Zivilrecht kann das Fehlen des Einvernehmens dazu führen, dass eine bindende Vereinbarung nicht zustande kommt, ein Vertrag lückenhaft oder gar nichtig ist oder Schadensersatzansprüche bestehen. Welche Auswirkungen im Einzelnen eintreten, bestimmt die jeweils einschlägige Rechtsnorm.