Definition und Übersetzung von „dolo facit (agit), qui petit, quod statim redditurus est“
Die lateinische Rechtsmaxime dolo facit (agit), qui petit, quod statim redditurus est bedeutet übersetzt: „Arglistig handelt (wer handelt), der etwas verlangt, was er sofort zurückgeben muss.“ Dieser Grundsatz entstammt dem römischen Recht und hat bis heute im modernen Zivilrecht Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Ansprüchen, die nicht mit ernsthaftem Rechtsfolgestreben erfolgen oder von vornherein auf sofortige Rückgewähr gerichtet sind.
Historische Herkunft und Entwicklung
Ursprung im römischen Recht
Die Maxime findet sich ursprünglich im Corpus Iuris Civilis, genauer bei Ulpian (D. 50,17,206) im Digestenwerk. Sie drückt einen Grundsatz aus, nach dem rechtsmissbräuchliche Handlungen, insbesondere täuschende oder arglistige Klageerhebungen, zurückgewiesen werden sollten.
Rezeption im deutschsprachigen Rechtskreis
Mit der Rezeption des Römischen Rechts in Deutschland und Mitteleuropa wurde dieser Lehrsatz fester Bestandteil des allgemeinen Rechtsverständnisses und beeinflusste das Prinzip von Treu und Glauben, das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in § 242 verankert ist.
Rechtliche Bedeutung und Anwendungsbereiche
Rechtsmissbrauch und Treu und Glauben
Die Rechtsregel dolo facit (agit), qui petit, quod statim redditurus est besagt, dass missbräuchliches oder arglistiges Verhalten vorliegt, wenn jemand einen Anspruch geltend macht, dessen Erfüllung er unverzüglich wieder rückabwickeln müsste. Ein solches Verhalten stellt einen Verstoß gegen das Verbot des Rechtsmissbrauchs (venire contra factum proprium) dar.
Fallbeispiel:
Ein Gläubiger verlangt die Bezahlung einer Geldschuld, obwohl er weiss, dass er aufgrund einer gleichwertigen Gegenforderung des Schuldners das erhaltene Geld unmittelbar zurückgeben oder aufrechnen müsste.
Anwendung im Prozessrecht
Im Zusammenhang mit der Prozessführung betrifft „dolo facit (agit), qui petit, quod statim redditurus est“ insbesondere Fälle, in denen eine Klage offensichtlich nicht auf eine endgültige Rechtsdurchsetzung, sondern auf Schikane oder prozessuale Verzögerungen gerichtet ist. Die Gerichte erkennen solche Klageerhebungen als rechtsmissbräuchlich und damit als unzulässig oder unbegründet an.
Zusammenhang mit § 242 BGB (Treu und Glauben)
„Wer gegen Treu und Glauben handelt, kann sich im deutschen Zivilrecht nicht auf seine formalen Rechte berufen.“ Diese zentrale Norm steht im engen Zusammenhang mit der vorliegenden Maxime. Sie verhindert, dass das Recht zur Durchsetzung von Ansprüchen missbraucht wird, insbesondere dann, wenn der Kläger zur sofortigen Rückgabe des Erlangten verpflichtet wäre.
Ausprägungen und Beispielsfälle aus der Rechtsprechung
Rückabwicklung und Kondiktion
Die Maxime findet Anwendung bei Rückforderungsansprüchen, etwa im Bereicherungsrecht. Eine Partei, die etwa eine Leistung verlangt, obwohl sie auf die Rückforderung keiner Rechtsgrundlage hat oder umgekehrt, wird durch diesen Grundsatz an ihrem Anspruch gehindert.
Typisches Beispiel:
Ein Käufer fordert die Rückgabe eines zuvor freiwillig gezahlten Betrags, obwohl der Vertrag noch besteht. Da der Betrag rechtmäßig geschuldet ist, müsste er nach Rückzahlung diesen sofort erneut entrichten.
Aufrechnungslage
Ein weiterer Anwendungsfall betrifft die Aufrechnung gegenseitiger Forderungen. Wer eine Leistung fordert, obwohl er weiß, dass der Schuldner eine gleichwertige Forderung zur sofortigen Aufrechnung stellen kann, handelt nach dieser Maxime rechtsmissbräuchlich.
Beispiel:
Person A schuldet Person B 100 €. Gleichzeitig schuldet Person B der Person A ebenfalls 100 €. Fordert nun eine Partei die Zahlung, obwohl eine sofortige Verrechnung möglich ist, greift die Maxime ein.
Dogmatische Einordnung und Grenzen des Grundsatzes
Verknüpfung mit dem Missbrauchseinwand
Die Lehre vom Rechtsmissbrauch bildet die dogmatische Grundlage für die Anwendung der Maxime. Sie wird insbesondere im Streit um Leistungsklagen bei erkennbarer Sinnlosigkeit oder Vergeudung von Ressourcen herangezogen.
Grenze: Eigenständige Interessen
Die Maxime gilt nicht, wenn der Anspruchsteller ein berechtigtes Eigeninteresse an der Durchsetzung seines Rechts besitzt, etwa um Klarheit über die Forderungslage zu erlangen. Auch wenn die Rückgabepflicht nicht sicher feststeht, kann das Vorgehen als zulässig angesehen werden.
Stellung im internationalen Rechtsvergleich
Kontinentaleuropäische Rechtsordnungen
In vielen kontinentaleuropäischen Zivilrechtsordnungen ist das aus dem römischen Recht übernommene Missbrauchsverbot ein grundlegendes Prinzip. Entsprechende Formulierungen oder sinngleiche Regelungen finden sich auch in den Rechtsordnungen Frankreichs, Italiens oder Spaniens.
Common Law
Im anglo-amerikanischen Rechtskreis gibt es keine direkte Entsprechung, jedoch werden sinnverwandte Institute wie etwa die „abuse of process“ oder das „equitable estoppel“ herangezogen, um vergleichbare Fälle von Rechtsmissbrauch zu unterbinden.
Relevanz in der Praxis und Bedeutung für die Anspruchsabwehr
Schikane- und Rückforderungsklagen
Im gerichtlichen Verfahren und bei außergerichtlicher Anspruchsabwehr dient die Maxime als Einwand gegen Forderungen, bei denen die sofortige Rückgewähr droht und die Geltendmachung daher treuwidrig erscheint.
Stärkung des Rechtsfriedens
Durch die Verhinderung rein formaler, inhaltsleerer Anspruchsdurchsetzung trägt die Maxime zu Rechtssicherheit und fairer Verfahrensführung bei, indem sie missbräuchliche Klageerhebungen einschränkt.
Zusammenfassung
Die Rechtsregel dolo facit (agit), qui petit, quod statim redditurus est stellt einen zentralen Grundsatz zur Vermeidung von Rechtsmissbrauch im Zivilrecht dar. Wer eine Leistung einklagt, die er unmittelbar wieder herausgeben müsste, verhält sich arglistig und kann sich daher nicht auf sein formales Recht berufen. Die Maxime schützt Parteien und das Rechtssystem vor sinnloser Prozessführung und trägt zur Durchsetzung des Prinzips von Treu und Glauben im Rechtsverkehr bei. Sie hat ihren Ursprung im römischen Recht, ist im modernen Zivilrecht verankert und beeinflusst bis heute maßgeblich die Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Anspruchsnormen.
Häufig gestellte Fragen
Wann ist der Anwendungsbereich des Satzes „dolo facit (agit), qui petit, quod statim redditurus est“ im Zivilrecht eröffnet?
Der Anwendungsbereich des Satzes „dolo facit (agit), qui petit, quod statim redditurus est“ ist im Zivilrecht vor allem im Leistungsstörungsrecht und im Bereicherungsrecht relevant. Der Grundgedanke besteht darin, dass derjenige, der eine Leistung einklagt, obwohl ihm bewusst ist, dass er diese sogleich wieder zurückgeben müsste (etwa weil eine Rückforderungspflicht nach §§ 812 ff. BGB – ungerechtfertigte Bereicherung – besteht), arglistig oder treuwidrig handelt. Vor allem bei der Geltendmachung vertraglicher Ansprüche, für die auf der Gegenseite bereits ein Rückgewähranspruch entstanden ist, greift dieser Gedanke. Der Satz dient dazu, unbegründete Klagerechte aus Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) zu begrenzen. Häufige Fälle betreffen Rückabwicklungen nach Anfechtung, Rücktritt oder Widerruf eines Vertrages: Verlangt eine Partei noch die ursprüngliche Leistung, obwohl feststeht, dass sie sie aufgrund des Gegenrechts sofort zurückgewähren müsste, liegt ein solcher Fall der dolo agit-Exception vor. Zu beachten ist, dass nicht bloß eine Rückgabeverpflichtung, sondern auch die sofortige fällige Rückgabepflicht bestehen muss. Der Anspruchsteller darf nicht berechtigt sein, die Rückgabe hinauszuzögern. Zusätzlich fordert die Rechtsprechung Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Rückgewährpflicht beim Anspruchsteller.
Welche prozessualen Auswirkungen hat die Einwendung aus „dolo agit“?
Die sogenannte dolo-agit-Einwendung hat im Zivilprozess weitreichende Auswirkungen. Sie stellt eine Einwendung („dolo agit-Exceptio“) dar, die der Schuldner – als Beklagter – gegen den Klaganspruch erhebt. Die Einwendung führt, sofern sie durchgreift, dazu, dass die Klage abgewiesen wird, da dem Kläger aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Rechtsausübung verwehrt ist. Im Prozess muss der Beklagte allerdings Tatsachen substantiiert darlegen, aus denen hervorgeht, dass der Kläger das Eintreten der sofortigen Rückgewährverpflichtung kennt oder kennen müsste. Die Gerichte prüfen stets, ob tatsächlich eine sofortige Rückgabeverpflichtung und ein entsprechendes Bewusstsein beim Kläger vorliegen. Die dolo-agit-Einwendung kann grundsätzlich jederzeit bis zur letzten mündlichen Verhandlung geltend gemacht werden, da sie nicht präkludiert ist.
Welche praktischen Fallkonstellationen sind für „dolo facit, qui petit, quod statim redditurus est“ typisch?
Typische Fallkonstellationen treten insbesondere nach Vertragsrücktritt, Anfechtung oder sonstigen Rückabwicklungsfällen auf. Ein klassischer Fall ist: Der Käufer verlangt nach einer erfolgreichen Anfechtung eines Kaufvertrages die Lieferung des Kaufgegenstandes, obwohl der Verkäufer bereits zur Rückabwicklung berufen ist. Ebenso kann ein Verkäufer auf Zahlung des Kaufpreises bestehen, obwohl feststeht, dass dieser unmittelbar nach der Leistung wegen eines Rücktritts oder Widerrufs zu erstatten wäre. Ein weiterer bedeutender Anwendungsfall ist das doppelte „Leistungskonditionsspiel“ im Bereicherungsrecht: Hier könnte ein Anspruchsteller versuchen, eine Leistung einzufordern, obwohl ihm spätestens mit Erfüllung der Leistung ein sogleicher Rückzahlungsanspruch entstehen würde. In all diesen Fällen ist durch die dolo-agit-Regel die Klage abzuweisen, um sinnlosen Leistungsaustausch und Kosten zu vermeiden.
Wie ist das Verhältnis des Grundsatzes zu § 242 BGB (Treu und Glauben)?
Der Satz „dolo facit (agit), qui petit, quod statim redditurus est“ ist eine spezifische Ausprägung des Prinzips von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Er konkretisiert das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und setzt dem Recht auf Leistung eine Grenze, wenn deren Durchsetzung schlechthin sinnlos oder unzulässig ist. Das Ziel ist die Vermeidung formaler Rechtsdurchsetzung, wenn kein schützenswertes Interesse mehr besteht. Die dolo-agit-Einwendung wird dabei unmittelbar auf § 242 BGB gestützt und gilt nur sofern der Anspruchsteller tatsächlich in Kenntnis der sofortigen Rückabwicklung handelt. Die Anwendung ist selten rein mechanisch, sondern stets im Licht des jeweiligen Einzelfalls und nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu überprüfen.
Wann greift die dolo-agit-Einwendung nicht?
Die dolo-agit-Einwendung findet keine Anwendung, wenn dem Anspruchsteller trotz Rückgewährverpflichtung ein berechtigtes Interesse zusteht, die Leistung zu fordern. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Rückgewähranspruch noch nicht fällig ist oder zwischen den Parteien Uneinigkeit über das Bestehen des Rückabwicklungsgrundes besteht und die Durchsetzung des Anspruchs erforderlich ist, um Rechtssicherheit zu erlangen. Auch wenn der Anspruchsteller die Gegenleistung im Rahmen eigener Sicherungsinteressen fordert oder wenn über die Rückabwicklung noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, kann die dolo-agit-Einwendung abgelehnt werden. Ferner ist sie ausgeschlossen, falls der Leistende nicht wusste und auch nicht wissen musste, dass eine sofortige Rückgewährpflicht besteht, oder wenn die Rückabwicklung nicht Zug-um-Zug, sondern in einem anderen zeitlichen Kontext erfolgen soll.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die dolo-agit-Einwendung Erfolg hat?
Für die erfolgreiche Geltendmachung der Einwendung „dolo agit“ müssen mehrere Voraussetzungen gegeben sein:
- Es muss ein Anspruch des Klägers bestehen, der materiell-rechtlich gegeben ist.
- Gleichzeitig muss auf Seiten des Beklagten ein fälliger Rückgewähranspruch bestehen, mit dem Ergebnis, dass der Kläger die empfangene Leistung sogleich zurückzugeben hätte.
- Der Kläger muss positive Kenntnis von der Rückgabeverpflichtung haben oder diese zumindest kennen müssen.
- Schließlich darf dem Kläger kein schutzwürdiges Interesse an der Durchsetzung seines Anspruchs zustehen, etwa zur Klärung streitiger Rückabwicklungsfragen.
Erst wenn sämtliche Elemente erfüllt sind, greift das Verbot der Rechtsausübung und der Anspruch wird mit der dolo-agit-Einwendung abgewehrt.
Gibt es eine Entsprechung im öffentlichen Recht?
Auch im öffentlichen Recht findet sich die Überlegung der dolo-agit-Einwendung wieder, insbesondere bei sogenannten Rücknahme- und Aufhebungsfällen von Verwaltungsakten sowie im Erstattungsrecht. So kann der Grundsatz, dass niemand einen Anspruch durchsetzen kann, dessen Ergebnis umgehend die Verpflichtung zur Rückgabe auslösen würde, im Rahmen von Verwaltungsverfahren und Rückforderungsansprüchen analog angewendet werden. In der Praxis spielt er dort jedoch eine geringere Rolle, weil im öffentlichen Recht häufiger durch ausdrückliche Regelungen für eine geordnete Rückabwicklung gesorgt ist. Gleichwohl bestätigen vereinzelt Urteile der Verwaltungsgerichte die Übertragbarkeit des Gedankens im Grundsatz auf öffentlich-rechtliche Sachverhalte.