Begriff und Bedeutung: Einberufung Wehrpflichtiger
Die Einberufung Wehrpflichtiger bezeichnet im deutschen Wehrrecht den behördlichen Verwaltungsakt, durch den als wehrpflichtig anerkannte deutsche Staatsangehörige verbindlich zum Wehrdienst bei der Bundeswehr aufgefordert werden. Sie stellt einen wesentlichen Schritt in der Umsetzung der gesetzlichen Wehrpflicht gemäß Grundgesetz dar. Die Regelungen zur Einberufung ergeben sich im Wesentlichen aus dem Wehrpflichtgesetz (WPflG), dem Soldatengesetz (SG) und den dazugehörigen Verordnungen und Verwaltungsvorschriften.
Rechtliche Grundlagen der Einberufung Wehrpflichtiger
Verfassungsrechtliche Basis
Artikel 12a des Grundgesetzes bildet die verfassungsrechtliche Grundlage für die Einberufung Wehrpflichtiger. Demnach kann jeder männliche deutsche Staatsbürger ab Erreichen der Volljährigkeit zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden, soweit das Grundgesetz dies zulässt. Seit 2011 ist die Einberufung zur aktiven Wehrpflicht durch Aussetzung der Wehrpflicht faktisch aufgehoben, kann aber durch Gesetzesbeschluss wieder aktiviert werden.
Wehrpflichtgesetz und Soldatengesetz
Das Wehrpflichtgesetz (WPflG) und das Soldatengesetz (SG) regeln die Einzelheiten der Wehrpflicht und deren Einberufung. Besonders relevant sind hierbei folgende Bestimmungen:
- § 1 WPfIG: regelt die allgemeine Dienstpflicht.
- § 21 WPflG: sieht die förmliche Einberufung zum Wehrdienst vor.
- §§ 22 ff WPflG: erläutern das Verfahren, die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Einberufung.
Verwaltungsvorschriften und -verfahren
Die Einberufung erfolgt durch einen besonderen, schriftlichen Einberufungsbescheid. Die Zustellung erfolgt in der Regel durch die für den Wohnsitz zuständige Wehrersatzbehörde. Neben dem Termin der Dienstantrittspflicht enthält dieser Bescheid Hinweise zu Rechten, Pflichten und Rechtsbehelfsbelehrungen.
Voraussetzung und Ablauf der Einberufung
Musterung und Wehrfähigkeitsfeststellung
Vor der Einberufung muss eine Musterung stattfinden. Hierbei werden gesundheitliche, körperliche und geistige Eignung der Wehrpflichtigen festgestellt. Personen, die als diensttauglich, wehrdienstfähig und verwendungsfähig eingestuft werden, können grundsätzlich einberufen werden.
Auswahl und Reihenfolge der Einzuberufenden
Die Auswahl der einzuberufenden Personen richtet sich nach dem Bedarf der Streitkräfte, den Ergebnissen der Musterung, persönlichen Verhältnissen und ggf. gesetzlichen Zurückstellungsgründen (§ 12 WPflG). Die Reihenfolge wird in gesonderten Verwaltungsvorschriften festgelegt und erfolgt verbindlich.
Einberufungsbescheid
Die Erteilung eines Einberufungsbescheides stellt einen Verwaltungsakt mit bindender Wirkung dar. Der Bescheid enthält:
- Name sowie persönliche Daten des Wehrpflichtigen
- Datum und Uhrzeit des Dienstantritts
- Meldestelle und Truppenteil
- Angaben über Dauer der Verpflichtung und Hinweise auf Rechtsbehelfe
Der Zugang des Bescheides bewirkt für den Wehrpflichtigen die Pflicht, fristgerecht zum Wehrdienst zu erscheinen.
Rechtsfolgen und Pflichten nach Einberufung
Grundpflichten
Mit der Einberufung unterliegt der Wehrpflichtige den soldatischen Pflichten und Rechten nach Soldatengesetz und Wehrdisziplinarordnung. Bei Nichterscheinen ohne zureichenden Grund drohen strafrechtliche und ordnungsrechtliche Sanktionen (§ 53 WPflG, Dienstverweigerung, Fahnenflucht).
Widerspruchs- und Klagemöglichkeiten
Gegen den Einberufungsbescheid ist binnen eines Monats Widerspruch möglich. Bei Ablehnung durch die zuständige Behörde kann anschließend eine Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben werden. Die aufschiebende Wirkung dieser Rechtsbehelfe ist im Wehrpflichtgesetz grundsätzlich ausgeschlossen, kann jedoch auf gerichtliche Anordnung in begründeten Ausnahmefällen hergestellt werden.
Zurückstellung und Aussetzung der Einberufung
Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Zurückstellung oder Aussetzung der Einberufung erfolgen, etwa:
- aus privaten oder beruflichen Gründen (z.B. Schul- und Berufsausbildung)
- bei schweren familiären Härtefällen
- bei anerkannter Kriegsdienstverweigerung
Die Behörde prüft die Voraussetzungen individuell und entscheidet anhand gesetzlicher Vorgaben.
Besondere Rechtsfragen und Entwicklungen
Aussetzung der Wehrpflicht seit 2011
Im Jahr 2011 wurde die Einberufung zur aktiven Wehrpflicht durch ein einfaches Gesetz ausgesetzt. Dies bedeutet, dass weiterhin eine Wehrpflicht existiert, jedoch die Verpflichtung zur Ableistung des Dienstes bis auf Weiteres nicht durchgesetzt wird. Eine Wiedereinführung kann mittels einfachen Parlamentsgesetzes erfolgen.
Verfassungsmäßigkeit und Gleichbehandlungsgrundsatz
Die Einberufung betrifft nach geltender Rechtslage ausschließlich männliche deutsche Staatsangehörige. Die Rechtsprechung hatte sich wiederholt mit Fragen des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Artikel 3 GG) auseinanderzusetzen, bislang jedoch die gesetzliche Regelung bestätigt.
Einberufung Wehrpflichtiger im Spannungs- und Verteidigungsfall
Im Spannungs- und Verteidigungsfall sieht das Grundgesetz besondere Regelungen zur Einberufung vor. Hier wird die Wehrpflicht wieder aktiv, und eine unverzügliche Einberufung aller Wehrfähigen zur Landesverteidigung kann durchgeführt werden.
Literatur und weiterführende Vorschriften
- Wehrpflichtgesetz (WPflG)
- Soldatengesetz (SG)
- Grundgesetz (GG), insbesondere Artikel 12a und 87a GG
- Wehrdisziplinarordnung (WDO)
- Verwaltungsvorschriften zum Wehrpflichtgesetz
Schlussbemerkung
Die Einberufung Wehrpflichtiger ist ein komplex normiertes Verwaltungsverfahren, das sowohl individuelle Grundrechte als auch die staatliche Verteidigungsbereitschaft in Einklang bringt. Ihre konkrete Ausgestaltung, Rechtsfolgen sowie Ausnahmen und Sonderregelungen sind im Detail gesetzlich geregelt und unterliegen einer Vielzahl verbindlicher Verwaltungsvorschriften. Die Entwicklung der Gesetzgebung und Rechtsprechung bleibt dynamisch und wird insbesondere von Sicherheits- und gesellschaftspolitischen Faktoren beeinflusst.
Häufig gestellte Fragen
Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Einberufung von Wehrpflichtigen in Deutschland?
Die Einberufung von Wehrpflichtigen basiert primär auf dem Wehrpflichtgesetz (WPflG) sowie dem Soldatengesetz (SG) und wird durch weitere Vorschriften wie das Wehrrechtsänderungsgesetz konkretisiert. Das WPflG regelt die Voraussetzungen, das Verfahren und die Fristen der Einberufung und verweist darauf, dass grundsätzlich deutsche Männer zwischen dem vollendeten 18. und 27. Lebensjahr wehrpflichtig sind. Verfassungsrechtliche Grundlage bildet Artikel 12a des Grundgesetzes, der den Gesetzgeber zur Regelung der Wehrpflicht ermächtigt. Die konkreten Verfahren, Einberufungsbescheide, Rechte und Pflichten der Wehrpflichtigen sowie Ausnahmeregelungen werden in Durchführungsverordnungen und Verwaltungsvorschriften präzisiert. Seit Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht 2011 bleibt die gesetzliche Regelunsgarchitektur bestehen und kann im Spannungs- oder Verteidigungsfall wieder aktiviert werden.
Welche rechtlichen Anforderungen müssen bei der Ausfertigung eines Einberufungsbescheids beachtet werden?
Der Einberufungsbescheid ist ein Verwaltungsakt, der formell und materiell rechtmäßig sein muss. Er muss schriftlich erfolgen, den Einberufungszeitpunkt, die Dienststelle, zu der der Wehrpflichtige zu erscheinen hat, und die Dauer des Grundwehrdienstes enthalten. Der Bescheid muss die Rechtsgrundlage (i.d.R. §§ 21, 22 WPflG) nennen und eine Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 37 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) beinhalten. Die Einberufung muss rechtzeitig, mindestens zwei Wochen vor Dienstantritt (§ 24 WPflG), zugestellt werden, es sei denn, es liegt ein Spannungs- oder Verteidigungsfall vor. Der Bescheid ist mit Wirkung ab Zugang bindend, doch kann dagegen binnen einer Monatsfrist Widerspruch eingelegt werden.
Können Wehrpflichtige gegen eine Einberufung rechtlich vorgehen?
Ja, Wehrpflichtige können gegen die Einberufung das Rechtsmittel des Widerspruchs einlegen und im Falle der Ablehnung auch Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Die Einberufung gilt als belastender Verwaltungsakt, gegen den die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsprozessrechts Anwendung finden. Der Widerspruch kann aus formalen (z.B. fehlende Angaben) oder materiellen Gründen (z.B. gesundheitliche Untauglichkeit, unzulässige Auswahl) erfolgen. Ein eingelegter Widerspruch hat in der Regel aufschiebende Wirkung, die jedoch in besonderen Situationen ausgeschlossen oder vom Gericht wiederhergestellt werden kann (§ 80 VwGO).
Welche Ausnahmetatbestände sieht das Wehrpflichtgesetz für eine Einberufung vor?
Das Wehrpflichtgesetz sieht unterschiedliche Ausnahmen und Zurückstellungen vor. Beispielsweise können Wehrpflichtige aus gesundheitlichen Gründen (Untauglichkeit gemäß § 5 WPflG), wegen Betreuungspflichten (z.B. Alleinerziehende) oder wegen sozialer Härtefälle (§ 12 WPflG) von der Einberufung ausgenommen oder zurückgestellt werden. Weiterhin sind Wehrpflichtige, die einer anerkannten Gewissensentscheidung folgend einen Ersatzdienst leisten (Zivildienst, aktuell ausgesetzt), für die Dauer des Ersatzdienstes nicht einzuberufen. Zudem sind Studierende oder Auszubildende unter bestimmten Voraussetzungen gemäß §§ 12 und 13 WPflG während wesentlicher Ausbildungsabschnitte zurückgestellt.
Welche rechtlichen Folgen hat das Nichtbefolgen einer Einberufung?
Das Nichtbefolgen einer ordnungsgemäßen Einberufung kann sowohl verwaltungsrechtliche als auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Wer einer gültigen Einberufung schuldhaft nicht Folge leistet, begeht eine Wehrdienstflucht (§ 16 WPflG in Verbindung mit § 109 Wehrstrafgesetz – WStG), die mit Freiheitsstrafe oder anderen disziplinarischen Maßnahmen geahndet werden kann. Überdies können Ersatzvornahmen und polizeiliche Zuführung angeordnet werden (§§ 24, 26 WPflG). Das unentschuldigte Fernbleiben führt außerdem nicht zur Aufhebung der Wehrpflicht, sondern kann die spätere Einberufung nach sich ziehen.
Wie wird die Reihenfolge der Einberufungen rechtlich bestimmt?
Die Reihenfolge der Einberufung erfolgt nach objektiven Kriterien, die im Wehrpflichtgesetz und ergänzenden Rechtsverordnungen geregelt sind. Grundsätzlich ist das Geburtsdatum maßgeblich; innerhalb eines Jahrgangs kann nach regionalen Erfordernissen, Qualifikationen oder besonderen Fähigkeiten (z.B. medizinische Berufe) priorisiert werden. Darüber hinaus sind familiäre, berufliche und soziale Aspekte bei der Auswahl nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Zumutbarkeit zu berücksichtigen. Die Entscheidung über die Einberufungspriorität ist als Behördenentscheidung nachprüfbar.
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen kann die aktuelle Aussetzung der Wehrpflicht wieder aufgehoben werden?
Die Aussetzung der Wehrpflicht erfolgte durch Gesetzesänderung im Jahr 2011, nicht durch deren Aufhebung. Das bedeutet, die gesetzlichen Grundlagen bleiben bestehen. Die Bundesregierung kann gemäß § 54a WPflG im Spannungs- oder Verteidigungsfall mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates die Wehrpflicht wieder aktivieren. Voraussetzung hierfür ist der Eintritt besonderer Lagen, die im Grundgesetz (Art. 80a GG) geregelt sind. Die vollständige Reaktivierung bedarf eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens und entsprechender öffentlicher Bekanntmachung. Bis zur gesetzlichen Reaktivierung bleibt die allgemeine Wehrpflicht praktisch suspendiert, rechtlich jedoch weiterhin präsent.