Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Gesellschaftsrecht»Corona-Krise und Vertragsrecht

Corona-Krise und Vertragsrecht


Corona-Krise und Vertragsrecht

Die Corona-Krise, ausgelöst durch die COVID-19-Pandemie, hat weltweit erhebliche Auswirkungen auf das Vertragsrecht gezeigt. Im Zuge der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kam es zu umfassenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft. Dies stellte insbesondere zivilrechtliche Schuldverhältnisse vor neue Herausforderungen und warf zahlreiche vertragsrechtliche Fragestellungen auf.

Allgemeine Auswirkungen der Corona-Krise auf Vertragsverhältnisse

Mit dem Ausbruch der Corona-Krise wurden zahlreiche Verträge direkt oder indirekt beeinträchtigt. Dies betraf unter anderem Mietverträge, Arbeitsverhältnisse, Dienstleistungsverträge, Werkverträge, Reiseverträge sowie Lieferverträge. Viele Vertragsparteien konnten infolge von staatlichen Beschränkungen, behördlichen Anordnungen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihre vertraglichen Verpflichtungen vorübergehend oder dauerhaft nicht erfüllen.

Behördliche Maßnahmen und deren Auswirkungen

Zu den maßgeblichen Eingriffen durch die Corona-Krise zählten Betriebsschließungen, Veranstaltungsverbote, Kontaktbeschränkungen und Reiserestriktionen. Diese staatlichen Maßnahmen wirkten sich unmittelbar auf die Erfüllbarkeit zahlreicher Verträge aus und führten zu Gründen für Störungen bei der Vertragserfüllung.

Rechtliche Einordnung von Leistungshindernissen

Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 BGB)

Nach deutschem Recht führt eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit dazu, dass der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit wird (§ 275 BGB). Die Corona-Krise hat zur Folge gehabt, dass manche Leistungen tatsächlich nicht mehr erbracht werden konnten, etwa wenn Veranstaltungen abgesagt wurden oder Geschäftsreisen unmöglich waren. Auch rechtliche Unmöglichkeit, etwa aufgrund behördlicher Verbote, ist ein wesentlicher Faktor.

Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB)

Neben der Unmöglichkeit rückte insbesondere § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) in den Fokus. Hiernach kann eine Anpassung oder Auflösung des Vertrages verlangt werden, wenn aufgrund der veränderten Umstände das Festhalten am unveränderten Vertrag für eine Partei unzumutbar ist. Die Corona-Pandemie wurde in zahlreichen Fällen als „ungewöhnliches Ereignis“ eingeordnet, das nicht vorhersehbar war und eine schwerwiegende Änderung der Umstände bedeutete.

Höhere Gewalt (Force Majeure)

Auch die Anwendung von sogenannten Force-Majeure-Klauseln („höhere Gewalt“) in Verträgen wurde durch die Corona-Krise relevant. Ob pandemiebedingte Leistungshindernisse als höhere Gewalt anzusehen sind, ist maßgeblich vom Einzelfall und den Formulierungen im Vertrag abhängig. Bei Vorliegen höherer Gewalt bestehen häufig temporäre oder dauerhafte Leistungsverhinderungen ohne Schadensersatzanspruch.

Vertragsarten und spezifische Auswirkungen der Corona-Krise

Mietrecht

Die Auswirkungen der Pandemie auf das Mietrecht zeigten sich u. a. in Umsatzrückgängen bei Gewerbemietern aufgrund von Geschäftsschließungen. Der Gesetzgeber reagierte mit zeitlich begrenzten Kündigungsschutzregelungen, die Mietern Schutz vor fristlosen Kündigungen aufgrund coronabedingter Zahlungsrückstände boten. Die Frage nach einer Reduzierung der Miete bei pandemiebedingten Nutzungsausfällen wurde verstärkt unter dem Aspekt der Störung der Geschäftsgrundlage diskutiert (§ 313 BGB).

Werkvertragsrecht

Im Werkvertragsrecht standen Fragen der Leistungsstörung und etwaige Verzögerungen bei der Fertigstellung von Werken im Mittelpunkt. Bauunternehmen und andere Werkunternehmer konnten wegen Lieferengpässen oder behördlichen Stilllegungen vielfach nicht fristgerecht liefern. Je nach Vertrag und den Ursachen der Verzögerung kamen eine Anpassung von Fristen sowie Fragen nach Schadensersatzansprüchen zur Geltung.

Kaufrecht und Lieferverträge

Bei Lieferverträgen führte die Pandemie häufig zu Lieferverzögerungen oder Ausfällen. Zentral war hier die Abgrenzung zwischen vorübergehender und dauerhafter Unmöglichkeit sowie die Auslegung vereinbarter Lieferfristen und etwaiger Vertragsstrafen. Force-Majeure-Klauseln und der Ausschluss der Haftung für pandemiebedingte Verzögerungen spielten im internationalen Handelsverkehr eine bedeutende Rolle.

Dienst- und Arbeitsverträge

Bei Dienstverträgen etwa im Bereich der Veranstaltungsbranche oder bei Reisebuchungen war zu prüfen, ob bereits gezahlte Honorare zurückgefordert werden konnten oder ob stattdessen Gutscheine ausgegeben werden durften (Umsetzung der EU-Gutscheinlösung). Arbeitsvertragsbezogen wurden Sonderregelungen zur Kurzarbeit und zu Home-Office eingeführt.

Gesetzliche Reaktionen und Temporäre Regelungen

In Reaktion auf die Krise wurden verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen verabschiedet. Dazu gehörten das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht sowie spezifische Maßnahmen im Mietrecht, Insolvenzrecht und Verbraucherschutz.

Gesetzliche Leitplanken im Überblick

  • Mietrecht: Temporärer Kündigungsschutz für Mietrückstände aus dem Zeitraum April bis Juni 2020.
  • Insolvenzrecht: Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen in wirtschaftlicher Schieflage infolge der Pandemie.
  • Verbraucherschutz: Widerrufsrechte bei Pauschalreisen und Veranstaltungen, Gutscheinlösungen als Ersatzleistung.

Internationale Aspekte und Vergleich mit anderen Rechtsordnungen

Auch im internationalen Kontext wurden pandemiebedingte Leistungsverhinderungen diskutiert, insbesondere im Zusammenhang mit dem UN-Kaufrecht (CISG) und internationalen Force-Majeure-Regelungen. Die Auslegung der Pandemie als Fall höherer Gewalt wurde unterschiedlich gehandhabt, abhängig von der nationalen und internationalen Vertragsgestaltung.

Rolle gerichtlicher und außergerichtlicher Streitbeilegung

Die Zahl vertraglicher Streitigkeiten nahm infolge der Pandemie deutlich zu. Neben gerichtlichen Verfahren kamen auch Schlichtungsstellen, Mediation und Schiedsgerichte zum Einsatz, um pandemiebedingte Konflikte über die Vertragsanpassung oder Vertragsauflösung zu lösen. Viele Gerichte betonten die Bedeutung der Vertragsanpassung, um eine faire Verteilung der pandemiebedingten Risiken zu ermöglichen.

Ausblick

Die Corona-Krise hat das Vertragsrecht nachhaltig beeinflusst und die Bedeutung flexibler Vertragsgestaltung sowie die Möglichkeiten der Störung der Geschäftsgrundlage und der Anwendung von Force-Majeure-Klauseln ins Zentrum gerückt. Auch künftig ist zu erwarten, dass Pandemierisiken bei Vertragsschlüssen und der Formulierung von Leistungsbeschränkungen oder Haftungsausschlüssen eine entscheidende Rolle spielen werden.


Hinweis: Dieser Beitrag bietet eine umfassende rechtliche Übersicht zum Themenkomplex Corona-Krise und Vertragsrecht. Konkrete Sachverhalte sollten anhand des individuellen Einzelfalls unter Berücksichtigung der aktuellen Gesetzeslage geprüft werden.

Häufig gestellte Fragen

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Erfüllung von Verträgen?

Durch die Corona-Krise sind zahlreiche Vertragsparteien in die Situation geraten, vertragliche Verpflichtungen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr erfüllen zu können. Rechtlich stellt sich dabei vor allem die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Leistungsstörungen – wie etwa Lieferverzögerungen, Stornierungen oder Zahlungsausfälle – rechtfertigbar sind. Im deutschen Recht ist hierfür insbesondere § 275 BGB („Unmöglichkeit der Leistung“) relevant, sofern die Erfüllung des Vertrags objektiv oder subjektiv nicht mehr möglich ist. Weiterhin kommt ein Rücktrittsrecht gemäß § 323 BGB oder eine Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht. Ob eine Vertragspartei aufgrund der Pandemie von der Leistungspflicht befreit ist oder Schadensersatz zahlen muss, hängt stets vom Einzelfall, vom Inhalt des Vertrags, von etwaigen Force-Majeure-Klauseln sowie von gesetzlichen Regelungen ab. Die Anforderungen sind dabei hoch; wirtschaftliche Schwierigkeiten allein reichen in der Regel nicht für eine Befreiung aus.

Können Mieter wegen der Corona-Krise die Mietzahlung für gewerbliche Räume verweigern oder mindern?

Mieter von Gewerberäumen konnten während der Corona-Krise, bedingt durch staatliche Nutzungseinschränkungen, ihre Mietflächen oftmals nicht wie geplant verwenden. Die rechtliche Behandlung stützt sich dabei auf § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage). Der Gesetzgeber hat mit Artikel 240 § 7 EGBGB ausdrücklich klargestellt, dass staatlich angeordnete Einschränkungen zur Folge haben können, dass die Geschäftsgrundlage für Miet- oder Pachtverträge von Gewerberäumen gestört ist. Voraussetzung hierfür ist stets eine erhebliche Unzumutbarkeit der unveränderten Vertragserfüllung für eine Partei. In der Regel ist jedoch eine Anpassung des Mietvertrags, meist eine zeitweise Mietreduzierung, denkbar und muss individuell ausgehandelt werden. Eine automatische Reduktion tritt nicht ein, lediglich ein Anspruch auf Vertragsanpassung gegenüber dem Vermieter kann daraus resultieren, wenn keine anderweitige vertragliche Regelung existiert.

Welche Rolle spielen Force-Majeure-Klauseln („Höhere Gewalt“) in Verträgen während der Corona-Krise?

Force-Majeure-Klauseln regeln in vielen internationalen und auch nationalen Verträgen die Folgen von Ereignissen, die außerhalb des Einflussbereichs der Vertragsparteien liegen, wie Naturkatastrophen, Kriege oder Epidemien. Die Corona-Pandemie wurde vielfach als „höhere Gewalt“ angesehen, jedoch hängt die Anwendbarkeit immer von der konkreten Formulierung der Klausel im jeweiligen Vertrag ab. Ser die Klausel Pandemien oder Epidemien explizit einschließt, können sich Parteien auf Leistungsbefreiung, Fristverlängerungen oder Vertragsauflösung berufen. Fehlt eine solche Regelung, greifen die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften. Entscheidend bleibt die Unvorhersehbarkeit, Unvermeidbarkeit und die Tatsache, dass die Partei die Auswirkungen nicht durch zumutbare Maßnahmen hätte abwenden können.

Ist der Rücktritt von einem Vertrag wegen Corona allgemein möglich?

Ein genereller Rücktritt vom Vertrag allein wegen der Corona-Krise ist rechtlich nicht vorgesehen. Maßgeblich ist immer, ob die Umstände die Voraussetzungen der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) oder der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) erfüllen. Ein Rücktritt setzt ansonsten häufig voraus, dass eine Leistungspflicht trotz Fristsetzung nicht erbracht wurde und keine Ausnahmen greifen. Insbesondere im Bereich pauschaler Rücktrittswünsche von gebuchten Veranstaltungen, Reisen oder Leistungen hat die Rechtsprechung auf die Notwendigkeit einer individuellen Prüfung hingewiesen. Nur wenn die Vertragserfüllung durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie tatsächlich unzumutbar geworden ist, kann in Ausnahmefällen ein Rücktrittsrecht bestehen.

Müssen Anzahlungen oder Stornogebühren gezahlt werden, wenn eine Leistung aufgrund der Pandemie nicht erbracht werden kann?

Kann eine Leistung pandemiebedingt nicht erbracht werden (z. B. abgesagte Veranstaltung, geschlossene Lokale), ist zu prüfen, ob der Vertrag wegen Unmöglichkeit (§ 275 BGB) rückabgewickelt wird. Ist die Leistung rechtlich oder tatsächlich unmöglich, erlöschen die Leistungspflichten, und bereits gezahlte Anzahlungen sind gemäß § 326 Abs. 1 BGB grundsätzlich zurückzuerstatten. Stornogebühren dürfen in solchen Fällen nicht einbehalten werden, es sei denn, der Vertrag oder die AGB regeln ausdrücklich Ausnahmen für pandemiebedingte Fälle. Wird lediglich freiwillig vom Vertrag zurückgetreten, ohne dass die Vertragsdurchführung objektiv unmöglich oder unzumutbar ist, können Stornogebühren berechtigt sein.

Wie sieht die Haftung bei Lieferverzögerungen infolge von Corona aus?

Für Lieferverzögerungen aufgrund von Corona-Maßnahmen – etwa durch unterbrochene Lieferketten, Quarantäneanforderungen oder behördliche Betriebsschließungen – ist rechtlich wiederum zu prüfen, ob eine Unmöglichkeit oder lediglich eine vorübergehende Leistungshinderung vorliegt. Bei nur temporärer Behinderung bleibt die Vertragspflicht bestehen, allerdings können Verzugsansprüche entfallen, solange der Schuldner die Verzögerung nicht zu vertreten hat (§ 286 Abs. 4 BGB). Ist beispielsweise eine Lieferung infolge behördlicher Anordnung nicht möglich, besteht keine Pflicht zum Schadensersatz für die Zeit der Behinderung; nach Wegfall des Hindernisses lebt die Leistungspflicht jedoch wieder auf. Ob und in welchem Umfang eine Entschädigung oder Vertragsauflösung möglich ist, richtet sich nach Vertragsinhalt und Umständen des Einzelfalls.

Können Unternehmen oder Arbeitnehmer wegen der Pandemie Verträge kündigen?

Die bloße Pandemie reicht in der Regel nicht als Kündigungsgrund. Für Dauerschuldverhältnisse (z. B. Miet-, Leasing-, Arbeitsverträge) ist das Kündigungsrecht gesetzlich geregelt und setzt stets eine erhebliche Änderung der Umstände oder eine Vertragsverletzung voraus. Kündigungen wegen betrieblicher Einschränkungen infolge der Pandemie müssen sich am gesetzlich vorgegebenen Rahmen orientieren – beispielweise im Arbeitsrecht an § 1 KSchG (Sozialwidrigkeit) oder im Mietrecht an § 543 BGB (wichtiger Grund aus dem Verhalten der Gegenpartei). Viele Kündigungen während der Pandemie stützen sich auf die sogenannte „außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund“. Wichtig ist jedoch die Prüfung, ob Alternativen (Vertragsanpassungen, Kurzarbeit, etc.) zumutbar wären und der Vertragspartner die Änderung nicht zu vertreten hat. Entsprechende gerichtliche Einzelfallentscheidungen müssen stets berücksichtigt werden.