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consensus contrarius


Begriff und Definition: Consensus contrarius

Consensus contrarius (lat. „gegenseitiges Einverständnis zur Aufhebung“) ist ein Begriff aus dem Zivilrecht, der das Prinzip beschreibt, wonach ein durch Vertrag entstandenes Rechtsverhältnis aufgrund eines übereinstimmenden, auf Aufhebung gerichteten Willens beider Parteien wieder aufgehoben werden kann. Dabei spiegelt sich das zivilrechtliche Grundprinzip der Privatautonomie wider: Die Parteien können frei entscheiden, einen Vertrag zu schließen und sind ebenso berechtigt, diesen im gegenseitigen Einvernehmen zu beenden.

Der consensus contrarius steht dabei dem consensus zur Vertragsschließung spiegelbildlich gegenüber. Während der consensus den übereinstimmenden Willen zur Begründung eines Rechtsverhältnisses bezeichnet, beschreibt der consensus contrarius den gleichgerichteten Willen zur Beseitigung des Vertragszustandes.

Historischer Hintergrund und rechtliche Einordnung

Ursprung und Entwicklung

Der Begriff stammt aus der römischen Rechtstradition. Nach römischem Recht galten konsensuale Verträge (consensuale contractus) als durch bloße Willensübereinstimmung begründet und konnten ebenso durch gegenseitigen Willen aufgehoben werden. Dieses Prinzip wurde in das kontinentaleuropäische Recht übernommen und gilt heute im deutschen und österreichischen Privatrecht ebenso wie in zahlreichen weiteren zivilrechtlichen Systemen.

Privatautonomie und Vertragsfreiheit

Der consensus contrarius bildet eine Ausprägung der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit. Parteien eines Schuldverhältnisses können grundsätzlich frei darüber disponieren, einen Vertrag zu ändern, aufzuheben oder zu beenden. Der consensus contrarius ist dabei das rechtliche Instrument zur einvernehmlichen Vertragsaufhebung.

Funktionen und Anwendungsbereiche

Vertragsauflösung durch gegenseitigen Übereinkunft

Der consensus contrarius bezeichnet im Kern die vertragliche Aufhebungsvereinbarung, meist auch als „Aufhebungsvertrag“, „Auflösungsvertrag“ oder im Arbeitsrecht als „Aufhebungsvertrag“ bekannt. Die Parteien vereinbaren hierbei ausdrücklich, das bestehende Vertragsverhältnis in Gänze oder bezüglich einzelner Vertragspflichten zu beenden.

Beispiele

  • Arbeitsverhältnisse: Der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer können einen Arbeitsvertrag durch einen Aufhebungsvertrag im Wege des consensus contrarius beenden.
  • Mietverträge: Vermieter und Mieter können eine einvernehmliche Beendigung des Mietvertrags festlegen.
  • Gesellschaftsrecht: Gesellschafter können durch Einvernehmen die Gesellschaft auflösen oder einen Gesellschafteraustritt regeln.

Abgrenzung zu anderen Beendigungsformen

Der consensus contrarius ist abzugrenzen von einseitigen Beendigungsmaßnahmen wie Kündigung, Rücktritt, Widerruf oder Anfechtung. Während bei diesen Gestaltungsrechten stets einseitige Willenserklärungen erforderlich sind, ist bei consensus contrarius immer ein gegenseitiges Einverständnis notwendig. Die Rechtswirkung tritt erst mit dem Abschluss der einvernehmlichen Aufhebungsvereinbarung ein.

Rechtliche Voraussetzungen und Wirksamkeit

Übereinstimmende Willenserklärungen (§ 145 ff. BGB)

Die Aufhebung eines Vertrags durch consensus contrarius erfordert, wie bei Vertragsschluss, zwei übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme). Die entsprechenden Bestimmungen der §§ 145 ff. BGB zur Willenserklärung finden hier analog Anwendung.

Formerfordernisse

Die Form der Aufhebungsvereinbarung richtet sich nach dem Grundvertrag:

  • Formfreiheit: Bei formfrei abgeschlossenen Verträgen genügt grundsätzlich eine formfreie Aufhebung.
  • Formgebundene Verträge: Besteht für den Vertrag ein gesetzliches Schriftformerfordernis (z. B. Grundstückskaufvertrag nach § 311b BGB), muss auch die Aufhebungsvereinbarung dieser Form entsprechen.

Inhalt der Aufhebungsvereinbarung

Der Inhalt kann die volle oder teilweise Aufhebung des Vertragsverhältnisses regeln. Zudem können Modalitäten der Beendigung, etwa Abwicklungsregelungen oder Ausgleichszahlungen, vereinbart werden. Im Arbeitsrecht etwa werden oft Freistellungen, Abfindungen oder Zeugnisformulierungen Bestandteil der Aufhebungsvereinbarung.

Grenzen der Aufhebung

Der consensus contrarius findet dort seine Grenzen, wo zwingende gesetzliche Vorschriften entgegenstehen oder schützenswerte Interessen Dritter verletzt werden. Beispielsweise sind Schutzvorschriften zugunsten sozial schwächerer Gruppen zu beachten (z. B. Mieterschutz). Zudem kann die Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder das Verbot eines gesetzlichen Umgehungsgeschäfts (§ 134 BGB) eine konsensuale Vertragsaufhebung unwirksam machen.

Rechtsfolgen des consensus contrarius

Durch die Wirksamkeit einer Aufhebungsvereinbarung entfällt das Vertragsverhältnis mit Wirkung ex nunc (ab jetzt), soweit keine abweichende Vereinbarung – etwa eine Rückwirkung – getroffen wurde. Die bis zur Aufhebung entstandenen Ansprüche bleiben grundsätzlich bestehen, es sei denn, die Parteien regeln auch diese im Rahmen der Aufhebungsvereinbarung.

Besonderheiten in einzelnen Rechtsgebieten

Arbeitsrecht

Der Aufhebungsvertrag ist ein klassischer Anwendungsfall des consensus contrarius. Einvernehmliche Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bedarf der Schriftform (§ 623 BGB). Der Arbeitnehmer sollte über sozialversicherungsrechtliche und arbeitsmarktpolitische Folgen (z. B. Sperrzeiten beim Bezug von Arbeitslosengeld) informiert werden.

Mietrecht

Auch Mietverhältnisse können durch Aufhebungsvertrag im gegenseitigen Einvernehmen beendet werden. Hierbei sind neben mietrechtlichen Kündigungsschutzvorschriften auch etwaige Interessen der Mitbewohner oder Untermieter zu berücksichtigen.

Gesellschaftsrecht

Gesellschaftsverträge, insbesondere bei Personengesellschaften, können durch consensus contrarius aufgehoben oder geändert werden. Entscheidend sind hier die Beteiligtenstruktur und die ggf. abweichenden gesellschaftsinternen Mehrheitsregelungen.

Familienrecht

Einvernehmliche Regelungen zur Aufhebung oder Modifikation familienrechtlicher Vereinbarungen (z. B. Ehevertrag, Unterhaltsverträge) sind im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben möglich, unterliegen jedoch oft besonderen Form- oder Inhaltskontrollen.

Zusammenfassung

Der Begriff consensus contrarius beschreibt die vertragliche Möglichkeit, bestehende Rechtsverhältnisse im gegenseitigen Einvernehmen aufzuheben oder zu ändern. Dabei handelt es sich um ein zentrales Instrument der Vertragsbeendigung, das in sämtlichen Bereichen des Zivilrechts eingesetzt wird. Voraussetzung ist stets der übereinstimmende Wille beider Parteien. Während der Grundsatz der Privatautonomie die Vertragsaufhebung weitgehend freistellt, finden sich in einzelnen Rechtsgebieten besondere Schranken oder Formvorschriften. Insgesamt ist der consensus contrarius ein essentielles Element der Vertragsgestaltung und der Flexibilität des Privatrechts.

Häufig gestellte Fragen

Wie wird der consensus contrarius im rechtlichen Kontext festgestellt?

Der consensus contrarius, also die Einigung der Parteien über die Aufhebung eines bestehenden Rechtsverhältnisses (insbesondere eines Vertrages), wird nach denselben Grundsätzen ermittelt wie der ursprüngliche Vertragsabschluss (Konsens). Entscheidend sind die übereinstimmenden Willenserklärungen beider Parteien, die inhaltlich auf die Beendigung oder Änderung einer rechtsgeschäftlichen Bindung abzielen. Die Feststellung erfolgt durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB, wobei sowohl ausdrücklich abgegebene als auch konkludente Erklärungen berücksichtigt werden. Ein consensus contrarius kann auch durch schlüssiges Verhalten angenommen werden, etwa durch Rückgabe von Vertragsgegenständen oder durch einvernehmliche Einstellung der vertraglich geschuldeten Handlungen, solange hierbei eine eindeutige gemeinsame Beendigungsabsicht zum Ausdruck kommt. Fehlt diese eindeutige Konsensualität, bleibt der Vertrag grundsätzlich weiterbestehen.

Erfordert der consensus contrarius besondere Formerfordernisse?

Grundsätzlich gilt für den consensus contrarius das Prinzip der Formfreiheit, wie es auch beim Vertragsschluss vorherrscht. Jedoch müssen gemäß § 311b BGB und vergleichbaren Vorschriften bestimmte Verträge, wie Grundstücksgeschäfte oder Eheverträge, bei ihrer Aufhebung oder Änderung auch die gesetzlich vorgeschriebene Form wahren, meist die notarielle Beurkundung. Eine formnichtige Aufhebungsvereinbarung wäre, genauso wie ein formnichtiger Vertragsschluss, unwirksam. Das Formerfordernis bezieht sich dabei auf den Einigungsakt selbst, nicht lediglich auf das ursprüngliche Rechtsverhältnis. Die formfreie Aufhebung ist daher nur dort möglich, wo das Gesetz keine bestimmte Form verlangt.

Welchen Einfluss hat der consensus contrarius auf bestehende Nebenabreden oder Sicherheiten?

Ein consensus contrarius bezieht sich grundsätzlich auf das Hauptgeschäft, also die Hauptschuld oder den Hauptvertrag. Nebenabreden, Sicherheiten oder akzessorische Rechtsverhältnisse (wie Bürgschaften oder Pfandrechte) fallen im Zweifel mit weg, da diese mit dem Hauptgeschäft verknüpft sind, es sei denn, die Parteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes. Besonders bei Sicherheiten gilt jedoch, dass diese bestehen bleiben können, wenn der Sicherungszweck noch fortbesteht oder eine abweichende Vereinbarung getroffen wurde. Bei Unsicherheiten ist jeweils durch Vertragsauslegung zu klären, welche Rechtsfolge für die Nebenverhältnisse beabsichtigt war.

Welche Bedeutung hat der consensus contrarius bei Dauerschuldverhältnissen?

Bei Dauerschuldverhältnissen – etwa Miet-, Arbeits- oder Dienstverträgen – hat der consensus contrarius eine besondere praktische Bedeutung, da diese nicht ohne weiteres einseitig beendet werden können (anders als durch Kündigung). Hier ermöglicht die einvernehmliche Aufhebungsvereinbarung (Aufhebungsvertrag) beiden Parteien, das vertragliche Band zu beenden, ohne die gesetzlichen Kündigungsfristen einzuhalten oder Kündigungsgründe nachweisen zu müssen. Die Modalitäten dieser Aufhebung können vereinbart werden, beispielsweise hinsichtlich einer Abfindung, eines Beendigungsdatums oder der Rückgabe von erhaltenen Leistungen. Eine grundlegende Voraussetzung ist jedoch, dass der Wille beider Parteien auf eine Aufhebung gerichtet ist.

Kann ein consensus contrarius angefochten werden?

Wie jedes Rechtsgeschäft kann auch eine Vereinbarung über den consensus contrarius nach den allgemeinen Regeln (§§ 119 ff. BGB) angefochten werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Dies ist etwa der Fall, wenn eine Partei bei der Einigung über die Aufhebung des Vertrags Inhalts- oder Erklärungsirrtümer unterliegt, widerrechtlich bedroht oder arglistig getäuscht wurde. Bei erfolgreicher Anfechtung wird die Aufhebungsvereinbarung rückwirkend nichtig, sodass der ursprüngliche Vertrag fortbesteht. In der Praxis ist hier insbesondere auf die Einhaltung von Anfechtungsfristen sowie auf Nachweispflichten zu achten.

Ist eine einseitige Lösung vom Vertrag durch consensus contrarius möglich?

Nein. Der consensus contrarius setzt – wie beim Vertragsschluss – ausdrücklich die gemeinsame Willensübereinstimmung beider Parteien voraus. Eine einseitige Erklärung, gleichgültig ob schriftlich, mündlich oder durch konkludentes Verhalten, reicht zur Aufhebung eines Vertrages nicht aus. Für die einseitige Lösung vom Vertrag sind vielmehr speziell im Gesetz geregelte Gestaltungsrechte wie Kündigung, Rücktritt oder Widerruf vorgesehen, die jedoch vom consensus contrarius streng zu unterscheiden sind. Fehlt demnach das Einverständnis der Gegenseite, kann allein durch Willenserklärung keine Vertragsaufhebung im Wege des consensus contrarius erfolgen.

Welche Auswirkungen hat ein consensus contrarius auf bereits erbrachte Leistungen?

Mit Wirksamwerden des consensus contrarius entfällt die Verpflichtung zur weiteren Leistungserbringung aus dem aufgehobenen Rechtsverhältnis. Hinsichtlich bereits erbrachter Leistungen kommt es darauf an, was die Parteien vereinbart haben. Häufig wird im Rahmen des consensus contrarius über die Rückabwicklung (z.B. Rückgabe von Waren, Rückzahlung von Entgelten) entschieden. Fehlt eine Vereinbarung, sind – je nach Art des Vertrags und der Leistungen – bereicherungsrechtliche Gesichtspunkte (§§ 812 ff. BGB) zu prüfen. Bei vollzogenen Dauerschuldverhältnissen bleibt daneben oft die bereits erhaltene Leistung endgültig beim Empfänger, sofern keine Rückabwicklung vereinbart ist und kein gesetzlicher Rückforderungsanspruch besteht.