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Einrede des nichterfüllten Vertrags


Einrede des nichterfüllten Vertrags

Die Einrede des nichterfüllten Vertrags (lateinisch: exceptio non adimpleti contractus) ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Schuldrecht. Sie ermöglicht es einer Vertragspartei, die Erfüllung ihrer eigenen Leistungspflicht zu verweigern, solange der Vertragspartner seinerseits die ihm obliegende Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß erbracht hat. Dieses Leistungsverweigerungsrecht kann erhebliche Bedeutung sowohl im Zivilrecht als auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr entfalten.


Rechtsgrundlage

Gesetzliche Verankerung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)

Die Einrede des nichterfüllten Vertrags ist in § 320 BGB gesetzlich geregelt. Die zentralen Vorschriften lauten:

  • § 320 Abs. 1 S. 1 BGB: „Wer aus einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet ist, braucht die ihm obliegende Leistung nicht zu bewirken, bevor nicht die ihm gebührende Gegenleistung bewirkt wird.“
  • § 320 Abs. 1 S. 2 BGB: „Besteht hinsichtlich der Gegenleistung ein Mangel, so kann der andere Teil die Leistung insoweit verweigern, als nach den Umständen eine Verweigerung der Gegenleistung oder ein Zurückhalten der Gegenleistung gerechtfertigt ist.“

Diese Regelung gilt grundsätzlich für alle Synallagmatischen Verträge, bei denen Leistungen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen, wie beispielsweise Kaufverträge, Werkverträge, Dienstverträge und Mietverträge.


Voraussetzungen der Einrede des nichterfüllten Vertrags

Für die erfolgreiche Durchsetzung der Einrede müssen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:

1. Gegenseitiger Vertrag (Synallagma)

Es muss sich um einen gegenseitigen Vertrag handeln, bei dem die Leistungen in einem synallagmatischen Verhältnis (= Zug um Zug) stehen.

2. Durchsetzbarkeit der Gegenleistung

Die vom Vertragspartner zu erbringende Leistung muss bereits fällig und einredefrei sein. Ist die Verpflichtung zur Gegenleistung noch nicht fällig oder bestehen Einreden gegen die Forderung, ist die Einrede des nichterfüllten Vertrags nicht anwendbar.

3. Kein Vorleistungspflicht

Die sich auf die Einrede berufende Partei darf nicht selbst vorleistungspflichtig sein – entweder aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder gesetzlicher Bestimmung (zum Beispiel durch § 320 Abs. 2 BGB oder besondere Regelungen im Arbeitsrecht).

4. Leistungsbereitschaft

Die Partei, die sich auf die Einrede beruft, muss zur Erbringung ihrer eigenen Leistung bereit und in der Lage sein.


Rechtsfolgen der Einrede

Wird die Einrede des nichterfüllten Vertrags wirksam geltend gemacht, so hat sie die vorübergehende Leistungsverweigerung zur Folge. Das bedeutet:

  • Der Anspruch auf die Gegenleistung bleibt bestehen, wird jedoch vorläufig nicht durchsetzbar.
  • Sie wirkt nur „dilatorisch“ (aufschiebend, nicht endgültig); das Schuldverhältnis bleibt erhalten.
  • Die Einrede kann bis zur Bewirkung oder ordnungsgemäßen Anbietung der Gegenleistung erhoben werden.

Die Lehre unterscheidet die dilatorische Wirkung der Einrede von so genannten „peremptorischen Einreden“ (endgültig vernichtenden Einreden, z. B. Verjährung).


Sonderformen und Erweiterungen

Minderung der Gegenleistung bei mangelhafter Leistung

Wenn die Leistung nur teilweise oder mangelhaft erbracht wurde, kann nach § 320 Abs. 1 S. 2 BGB die Gegenleistung teilweise zurückgehalten werden. Die Einrede ist dann der Höhe nach zu beschränken („Einrede des teilweise nicht erfüllten Vertrags“).

Zusammenwirken mit anderen Einreden

Die Einrede des nichterfüllten Vertrags kann mit weiteren Leistungsverweigerungsrechten kombiniert werden, etwa mit Zurückbehaltungsrechten nach § 273 BGB oder mit der Einrede der Unsicherheit gemäß § 321 BGB.


Praktische Bedeutung in einzelnen Vertragsverhältnissen

Kaufvertrag

Beim Kaufvertrag dient die Einrede des nichterfüllten Vertrags regelmäßig dazu, dem Käufer das Recht zu geben, die Kaufpreiszahlung bis zur Übergabe der Kaufsache zu verweigern. Ebenso kann der Verkäufer die Lieferung bis zur Zahlung verweigern.

Werkvertrag

Beim Werkvertrag kommt die Einrede zugunsten des Unternehmers zum Tragen, solange der Besteller seinerseits keine Abschlagszahlung oder Zahlung bei Abnahme leistet; beziehungsweise kann der Besteller die Abnahme verweigern, wenn das Werk nicht vertragsgemäß hergestellt wurde.

Mietvertrag

Im Mietrecht ermöglicht die Einrede des nichterfüllten Vertrags dem Mieter, die Miete bei erheblichen Mängeln der Mietsache ganz oder teilweise zurückzubehalten, bis die Vermieterseite den vertragsgemäßen Zustand wiederherstellt.


Verhältnis zu anderen Leistungsverweigerungsrechten

Abgrenzung zum Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB)

Während das allgemeine Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB auf beliebigen Gegenansprüchen beruht, ist die Einrede des nichterfüllten Vertrags speziell für gegenseitige Verträge konzipiert und regelt das synallagmatische Verhältnis. Außerdem erlaubt die Einrede des nichterfüllten Vertrags die vollständige Leistungsverweigerung, während § 273 BGB häufig nur ein „Zurückhalten“ der Leistung gestattet.

Zusammenhang mit der Einrede der Unsicherheit (§ 321 BGB)

Wer einen Anspruch aus einem synallagmatischen Vertrag geltend machen möchte, bei dem der Anspruch auf die Gegenleistung zwar noch nicht fällig ist, aber zur Besorgnis Anlass besteht, dass diese nicht bewirkt wird, kann nach § 321 BGB die Einrede der Unsicherheit erheben. Dieses Recht erweitert die Schutzmechanismen der Einrede des nichterfüllten Vertrags.


Ausschluss und Verlust der Einrede

Vertraglicher Ausschluss

Die Parteien können vertraglich einen Verzicht auf die Einrede des nichterfüllten Vertrags vereinbaren. Dies kann beispielsweise durch die Regelung einer Vorleistungspflicht erfolgen.

Verwirkung und Missbräuchlichkeit

Die Einrede ist ausgeschlossen, wenn sich die Partei vertragswidrig verhält oder die Geltendmachung treuwidrig (§ 242 BGB) wäre, etwa bei geringfügigen Leistungsstörungen des Vertragspartners.

Recht auf Nachholung

Solange die beiderseitigen Leistungen noch möglich sind, kann die Einrede so lange geltend gemacht werden, bis die Gegenleistung ordnungsgemäß erbracht wird. Mit Vertragsbeendigung, Aufhebung oder Unmöglichkeit der Gegenleistung entfällt das Recht zur Einrede.


Rechtsprechung und Praxis

Die Rechtsprechung hat die Voraussetzungen, Rechtsfolgen und den Anwendungsbereich der Einrede des nichterfüllten Vertrags vielfach konkretisiert. Insbesondere im Bereich der Mängelrechte und in der Baupraxis nimmt die Berufung auf dieses Leistungsverweigerungsrecht eine zentrale Stellung ein.


Literaturhinweise

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, § 320 BGB
  • Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht
  • MüKoBGB/Emmerich, § 320 BGB

Fazit

Die Einrede des nichterfüllten Vertrags gemäß § 320 BGB ist ein zentrales Instrument im deutschen Zivilrecht. Sie dient dem Schutz der Vertragstreue, indem jede Vertragspartei durch das Zurückhalten ihrer eigenen Leistung sicherstellt, dass die vertraglich geschuldete Gegenleistung erbracht oder zumindest angeboten wird. Die richtige Anwendung dieses Rechtsinstituts erfordert die genaue Prüfung der Voraussetzungen, um sowohl im außergerichtlichen als auch gerichtlichen Bereich die Durchsetzung gegenseitiger Ansprüche zielgerichtet steuern zu können.

Häufig gestellte Fragen

Wann kann sich eine Partei auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrags berufen?

Eine Partei kann sich auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrags, geregelt in § 320 BGB, berufen, wenn die gegenseitigen Leistungen in einem sogenannten Synallagma, also im Austauschverhältnis zueinanderstehen. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn Käufer und Verkäufer einen Kaufvertrag schließen, bei dem die Zahlung des Kaufpreises gegen die Lieferung der Ware geschuldet wird. Wird die geschuldete Leistung noch nicht erbracht, kann die andere Partei ihre Leistung bis zur Erfüllung verweigern. Hierbei ist zu beachten, dass die Verpflichtungen tatsächlich voneinander abhängig sein müssen; bei einseitigen Verträgen kommt die Einrede nicht zum Tragen. Zudem darf die eigene Leistung weder unmöglich noch dauerhaft verweigert werden, sondern lediglich bis zur Bewirkung der Gegenleistung oder einer entsprechenden Sicherheitsleistung.

Welche Auswirkungen hat die Erhebung der Einrede des nicht erfüllten Vertrags auf den Anspruch der Gegenseite?

Wird die Einrede des nicht erfüllten Vertrags erfolgreich geltend gemacht, hat dies zur Folge, dass der Anspruch der Gegenseite zwar dem Grunde nach besteht, dessen Durchsetzung aber vorübergehend gehemmt ist. Die Verweigerung der eigenen Leistung ist berechtigt, solange die andere Partei ihre geschuldete Leistung nicht bewirkt oder nicht ausreichend gesichert hat (§ 320 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Anspruch wird durch die Einrede also nicht dauerhaft zerstört, sondern nur aufgeschoben („peremptorische“ statt „dilatorische“ Wirkung). Sobald die Gegenpartei die ihr obliegende Leistung erbringt oder eine angemessene Sicherheit stellt, entfällt das Leistungsverweigerungsrecht und die eigene Leistung muss erbracht werden. Gläubigerverzögerung und Annahmeverzug spielen hierbei ebenfalls eine Rolle, da in diesem Fall das Leistungsverweigerungsrecht erlischt.

Ist die Einrede des nicht erfüllten Vertrags auch im Werkvertragsrecht und im Mietrecht anwendbar?

Das Prinzip der Einrede des nicht erfüllten Vertrags gilt nicht nur im Kaufrecht, sondern auch im Werkvertragsrecht (§ 320 BGB in Verbindung mit § 641 BGB) sowie grundsätzlich auch im Mietrecht und anderen gegenseitigen Verträgen, sofern die Leistungen synallagmatisch miteinander verbunden sind. Im Werkvertragsrecht kann der Besteller beispielsweise die Abnahme des Werkes oder die Zahlung verweigern, solange das Werk nicht vertragsgemäß hergestellt wurde. Im Mietrecht ist die Anwendung enger, da hier die gesetzlichen Regelungen des § 320 BGB durch spezielle mietrechtliche Vorschriften ergänzt und teilweise eingeschränkt werden (vgl. §§ 536, 536a, 563b BGB). Dennoch lässt sich das grundlegende Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit der Leistungen übertragen.

Welche Anforderungen werden an die Gegenleistung gestellt, damit die Einrede erhoben werden kann?

Die Gegenleistung muss fällig, durchsetzbar und vollständig sein. Das bedeutet, die andere Vertragspartei muss dazu in der Lage und verpflichtet sein, ihre Leistung sofort zu erbringen. Ist beispielsweise die Leistung der Gegenseite noch nicht fällig, steht dem Vertragspartner kein Leistungsverweigerungsrecht zu. Gleiches gilt, wenn die Gegenleistung lediglich teilweise erbracht wurde: Hier kann die Einrede grundsätzlich nur in dem jeweiligen Umfang geltend gemacht werden, der dem fehlenden Teil der Leistung entspricht. Hat die Gegenpartei wider Erwarten eine mangelhafte Leistung angeboten, so kann dies ebenso die Einrede rechtfertigen, sofern die Mangelhaftigkeit die Erfüllung des Vertrags objektiv beeinträchtigt. Abschließend ist zu beachten, dass die Einrede mit dem Angebot einer entsprechenden Sicherheit-beispielsweise in Form einer Bürgschaft-unter bestimmten Voraussetzungen abgewendet werden kann.

Wie muss die Einrede des nicht erfüllten Vertrags erhoben werden?

Die Einrede des nicht erfüllten Vertrags ist eine sogenannte Einrede und kein Einwand, sie muss daher ausdrücklich oder zumindest konkludent geltend gemacht werden. Rechtlich reicht es aus, wenn die Partei eindeutig und bestimmt zu erkennen gibt, dass sie zur eigenen Leistung erst bereit ist, wenn die geschuldete Gegenleistung erbracht wird. Eine formlose Mitteilung, beispielsweise im Rahmen einer E-Mail, eines Briefes oder im Prozessvortrag, genügt. Die Einrede ist somit ein Gestaltungsrecht, das bis zur endgültigen Erfüllung der Gegenseite bestehen bleibt und jederzeit im gerichtlichen Verfahren noch nachgeschoben werden kann, sofern der zu sichernde Anspruch noch nicht erfüllt ist.

Gibt es Einschränkungen oder Ausnahmen beim Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB?

Das Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 320 BGB unterliegt bestimmten Einschränkungen und Ausnahmen. Zunächst darf es nicht zum Einsatz kommen, wenn die Partei zur Erbringung der eigenen Leistung verpflichtet ist, weil die Gegenleistung bereits erfolgt ist oder im Annahmeverzug der anderen Partei bewirkt wurde. Ferner entfällt das Recht zur Leistungsverweigerung, wenn die verweigerte Leistung nur einen verhältnismäßig geringfügigen Teil der Gesamtleistung betrifft und die Verweigerung der gesamten Gegenleistung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstieße. In solchen Konstellationen kann die Zurückbehaltung der gesamten Gegenleistung als unverhältnismäßig angesehen werden, sodass die Partei sich nur noch auf einen entsprechenden Teil der Leistung berufen darf (sog. Teilzurückbehaltungsrecht).

Wie verhält sich die Einrede des nicht erfüllten Vertrags zu anderen Einreden oder verweigerungsrechten?

Die Einrede des nicht erfüllten Vertrags steht neben anderen Leistungsverweigerungsrechten und Einreden, wie etwa dem Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB) oder der Einrede der Verjährung (§ 214 BGB). Sie ist aber speziell für synallagmatische Vertragsverhältnisse konzipiert und hat Vorrang vor allgemeinen Zurückbehaltungsrechten aus § 273 BGB, da § 320 BGB speziell das Austauschverhältnis regelt. Während § 273 BGB ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht bei einem Anspruch aus demselben rechtlichen Verhältnis gewährt, verlangt § 320 eine unmittelbare Konnexität der gegenseitigen Leistungspflichten (Synallagma). Beide Rechte können sich im Einzelfall überlagern, schließen sich aber nicht gegenseitig aus. Auch konkurriert die Einrede nicht mit Mängelrechten, sondern kann parallel geltend gemacht werden, wenn etwa eine mangelhafte Leistung die vollständige Zurückhaltung der eigenen Leistung rechtfertigt.