Begriff und Ursprung der Defeasance
Defeasance ist ein Begriff aus dem angloamerikanischen Rechtskreis und beschreibt grundsätzlich einen vertraglichen Mechanismus, der die Wirksamkeit oder Fortdauer einer bestehenden rechtlichen Verpflichtung oder eines Rechtsaktes bedingt und unter näher bestimmten Voraussetzungen erlöschen lässt. Die Defeasance hat in verschiedenen Rechtsgebieten – insbesondere im Schuld- und Sachenrecht, im Wertpapierrecht sowie im Finanz- und Kapitalmarktrecht – unterschiedliche Ausgestaltungen und Wirkungen.
Der Ursprung des Begriffs liegt im englischen Recht („defeasance“ von lateinisch „defacere“: zunichtemachen, aufheben). Dabei handelt es sich um eine schriftliche Zusatzvereinbarung, mit der eine anfänglich unwiderrufliche Rechtsposition oder ein Titel durch Eintritt bestimmter, zumeist aufschiebender oder auflösender Bedingungen aufgehoben oder eingeschränkt wird.
Defeasance im Schuld- und Vertragsrecht
Grundprincip
Im Schuldrecht wird unter Defeasance die Vereinbarung verstanden, nach der eine bestehende Schuld oder Forderung durch eine künftige Bedingung beseitigt oder modifiziert werden kann. Dabei bleibt die ursprüngliche Verpflichtung zunächst wirksam, bis das festgelegte Ereignis oder die Bedingung (zum Beispiel vollständige Rückzahlung oder Erfüllung einer Sicherungsauflage) eintritt.
Rechtsfolgen
Durch die Defeasance wird, im Falle ihrer Wirksamkeit, das zugrundeliegende Schuldverhältnis entweder rückwirkend (ex tunc) oder mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) beendet. Die Ausgestaltung ist abhängig von der Auslegung der zugrundeliegenden Defeasance-Klausel und den jeweiligen nationalen gesetzlichen Vorgaben.
Defeasance in der Sicherheitenpraxis
Anwendung bei Hypotheken und Grundschulden
Im Bereich besicherter Kredite, insbesondere bei Immobilienfinanzierungen, kann durch eine Defeasance-Klausel die Sicherungsabrede zwischen den Parteien bedingt aufgehoben werden. Im angloamerikanischen Recht wird dies bevorzugt im Zusammenhang mit Hypothekenurkunden (mortgage deeds) geregelt. Nach vollständiger Rückzahlung des Darlehens kann die Hypothek oder Grundschuld automatisch gelöscht oder als erledigt betrachtet werden.
Treuhandmodelle und Drittmittel
Oftmals erfolgt die Defeasance unter Hinzuziehung von Treuhändern (Trustees), die Mittel oder Vermögenswerte verwalten, welche speziell zum Zweck der Erfüllung der Defeasance benötigt werden. Durch deren Einlage kann die ursprüngliche Sicherheit freigegeben, das heißt das Sicherungsrecht erlöschen.
Defeasance im Finanz- und Kapitalmarktrecht
Bedeutung bei Anleihen und Wertpapieren
Eine weitreichende praktische Bedeutung besitzt die Defeasance im Bereich öffentlicher und privater Anleihen. Durch Einbringung granular abgesicherter Aktiva (z. B. risikolose Staatspapiere im Treuhanddepot) wird die Verpflichtung aus einer bestehenden Anleihe effektiv neutralisiert. Die Schuldverschreibung bleibt formal bestehen, ihre Erfüllung wird jedoch durch die eingebrachten Mittel sichergestellt.
Voraussetzungen und Ablauf
- Emittent entrichtet einen Geldbetrag oder Wertpapiere mit sicherer Rendite in ein Treuhandkonto.
- Der Treuhänder verwendet diese Mittel zur termingerechten Rückführung der Anleiheglieder an die Gläubiger.
- Nach vollständiger Deckung der Verpflichtungen gilt die Anleihe als „defeased“, d. h. wirtschaftlich neutralisiert.
- Die Weiterhaftung und regulatorische Behandlung nach lokalen Handlungsvorschriften (z. B. IFRS, US GAAP) ist zu beachten.
Regulatorisches Umfeld
Die Anerkennung und Umsetzung von Defeasance-Mechanismen unterliegt national unterschiedlichen gesetzlichen und aufsichtsrechtlichen Vorschriften. So können etwa steuerliche Rahmenbedingungen, Einhaltung der Insolvenzsicherung sowie Informations- und Notifikationspflichten eine Rolle spielen. In den USA ist die Defeasance durch IRS-Regularien und SEC-Berichtspflichten eingehegt.
Defeasance aus Sicht des Insolvenzrechts
Im Insolvenzfall ist zu prüfen, inwieweit eine Defeasance-Vereinbarung insolvenzfest ausgestaltet wurde. Ist das begünstigte Recht (z. B. die Schuldneutralisierung über ein Treuhandkonto) wirksam und unanfechtbar, so kann die Defeasance auch im Falle einer Insolvenz Bestand haben. Werden jedoch Insolvenz- oder Gläubigerschutzvorschriften tangiert, könnte die Wirkung der Defeasancemaßnahmen eingeschränkt sein.
Unterschiede zu ähnlichen Rechtsinstituten
Während die Defeasance eine vertraglich geregelte bedingte Aufhebung oder Modifikation eines Rechtsverhältnisses ist, unterscheidet sie sich etwa von der Novation (die ein neues Schuldverhältnis begründet) oder der Schuldbefreiung (abdulierender Schuldner tritt endgültig aus dem Rechtsverhältnis aus). Die Defeasance ist vielmehr ein Mittel, das Recht in einen Zustand der faktischen Wirkungslosigkeit zu versetzen, ohne die Grundurkunde oder das Grundverhältnis unmittelbar aufzuheben.
Bedeutung im internationalen Rechtsverkehr
Mit der zunehmenden Internationalisierung von Finanzinstrumenten und Sicherungsmodellen gewinnt die Defeasance auch in kontinentaleuropäischen Staaten, einschließlich Deutschland, an Bedeutung. In Vertragswerken mit angloamerikanischen Parteien ist die präzise Ausgestaltung und Übersetzung der Defeasance-Klauseln entscheidend für eine wirksame rechtliche Umsetzung und Interpretation.
Zusammenfassung
Defeasance ist ein vielschichtiger und im internationalen Wirtschaftsleben bedeutsamer Rechtsbegriff. Die vertraglichen und gesetzlichen Regelungen sind je nach Rechtsgebiet und nationalem Recht unterschiedlich ausgestaltet. Bei der Anwendung und Auslegung von Defeasance-Klauseln ist insbesondere auf insolvenz-, steuer- und aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen zu achten. Die sorgfältige Gestaltung solcher Mechanismen bietet sowohl für Schuldner als auch für Gläubiger und Investoren wesentliche rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Defeasance-Transaktion erfüllt sein?
Für die Durchführung einer Defeasance sind insbesondere die rechtlichen Voraussetzungen maßgeblich, die im ursprünglichen Kreditvertrag, aber auch in ggf. einschlägigen Verbriefungsdokumenten geregelt sind. Zunächst muss der Vertrag überhaupt eine Defeasance-Option vorsehen; andernfalls ist eine nachträgliche Defeasance nur mit einer Vertragsänderung möglich, wofür das Einverständnis sämtlicher beteiligter Parteien einzuholen ist. Häufig sind spezifische Fristen sowie formale Anforderungen an die Mitteilung und Umsetzung der Defeasance geregelt. Ebenfalls rechtlich relevant sind die Auswahlkriterien für die einzusetzenden Ersatzsicherheiten (z. B. hochqualitative Anleihen), der Übertragungsmechanismus auf einen Treuhänder sowie die Notwendigkeit unabhängiger Bewertungen und Prüfungen. Steuerrechtliche Aspekte, etwa bezüglich entstehender Erträge oder Wertänderungen, sind bei der Konzeption und Durchführung einer Defeasance-Transaktion ebenfalls zwingend zu berücksichtigen. Schließlich kann in bestimmten Jurisdiktionen eine Genehmigung durch Finanzaufsichtsbehörden erforderlich sein.
Bestehen Unterschiede in der Behandlung von Defeasance im nationalen und internationalen Recht?
Ja, die rechtliche Behandlung von Defeasance variiert signifikant zwischen unterschiedlichen Rechtsordnungen. Während das Konzept in angelsächsischen Ländern wie den USA und Großbritannien insbesondere im Rahmen strukturierter Finanzierungen etabliert ist, bestehen in kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen oftmals besondere regulatorische oder zivilrechtliche Hürden. Im deutschen Recht etwa ist die rechtliche Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Defeasance vor allem an wohnungswirtschaftsrechtliche und insolvenzrechtliche Vorgaben geknüpft. Im internationalen Kontext sind die Anerkennung der Übertragung von Sicherheiten, mögliche Steuerfolgen und Wechselkurseffekte – insbesondere bei grenzüberschreitenden Transaktionen – zusätzlich zu beachten. Wichtig ist auch, wie die lokalen Gerichte Sicherungskonstruktionen, Treuhandverhältnisse und den Wechsel von Sicherungsgebern bzw. -objekten beurteilen. Internationale Rechtswahlklauseln und Streitbeilegungsmechanismen können daher eine erhebliche Rolle spielen.
Welche haftungsrechtlichen Risiken bestehen für die beteiligten Parteien?
Im Zusammenhang mit einer Defeasance ergeben sich für verschiedene Parteien – insbesondere Kreditnehmer, Kreditgeber und Treuhänder – unterschiedliche haftungsrechtliche Risiken. Für den Kreditnehmer besteht das Risiko, dass die eingesetzten Ersatzsicherheiten nicht in der vereinbarten Weise leisten (z. B. Bonitätsrisiko, Laufzeitinkongruenz) oder formale Anforderungen an die Defeasance nicht erfüllt werden, was zu einer fortdauernden Kreditverpflichtung führt. Kreditgeber laufen Gefahr, im Fall einer fehlerhaft konzipierten oder durchgeführten Defeasance ihr Sicherungsinteresse nicht wie geplant aufrechterhalten zu können. Treuhänder, welche oftmals die Verwaltung der Sicherheiten übernehmen, müssen besondere Sorgfalt im Hinblick auf ihre Überwachungspflichten und die Verwaltung der Treuhandmasse erfüllen, um keine Haftungsansprüche wegen Pflichtverletzungen zu riskieren. Darüber hinaus kann im Fall von Insolvenz eine (Anfechtungs-)Haftung nach Gesetzen wie der Insolvenzordnung entstehen, etwa wenn die Defeasance eine Gläubigerbenachteiligung darstellt.
Wie wird die Wirksamkeit einer Defeasance rechtlich sichergestellt und dokumentiert?
Die rechtliche Wirksamkeit einer Defeasance setzt eine lückenlose und formkonforme Dokumentation sämtlicher Rechtsakte voraus. Dies umfasst vor allem die Erstellung eines Defeasance Agreements, welches den genauen Ablauf, die übertragenden Vermögenswerte, deren Verwaltung und die Bedingungen der Freistellung des Kreditnehmers detailliert regelt. Die Übertragung der Sicherheiten auf einen Treuhänder muss rechtlich eindeutig und nach geltenden Formvorschriften erfolgen, was unter Umständen eine notarielle Beurkundung oder Registrierung erfordern kann. Weiterhin sind etwaige Zustimmungen Dritter, insbesondere von weiteren Gläubigern oder Aufsichtsbehörden, einzuholen und zu dokumentieren. Zusätzlich kann die Stellung von Gutachten über die Werthaltigkeit der Sicherheiten sowie deren Eignung erforderlich sein. Abgerundet wird die Dokumentation durch Steuerbescheinigungen und, sofern erforderlich, durch Offenlegung gegenüber Aufsichtsbehörden.
Welche Bedeutung hat das Insolvenzrecht bei der Strukturierung einer Defeasance?
Das Insolvenzrecht ist bei der Strukturierung einer Defeasance von zentraler Bedeutung. Insbesondere muss sichergestellt sein, dass die Übertragung der Ersatzsicherheiten insolvenzfest erfolgt, das heißt, im Insolvenzfall des Kreditnehmers nicht angefochten werden kann und im Sicherungsinteresse des Kreditgebers verbleibt. Hierbei spielt der Zeitpunkt der Übertragung und die Einhaltung der gesetzlichen Formerfordernisse eine große Rolle. Ist die Defeasance als inkongruente Deckung oder als gläubigerbenachteiligende Transaktion einzuordnen, besteht das Risiko der Insolvenzanfechtung mit der Folge, dass die Defeasance im Nachhinein unwirksam wird. Häufig sind enge Abstimmungen mit Insolvenzverwaltern und die Berücksichtigung der nationalen Insolvenzordnung erforderlich, um die Transaktion rechtssicher zu gestalten. Der Schutz von Minderheits- oder Nachranggläubigern sowie besondere Regelungen bei Gruppeninsolvenzen können zusätzliche Komplexität verursachen.
Müssen steuerrechtliche Besonderheiten beachtet werden?
Defeasance-Transaktionen lösen regelmäßig steuerrechtliche Fragestellungen aus. Beispielsweise kann die Veräußerung oder Übertragung von Sicherheiten als steuerpflichtiger Vorgang qualifiziert werden, was zu Ertrag- oder Umsatzsteuerpflichten führen kann. Des Weiteren sind eventuelle Wertsteigerungen und Zinserträge, die aus den Ersatzsicherheiten generiert werden, im Rahmen der Ertragsbesteuerung zu berücksichtigen. In bestimmten Fällen kann die Defeasance zu einer Änderung der steuerlichen Beurteilung der gesamten Finanzierung führen, insbesondere dann, wenn Bilanzrecht und Steuerrecht hinsichtlich der Ablösung des ursprünglichen Schuldtitels und der Freistellung des Schuldners voneinander abweichen. Steuerliche Ausweis- und Dokumentationspflichten sowie internationale Steuerregulierungen, etwa im grenzüberschreitenden Kontext, erhöhen den Prüfungsaufwand deutlich.
Gibt es branchenspezifische oder regulatorische Besonderheiten bei Defeasance-Transaktionen?
Ja, je nach Branche existieren spezifische gesetzliche oder aufsichtsrechtliche Anforderungen. Insbesondere in regulierten Industrien wie dem Bankensektor, der Versicherungswirtschaft oder bei kommunalen Finanzierungen (z. B. Kommunalanleihen) begrenzen gesetzliche Vorschriften oder aufsichtsrechtliche Leitlinien die Gestaltungsfreiheit. Banken müssen etwa die aufsichtsrechtlichen Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung (Basel III/IV) berücksichtigen, während Versicherer auf Solvency-II-Anforderungen achten müssen. Im Immobilien-, Energie- oder Infrastruktursektor geben branchenspezifische Gesetze und Normen, etwa zur Wertermittlung und Verwaltung von Sicherheiten, den rechtlichen Rahmen vor. Die Einhaltung von Offenlegungspflichten sowie Meldepflichten gegenüber zuständigen Behörden ist ebenso branchenspezifisch unterschiedlich geregelt.