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Defeasance

Begriff und Grundprinzip der Defeasance

Defeasance bezeichnet ein vertraglich geregeltes Verfahren, bei dem eine bestehende Verbindlichkeit wirtschaftlich neutralisiert und rechtlich ganz oder teilweise „entkräftet“ wird, indem an die Stelle der ursprünglichen Sicherheiten oder Zahlungsströme ein Ersatzpaket aus besonders sicheren Vermögenswerten tritt. Typischerweise werden staatliche oder staatsnahe Wertpapiere so hinterlegt, dass ihre Zahlungsflüsse die geschuldeten Zins- und Tilgungsleistungen vollständig abdecken. Dadurch können Sicherheiten an einem Vermögensgegenstand (etwa eine Grundschuld) freigegeben oder bestimmte Verpflichtungen aus einem Anleihe- oder Kreditvertrag beendet bzw. ruhend gestellt werden.

Die Wurzeln liegen im anglo-amerikanischen Rechtskreis. Im modernen Finanzbereich dient Defeasance vor allem dazu, Immobilien zu veräußern oder umzustrukturieren, ohne ein Darlehen formell vorzeitig abzulösen, oder Anleiheverbindlichkeiten über einen Treuhandmechanismus zu „entladen“.

Typische Anwendungsbereiche

Immobilienfinanzierung und CMBS

In immobilienbesicherten Finanzierungen, insbesondere bei verbrieften Krediten, ermöglicht eine Defeasance die Freigabe des Grundpfandrechts: Der Darlehensnehmer stellt ein Portfolio aus sicheren Wertpapieren bereit, deren Zahlungsflüsse die künftigen Raten bedienen. Die Immobilie wird pfandfrei, das Darlehen bleibt wirtschaftlich über die hinterlegten Wertpapiere bedient.

Unternehmensanleihen und Indenture-Mechanik

Bei Anleihen sehen Emissionsbedingungen häufig „legal defeasance“ (vollständige Entlastung von den Schuldverpflichtungen gegen Hinterlegung eines Wertpapierportfolios) oder „covenant defeasance“ (Aussetzung bestimmter Nebenpflichten, während Zahlungsversprechen bestehen bleibt) vor. Die Rückzahlungspflicht wird dann durch die Erträge aus den hinterlegten Papieren erfüllt.

Öffentliche Hand und Projektfinanzierung

Auch in öffentlichen Haushalten und projektfinanzierten Strukturen dient Defeasance der planbaren Bedienung bestehender Verbindlichkeiten und der Entlastung von Sicherheiten, ohne die ökonomische Gläubigerposition zu verschlechtern.

Rechtliche Ausgestaltung und Parteien

Vertragsstruktur

Kernelement ist eine Defeasance-Vereinbarung, die den Austausch der Sicherheiten, die Einrichtung eines Treuhand- oder Sicherungskontos und die Freigabe bestehender Sicherheiten regelt. Sie baut auf den Klauseln im Kredit- oder Anleihevertrag auf, die Defeasance zulassen und deren Bedingungen definieren.

Beteiligte Parteien und Rollen

Typische Rollen sind: Schuldner (stellt Ersatzsicherheiten), Gläubiger bzw. Anleihegläubiger, Treuhänder oder Sicherheitentreuhänder (hält die Wertpapiere und verteilt Zahlungsflüsse), Verwahrstelle bzw. Wertpapierdienstleister (Sicherungsverwahrung) sowie gegebenenfalls Servicer und Zahlstelle.

Sicherheiten und Eigentumsrechte

Die hinterlegten Wertpapiere werden regelmäßig zugunsten der Gläubiger verpfändet oder in einen zweckgebundenen Treuhandrahmen eingebracht. Eigentum, Herausgabeansprüche und Verwertungsrechte müssen klar geregelt sein, um die Durchsetzbarkeit im Sicherungsfall zu gewährleisten.

Ablauf einer Defeasance-Transaktion

Auslöser und Voraussetzungen

Defeasance setzt vertragliche Erlaubnis sowie die Erfüllung festgelegter Bedingungen voraus, etwa die ausreichende Deckung der künftigen Zahlungsströme, die Einrichtung der Sicherungsstrukturen und die Abwesenheit von Vertragsverstößen. Häufig sind Bestätigungen Dritter vorgesehen, die die Deckungsrechnung und Struktur bestätigen.

Übertragung der Ersatzsicherheiten

Der Schuldner erwirbt geeignete, in der Regel hochliquide und ausfallsichere Wertpapiere. Diese werden auf ein speziell bestimmtes Konto oder in eine Treuhand eingebracht und zugunsten der Gläubiger besichert.

Freigabe bestehender Sicherheiten und Fortgeltung von Pflichten

Nach Wirksamwerden der Defeasance können reale Sicherheiten (z. B. Grundpfandrechte) gelöscht oder freigegeben werden. Je nach Vertragsmodell bleiben bestimmte Verpflichtungen (wie Informationspflichten, Instandhaltungspflichten oder Restgarantien) bestehen oder treten vollständig zurück.

Abgrenzung zu verwandten Konzepten

Vorzeitige Rückzahlung und Yield Maintenance

Bei einer vorzeitigen Rückzahlung wird die Schuld getilgt und das Vertragsverhältnis beendet; eventuelle Vorfälligkeitsentgelte kompensieren Zinsverluste. Defeasance ersetzt dagegen die Zahlungsquelle und belässt die formale Schuld bestehen, wobei die Bedienung aus den Ersatzsicherheiten erfolgt.

Refinanzierung

Refinanzierung bedeutet den Abschluss eines neuen Kredits zur Ablösung des alten. Defeasance nutzt keine neue Fremdfinanzierung der Hauptschuld, sondern einen Besicherungs- und Zahlungsflussersatz.

Covenant Defeasance vs. Legal Defeasance

Covenant Defeasance setzt vertragliche Nebenpflichten außer Kraft, während die Zahlungsverpflichtung fortbesteht. Legal Defeasance kann die Zahlungsverpflichtung selbst vertraglich entfallen lassen, wobei technische Restpflichten (z. B. zur Abwicklung) verbleiben können.

Risiken und rechtliche Streitpunkte

Insolvenz- und Anfechtungsrisiken

Wesentlich ist die insolvenzfeste Ausgestaltung: Die hinterlegten Wertpapiere sollen dem Zugriff von Drittschuldnergläubigern entzogen und den Gläubigern sicher zugeordnet sein. Streitpunkte können Anfechtungsrechte, Nachrangthemen oder eine faktische Konsolidierung von Zweckgesellschaften sein.

Durchsetzbarkeit und Formanforderungen

Die Wirksamkeit hängt von klaren Sicherungsabreden, ordnungsgemäßer Bestellung und Registrierung von Sicherheiten sowie der Anerkennung der Treuhand- oder Pfandstruktur ab. Unklare Klauseln können zu Auslegungsstreitigkeiten führen.

Steuerliche und bilanzielle Wirkungen

Defeasance kann steuerliche Folgen auslösen, etwa durch die Behandlung als wirtschaftliche Ablösung oder durch Erträge aus den Ersatzsicherheiten. In der Rechnungslegung ist entscheidend, ob die Verpflichtung rechtlich entfällt oder lediglich wirtschaftlich hinterlegt wird; hiervon hängt ab, ob eine Ausbuchung zulässig ist oder eine Passivierung fortgeführt wird.

Markt- und Umsetzungsrisiken

Kurs- und Zinsänderungen beeinflussen die Kosten der Ersatzsicherheiten. Hinzu kommen operative Risiken bei Strukturierung, Verwahrung und Zahlungsabwicklung.

Internationale Perspektive und Terminologie

Common-Law-Herkunft

Historisch bezeichnete „defeasance“ im englischen Rechtskreis eine Nebenurkunde, die die Wirkung eines Hauptdokuments unter Bedingungen aufhob. Moderne Finanzdefeasance knüpft daran an, indem vertraglich definierte Bedingungen die Haftung umgestalten oder beenden.

Verwendung im deutschsprachigen Raum

Der Begriff ist im deutschsprachigen Zivilrecht nicht eigenständig kodifiziert. In der Praxis wird er in grenzüberschreitenden Finanzierungen und bei der Übernahme aus anglo-amerikanischen Vertragswerken genutzt. Umschreibungen sind etwa „Ablösung durch Ersatzsicherheiten“ oder „Freistellung gegen Hinterlegung sicherer Zahlungsströme“.

Dokumentation und typische Klauseln

Defeasance-Klausel in Kredit- und Anleiheverträgen

Klauseln definieren Zulässigkeit, Zeitpunkt und technische Anforderungen (Arten zulässiger Wertpapiere, Fälligkeiten, Zinsberechnung, Überbesicherung). Sie regelten zudem, ob eine vollständige oder nur teilweise Entlastung vorgesehen ist.

Zustimmungserfordernisse und Bedingungen

Vorgesehen sein können Zustimmungserfordernisse von Gläubigern, Verwaltungsstellen oder sonstigen Beteiligten. Bedingungen betreffen oft die nahtlose Deckung aller künftigen Zahlungen und die Freiheit von Pflichtverletzungen.

Berichte, Bestätigungen und Stellungnahmen

Die Dokumentation umfasst regelmäßig Deckungsrechnungen, Bestätigungen zur Angemessenheit der Zahlungsflüsse, Verwahr- und Treuhandverträge sowie Nachweise zur wirksamen Sicherheitenbestellung.

Praxisbeispiele in vereinfachter Form

Beispiel Immobilienkredit

Ein Darlehensnehmer möchte ein vermietetes Objekt verkaufen, dessen Kredit nicht vorzeitig rückzahlbar ist. Er hinterlegt ein Portfolio sicherer Wertpapiere, deren Erträge die künftigen Kreditraten abdecken. Das Grundpfandrecht wird freigegeben, der Kredit wird fortan aus dem Wertpapierportfolio bedient.

Beispiel Unternehmensanleihe

Ein Emittent legt im Einklang mit den Anleihebedingungen Staatsanleihen in einen Treuhandtopf, der alle Kupons und die Endfälligkeit deckt. Bestimmte Verpflichtungen aus dem Emissionsvertrag treten außer Kraft („covenant defeasance“) oder das Schuldversprechen gilt als durch den Treuhandmechanismus erfüllt („legal defeasance“).

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet Defeasance rechtlich genau?

Defeasance ist ein vertraglich geregelter Mechanismus, der eine bestehende Geldschuld durch Hinterlegung sicherer Ersatzsicherheiten wirtschaftlich absichert und die Haftung des Schuldners ganz oder teilweise umgestaltet. Je nach Vertragslage werden Sicherheiten freigegeben oder Verpflichtungen beendet bzw. suspendiert.

Worin unterscheidet sich Defeasance von einer vorzeitigen Rückzahlung?

Bei der vorzeitigen Rückzahlung wird die Schuld getilgt und das Vertragsverhältnis beendet. Defeasance ersetzt die Zahlungsquelle durch sichere Wertpapiere, während die formale Schuldstruktur meist bestehen bleibt und über die hinterlegten Zahlungsströme bedient wird.

Welche Rolle spielen Treuhänder und Verwahrer?

Treuhänder halten die Ersatzsicherheiten getrennt, verteilen Zahlungsflüsse an Gläubiger und überwachen die vertraglichen Mechanismen. Verwahrstellen stellen die rechtssichere Verwahrung und Abwicklung der Wertpapiere sicher, einschließlich der Besicherung zugunsten der Gläubiger.

Ist eine Defeasance in allen Rechtssystemen anerkannt?

Die konkrete Ausgestaltung variiert nach Rechtsordnung. In anglo-amerikanischen Systemen ist Defeasance etabliert. In kontinentaleuropäischen Systemen wird sie meist über Treuhand-, Pfand- und Sicherungsinstrumente abgebildet, die funktional vergleichbare Wirkungen erzielen.

Welche Auswirkungen hat eine Defeasance auf Sicherheiten und Grundpfandrechte?

Bei wirksamer Defeasance können bestehende Sicherheiten, insbesondere Grundpfandrechte, freigegeben oder gelöscht werden, weil die Gläubigerstellung durch die Ersatzsicherheiten gewahrt wird. Dies setzt eine eindeutige vertragliche Grundlage und ordnungsgemäße Sicherheitenbestellung voraus.

Welche Risiken bestehen im Insolvenzfall?

Relevante Risiken betreffen die insolvenzfeste Ausgestaltung der Treuhand- oder Pfandstruktur, mögliche Anfechtungen und die Abgrenzung der hinterlegten Vermögenswerte vom Schuldnervermögen. Ziel ist, dass Gläubiger auch in der Insolvenz auf die Ersatzsicherheiten zugreifen können.

Wie wirkt sich eine Defeasance auf Bilanz und Steuern aus?

Bilanzielle Folgen hängen davon ab, ob die rechtliche Verpflichtung entfällt oder fortbesteht. Ohne rechtlichen Entfall bleibt die Verbindlichkeit regelmäßig passiviert. Steuerlich können sich Folgen aus der Behandlung der Erträge aus den Ersatzsicherheiten und der wirtschaftlichen Bewertung der Transaktion ergeben.