Einvernehmen

Begriff und rechtlicher Stellenwert des Einvernehmens

Einvernehmen beschreibt das aufeinander abgestimmte Einverständnis mehrerer Beteiligter über einen bestimmten Inhalt oder eine Maßnahme. Es setzt eine bewusste Übereinstimmung voraus und geht über bloße Kenntnisnahme hinaus. In rechtlichen Zusammenhängen kann Einvernehmen zwischen Privaten, zwischen Behörde und Betroffenen oder zwischen verschiedenen Behörden erforderlich sein. Seine Wirkung reicht von der Grundlage eines Vertrags bis hin zur Gültigkeitsvoraussetzung behördlicher Entscheidungen.

Abgrenzung zu Zustimmung, Genehmigung, Einwilligung und Einverständnis

Die Rechtsbegriffe sind verwandt, erfüllen aber unterschiedliche Funktionen:

  • Zustimmung: Einseitige Billigung eines Vorhabens eines anderen, meist als Wirksamkeitsvoraussetzung vor Durchführung.
  • Genehmigung: Nachträgliche Billigung eines bereits vorgenommenen Rechtsakts; wirkt häufig rückwirkend auf den Zeitpunkt der Vornahme.
  • Einwilligung: Vorherige Zustimmung des Berechtigten zur Beeinträchtigung eines Rechtsguts (etwa bei Eingriffen in Persönlichkeitsrechte).
  • Einverständnis: Tatsächliche oder rechtliche Einräumung der Duldung durch den Betroffenen, häufig im Kontext der Abgrenzung zwischen erlaubtem und unerlaubtem Verhalten.
  • Einvernehmen: Wechselseitige, abgestimmte Willensbildung mehrerer Stellen oder Personen über denselben Gegenstand; oft mit Mitentscheidungscharakter.

In amtlicher Sprache bedeutet „im Einvernehmen mit“, dass eine Maßnahme nur getroffen werden darf, wenn die benannte andere Stelle gleichgerichtet zustimmt und inhaltlich eingebunden ist. „Im Benehmen mit“ ist schwächer und meint in der Regel lediglich eine vorherige Beteiligung ohne Vetorecht.

Formen des Einvernehmens

  • Ausdrücklich: Schriftlich, mündlich oder elektronisch eindeutig erklärt.
  • Konkludent: Aus dem Verhalten klar erkennbar, etwa durch nachhaltiges Mitwirken.
  • Stillschweigend: Schweigen kann ausnahmsweise Einvernehmen bedeuten, wenn eine entsprechende Übung, Pflicht zur Stellungnahme oder klare Erwartungslage besteht.
  • Bedingt oder befristet: Einvernehmen kann an Bedingungen geknüpft oder zeitlich begrenzt erteilt werden.

Einvernehmen im Privatrecht

Vertragsschluss und übereinstimmende Willensbildung

Ein Vertrag setzt ein Einvernehmen über die wesentlichen Punkte voraus. Angebot und Annahme müssen inhaltlich übereinstimmen. Einvernehmen ist hier die Grundlage der Bindung, die Rechte und Pflichten zwischen den Parteien entstehen lässt. Neben dem Vertragsschluss spielt Einvernehmen auch bei Vertragsänderungen, Aufhebungsverträgen und Vergleichen eine Rolle.

Willensmängel und Anfechtbarkeit

Kommt Einvernehmen aufgrund von Irrtum, Täuschung oder widerrechtlicher Drohung zustande, ist die Wirksamkeit erschüttert. In solchen Fällen kann die Erklärung anfechtbar sein. Die Anfechtbarkeit wirkt je nach Konstellation auf den Zeitpunkt der Abgabe zurück und kann das vermeintliche Einvernehmen nachträglich entfallen lassen. Auch Inhalts- oder Erklärungsirrtümer können die Tragfähigkeit der Einigung berühren.

Geschäftsfähigkeit und Vertretung

Wirksames Einvernehmen setzt voraus, dass die Beteiligten die rechtliche Tragweite erkennen können. Minderjährige oder geschäftsunfähige Personen benötigen regelmäßig wirksame Vertretung. Vertretungsmacht (z. B. Vollmacht, organschaftliche Vertretung) ist zentral: Fehlt sie, kommt kein wirksames Einvernehmen zustande oder es hängt von einer nachträglichen Billigung ab.

Widerruf, Kündigung und Änderung im Einvernehmen

Viele Rechtsverhältnisse können einvernehmlich angepasst, aufgehoben oder fortgeführt werden. Der Widerruf einer Einigung ist nur möglich, wenn ein gesetzlicher oder vertraglicher Anknüpfungspunkt besteht oder das Einvernehmen seiner Natur nach frei widerruflich ist. Für Kündigungen gilt, dass sie einseitige Gestaltungsrechte darstellen; einvernehmliche Lösungen sind davon zu unterscheiden.

Einvernehmen im öffentlichen Recht

Einvernehmen zwischen Behörden

Bindungswirkung und Reichweite

Mehrstufige Verwaltungsentscheidungen verlangen oft das Einvernehmen einer anderen Behörde. Dieses Einvernehmen hat Mitentscheidungscharakter: Ohne es darf die Maßnahme grundsätzlich nicht ergehen. Es bezieht sich auf den Inhalt der Entscheidung und ist nicht auf bloße Anhörung beschränkt.

Versagungsgründe und Ermessensausübung

Ob Einvernehmen zu erteilen ist, hängt von gesetzlichen Maßstäben, öffentlichen Interessen und Ermessen ab. Eine Versagung muss sich innerhalb dieser Grenzen bewegen und sachlich begründet sein. Ein unzulässiges Versagen kann die Hauptentscheidung rechtswidrig machen.

Ersetztes oder fingiertes Einvernehmen

In bestimmten Bereichen kann ein Einvernehmen ersetzt oder fingiert werden, etwa wenn es trotz Fristsetzung nicht erteilt wird oder unzulässig verweigert wurde. Rechtsfolgen, Voraussetzungen und Verfahren sind gesetzlich geregelt und dienen der Verfahrensbeschleunigung sowie der Vermeidung von Blockaden.

Einvernehmen mit Betroffenen

Form- und Transparenzanforderungen

Werden Grundrechte oder schutzwürdige Interessen berührt, kann das Einvernehmen des Betroffenen erforderlich sein. Es sollte hinreichend bestimmt, informiert und freiwillig sein. Nachvollziehbarkeit und Dokumentation erhöhen die Klarheit über Reichweite und Inhalt.

Widerruflichkeit und Zweckbindung

Einvernehmen in personenbezogene Eingriffe ist oft zweckgebunden. Es kann, je nach Materie, widerruflich sein. Ein Widerruf wirkt grundsätzlich für die Zukunft und lässt bereits wirksam vorgenommene Handlungen unberührt, soweit nichts anderes vorgesehen ist.

Einvernehmen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Bedeutung des Einverständnisses des Betroffenen

Das Einverständnis kann den Tatbestand bestimmter Handlungen ausschließen, weil das geschützte Rechtsgut nicht gegen den Willen des Berechtigten betroffen ist. Es muss vor oder bei der Handlung vorliegen und die wesentlichen Umstände erfassen.

Abgrenzung zur rechtfertigenden Einwilligung

Die rechtfertigende Einwilligung nimmt einen tatbestandsmäßigen Eingriff und rechtfertigt ihn. Das Einverständnis verhindert dagegen, dass ein tatbestandsmäßiger Eingriff überhaupt vorliegt. Beide setzen Freiwilligkeit, Tragfähigkeit der Entscheidung und Kenntnis relevanter Umstände voraus, unterscheiden sich jedoch in ihrer dogmatischen Wirkung.

Einvernehmen im Unternehmens- und Arbeitsleben

Gesellschaftereinvernehmen und Corporate Governance

In Unternehmen können Geschäftsführungsmaßnahmen, Strukturentscheidungen oder Transaktionen das Einvernehmen von Organen oder Anteilseignern voraussetzen. Gesellschaftsverträge oder Satzungen definieren häufig qualifizierte Mehrheiten oder Einstimmigkeit. Fehlendes Einvernehmen kann Beschlüsse angreifbar machen.

Betriebliche Mitwirkung und Einvernehmen

In der betrieblichen Ordnung sind Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte verankert. In mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten ist oft eine Einigungslösung anzustreben; gelingt sie nicht, kann ein formelles Verfahren zur Konfliktbeilegung vorgesehen sein. Das Einvernehmen dient hier der ausgewogenen Gestaltung betrieblicher Belange.

Zustandekommen, Dokumentation und Beweis

Schriftform, Textform, elektronische Form

Je nach Materie können bestimmte Formen vorgesehen sein. Schriftform verlangt eigenhändige Unterzeichnung; Textform oder elektronische Form ermöglichen auch digitale Erklärungen. Formfehler können die Wirksamkeit beeinträchtigen.

Protokolle, E-Mails und Aktenvermerke

Für die Nachweisbarkeit ist eine nachvollziehbare Dokumentation bedeutsam: Protokolle, E-Mail-Verläufe, Freigabevermerke oder Aktennotizen können Einvernehmen belegen. Entscheidend ist, dass Inhalt, Beteiligte, Zeitpunkt und Reichweite erkennbar sind.

Beweislast und Beweismaß

Wer sich auf ein Einvernehmen beruft, muss dessen Bestand und Umfang darlegen und beweisen. In zivilrechtlichen Streitigkeiten orientiert sich die richterliche Überzeugungsbildung am Maß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, während im Verwaltungsverfahren die Amtsermittlung eine eigenständige Rolle spielt.

Grenzen und Unwirksamkeit

Sitten- und Gesetzesverstöße

Einvernehmen vermag rechtliche Schranken nicht aufzuheben. Vereinbarungen oder Zustimmungen, die gegen grundlegende Werte oder zwingende Vorschriften verstoßen, sind unwirksam. Gleiches gilt, wenn der erklärte Zweck verboten ist.

Unangemessene Benachteiligung und Allgemeine Geschäftsbedingungen

Standardisierte Vertragsklauseln unterliegen einer Inhaltskontrolle. Ein formal erteiltes Einvernehmen zu einseitig belastenden Klauseln kann unbeachtlich sein, wenn es die Gegenseite unangemessen benachteiligt oder überraschend ist.

Schutz Minderjähriger und besonders Schutzbedürftiger

Zum Schutz der Entscheidungsfreiheit sind besondere Anforderungen vorgesehen, etwa höhere Aufklärungsmaßstäbe, Mitwirkung von Vertretern oder behördliche Genehmigungen. Fehlt es daran, ist Einvernehmen nicht wirksam.

Internationale Bezüge

Einvernehmen in Verträgen und Abkommen

In internationalen Absprachen kann Einvernehmen als „common understanding“ oder in Form von Absichtserklärungen niedergelegt sein. Seine Bindungswirkung hängt von der Einordnung als rechtlich verpflichtend oder politisch-programmatisch ab.

Kollisionsfragen und Rechtswahl

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stellt sich die Frage nach dem anwendbaren Recht und der maßgeblichen Form. Parteien können eine Rechtswahl treffen; fehlt sie, greifen Anknüpfungsregeln. Form und Wirksamkeit des Einvernehmens richten sich dann nach dem ermittelten Recht.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet „im Einvernehmen mit“ in amtlichen Texten?

Es bedeutet, dass eine Entscheidung nur gemeinsam mit einer anderen benannten Stelle getroffen werden darf. Diese Stelle hat Mitentscheidungscharakter und kann den Inhalt beeinflussen; eine bloße Anhörung genügt nicht.

Ist Einvernehmen dasselbe wie Zustimmung?

Nein. Zustimmung ist eine einseitige Billigung. Einvernehmen setzt eine wechselseitige inhaltliche Übereinstimmung voraus und bindet die Beteiligten enger in die Entscheidung ein.

Kann Einvernehmen widerrufen werden?

Das hängt von Art, Inhalt und Kontext ab. Ein einmal wirksam erteiltes Einvernehmen ist vielfach auf die herbeigeführte Maßnahme bezogen und wirkt fort; in anderen Bereichen kann es für die Zukunft widerruflich sein.

Wann reicht stillschweigendes Einvernehmen aus?

Nur wenn klare Anhaltspunkte bestehen, dass Schweigen nach der Verkehrsanschauung oder aufgrund besonderer Pflichten als Zustimmung gilt. Ohne solche Grundlage ist Schweigen grundsätzlich keine Zustimmung.

Wer trägt die Beweislast für das Einvernehmen?

Grundsätzlich diejenige Seite, die sich darauf beruft. Maßgeblich sind nachvollziehbare Erklärungen, Dokumente oder Umstände, aus denen Einvernehmen hervorgeht.

Was passiert, wenn eine Behörde das erforderliche Einvernehmen verweigert?

Die Hauptentscheidung darf regelmäßig nicht ergehen oder wäre rechtswidrig. In bestimmten Konstellationen können Ersatz- oder Fiktionsmechanismen vorgesehen sein, um Blockaden zu vermeiden.

Wie unterscheidet sich Einvernehmen von Einwilligung?

Einwilligung ist die vorherige Zustimmung des Berechtigten zu einem Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut. Einvernehmen ist eine abgestimmte Willensbildung mehrerer Beteiligter über eine Maßnahme und hat häufig Mitentscheidungscharakter.

Ist Einvernehmen formgebunden?

Das richtet sich nach der jeweiligen Materie. Teilweise ist Schrift- oder Textform vorgesehen, in anderen Fällen genügt eine klare mündliche oder konkludente Verständigung, sofern keine besondere Form verlangt wird.