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Doppelbestrafung, Verbot der –


Doppelbestrafung, Verbot der –

Definition und Grundsatz

Das Verbot der Doppelbestrafung ist ein rechtsstaatliches Prinzip, das sich sowohl im nationalen als auch im internationalen Recht wiederfindet. Es besagt, dass niemand wegen derselben Tat mehrmals strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden darf. Dieser Grundsatz wird im lateinischen Sprachgebrauch häufig als „ne bis in idem“ bezeichnet, was übersetzt etwa „nicht zweimal wegen desselben“ bedeutet.

Historische Entwicklung

Das Verbot der Doppelbestrafung ist ein elementares Rechtsschutzprinzip und Teil vieler europäischer und internationaler Rechtsordnungen. Bereits in der Magna Carta (1215) finden sich Ansätze, die einer doppelten Verfolgung entgegenwirken sollten. In Deutschland hat sich das Verbot historisch im Laufe der Entwicklung des modernen Strafrechts fest etabliert und ist heute ein Grundpfeiler rechtsstaatlicher Strafverfolgung.

Verfassungsrechtliche Verankerung

Deutsches Grundgesetz

Im deutschen Recht ist das Verbot der Doppelbestrafung in Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz (GG) ausdrücklich geregelt:
„Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“
Dadurch erhält dieses Verbot Verfassungsrang und kann bei allen staatlichen Verfolgungshandlungen geltend gemacht werden. Es schützt die Rechtssubjekte vor mehrfachen strafrechtlichen Sanktionen durch deutsche Gerichte wegen identischer Tatbestände.

Europäische Menschenrechtskonvention

Auf europäischer Ebene ist der Grundsatz in Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) normiert. Diese Vorschrift untersagt die Wiederaufnahme oder Doppelverfolgung einer Tat, für die bereits eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt.

Einfachgesetzliche Ausgestaltung

Das Doppelbestrafungsverbot findet sich im deutschen Recht unter anderem in § 84 Abs. 1 Satz 1 Strafgesetzbuch (StGB) und in § 36 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), welche sinngemäße Regelungen enthalten. Auch in strafprozessualen Normen wird auf das Verbot Bezug genommen, um etwa eine erneute Hauptverhandlung auszuschließen, wenn eine Entscheidung bereits rechtskräftig getroffen wurde (§ 211 Strafprozessordnung – StPO).

Anwendungsbereich und Tatbegriff

Sachlicher Anwendungsbereich

Das Verbot gilt für sämtliche Sanktionen, die strafrechtlichen Charakter besitzen, und bezieht sich nicht nur auf Geld- oder Freiheitsstrafen, sondern ebenfalls auf Sicherungsmaßnahmen, soweit diese strafähnlichen Charakter haben. Administrative oder disziplinarische Sanktionen können ebenfalls erfasst sein, sofern die Maßnahme nach Inhalt, Zweck und Schwere als Strafmaßnahme angesehen werden kann.

Begriff der „derselben Tat“

Die Abgrenzung, wann von „derselben Tat“ gesprochen werden kann, ist von zentraler Bedeutung. Nach herrschender Auffassung ist der historische Lebenssachverhalt maßgeblich – also das einmalige, zusammenhängende Geschehen, auf das sich der Vorwurf bezieht. Entscheidend ist nicht die rechtliche Bewertung, sondern der tatsächliche Vorgang. Mehrere Delikte, die in einer einheitlichen Handlung begangen werden, gelten als „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG.

Ausnahmen und Durchbrechungen

Das Doppelbestrafungsverbot ist nicht absolut und kennt anerkannte Durchbrechungen und Ausnahmen. Beispielsweise kann bei Vorliegen neuer Tatsachen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 359 ff. StPO rechtfertigen, unter engen Voraussetzungen eine erneute Verfolgung derselben Tat zulässig sein (Wiederaufnahme zuungunsten des bereits Freigesprochenen nach § 362 StPO).

Internationales Doppelbestrafungsverbot

Europäische Union – Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ)

Das Verbot der Doppelbestrafung ist auch auf EU-Ebene festgeschrieben und wird als sogenanntes transnationales „ne bis in idem“-Prinzips durch das Schengener Durchführungsübereinkommen (Art. 54 SDÜ) zwischen den Mitgliedstaaten beachtet. Danach darf eine Person in einem Vertragsstaat nicht wegen einer rechtskräftig abgeurteilten Tat in einem anderen Vertragstaat nochmals verfolgt werden, sofern die Strafe bereits vollstreckt, gerade vollstreckt wird oder nicht mehr vollstreckt werden kann.

Zusammenarbeit im internationalen Strafrecht

Im internationalen Kontext ist die Anwendbarkeit des Doppelbestrafungsverbots insbesondere im Rahmen von Rechtshilfe, Auslieferung und internationalen Gerichtshöfen (z. B. Internationaler Strafgerichtshof) zu beachten. Auch im Verhältnis zu Staaten, die nicht der EU oder dem SDÜ angehören, wird bei Auslieferungsersuchen das Verbot je nach Ausgestaltung des jeweiligen Staatsvertrags geprüft.

Verhältnis zu Verwaltungsrechtlichen und Disziplinarrechtlichen Maßnahmen

Das Verbot der Doppelbestrafung beschränkt sich nach deutschem Recht grundsätzlich auf das Strafrecht, jedoch ist eine Überschneidung zu Maßnahmen im Ordnungswidrigkeitenrecht oder Disziplinarrecht denkbar, vor allem, wenn Sanktionen nach ihrem Hauptzweck strafähnlichen Charakter erreichen.

Rechtsprechung zum Doppelbestrafungsverbot

Die deutschen Gerichte, insbesondere das Bundesverfassungsgericht sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), beschäftigen sich regelmäßig mit Fragen des Doppelbestrafungsverbots. In seiner Rechtsprechung hat insbesondere der EGMR eine weite Auslegung vorgenommen und auch verwaltungsrechtliche Sanktionen mit strafrechtlichem Charakter in den Anwendungsbereich einbezogen („Engel-Kriterien“).

Zusammenfassung und Bedeutung im Rechtsstaat

Der Grundsatz des Doppelbestrafungsverbots schützt grundlegend die Rechtssicherheit und das Vertrauen in gerichtliche Entscheidungen. Es ist ein zentrales Element des rechtlichen Gehörs und gewährleistet, dass abgeschlossene Verfahren tatsächlich endgültig erledigt sind. Durch die umfassende Verankerung im nationalen und internationalen Recht bildet das Verbot der Doppelbestrafung ein entscheidendes Bollwerk gegen staatliche Willkür und mehrfaches Unrecht.


Weiterführende Literatur und Links:

  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 103 Abs. 3 GG
  • Schengener Durchführungsübereinkommen, Art. 54
  • Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls
  • Strafprozessordnung, §§ 359 ff., 211 StPO
  • Bundesverfassungsgericht, zahlreiche Entscheidungen zum Doppelbestrafungsverbot
  • EGMR: Engel v. Niederlande, 1976

Diese Lexikonseite zum Verbot der Doppelbestrafung soll einen umfassenden und strukturierten Überblick zum Thema bieten und die unterschiedlichen rechtlichen Implikationen für die Praxis aufzeigen.

Häufig gestellte Fragen

Gilt das Verbot der Doppelbestrafung nur im Strafrecht oder auch im Ordnungswidrigkeitenrecht?

Das Verbot der Doppelbestrafung, auch bekannt als „ne bis in idem“, ist nicht ausschließlich auf das Strafrecht beschränkt. Es findet auch Anwendung im Ordnungswidrigkeitenrecht. Der Grundsatz ist in Deutschland im Grundgesetz (Art. 103 Abs. 3 GG) sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 50 GRCh und Art. 4 Prot. 7 EMRK) geregelt. Nach diesen Vorschriften darf niemand wegen derselben Tat mehrfach strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesgerichtshofs hat klargestellt, dass dies gleichermaßen für ordnungswidrigkeitsrechtliche Verfahren gilt, sofern die zugrundeliegenden Vorwürfe kernstrafrechtlicher Natur sind oder einen vergleichbaren Unrechtsgehalt aufweisen. Das bedeutet, dass eine Person wegen des gleichen Sachverhalts nicht gleichzeitig im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren belangt werden darf, soweit die Tat identisch ist und dieselben materiellen Rechtsgüter betroffen sind.

Wie wird ermittelt, ob es sich um „dieselbe Tat“ im Sinne des Doppelbestrafungsverbotes handelt?

Für die Frage, ob „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung der sogenannte „prozessuale Tatbegriff“ maßgeblich. Hierbei wird auf den einheitlichen Lebenssachverhalt abgestellt, der den Gegenstand des Strafverfahrens bildet. Es reicht, wenn ein einheitlicher Vorgang oder eine unmittelbare Tatsachenkette vorliegt, die einer rechtlichen Bewertung unterzogen wird. Entscheidend ist nicht die rechtliche Qualifikation oder die konkrete Gesetzesnorm, die angewendet wird, sondern der zugrunde liegende Sachverhalt. Werden aus demselben Geschehensablauf mehrere rechtlich relevante Delikte gebildet (zum Beispiel Diebstahl und Hausfriedensbruch), kann eine mehrfache Verfolgung ausgeschlossen sein, wenn der Lebenssachverhalt identisch bleibt.

Welche Rolle spielt das Strafklageverbrauch im Kontext der Doppelbestrafung?

Der Strafklageverbrauch ist ein zentraler Rechtsbegriff im Zusammenhang mit dem Verbot der Doppelbestrafung. Sobald gegen eine Person wegen einer bestimmten Tat ein rechtskräftiges Urteil (Verurteilung, Freispruch oder Verfahrenseinstellung mit Sachentscheidung) ergangen ist, ist die Strafklage – also die Möglichkeit, diese Tat strafrechtlich zu verfolgen – „verbraucht“. Eine erneute strafrechtliche Verfolgung wegen desselben Sachverhalts ist danach grundsätzlich ausgeschlossen. Der Strafklageverbrauch schützt das Vertrauen des Bürgers in die Rechtssicherheit und bewahrt ihn davor, mehrfach denselben staatlichen Strafansprüchen ausgesetzt zu werden.

Gibt es Ausnahmen vom Verbot der Doppelbestrafung?

Grundsätzlich ist das Verbot der Doppelbestrafung strikt ausgestaltet. Es gibt jedoch wenige, eng begrenzte Ausnahmen. Eine Ausnahme kann sich dann ergeben, wenn ein Urteil nachweislich auf einer rechtsstaatswidrigen Manipulation, wie Bestechung eines Richters oder massiver Prozessbetrug, beruht. In solchen Fällen kann nachträglich eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu Lasten des Betroffenen möglich sein (§ 362 StPO). Auch im internationalen Kontext kann das Doppelbestrafungsverbot durch völkerrechtliche Vereinbarungen eingeschränkt werden: So kann etwa bei bestimmten internationalen Straftaten (z.B. Völkermord, Kriegsverbrechen) eine erneute strafrechtliche Verfolgung durch internationale Strafgerichte trotz vorangegangener nationaler Verfolgung zulässig sein. Insgesamt sind diese Ausnahmen eng auszulegen.

Wie wirkt sich das Verbot der Doppelbestrafung im internationalen Kontext aus?

Das Doppelbestrafungsverbot stellt nicht nur eine innerstaatliche, sondern auch eine international anerkannte Garantie dar. Insbesondere durch die Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 4 Protokoll Nr. 7 EMRK) sowie der EU-Grundrechtecharta (Art. 50) ist der Schutz Mechanismus europaweit harmonisiert. Wird eine Person wegen einer Tat bereits in einem Mitgliedstaat der EU rechtskräftig abgeurteilt, darf sie im Regelfall wegen desselben Sachverhalts in einem anderen Mitgliedstaat nicht noch einmal strafrechtlich verfolgt werden (Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens). Allerdings gelten auch hier bestimmte Ausnahmen, etwa bei unzureichender Strafverfolgung oder im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Sachverhalten.

Was passiert, wenn gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßen wird?

Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung hat schwerwiegende rechtliche Konsequenzen. Bereits eingeleitete Strafverfahren, die gegen diese Vorgabe verstoßen, müssen eingestellt werden (§ 206a StPO). Ebenso ist ein in einem zweiten Verfahren ergangenes Urteil aufzuheben. Der Betroffene hat das Recht, sich im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens auf das Doppelbestrafungsverbot zu berufen. Im extremen Fall sind auch Entschädigungsansprüche denkbar, wenn jemand aufgrund eines solchen Verstoßes zu Unrecht inhaftiert oder verurteilt wurde. Auf europäischer Ebene kann zudem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden.

Welche typischen Probleme treten in der Praxis bei der Anwendung des Doppelbestrafungsverbots auf?

In der praktischen Anwendung ergeben sich oft Abgrenzungsprobleme bei der Frage, ob tatsächlich „dieselbe Tat“ im Sinne des Doppelbestrafungsverbots betroffen ist. Dies gilt insbesondere bei fortgesetzten Delikten, mehreren Tatbegehungen in einem engen zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang oder bei Tateinheit und Tatmehrheit. Weiterhin kann es Schwierigkeiten bei der internationalen Zusammenarbeit geben, etwa bei unterschiedlichen Strafverfolgungssystemen oder divergierenden Prozessordnungen der beteiligten Staaten. Auch die Frage, wann ein Urteil tatsächlich „rechtskräftig“ ist, führt in internationalen Sachverhalten mitunter zu Unsicherheiten. Die genaue Prüfung des maßgeblichen Lebenssachverhalts und der prozessualen Gegebenheiten ist daher unerlässlich, um das Verbot der Doppelbestrafung wirkungsvoll umzusetzen.