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Dereliktion


Dereliktion: Begriff und rechtlicher Rahmen

Die Dereliktion ist ein zentraler Begriff im Sachenrecht und beschreibt das bewusste und endgültige Aufgabehandeln an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache. Mit der Erklärung der Dereliktion verzichtet der Eigentümer auf sein Eigentum an einer Sache (Eigentumsaufgabe), ohne dass ein neuer Eigentümer bestimmt wird. Dies führt zum Eigentumsverlust und wird auch als Dereliktionserklärung bezeichnet.

Begriffsbestimmung und historische Entwicklung

Die Dereliktion entstammt dem lateinischen „derelictio“ (von „derelinquere“: verlassen, im Stich lassen). Im deutschen und europäischen Recht ist sie ein nicht nur historisch bedeutsamer, sondern auch nach wie vor relevanter Vorgang des freiwilligen Eigentumsverzichts. Sie findet ihre Wurzeln im römischen Recht, in dem mit der Derelictio die Aufgabe einer Sache durch den Willen des Eigentümers möglich war.

Rechtliche Grundlagen der Dereliktion

Voraussetzungen der Dereliktion

Die rechtlichen Voraussetzungen der Dereliktion bestehen aus zwei Hauptpunkten:

  1. Aufgabewille (animus derelinquendi): Der Eigentümer muss den eindeutigen Willen besitzen, seine Eigentümerstellung an der betreffenden Sache aufzugeben.
  2. Besitzaufgabe (actus derelinquendi): Zusätzlich muss der Eigentümer jeglichen Besitz an der Sache freiwillig aufgeben, indem er die tatsächliche Sachherrschaft beendet.

Es ist notwendig, dass sowohl Aufgabewille als auch Besitzaufgabe zusammenfallen. Erst durch diese Konkordanz entfaltet die Dereliktion ihre Rechtswirkungen.

Rechtsfolgen der Dereliktion

Eigentumsverlust

Die unmittelbare Rechtsfolge der Dereliktion ist der Eigentumsverlust des bisherigen Eigentümers (§ 959 BGB). An die Stelle des Eigentümers tritt kein Rechtsnachfolger; die Sache wird vielmehr „herrenlos“ und steht für eine erneute Eigentumserlangung offen.

Herrenlose Sachen

Sobald die Dereliktion vollzogen ist, wird die Sache als herrenlos im Sinne von § 958 BGB klassifiziert. Solche Sachen können von jedermann durch sogenannte Aneignung (Okkupation) in Eigentum genommen werden, sofern sie nicht besonderen gesetzlichen Beschränkungen unterliegen.

Formen und Anwendungsbereiche

Bewegliche Sachen

Die Aufgabe des Eigentums an beweglichen Sachen über die Dereliktion erfolgt durch ein bewusstes Wegwerfen oder das Verlassen der Sache ohne Rückkehrabsicht. Nach Aufgabe des Besitzes ist die Sache herrenlos und kann von Dritten nach Maßgabe des § 958 BGB angeeignet werden.

Unbewegliche Sachen (Grundstücke)

Für Grundstücke ist die Dereliktion – Entledigung des Eigentums – grundsätzlich nicht vorgesehen. Nach § 928 BGB ist jedoch im Ausnahmefall auch eine Eigentumsaufgabe bei Grundstücken möglich, allerdings erfolgt in diesem Zusammenhang stets ein staatlicher Eigentumserwerb (Eigentum fällt an den Fiskus). Eine vollständige Herrenlosigkeit, wie bei beweglichen Sachen, tritt hier nicht ein.

Grenzen und Ausschlüsse der Dereliktion

Ein Eigentumsverzicht an bestimmten Gegenständen ist rechtlich untersagt. Hierzu gehören insbesondere:

  • Sachen, die dem Gemeinwohl zu dienen bestimmt sind (z.B. öffentliche Straßen)
  • Sachen, an denen keine Verfügung möglich ist (z.B. herrenlose Grundstücke im Geltungsbereich von speziellen Gesetzesregelungen)

Besonderheiten der Dereliktion im Rechtsverkehr

Dereliktion und Besitzrecht

Der Aufgabeakt des Besitzes im Rahmen der Dereliktion birgt Abgrenzungsprobleme: Nicht jede Besitzaufgabe hat auch eine Eigentumsaufgabe zur Folge. Erforderlich ist die ausdrückliche oder konkludente Kundgabe des Willens, das Eigentum endgültig aufzugeben. Missverständnisse können insbesondere auftreten, wenn eine Sache nur vorübergehend aus dem Herrschaftsbereich entfernt wird oder verloren geht.

Strafrechtliche und abfallrechtliche Aspekte

Abfallrechtliche Einordnung

Im Umwelt- und Abfallrecht bezeichnet „wilde“ Entsorgung von Gegenständen nicht zwangsläufig eine Dereliktion im zivilrechtlichen Sinne, da öffentliche Interessen berührt werden und spezifische Vorschriften greifen (§§ 15 ff. KrWG).

Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Die Aufgabe von Sachen im öffentlichen Raum kann je nach Kontext als Ordnungswidrigkeit oder Straftat qualifiziert werden, sofern Umweltschutz- oder Ordnungsvorschriften berührt sind. Ein bloßer Eigentumsverzicht entbindet nicht von einer verantwortlichen Entsorgung nach gesetzlichen Vorgaben.

Verhältnis zu anderen Rechtsinstituten

Unterschied zur Übereignung gemäß § 929 BGB

Während bei der Übereignung ein Erwerber vorhanden sein muss, bedarf die Dereliktion keiner Willenserklärung eines Dritten. Sie ist ein einseitiges Rechtsgeschäft.

Unterschied zur Enteignung

Die Dereliktion erfolgt ausschließlich freiwillig. Im Unterschied dazu steht die Enteignung als hoheitlicher Akt, bei dem das Eigentum zwangsweise auf einen anderen übertragen wird.

Internationale Bezüge

Auch in zahlreichen anderen Rechtsordnungen existiert das Prinzip der Eigentumsaufgabe, wenn auch unter abweichenden Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Insbesondere im Common Law (Abandonment) sind mit der Dereliktion vergleichbare Institute bekannt.

Zusammenfassung

Die Dereliktion ist ein zentrales Rechtsinstitut des Sachenrechts, das die freiwillige und endgültige Aufgabe des Eigentums durch den bisherigen Eigentümer bezeichnet. Sie bedarf eines eindeutigen Eigentumsaufgabewillens, vollzieht sich durch Verlassen oder Weggabe der Sache und führt zu ihrer Herrenlosigkeit. Einschränkungen bestehen bei Grundstücken und im Bereich besonderer gesetzlicher Regelungen. Die rechtlichen Auswirkungen der Dereliktion sind vielfältig und berühren Aspekte des Allgemein-, Umwelt- und Ordnungsrechts.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechtsfolgen hat die Dereliktion für das Eigentum an einer beweglichen Sache?

Wird eine bewegliche Sache derelikiert, also willentlich aufgegeben, erlischt gemäß § 959 BGB das Eigentum des bisherigen Eigentümers in dem Moment, in dem er den Besitz an der Sache verliert und den Besitzwillen aufgibt. Dies bedeutet, dass die Sache mit Beendigung des Besitzes eigentumslos (herrenlos) wird. Eine dereliktierte Sache kann danach von jedermann durch bloße Besitzergreifung gemäß § 958 Abs. 1 BGB wieder in Eigentum übernommen werden (Okkupation). Für den Rechtsverkehr ergibt sich daraus, dass die bisherige Eigentümerposition vollständig erlischt und sich keine weiteren Rechte daraus ableiten lassen, sobald der Dereliktionstatbestand vollständig verwirklicht wurde.

Kann die Dereliktion auch an einer mit Rechten Dritter belasteten Sache vorgenommen werden?

Eine Dereliktion ist grundsätzlich auch bei rechtlich belasteten Sachen möglich, beispielsweise wenn auf der beweglichen Sache ein Pfandrecht oder Nießbrauch ruht. Allerdings erlischt durch die Dereliktion auch das Eigentum und damit sämtliche akzessorischen Rechte, die an das Eigentum gebunden sind. Da das Sicherungsrecht an der Sache hängt, geht es mit Untergang des Eigentums unter, sodass der Sicherungsnehmer seinen Anspruch verliert. Bestehen hingegen selbständige Rechte (wie Besitz, sofern dieser unabhängig bleibt), so bleibt deren rechtliche Bewertung unberührt. Für Pfandgläubiger oder Nießbraucher bedeutet dies erhebliche Risiken, weil sie mit der Dereliktion des Eigentümers ihre Rechte verlieren können.

Inwieweit ist eine Dereliktion formbedürftig oder an besondere Erklärungen gebunden?

Das Gesetz stellt für eine wirksame Dereliktion keine bestimmten Formvorschriften auf. Es reicht aus, dass der Wille zur Eigentumsaufgabe (derelictio) eindeutig und nach außen erkennbar manifestiert wird und der tatsächliche Besitz an der Sache beendet wird. Eine ausdrückliche Erklärung oder schriftliche Anzeige ist nicht erforderlich; auch konkludente Handlungen (z.B. das Wegwerfen eines Gegenstands in den Müll) genügen. Eine bloße innere Absicht oder ein Gedanke, sich von der Sache trennen zu wollen, reicht nicht. Die Willensbetätigung muss erkennbar und eindeutig sein.

Kann eine Dereliktion widerrufen werden?

Ein Widerruf der Dereliktion ist nur möglich, solange der Vorgang noch nicht vollständig abgeschlossen ist, d.h. solange der Besitz aufgegeben, aber noch nicht von einer anderen Person ergriffen oder die Sache noch weiterhin an ihrem ursprünglichen Standort vorgefunden werden kann. Sobald jedoch ein Dritter Besitz an der herrenlosen Sache begründet hat, ist eine Rücknahme der Aufgabe nicht mehr möglich, da der neue Besitzer originär Eigentum erlangt hat. Der Rücknahme der Aufgabe steht dann die originäre Eigentumserlangung gemäß § 958 Abs. 1 BGB entgegen.

Gibt es gesetzliche Einschränkungen hinsichtlich der Dereliktion von Sachen?

Nicht alle Sachen sind dereliktionsfähig. Gesetzlich ausgeschlossen ist die Dereliktion insbesondere bei solchen Sachen, die nicht im Eigentum des Verfügenden stehen (z.B. bei Miet- oder Leihsachen) oder bei denen eine Eigentumsaufgabe gegen zwingende Vorschriften verstößt. Ebenfalls besteht bei gefährlichen Stoffen oder Abfällen, die besonderen gesetzlichen Entsorgungsregelungen unterliegen (wie etwa nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz), keine Möglichkeit zur wirksamen Dereliktion, da das öffentliche Interesse an der sicheren Entsorgung diese Form der Eigentumsaufgabe ausschließt. Ferner ist die Dereliktion an Grundstücken ausgeschlossen, da nach § 928 Abs. 1 BGB hierfür eine spezielle, notariell beurkundete Aufgabeerklärung notwendig ist.

Welche Rolle spielt der Besitz bei der Dereliktion und nachfolgenden Eigentumserwerb?

Der Besitz ist bei der Dereliktion von zentraler Bedeutung. Das Erlöschen des Eigentums setzt voraus, dass der Eigentümer den Besitz vollständig aufgibt und dabei den ausdrücklichen Willen bekundet, sein Eigentum an der Sache aufzugeben. Solange der Besitz an der Sache (unmittelbar oder mittelbar) fortbesteht – sei es zum Beispiel durch Verwahrung bei einem Dritten -, bleibt das Eigentum erhalten. Erst mit Besitzverlust und erkennbarer Aufgabe des Eigentumswillens ist die Sache herrenlos. Der nachfolgende Eigentumserwerb durch einen Dritten setzt wiederum voraus, dass dieser tatsächlich Besitz an der herrenlos gewordenen Sache begründet.

Wie verhält es sich mit der Dereliktion von Sachen, die unter Denkmalschutz stehen oder als Kulturgut gelten?

Bei Kulturgütern oder unter Denkmalschutz stehenden Gegenständen ist die freie Dereliktion regelmäßig durch öffentlich-rechtliche Vorschriften eingeschränkt oder ausgeschlossen. Oftmals bestehen Melde- und Erhaltungspflichten, die einen Eigentumsverzicht nicht gestatten. So regeln Denkmalschutzgesetze der Länder und das Kulturgutschutzgesetz zusätzliche Voraussetzungen, etwa das Verbot der Verbringung von Kulturgütern ins Ausland oder die Unterschutzstellung bestimmter Gegenstände, bei denen der Eigentümer verpflichtet sein kann, für den dauerhaften Erhalt oder die Übergabe an öffentliche Stellen zu sorgen. In solchen Fällen geht das Eigentum bei einer Aufgabe regelmäßig auf den Staat oder eine bestimmte Institution über und ist nicht vollständig frei verfügbar.

Was gilt im Falle einer irrtümlichen Dereliktion?

Eine irrtümliche, nicht gewollte Dereliktion ist rechtlich unbeachtlich, wenn der innere Wille nicht auf eine Eigentumsaufgabe gerichtet war, sondern lediglich ein Irrtum über den Wert oder die Bedeutung der Sache bestand. Hat der Verfügende jedoch den Tatbestand der Besitzaufgabe und die nach außen erkennbare Eigentumsaufgabe objektiv verwirklicht, so kommt eine Anfechtung wegen Irrtums nur unter den Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB in Betracht. Die Anfechtung der Dereliktion ist aber praktisch schwierig, weil der Rechtserwerb eines gutgläubigen Dritten am herrenlosen Gegenstand regelmäßig schützt und nach § 121 Abs. 2 BGB das Aneignungsrecht des Dritten vorgeht.