Begriff und Wesen der BORA
Die BORA ist die Abkürzung für die Berufsordnung für Rechtsanwälte. Diese Rechtsvorschrift regelt umfassend die beruflichen Pflichten und das Standesrecht von Rechtsanwälten in Deutschland. Sie bildet mit dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) und der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) einen Kernbestand des anwaltlichen Berufsrechts. Die BORA enthält verbindliche Vorgaben zur Berufsausübung, zum Umgang mit Mandanten, zu Werberegeln, Verschwiegenheitspflichten, Interessenkollisionen und zur Unabhängigkeit.
Die aktuelle Fassung der BORA ist unter der Federführung der Bundesrechtsanwaltskammer erlassen und unterliegt laufenden Entwicklungen, um aktuellen Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit gerecht zu werden.
Rechtsquellen und Systematik
Gesetzliche Grundlage und Erlass
Die BORA basiert auf der Ermächtigungsgrundlage in § 59b BRAO. Danach kann die Selbstverwaltung der Anwaltschaft verbindliche Regeln zur Berufsausübung erlassen. Die Bundesrechtsanwaltskammer beschließt die BORA in Form einer Satzung, die nach Genehmigung durch das Bundesministerium der Justiz in Kraft tritt.
Inhaltliche Gliederung
Die BORA ist in mehrere Abschnitte unterteilt, die thematische Schwerpunkte darstellen. Diese umfassen beispielsweise:
- Allgemeine Berufspflichten
- Umgang mit Mandanten
- Verhalten gegenüber Gerichten, Behörden und Kollegen
- Pflichten bei der Werbung und im Internet
- Besondere Vorschriften für Sozietäten und Berufsausübungsgemeinschaften
Anwendungsbereich und Adressatenkreis
Die BORA gilt für alle in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte, soweit nicht das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte (EuRAG) abweichende Regelungen enthält. Die Vorschriften erfassen die Berufsausübung unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt selbstständig oder angestellt tätig ist.
Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich
Der persönliche Anwendungsbereich umfasst alle natürlichen Personen mit Zulassung zur Rechtsanwaltschaft in Deutschland. Die sachlichen Pflichten erstrecken sich auf sämtliche anwaltlichen Tätigkeiten, insbesondere die Mandatsführung, die interne Büroorganisation und den öffentlichen Auftritt.
Wesentliche Regelungsinhalte
Verschwiegenheitspflicht
Gemäß § 2 BORA ist der Rechtsanwalt zur Verschwiegenheit über alles verpflichtet, was ihm in Ausübung seines Berufs anvertraut oder bekannt geworden ist. Diese Verpflichtung stellt einen der tragenden Grundsätze der anwaltlichen Berufsausübung dar und bildet die Basis für das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt.
Unabhängigkeit
Die Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung wird in § 1 BORA hervorgehoben. Der Rechtsanwalt hat seinen Beruf eigenverantwortlich und unabhängig von Weisungen Dritter auszuüben. Dies dient dem effektiven Rechtsschutz und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.
Umgang mit Mandanten
Die §§ 3 bis 6 BORA regeln die Pflicht zur sorgfältigen Mandatsführung, zur Beratung, zur Beachtung von Sorgfaltsmaßstäben sowie zur Information des Mandanten über wesentliche Vorgänge und Risiken.
Interessenkollision
Die Interessenkollision ist in § 3 BORA geregelt: Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten. Verletzungen dieses Grundsatzes führen regelmäßig zur Unwirksamkeit des Mandats und können berufsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Umgang mit Kollegen, Gerichten und öffentlichen Stellen
Die BORA legt in den §§ 7 bis 17 Wert auf das gegenseitige Achtungsverhältnis innerhalb der Anwaltschaft und gegenüber der Justiz. Dazu zählen Verhaltenspflichten zur Sachlichkeit, Verbot der Herabwürdigung und zur Integrität im Berufskollegium.
Werbung und elektronische Kommunikation
Nach den §§ 6 bis 9 BORA ist eine sachliche und berufsbezogene Außendarstellung gestattet, während irreführende, vergleichende oder übermäßig marktschreierische Werbung unzulässig ist. Die Entwicklung neuer Kommunikationsformen, etwa über das Internet oder soziale Netzwerke, wird durch regelmäßig aktualisierte Regelungen der BORA flankiert.
Besondere Pflichten für Zusammenschlüsse
Die BORA enthält spezielle Vorschriften zu Sozietäten, Partnerschaftsgesellschaften und anderen kooperativen Berufsausübungsformen (§§ 10 bis 13 BORA). Hier werden Verantwortlichkeiten, Namensführung, interne Transparenz und externe Darstellungsregeln normiert.
Sanktionen und Durchsetzung
Disziplinarrechtliche Folgen
Verstöße gegen die BORA können zu berufsrechtlichen Maßnahmen führen, darunter Rügen, Geldbußen oder im Extremfall das Ruhen oder der Widerruf der Zulassung. Die Einhaltung der Regelungen wird durch anwaltliche Schlichtungsstellen und die zuständigen Aufsichtsbehörden kontrolliert.
Rechtsschutzmöglichkeiten
Betroffene Rechtsanwälte können gegen Disziplinarmaßnahmen Verwaltungsgerichte anrufen. Auch Mandanten steht im Falle berufsrechtlicher Beanstandungen ein Beschwerderecht offen.
Verhältnis zu weiteren Vorschriften
Die BORA ergänzt die allgemeinen Regelungen des anwaltlichen Berufsrechts, insbesondere die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und standesrechtliche Richtlinien. Bei Kollisionen gelten höherrangige gesetzliche Regelungen vorrangig.
Literatur und praxisrelevante Hinweise
Die BORA wird in juristischen Kommentaren und Fachliteratur umfassend dargestellt. Die fortlaufende Anpassung der BORA an neue gesellschaftliche und technologische Entwicklungen ist wesentlich, um die Integrität und das Ansehen des Berufsstandes zu gewährleisten.
Hinweis: Diese Übersicht dient der sachlichen Darstellung der rechtlichen Grundlagen der BORA und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit im Einzelfall.
Häufig gestellte Fragen
Wann ist die BORA für Rechtsanwälte verbindlich und wie erfolgt deren Durchsetzung?
Die Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) ist gemäß § 59b BRAO für alle in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälte verbindlich. Ihre Einhaltung ist zwingende Voraussetzung für die Ausübung des anwaltlichen Berufsrechts. Die BORA ergänzt die gesetzlichen Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und konkretisiert insbesondere standesrechtliche Pflichten wie Verschwiegenheit, Unabhängigkeit und das Verbot widerstreitender Interessen. Verstöße gegen die BORA werden durch die Anwaltskammern verfolgt, welche im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnis (§§ 73 ff. BRAO) Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Anwaltsgerichtsbarkeit einleiten können. Die Durchsetzung erfolgt also maßgeblich im Rahmen des berufsrechtlichen Aufsichts- und Sanktionssystems, wobei auch Gerichte die BORA bei der Auslegung anwaltlichen Verhaltens im Rahmen von Streitigkeiten heranziehen.
Wie wirkt sich ein Verstoß gegen die BORA auf Haftung und Zulassung eines Rechtsanwalts aus?
Ein Verstoß gegen die BORA kann sowohl berufsrechtliche als auch zivilrechtliche Konsequenzen für Rechtsanwälte haben. Berufsrechtlich drohen je nach Schwere des Verstoßes Ermahnung, Verweis, Geldbußen oder im Extremfall der Entzug der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß §§ 114 ff. BRAO. Zivilrechtlich kann ein Verstoß auch Regressansprüche des Mandanten nach sich ziehen, wenn ein Verstoß gegen die BORA als Pflichtverletzung im Sinne eines Anwaltsvertrages gewertet und damit kausal für einen Schaden wird. Zudem steigt bei wiederholten oder besonders gravierenden Verstößen das Risiko berufsgerichtlicher Verfahren, in deren Folge ein Anwalt mit einem temporären oder dauerhaften Tätigkeitsverbot belegt werden kann.
Welche berufsrechtlichen Pflichten sind in der BORA geregelt und wie werden diese konkretisiert?
Die BORA präzisiert alle wesentlichen Berufspflichten, zu denen insbesondere Unabhängigkeit (§ 1 BORA), Verschwiegenheit (§ 2 BORA), Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 3 BORA), Informationspflichten gegenüber Mandanten (§ 11 BORA), Werbung (§§ 6-7 BORA) und Umgang mit Mandantengeldern (§ 4 BORA) zählen. Darüber hinaus enthält die BORA auch Bestimmungen zur Zusammenarbeit mit Kollegen und anderen Berufsträgern (§ 8 BORA) sowie zur Fortbildungspflicht. Die BORA konkretisiert insoweit die allgemeinen gesetzlichen Vorgaben der BRAO durch detaillierte Verhaltensregeln und gibt so einen für Anwälte verbindlichen Handlungsrahmen vor.
Welche rechtliche Bedeutung hat die BORA im Streitfall vor Gericht?
Im Streitfall – etwa im Rahmen einer Haftungsklage des Mandanten gegen den Anwalt oder eines standesrechtlichen Verfahrens – wird die BORA als Auslegungshilfe für die Konkretisierung anwaltlicher Sorgfalts- und Verhaltenspflichten herangezogen. Sie gibt die maßgeblichen Maßstäbe vor, an denen das Verhalten des Anwalts gemessen wird. Gerichtsurteile, insbesondere der Anwaltsgerichtshöfe oder des Bundesgerichtshofs, beziehen sich regelmäßig explizit auf einzelne BORA-Vorschriften, um festzustellen, ob ein berufsrechtliches oder zivilrechtliches Fehlverhalten vorliegt. Die BORA steht hierarchisch unter der BRAO, konkretisiert diese jedoch und erhält so normativen Charakter.
Wie können Änderungen der BORA rechtswirksam eingeführt werden?
Die BORA wird von der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer gemäß § 59b BRAO erlassen und geändert. Vorschläge für Änderungen können sowohl von Rechtsanwaltskammern als auch von Mitgliedern der Satzungsversammlung eingebracht werden. Durch ordnungsgemäßen Beschluss und Veröffentlichung im Mitteilungsblatt der Bundesrechtsanwaltskammer werden Änderungen wirksam. Die Rechtmäßigkeit von Änderungen kann durch Normenkontrollklagen vor dem Bundesgerichtshof überprüft werden. Somit ist die BORA ein dynamisches Regelwerk, das sich den Entwicklungen des Berufsrechts anpassen kann.
Inwiefern bindet die BORA auch niedergelassene Rechtsanwälte aus anderen EU-Staaten?
Auch Rechtsanwälte aus anderen EU-Staaten, die in Deutschland zugelassen sind oder ihren Beruf im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit ausüben, unterliegen in Bezug auf ihre Tätigkeit in Deutschland der BORA (§ 206 BRAO sowie § 1 BORA). Die BORA regelt insoweit die berufsrechtlichen Mindestanforderungen und stellt sicher, dass auch ausländische Anwälte den deutschen Standesregeln nachkommen, sofern sie auf deutschem Hoheitsgebiet anwaltlich tätig werden. In Konfliktfällen kann vorrangig auch das Heimatrecht gelten, allerdings muss die BORA im Zweifel eingehalten werden, wenn die Tätigkeit auf Deutschland bezogen ist.
Gibt es eine Möglichkeit, Befreiungen oder Ausnahmen von der BORA zu erlangen?
Die BORA sieht in engen Grenzen begrenzte Ausnahmen vor, etwa mit Blick auf besondere Konstellationen bei Mehrfachvertretungen oder Außerkraftsetzung einzelner Vorschriften aufgrund spezialgesetzlicher Regelungen (z.B. durch das Steuerberaterrecht bei Doppelqualifikation). Eine generelle Befreiung von der BORA ist nicht möglich. In Zweifelsfällen kann der Anwalt die zuständige Rechtsanwaltskammer oder – bei grundsätzlichen Fragen – die Satzungsversammlung um Auslegung oder Klarstellung bitten. Grundsätzlich bleibt die BORA jedoch verbindlicher rechtlicher Rahmen für alle Berufsangehörigen.