Begriff und Bedeutung der wirtschaftlichen Einheit
Die wirtschaftliche Einheit ist ein zentraler Begriff des Wirtschafts- und Steuerrechts, der verschiedene Rechtsgebiete durchdringt. Sie bezeichnet in einem spezifischen Zusammenhang eine Zusammenfassung mehrerer Sachen, Personen oder Rechtstatsachen zu einem ökonomischen Ganzen, das für bestimmte rechtliche Regelungsbereiche als einheitliches Objekt behandelt wird. Die wirtschaftliche Einheit ist insbesondere im Bewertungsrecht, im Steuerrecht sowie im Gesellschafts- und Immobilienrecht von Bedeutung.
Rechtliche Grundlagen und Definitionen
Bewertungsrecht und Grundsteuer
Im Bewertungsrecht wird der Begriff der wirtschaftlichen Einheit maßgeblich im Zusammenhang mit der Einheitsbewertung von Grundstücken und damit der Festsetzung der Grundsteuer verwendet. Rechtsgrundlagen hierzu finden sich im Bewertungsgesetz (BewG), insbesondere in § 2 BewG. Danach sind zum Zweck der Feststellung des Einheitswerts Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte zu wirtschaftlichen Einheiten zusammenzufassen. Die wirtschaftliche Einheit wird so zu einer Bewertungsgrundlage.
Typen der wirtschaftlichen Einheit im Bewertungsrecht
Unterschieden werden hierbei insbesondere folgende Arten wirtschaftlicher Einheiten:
- Grundstücke (bebaut oder unbebaut)
- Betriebe der Land- und Forstwirtschaft
- Betriebsgrundstücke von Gewerbebetrieben
- Wohnungseigentum oder Teileigentum nach WEG
Jede dieser Einheiten wird als eigenes Bewertungsobjekt behandelt, auch wenn mehrere Rechte oder Grundstücke zusammenhängen oder mehrere Eigentümer vorhanden sind.
Hauptmerkmale der wirtschaftlichen Einheit
Wesentliche Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne des BewG sind:
- Gesamtheit wirtschaftlicher Zwecke: Die zusammengestellten Sachen oder Rechte dienen einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck und sind im wirtschaftlichen Zusammenhang zu betrachten.
- Sachzusammenhang: Die Sachen müssen objektiv miteinander verbunden sein, beispielsweise mehrere Grundstücke, die von einem Eigentümer im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit als Betrieb genutzt werden.
- Rechtliche Selbstständigkeit: Die wirtschaftliche Einheit ist von der rechtlichen Einheit abzugrenzen, beispielsweise kann eine wirtschaftliche Einheit auch mehrere rechtlich selbstständige Grundstücke umfassen.
Maßgeblich ist stets der objektive wirtschaftliche Zusammenhang. Die tatsächliche Nutzung und Zweckbestimmung sind entscheidend.
Wirtschaftliche Einheit im Steuerrecht
Bedeutung für verschiedene Steuerarten
Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit findet sich in weiteren Steuerarten, etwa:
- Grunderwerbsteuer: Die Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit kann steuerbare Tatbestände auslösen.
- Erbschaft- und Schenkungsteuer: Für die Bewertung von Immobilien und landwirtschaftlichen Betrieben ist die wirtschaftliche Einheit ein Bewertungsmaßstab.
Auswirkungen bei der Grunderwerbsteuer
Die wirtschaftliche Einheit bildet im Grunderwerbsteuerrecht das Objekt des Erwerbsvorgangs. Beim Erwerb mehrerer Grundstücke, die in einem objektiven Zusammenhang stehen (z. B. ein Gebäudekomplex aus mehreren Flurstücken), werden diese als wirtschaftliche Einheit behandelt. Dem Erwerber entsteht die Steuerschuld daher für den Erwerb der gesamten wirtschaftlichen Einheit. Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Rechtsvorgangs.
Wirtschaftliche Einheit und Ertragssteuerrecht
Im Ertragsteuerrecht, etwa bei der Gewerbesteuer, kann die wirtschaftliche Einheit zur Bestimmung von Betriebsvermögen oder wirtschaftlichen Aktivitäten herangezogen werden. Insbesondere im Rückgriff auf das Handelsgesetzbuch (HGB) und die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum BewG ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise ein Grundsatz bei der Zusammenfassung wirtschaftlicher Vorgänge.
Wirtschaftliche Einheit im Gesellschafts- und Immobilienrecht
Gesellschaftsrechtliche Aspekte
In bestimmten Konstellationen, beispielsweise bei Personengesellschaften, wird das Gesellschaftsvermögen als wirtschaftliche Einheit zur Abgrenzung vom Privatvermögen der Gesellschafter betrachtet. Dies hat Auswirkungen auf Haftung, Besteuerung und Erbfolge.
Immobilien- und Wohnungseigentumsrecht
Im Immobilienrecht ist die wirtschaftliche Einheit stets im Zusammenhang mit Eigentumsverhältnissen, Nutzung und Verwaltung zu analysieren. So kann durch Teilung nach WEG (Wohnungseigentumsgesetz) eine wirtschaftliche Einheit in mehrere rechtliche Einheiten aufgespalten werden, dennoch können diese im Einzelfall steuerrechtlich als eine wirtschaftliche Einheit behandelt werden, sofern die Nutzung und wirtschaftliche Zweckbestimmung fortbestehen.
Abgrenzung: Wirtschaftliche vs. rechtliche Einheit
Nicht selten divergieren wirtschaftliche und rechtliche Einheit. Ein Grundstück kann rechtlich aufgeteilt sein, aber wirtschaftlich betrachtet weiterhin eine Einheit darstellen, etwa bei gemeinsamer Bewirtschaftung oder gemeinsamer Infrastruktur.
Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis
Verwaltungsauffassung
Die Finanzverwaltung hat Leitlinien zur Auslegung des Begriffs wirtschaftliche Einheit herausgegeben, die insbesondere bei der Bewertung und Besteuerung von Grundstücken anzuwenden sind.
Rechtsprechung
Die Gerichte, vor allem der Bundesfinanzhof (BFH), haben in zahlreichen Urteilen Kriterien zur Bildung und Abgrenzung wirtschaftlicher Einheiten erarbeitet. Entscheidend ist der objektive Zusammenhang; subjektive Vorstellungen der Beteiligten treten regelmäßig zurück.
Praktische Bedeutung und Anwendungsfälle
Immobilienkauf und -verkauf
Im Rahmen von Transaktionen über mehrere Grundstücke oder Betriebseinrichtungen kommt der wirtschaftlichen Einheit erhebliche Bedeutung bei der steuerlichen Behandlung zu.
Betriebsübergang und Restrukturierungen
Im Fall von Umstrukturierungen, Betriebsaufspaltungen oder Betriebsübergängen ist die Identifikation der wirtschaftlichen Einheit grundlegend für die steuerliche und bewertungsrechtliche Behandlung.
Feststellungserklärung und Bewertungsverfahren
Bei der Abgabe von Feststellungserklärungen für die Grundsteuer oder andere steuerliche Zwecke ist die zutreffende Bezeichnung und Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit erforderlich.
Zusammenfassung und Bedeutung im Rechtsalltag
Die wirtschaftliche Einheit ist ein entscheidender Begriff des deutschen Bewertungs- und Steuerrechts. Sie dient der praxisnahen Zusammenfassung mehrerer wirtschaftlich verbundenen Objekte oder Rechte zu einer Bewertungs- und Rechtsgröße, die für die Besteuerung, die Wertermittlung und zahlreiche Rechtsfolgen maßgeblich ist. Die Feststellung, Abgrenzung und Behandlung der wirtschaftlichen Einheit bedarf sorgfältiger rechtlicher Analyse unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben, der Verwaltungspraxis und der aktuellen Rechtsprechung.
Literaturhinweise
- Bewertungsgesetz (BewG)
- Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG)
- Bundesfinanzhof, Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Einheit
- Kommentarliteratur zum Bewertungsrecht und Steuerrecht
Häufig gestellte Fragen
Wann gilt eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des EU-Wettbewerbsrechts als gegeben?
Im EU-Wettbewerbsrecht wird die wirtschaftliche Einheit vor allem im Zusammenhang mit der Zuordnung von Kartellrechtsverstößen verwendet. Eine wirtschaftliche Einheit liegt vor, wenn mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen auf dem Markt als eine einheitliche Organisationseinheit auftreten, da sie unter der einheitlichen Leitung einer Muttergesellschaft stehen oder deren Geschäftspolitik maßgeblich von einer zentralen Stelle bestimmt wird. Maßgeblich ist hierbei, ob die Tochtergesellschaft in Bezug auf ihre Geschäftspolitik und strategischen Entscheidungen tatsächlich eigenständig agieren kann oder im Wesentlichen den Weisungen der Muttergesellschaft folgt. Eine wirtschaftliche Einheit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Tochter ausüben kann. Die wirtschaftliche Einheit wird als ein einziger Wettbewerber betrachtet, sodass Zuwiderhandlungen einer Tochtergesellschaft auch der Muttergesellschaft zugerechnet werden können. Im Einzelfall sind die Eigentumsverhältnisse, das Maß der Kontrolle sowie die wirtschaftliche Verflechtung heranzuziehen, was durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs konkretisiert wurde.
Welche Bedeutung hat die wirtschaftliche Einheit im deutschen Kartellrecht?
Das deutsche Kartellrecht, insbesondere das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), orientiert sich hinsichtlich des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit stark am europäischen Vorbild. Eine wirtschaftliche Einheit ist hier insbesondere im Kontext der Bußgeldhaftung und Unternehmenszusammenschlüsse relevant. So kann ein Kartellverstoß nicht nur dem unmittelbar handelnden Unternehmen zugerechnet werden, sondern auch der gesamten wirtschaftlichen Einheit, zu der es gehört. Bei der Bemessung von Bußgeldern sowie der Beurteilung, ob ein Zusammenschluss im Sinne des GWB vorliegt, spielt die wirtschaftliche Einheit eine zentrale Rolle. Maßgebliches Kriterium ist, wer letztlich die Kontrolle über das Unternehmen ausübt, wobei das deutsche Recht ebenfalls die einheitliche Leitung und wirtschaftliche Kontrolle als zentrale Kriterien zugrunde legt.
In welchen Situationen ist die wirtschaftliche Einheit im Rahmen des Arbeitsrechts relevant?
Im Arbeitsrecht spielt die wirtschaftliche Einheit vor allem bei Betriebsübergängen nach § 613a BGB eine Rolle. Bei einem Betriebsübergang ist entscheidend, ob eine organisatorische Einheit – also ein Betrieb oder Betriebsteil – ihre Identität wahrt und somit als wirtschaftliche Einheit fortbesteht. Hierbei prüft man, ob die übertragenen Betriebsmittel, Mitarbeiter und die organisatorische Struktur im Wesentlichen erhalten bleiben. Auch bei der Bildung eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen oder bei Outsourcing-Sachverhalten wird darauf abgestellt, ob eine wirtschaftliche Einheit im Arbeitsrecht fortgeführt wird, um die Rechte und Pflichten aus Arbeitsverhältnissen korrekt zuzuordnen.
Wie erfolgt die Zurechnung von Handlungen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit im Haftungsrecht?
Im Haftungsrecht, insbesondere im Bereich des Gesellschafts- und Kartellrechts, erfolgt die Zurechnung von Handlungen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit nach dem Grundsatz, dass ein Konzern oder eine Holdinggesellschaft für die Handlungen ihrer Tochterunternehmen haftbar gemacht werden kann, sofern letztere in der wirtschaftlichen Einheit als unselbstständig einzustufen sind. Insbesondere bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht oder bei Schadensersatzforderungen infolge unerlaubter Handlungen kann die Muttergesellschaft analog zur wirtschaftlichen Einheit für die Verstöße ihrer Töchter in Anspruch genommen werden. Die Zurechnung erfolgt stets aufgrund der tatsächlich ausgeübten Kontrolle und nicht allein aufgrund der Mehrheitsbeteiligung.
Welche Kriterien gelten für die Abgrenzung wirtschaftlicher Einheiten bei Konzernstrukturen?
Die Abgrenzung wirtschaftlicher Einheiten bei Konzernstrukturen erfolgt nach verschiedenen juristischen und tatsächlichen Kriterien. Zentral ist die Frage der einheitlichen Leitung, das heißt, inwieweit strategische Entscheidungen zentral getroffen und operativ umgesetzt werden. Weitere Kriterien sind die finanzielle und organisatorische Verflechtung, personelle Verbindungen auf Führungsebene sowie die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Infrastruktur. Die eigenständige wirtschaftliche Betätigung einer Tochtergesellschaft kann einer Annahme der wirtschaftlichen Einheit entgegenstehen, sofern tatsächliche Autonomie besteht. Die Rechtsprechung stellt hierbei auf den Grad der Weisungsbefugnisse und die faktische Integration in den Konzern ab.
Wie wird der Begriff „wirtschaftliche Einheit“ bei der Fusionskontrolle rechtlich bewertet?
Im Rahmen der Fusionskontrolle spielt die wirtschaftliche Einheit eine zentrale Rolle bei der Beurteilung, ob ein Zusammenschluss vorliegt und ob durch diesen eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Juristisch wird geprüft, ob zwischen den beteiligten Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit gebildet wird, was dann der Fall ist, wenn sie unter einheitlicher Kontrolle stehen. Diese Bewertung ist notwendig, um die tatsächlichen Marktverhältnisse korrekt abzubilden, denn nur wirtschaftlich selbstständige Unternehmen gelten als eigenständige Marktteilnehmer. Die Zusammenschlusskontrolle schließt wirtschaftliche Einheiten aus, die bereits im Einflussbereich einer Gruppe stehen, sofern keine neuen Machtpositionen entstehen. Hierbei wird auch auf stille Beteiligungen, vertragliche Kooperationen und andere Einflussnahmemöglichkeiten geachtet.
Welche Rechtsfolgen resultieren aus der Annahme einer wirtschaftlichen Einheit für die Beteiligten?
Die rechtlichen Folgen der Annahme einer wirtschaftlichen Einheit reichen von der gemeinsamen Bußgeldhaftung über die weitreichende Zurechnung von Kartellrechtsverstößen bis hin zur erleichterten Rechtsdurchsetzung gegen alle Teile der wirtschaftlichen Einheit. Bei behördlichen Untersuchungen und Sanktionen kann die zuständige Wettbewerbsbehörde Maßnahmen gegen jede Gesellschaft innerhalb der wirtschaftlichen Einheit ergreifen. Die wirtschaftliche Einheit wird als juristische Fiktion genutzt, um tatsächliche wirtschaftliche und rechtliche Verhältnisse der Unternehmensgruppen transparent und effektiv zu erfassen, sowohl im Interesse der Marktkontrolle als auch im Schutz der Verbraucher und des Wettbewerbs.