Legal Wiki

Wiki»Wiki»Bundesverfassungsgericht

Bundesverfassungsgericht

Was ist das Bundesverfassungsgericht?

Das Bundesverfassungsgericht ist das höchste Gericht für Verfassungsfragen in Deutschland. Es wacht darüber, dass Staat und Gesetzgebung die Verfassung wahren, schützt die Grundrechte und sorgt für die Einhaltung der Spielregeln zwischen Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und den Ländern. Der Sitz des Gerichts befindet sich in Karlsruhe.

Verfassungsrechtliche Stellung und Aufgaben

Hüterin der Verfassung

Das Bundesverfassungsgericht überprüft staatliches Handeln auf seine Vereinbarkeit mit der Verfassung. Es greift ein, wenn grundlegende Regeln der Verfassungsordnung verletzt sind, und korrigiert verfassungswidrige Zustände, indem es Entscheidungen mit bindender Wirkung trifft.

Schutz der Grundrechte

Ein zentraler Aufgabenbereich ist der Schutz der Grundrechte. Bürgerinnen und Bürger können geltend machen, dass öffentliche Gewalt ihre verfassungsrechtlich garantierten Rechte verletzt hat. Das Gericht stellt dann fest, ob ein solcher Eingriff verfassungsgemäß war.

Gewaltenteilung und Bund-Länder-Verhältnis

Die Verfassung verteilt Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen Parlament, Regierung, Gerichten sowie zwischen Bund und Ländern. Das Bundesverfassungsgericht klärt Kompetenzkonflikte, ordnet Zuständigkeiten zu und sorgt dafür, dass die Organe des Staates in verfassungsgemäßen Bahnen handeln.

Organisation und Zusammensetzung

Senate und Kammern

Das Gericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern. Zur Entlastung entscheiden kleinere Spruchkörper, sogenannte Kammern, in einfach gelagerten oder bereits geklärten Fällen. Grundsätzliche Fragen und bedeutsame Verfahren verhandeln die Senate.

Wahl und Amtszeit der Richterinnen und Richter

Die Mitglieder werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat mit qualifizierter Mehrheit gewählt. Die Amtszeit ist befristet und einmalig; eine Wiederwahl ist ausgeschlossen. Ein Teil der Mitglieder verfügt über langjährige Erfahrung an obersten Bundesgerichten. Altersgrenzen sichern einen regelmäßigen personellen Wechsel.

Unabhängigkeit und Unvereinbarkeiten

Die Unabhängigkeit ist durch strenge Regeln abgesichert. Zu den Unvereinbarkeiten gehören Tätigkeiten in Regierung oder Parlament sowie Funktionen, die Zweifel an Neutralität wecken könnten. Die Mitglieder sind nur der Verfassung verpflichtet.

Geschäftsverteilung und Arbeitsweise

Die Geschäftsverteilung, also welche Verfahren welcher Senat übernimmt, wird intern festgelegt. Die Senate beraten vertraulich, verhandeln in öffentlicher Sitzung und veröffentlichen ihre Entscheidungen mit Begründung.

Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht

Verfassungsbeschwerde

Zweck und typische Gegenstände

Mit der Verfassungsbeschwerde kann geltend gemacht werden, dass staatliche Maßnahmen Grundrechte verletzen. Gegenstand sind häufig gerichtliche Entscheidungen, Gesetze oder Verwaltungsakte.

Zulässigkeitsgrundzüge

Erforderlich sind insbesondere eigene Betroffenheit, die vorrangige Nutzung verfügbarer fachgerichtlicher Wege und die Einhaltung formaler Anforderungen wie Fristen und Begründung. Nur ein kleiner Teil der Eingänge wird zur Entscheidung angenommen.

Normenkontrolle

Abstrakte Normenkontrolle

Staatsorgane können Gesetze unabhängig von einem konkreten Fall auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen lassen. Diese Kontrolle dient der Klärung grundlegender Rechtsfragen.

Konkrete Normenkontrolle

Gerichte, die ein Gesetz für verfassungswidrig halten, legen die Frage dem Bundesverfassungsgericht vor. Dieses entscheidet dann über die Vereinbarkeit der Rechtsnorm mit der Verfassung.

Organstreit und Bund-Länder-Streit

Im Organstreit klärt das Gericht Streitigkeiten zwischen obersten Bundesorganen oder antragsberechtigten Teilen davon, etwa über Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten. Beim Bund-Länder-Streit geht es um Kompetenzkonflikte oder Verletzungen verfassungsrechtlicher Mitwirkungsrechte zwischen Bund und Ländern.

Parteien und Wahlen

Parteiverbot und Finanzierungssanktionen

Das Gericht entscheidet über Anträge auf Verbot politischer Parteien, wenn diese die freiheitliche Grundordnung bekämpfen. Es kann zudem feststellen, dass eine Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, was zum Ausschluss von staatlicher Finanzierung führen kann.

Wahlprüfung und Mandatsrelevanz

Nach einer Bundestagswahl prüft das Gericht auf Beschwerde hin die Gültigkeit der Wahl, soweit die Entscheidung des Bundestages angefochten wird. Maßgeblich ist, ob festgestellte Fehler mandatsrelevant sein können.

Weitere verfassungsrechtliche Verfahren

Präsidentenanklage

Bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Bundespräsidenten entscheidet das Gericht über eine Anklage, die von Bundestag oder Bundesrat erhoben werden kann.

Richteranklage

Das Gericht kann über die Entfernung von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern aus dem Dienst entscheiden, wenn die verfassungsmäßige Ordnung in erheblicher Weise verletzt wurde.

Ablauf und Entscheidungsformen

Annahme- und Vorprüfung

Viele Verfahren durchlaufen eine strenge Vorprüfung. Wird ein hinreichendes verfassungsrechtliches Klärungsinteresse festgestellt oder liegt eine offensichtliche Verletzung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen vor, wird das Verfahren zur Entscheidung angenommen.

Mündliche Verhandlung und Öffentlichkeit

In bedeutsamen Verfahren findet eine mündliche Verhandlung statt. Diese ist in der Regel öffentlich. Nach Beratung wird die Entscheidung in öffentlicher Sitzung verkündet und später im Volltext veröffentlicht.

Entscheidungen und Bindungswirkung

Das Gericht trifft Entscheidungen, die alle Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte binden. Es kann Gesetze für nichtig erklären, Bestimmungen für unvereinbar erklären und Übergangsregelungen festlegen. In Eilfällen kann es zur Sicherung verfassungsrechtlicher Positionen Anordnungen treffen.

Vorläufiger Rechtsschutz

Bei besonderer Dringlichkeit kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden, um schwere Nachteile abzuwenden oder eine spätere Entscheidung nicht zu vereiteln. Dabei wägt das Gericht die Folgen sorgfältig ab.

Wirkung der Entscheidungen

Aufhebung von Gesetzen und Folgen

Werden Gesetze für nichtig erklärt, dürfen sie nicht mehr angewendet werden. Wird eine Norm für unvereinbar erklärt, kann das Gericht dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung setzen und Übergangsregelungen bestimmen.

Bindung für Gerichte und Behörden

Die Begründungen und Maßstäbe des Gerichts sind bei zukünftigen Entscheidungen zu beachten. Fachgerichte und Verwaltung richten ihre Praxis an den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus.

Nachsteuerung durch Gesetzgebung

Stellt das Gericht verfassungsrechtliche Defizite fest, obliegt es dem Gesetzgeber, diese im Rahmen der Entscheidung zu beheben, etwa durch präzisere Regelungen oder andere Ausgestaltungen.

Bundesverfassungsgericht im europäischen Mehrebenensystem

Verhältnis zum Gerichtshof der Europäischen Union

Das Gericht anerkennt den Anwendungsvorrang des Unionsrechts, prüft jedoch, ob EU-Organe im Rahmen ihrer Zuständigkeiten handeln und ob die verfassungsrechtliche Identität gewahrt bleibt. Bei Auslegungsfragen kann es den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen.

Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention

Die Konvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden berücksichtigt. Maßstab bleibt die deutsche Verfassung; konventionsrechtliche Maßstäbe fließen als wichtige Auslegungshilfe ein.

Transparenz, Zugang und Statistik

Veröffentlichungspraxis

Entscheidungen und Pressemitteilungen sind öffentlich zugänglich, ebenso Verhandlungstermine. Begründungen erläutern die verfassungsrechtlichen Maßstäbe ausführlich.

Verfahrensdauer und Erfolgsquoten

Die Dauer hängt von Bedeutung und Komplexität ab. Nur ein geringer Teil der Eingänge führt zu einer inhaltlichen Entscheidung; viele Verfahren werden bereits in der Vorprüfung erledigt.

Kostenaspekte

In bestimmten Verfahren werden regelmäßig keine Gebühren erhoben. In Ausnahmefällen kann eine Missbrauchsgebühr festgesetzt werden. Eigene Aufwendungen der Beteiligten bleiben davon unberührt.

Häufig gestellte Fragen

Wofür ist das Bundesverfassungsgericht zuständig?

Es entscheidet ausschließlich über Verfassungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung. Dazu gehören die Kontrolle von Gesetzen, der Schutz der Grundrechte, Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen und Bund-Länder-Konflikte sowie Fragen zu Parteien und Wahlen.

Wer kann eine Verfassungsbeschwerde erheben?

Grundsätzlich kann jede Person geltend machen, durch öffentliche Gewalt in eigenen Grundrechten betroffen zu sein. Voraussetzung ist in der Regel, dass fachgerichtliche Wege zuvor genutzt wurden und die Beschwerde frist- und formgerecht begründet wird.

Hebt das Bundesverfassungsgericht Gesetze auf?

Ja, wenn eine Norm unvereinbar mit der Verfassung ist, kann sie für nichtig erklärt werden. Alternativ kann eine Unvereinbarkeit festgestellt und dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung gesetzt werden, häufig mit Übergangsregelungen.

Ist das Bundesverfassungsgericht eine Superrevisionsinstanz?

Nein. Es prüft keine fachrechtlichen Fragen wie ein gewöhnliches Rechtsmittelgericht, sondern nur, ob verfassungsrechtliche Maßstäbe beachtet wurden. Die Auslegung einfachen Rechts ist Aufgabe der Fachgerichte.

Wie verbindlich sind seine Entscheidungen?

Die Entscheidungen binden Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte. Sie entfalten Wirkung über den Einzelfall hinaus und prägen die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für zukünftige Fälle.

Wie lange dauern Verfahren?

Die Dauer hängt von Dringlichkeit, Komplexität und grundsätzlicher Bedeutung ab. Eilverfahren können kurzfristig entschieden werden; umfangreiche Verfahren mit mündlicher Verhandlung benötigen mehr Zeit.

Welche Rolle spielt das Gericht im Verhältnis zum Unionsrecht?

Es achtet auf die Wahrung der verfassungsrechtlichen Identität und darauf, dass EU-Organe die ihnen übertragenen Kompetenzen nicht überschreiten. Bei unionsrechtlichen Auslegungsfragen arbeitet es mit dem Gerichtshof der Europäischen Union zusammen.