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Corona-Krise und Versicherungsrecht


Corona-Krise und Versicherungsrecht

Die Corona-Krise, ausgelöst durch die weltweite Ausbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) ab Anfang 2020, brachte erhebliche gesellschaftliche, wirtschaftliche und rechtliche Herausforderungen mit sich. Insbesondere im Bereich des Versicherungsrechts entstanden zahlreiche Fragestellungen und Streitfälle, die sowohl die Vertragsparteien als auch die Gerichte beschäftigten. Die folgenden Ausführungen beleuchten umfassend die verschiedenen Aspekte der Corona-Krise und deren Auswirkungen auf das Versicherungsrecht im deutschsprachigen Raum.


Allgemeine Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Versicherungsverhältnisse

Begriffsabgrenzung: Corona-Krise und Versicherungsrecht

Unter dem Begriff Corona-Krise versteht man den Zeitraum, in dem die COVID-19-Pandemie massiv in das Privat- und Wirtschaftsleben eingriff, oftmals verbunden mit weitreichenden staatlichen Maßnahmen wie Lockdowns, Betriebsschließungen und Versammlungsverboten. Das Versicherungsrecht bezeichnet das Rechtsgebiet, welches die Rechte und Pflichten aus Versicherungsverträgen sowie das Verhältnis zwischen Versicherten und Versicherern regelt.

Versicherungssparten im Fokus

Die rechtlichen Auseinandersetzungen betrafen im Rahmen der Corona-Krise insbesondere folgende Versicherungssparten:

  • Betriebsschließungsversicherung
  • Betriebsausfallversicherung
  • Veranstaltungsversicherung
  • Reiseversicherung
  • Krankentagegeldversicherung
  • Krankenversicherung
  • Lebensversicherung
  • Berufsunfähigkeitsversicherung

Betriebsschließungs- und Betriebsausfallversicherungen

Rechtsgrundlagen und Versicherungsschutz

Betriebsschließungsversicherungen dienen dem Schutz von Unternehmen vor finanziellen Einbußen im Falle einer behördlich angeordneten Schließung des Betriebs. Ausgangspunkt ist regelmäßig der abgeschlossene Versicherungsvertrag, dessen Bedingungen für den Eintritt des Versicherungsfalls maßgeblich sind.

Typische Formulierungen und Auslegung

Zentraler Streitpunkt war, ob die Einschränkungen und Schließungen aufgrund der Corona-Pandemie einen Versicherungsfall im Sinne der jeweiligen Versicherungsbedingungen darstellen. Viele Versicherungsverträge listeten katalogartig die versicherten Krankheiten und Krankheitserreger auf. Die Aufnahme bzw. Nennung von COVID-19 oder SARS-CoV-2 spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Versicherungsrechtlich von Bedeutung war hierbei insbesondere die Frage der dynamischen oder statischen Auslegung von Bedingungswerken und das Verständnis des Begriffs „behördliche Anordnung“.

Gerichtliche Entscheidungen

Deutsche Gerichte haben zahlreiche einschlägige Urteile zu Leistungsansprüchen aus Betriebsschließungsversicherungen gefällt. Der Bundesgerichtshof entschied, dass nur die im Versicherungsvertrag ausdrücklich genannten Krankheiten und Krankheitserreger abgesichert sind, sofern keine explizit dynamische Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz vorgenommen wurde. Diese Rechtsprechung führte dazu, dass viele Unternehmen keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus ihrer Betriebsschließungsversicherung geltend machen konnten, wenn COVID-19 nicht benannt war.


Veranstaltungsversicherungen

Leistungsfall bei pandemiebedingter Veranstaltungsabsage

Die Veranstaltungsversicherung umfasst Schutz gegen Risiken, die einen Ausfall oder eine Absage von Veranstaltungen verursachen. Während viele Policen ausdrücklich Epidemien und Pandemien ausschließen, wurden in der Pandemie etliche Streitigkeiten über die Reichweite des Versicherungsschutzes geführt. Der entscheidende Faktor blieb die Auslegung des jeweils vereinbarten Ausschlusses bzw. Versicherungsschutzes.


Reiseversicherungen

Rücktritts-, Abbruch- und Auslandskrankenversicherung

Pandemiebedingte Absagen von Reisen führten weltweit zu Leistungsanfragen im Bereich der Reiserücktritts- und Reiseabbruchversicherungen. Während Reiserücktrittsversicherungen in der Regel nur bestimmte persönliche Ereignisse (etwa Krankheit oder Unfall des Versicherungsnehmers) abdecken, galten pandemiebedingte Ereignisse häufig als Risikoausschluss. Ähnliches gilt für Auslandskrankenversicherungen, sofern im Vertrag der Leistungsausschluss von Pandemien vereinbart wurde.


Kranken- und Krankentagegeldversicherung

Versicherungsschutz und Pandemie

Krankenversicherungen gewährten hinsichtlich COVID-19-Erkrankungen grundsätzlich bedingungsgemäßen Schutz. Im Bereich der Krankentagegeldversicherung traten spezifische Fragestellungen auf, etwa im Zusammenhang mit Quarantäne, behördlichen Betriebsschließungen oder der Frage, ob der Verdienstentgang aufgrund behördlicher Maßnahmen als Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen bewertet werden kann.


Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen

Auswirkungen von COVID-19

Die Berufsunfähigkeitsversicherung sieht Leistungen vor, wenn der Versicherungsnehmer infolge Krankheit den zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben kann. Im Zusammenhang mit Corona standen insbesondere Langzeitfolgen einer Infektion („Long Covid“) und deren Nachweis für die Beantragung von Leistungen im Fokus. Die Lebensversicherung, mit Schwerpunkt auf Todesfallleistungen, war ebenfalls betroffen, etwa bei Nachweisen über Todesursache und Meldepflichten gegenüber dem Versicherer.


Rechtsgrundlagen und Gesetzesänderungen

Gesetzliche Eingriffe und Sonderregelungen

Der Gesetzgeber reagierte auf die Corona-Krise mit verschiedenen Maßnahmenpaketen, etwa Moratorien zur Beitragspflicht in der privaten Krankenversicherung sowie Einschränkungen der Kündigungsmöglichkeiten von Versicherungsverträgen während der Pandemie. Daneben wurden im Infektionsschutzgesetz (IfSG) Regelungen geschaffen, die staatliche Entschädigungsleistungen bei Betriebsschließungen ergänzten und mit dem Versicherungsschutz verzahnt werden mussten.


Auswirkungen auf die Regulierungspraxis und Vertragsgestaltung

Anpassung von Versicherungsbedingungen

Versicherungsunternehmen reagierten mit der Überarbeitung bestehender und der Neugestaltung zukünftiger Versicherungsbedingungen, insbesondere unter expliziter Erwähnung von Pandemien, Epidemien und deren Haftungsausschluss. Für neue Verträge wurden Risiken durch COVID-19 vielfach explizit ausgeschlossen oder gesondert geregelt.

Bedeutung für die Versicherungsnehmer

Die Erfahrungen der Corona-Krise zeigten die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung der Versicherungsbedingungen vor Vertragsabschluss. Rechtsschutzversicherungen erlangten für Streitfälle mit Versicherern eine zusätzliche Bedeutung.


Streitbeilegung und Verfahrenswege

Schlichtungsverfahren und gerichtliche Durchsetzung

Im Zuge der Pandemie wurden zahlreiche außergerichtliche und gerichtliche Streitigkeiten aus dem Versicherungsverhältnis geführt. Neben den regulären Zivilgerichten standen Schlichtungsstellen für eine einvernehmliche Einigung zur Verfügung.


Zusammenfassung

Die Corona-Krise wirkte sich auf nahezu alle Bereiche des Versicherungsrechts aus. Zentrale Themenkomplexe waren dabei der Umfang des Versicherungsschutzes bei pandemiebedingten Schadensereignissen, die Auslegung und Fortentwicklung der Versicherungsbedingungen sowie die Wechselwirkung zu staatlichen Entschädigungsleistungen. Die Corona-Pandemie führte zu einer umfassenden Diskussion und Anpassung von Versicherungsprodukten und verdeutlichte die Bedeutung einer genauen vertraglichen Regelung von außergewöhnlichen Risikoszenarien.

Häufig gestellte Fragen

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf bestehende Versicherungsverträge?

Die Corona-Krise wirft viele rechtliche Fragen bezüglich der Erfüllung und Anpassung bestehender Versicherungsverträge auf. Grundsätzlich bleibt ein Versicherungsvertrag auch während einer Pandemie bestehen, sofern keine konkreten Kündigungs- oder Anpassungsklauseln im Vertrag enthalten sind. Allerdings können sich im Einzelfall Besonderheiten ergeben, etwa durch eine mögliche Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn bestimmte Obliegenheiten verletzt wurden oder eine sogenannte Gefahrerhöhung im Sinne der §§ 23ff. Versicherungsvertragsgesetz (VVG) vorliegt. Gerade bei Betriebsschließungsversicherungen und Veranstaltungsversicherungen ist die Auslegung der allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) entscheidend: Nicht immer sind Pandemien oder behördlich angeordnete Schließungen explizit aufgeführt, was in vielen Fällen zu Streitigkeiten über den Leistungsumfang führt. Ferner besteht für viele Versicherungsnehmer die Möglichkeit, bei erheblichen Änderungen des Risikos eine Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) zu verlangen oder sogar eine außerordentliche Kündigung auszusprechen, etwa bei dauerhafter Geschäftsaufgabe infolge der Pandemie.

Müssen Versicherer aufgrund der Pandemie Leistungen im Schadensfall erbringen?

Ob ein Versicherer zur Leistung verpflichtet ist, hängt maßgeblich davon ab, ob die jeweiligen Versicherungsbedingungen Pandemien, Epidemien oder behördlich angeordnete Maßnahmen als versichertes Risiko erfassen. Bei der Betriebsschließungsversicherung beispielsweise ist oftmals nur eine Schließung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes infolge der dort genannten Krankheiten und Erreger versichert. War das neuartige Coronavirus zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses nicht explizit aufgeführt oder erkennt die Police Pandemien nicht als Leistungsfall an, kann der Versicherer die Zahlung verweigern. In der Rechtsprechung ist umstritten, inwiefern der Pandemiebegriff und neue Krankheitserreger von den Klauseln erfasst werden; maßgeblich ist hierbei die Auslegung nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Bei vielen anderen Versicherungsarten, etwa der Reiseabbruch- oder Auslandsreise-Krankenversicherung, sind Pandemieausschlüsse mittlerweile fester Bestandteil der Policen.

Können Versicherer wegen der Corona-Krise Prämien anpassen oder Verträge kündigen?

Versicherer dürfen die Prämien nicht ohne weiteres einseitig anheben, außer eine entsprechende Beitragsanpassungsklausel ist vereinbart und die versicherungsmathematischen Voraussetzungen dafür liegen vor. So kann in der privaten Krankenversicherung eine Prämienanpassung zulässig sein, wenn ein festgelegter Schwellenwert überschritten wird oder die Versicherungsaufsicht einer Anpassung zustimmt. Eine Kündigung durch den Versicherer ist grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Gründe, wie Gefahrerhöhung oder erheblichem Zahlungsverzug des Versicherungsnehmers, rechtlich zulässig. Die pandemiebedingte Verschlechterung des allgemeinen Risikos allein genügt grundsätzlich nicht für eine ordentliche Kündigung. Versicherungsnehmer können dagegen unter bestimmten Voraussetzungen, wie etwa einer dauerhaften Geschäftsaufgabe, ein Sonderkündigungsrecht wahrnehmen.

Welche Rechte haben Versicherungsnehmer bei Umsatzrückgängen oder Betriebsstillegung während der Corona-Krise?

Versicherungsnehmer sind verpflichtet, eine wesentliche Änderung der Risikoverhältnisse, wie etwa eine vorübergehende Betriebsstilllegung oder erhebliche Umsatzrückgänge, dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. Nach § 23 VVG kann dies zu einer Vertragsanpassung führen, beispielsweise einer Herabsetzung der Versicherungsprämie. Im Fall einer vollständigen Betriebsstilllegung kann sogar eine Rückerstattung bereits gezahlter Prämien beansprucht werden. Unterbleibt die Anzeige, drohen dem Versicherungsnehmer im Schadensfall Leistungskürzungen, da eine Obliegenheitsverletzung vorliegt. Im Gegenzug muss der Versicherer prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung oder eine temporäre Stilllegung der Versicherung im jeweiligen Einzelfall erfüllt sind.

Sind bei Betriebsausfall oder Kurzarbeit Leistungen aus der Betriebsunterbrechungsversicherung möglich?

Die Betriebsunterbrechungsversicherung erfasst in der Regel Schäden, die durch Sachschäden am versicherten Betrieb entstehen, also beispielsweise durch Feuer, Leitungswasser oder Einbruchdiebstahl. Betriebsunterbrechungen infolge einer Pandemie oder einer behördlichen Anordnung zur Schließung sind meist nicht eingeschlossen, sofern es keine ausdrückliche Erweiterung auf sogenannte „Betriebsschließungstatbestände“ gibt. Besteht jedoch eine solche Erweiterung oder eine separate Betriebsschließungsversicherung, kann ein Leistungsanspruch bestehen. Kurzarbeit allein gilt in der Regel nicht als versichertes Ereignis, sofern kein tatsächlicher Sachschaden vorliegt. Versicherungsnehmer sollten ihre Vertragsbedingungen sorgfältig prüfen und sich rechtlich beraten lassen, da die Formulierungen in den AVB häufig unklar und auslegungsbedürftig sind.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Meldefristen für Versicherungsfälle aus?

Die gesetzlichen sowie vertraglich festgelegten Meldefristen für Versicherungsfälle gelten auch während der Pandemie uneingeschränkt weiter. Versicherungsnehmer müssen einen Versicherungsfall unverzüglich melden, da sonst das Risiko des vollständigen oder teilweisen Leistungsverlustes droht. Lediglich bei erheblicher, pandemiebedingter Verhinderung (etwa wegen Quarantäne) kann im Einzelfall eine Fristverlängerung möglich sein, dies ist jedoch stets nachzuweisen. Insbesondere bei Betriebsunterbrechungs- und Betriebsschließungsversicherungen ist die Einhaltung der Meldefrist von entscheidender Bedeutung, um Ansprüche nicht zu verlieren.

Können Pandemien als unvorhersehbare höhere Gewalt im Sinne von Versicherungsbedingungen angesehen werden?

Ob eine Pandemie als höhere Gewalt beziehungsweise als außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis im Sinne der Versicherungsbedingungen gilt, hängt von den vertraglichen Vereinbarungen ab. Während viele Versicherer den Begriff „höhere Gewalt“ in ihren AVB verwenden, ist pandemischen Ereignissen in vielen Police explizit oder implizit ausgeschlossen. Liegt kein Ausschluss vor und wird die Pandemie als versicherte Gefahr qualifiziert, können Leistungsansprüche entstehen. Entscheidend ist aber stets die individuelle Ausgestaltung und Auslegung der Verträge sowie die Entwicklung der einschlägigen Rechtsprechung zu Covid-19-bedingten Sachverhalten. Bei Unsicherheiten empfiehlt sich eine rechtliche Beratung, um den Anspruch durchzusetzen oder zu verteidigen.