Begriff und Rechtscharakter des Bibliotheksgroschens
Der Begriff Bibliotheksgroschen bezeichnet eine finanzielle Vergütung, die im deutschen Urheberrecht als Ausgleichsanspruch für das Verleihen urheberrechtlich geschützter Werke durch Bibliotheken gezahlt wird. Der Anspruch ist Teil des sogenannten „öffentlichen Leihrechts“ gemäß § 27 Urheberrechtsgesetz (UrhG) und dient der Abgeltung der durch das öffentliche Verleihen verursachten Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke. Der Bibliotheksgroschen steht dabei Autorinnen und Autoren, Übersetzern, sowie anderen Rechteinhabern zu, deren Werke in öffentlichen Bibliotheken verliehen werden.
Gesetzliche Grundlagen
Urheberrechtsgesetz und Öffentliche Wiedergabe
Das deutsche Urheberrechtsgesetz (§ 27 UrhG) regelt, dass das Verleihen von Werkexemplaren durch Bibliotheken grundsätzlich einer Vergütungspflicht unterliegt, sofern es sich um urheberrechtlich geschützte Werke handelt. Gemäß § 27 Abs. 2 UrhG kann das Verleihrecht nicht gegenüber öffentlichen sowie wissenschaftlichen Bibliotheken, die der Allgemeinheit zugänglich sind, geltend gemacht werden. Allerdings wird den Rechteinhabern für diese zulässige Nutzung ein gesetzlicher Vergütungsanspruch eingeräumt.
Vergütungsberechtigte und Anspruchsgegner
Der Vergütungsanspruch steht den Urhebern, Übersetzern sowie ggf. weiteren ausübenden Künstlern oder Rechteinhabern zu. Anspruchsgegner bzw. Schuldner des Bibliotheksgroschens sind die Bundesländer, die Städte und Gemeinden als Träger öffentlicher Bibliotheken sowie Hochschulen und sonstige Träger wissenschaftlicher Bibliotheken.
Funktionsweise und praktische Umsetzung
Erhebung und Verteilung
Die Zahlung des Bibliotheksgroschens erfolgt nicht direkt von der ausleihenden Bibliothek an den Rechteinhaber, sondern über sogenannte Verwertungsgesellschaften, insbesondere die VG Wort und VG Bild-Kunst. Die Bibliotheken leisten jährlich pauschale Zahlungen an die Verwertungsgesellschaften, welche diese Gelder nach festgelegten Verteilungsplänen anteilig an die anspruchsberechtigten Urheber ausschütten.
Höhe der Vergütung
Die konkrete Höhe des Bibliotheksgroschens wird nicht individuell pro Ausleihe berechnet. Vielmehr richtet sich die Vergütung nach der Anzahl der Entleihungen und der Bestandsgröße der jeweiligen Bibliothek, wobei die exakten Berechnungsmodi auf statistischen Auswertungen basieren. Die Verwertungsgesellschaften führen regelmäßig Stichprobenerhebungen durch, um eine gerechte Verteilung sicherzustellen.
Rechtliche Einordnung und Bedeutung
Verhältnis zum ausschließlichen Verleihrecht
Der Bibliotheksgroschen stellt einen gesetzlichen Vergütungsanspruch dar, der das grundsätzliche ausschließliche Verleihrecht des Urhebers (§ 17 Abs. 2 UrhG) in Bezug auf öffentliche Bibliotheken einschränkt. Die gesetzliche Ausnahme zugunsten öffentlicher Bibliotheken ist eine sozialpolitisch motivierte Regelung, um dem Gemeinwohl dienende Zwecke wie Bildung und Wissenschaft zu fördern, ohne dabei die Interessen der Rechteinhaber zu vernachlässigen.
Europarechtliche Vorgaben
Das deutsche Vergütungssystem für Bibliothekenausleihen setzt die Richtlinie 2006/115/EG (ehemals Richtlinie 92/100/EWG über das Vermietrecht und das Verleihrecht) um, die in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Recht auf angemessene Vergütung für Urheber bei Bibliotheksausleihen vorsieht. Daher ist das Institut des Bibliotheksgroschens nicht auf Deutschland beschränkt, wenngleich die konkrete Ausgestaltung im deutschen Recht erfolgt.
Urteile und höchstrichterliche Entscheidungen
Die Ausgestaltung des Bibliotheksgroschens war vielfach Gegenstand gerichtlicher Überprüfungen. Insbesondere der Rechtsweg über das Bundesverfassungsgericht sowie den Europäischen Gerichtshof hat die Bedeutung des Grundsatzes der angemessenen Vergütung sowie die Zulässigkeit kollektiver Rechtewahrnehmung gestärkt.
Zahlungsmodalitäten und Anspruchsdurchsetzung
Anmeldung und Verteilung durch Verwertungsgesellschaften
Urheber müssen sich bei der jeweils zuständigen Verwertungsgesellschaft registrieren und ihre Werke anmelden, um an der Ausschüttung des Bibliotheksgroschens beteiligt zu werden. Eine individuelle Anspruchsdurchsetzung gegen einzelne Bibliotheken ist aufgrund der gesetzlichen Aufgabenübertragung ausgeschlossen.
Verjährung und Ausschlussfristen
Die Vergütungsansprüche unterliegen der regulären zivilrechtlichen Verjährung (§§ 195, 199 BGB). Die konkreten Fristen zur Anmeldung bei der Verwertungsgesellschaft richten sich nach deren Verteilungsplänen und können davon abweichende Ausschlussfristen vorsehen.
Steuerrechtliche Behandlung
Die aus dem Bibliotheksgroschen erzielten Einnahmen sind als Vergütungen aus urheberrechtlicher Nutzung zu versteuern. Sie gelten regelmäßig als Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 EStG. Es besteht für die Verwertungsgesellschaften die Pflicht zur Abführung der gesetzlichen Abzüge wie beispielsweise der Künstlersozialabgabe, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Abgrenzung zu weiteren Vergütungsansprüchen
Unterschied zum Kopiervergütungsanspruch
Der Bibliotheksgroschen ist klar von der sogenannten Geräte- und Leermedienvergütung bzw. dem Vergütungsanspruch für Vervielfältigungen nach § 54 UrhG abzugrenzen. Während sich der Bibliotheksgroschen auf das Verleihen bezieht, richtet sich der Kopiervergütungsanspruch auf das Anfertigen von Privatkopien.
Internationale Unterschiede
Obwohl das Modell des Bibliotheksgroschens europarechtlich vorgezeichnet ist, bestehen in den EU-Mitgliedstaaten Unterschiede hinsichtlich Erhebungsweise, Anspruchsberechtigung und Verteilungsmechanismen. In Deutschland hat sich das System der zentralen Verwertung und pauschalierten Berechnung als praxistauglich bewährt.
Reformdiskussion und aktuelle Entwicklungen
Digitalisierung und Leihrecht
Das zunehmende Angebot digitaler Medien und E-Books durch Bibliotheken wirft neue Fragestellungen hinsichtlich des Anwendungsbereichs des § 27 UrhG auf. Die aktuelle Rechtslage sieht das Verleihen ausschließlich „körperlicher Werkexemplare“ vor; ob und wie der Bibliotheksgroschen künftig auch für digitale Leihangebote zu zahlen ist, ist Gegenstand politischer und rechtlicher Diskussionen.
Kritische Stimmen und Interessenlage
Rechteinhaber fordern regelmäßig eine Anhebung der Bibliotheksvergütung, während Bibliotheksträger auf ihre eingeschränkten Haushaltsmittel und die Gemeinwohlorientierung hinweisen. Der Gesetzgeber steht hier vor der Aufgabe, einen gerechten Ausgleich zwischen Urheberinteressen und öffentlich zugänglicher Wissensvermittlung sicherzustellen.
Fazit
Der Bibliotheksgroschen ist ein wesentlicher Bestandteil des deutschen Urheberrechts und dient der finanziellen Kompensation von Urhebern für das Verleihen urheberrechtlich geschützter Werke durch öffentliche Bibliotheken. Er schafft einen Ausgleich zwischen der Freiheit des Zugangs zu Wissen und Information einerseits und der wirtschaftlichen Interessensicherung der Rechteinhaber auf der anderen Seite. Das System stützt sich auf kollektiv wahrgenommene Ansprüche durch Verwertungsgesellschaften, ist durch nationale wie europäische Vorschriften geprägt und unterliegt derzeit angesichts digitaler Medien einem dynamischen Entwicklungsprozess.
Häufig gestellte Fragen
Wann entsteht der Anspruch auf Auszahlung des Bibliotheksgroschens?
Der Anspruch auf Auszahlung des Bibliotheksgroschens entsteht, wenn eine öffentliche Bibliothek urheberrechtlich geschützte Werke durch Erwerb in ihren Bestand aufnimmt und diese Werke im Rahmen der erlaubten Nutzung für Zwecke des eigenen Gebrauchs ihren Nutzern zugänglich macht. Grundlage des Auszahlungsanspruchs ist § 27 Abs. 2 UrhG, welcher die öffentliche Wiedergabe durch Ausleihe und zugrunde liegende Rechte regelt. Die Vergütungspflicht zugunsten der Urheber und Leistungsschutzberechtigten wird über die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) sowie ggf. weitere Verwertungsgesellschaften praktisch umgesetzt. Die Ansprüche können jedoch ausschließlich von Berechtigten über die jeweilige Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden, nicht direkt gegen die ausleihende Bibliothek oder den Träger. Voraussetzung ist dabei, dass ein Werk zum ersten Mal nach dem Inkrafttreten der jeweiligen gesetzlichen Regelung von der Bibliothek erworben und zum Verleih bereitgestellt wird; für im Privatbesitz oder zuvor erworbene Werke kann kein weiterer Anspruch entstehen.
Wer ist berechtigt, Ansprüche aus dem Bibliotheksgroschen geltend zu machen?
Anspruchsberechtigt auf den Bibliotheksgroschen sind im Grundsatz die Urheber (z. B. Autoren, Übersetzer, Herausgeber) sowie Inhaber von Leistungsschutzrechten (z. B. Verleger) derjenigen Werke, die von öffentlichen Bibliotheken erworben und zur Ausleihe bereitgestellt werden. Die Ansprüche werden in der Regel kollektiv durch die Verwertungsgesellschaften (insbesondere VG Wort für Autoren und Verleger belletristischer und wissenschaftlicher Werke) geltend gemacht. Ein individuelles Vorgehen außerhalb der kollektiven Rechtewahrnehmung ist gesetzlich ausgeschlossen (§ 27 Abs. 3 UrhG). Ein Berechtigter muss Mitglied oder zumindest registrierter Wahrnehmungsberechtigter bei der jeweiligen Verwertungsgesellschaft sein und seine Werke dort gemeldet haben, um am Verteilungsprozess teilnehmen zu können. Die konkrete Berechtigung knüpft an das urheberrechtliche Schutzrecht im deutschsprachigen Bibliothekswesen sowie gegebenenfalls an vertragliche Regelungen zwischen Autor und Verlag an.
Wie wird die Höhe des Bibliotheksgroschens berechnet und verteilt?
Die Höhe des Bibliotheksgroschens richtet sich nach den jährlichen Einnahmen aus den Zahlungen der Bibliotheksträger, die durch Gesamtverträge zwischen diesen Trägern (bspw. Ländern und Kommunen) und den Verwertungsgesellschaften geregelt werden (§ 27 Abs. 2 UrhG). Die zu zahlende Vergütung basiert auf statistisch ermittelten Ausleihzahlen und der Anzahl der neu angeschafften Exemplare durch die Bibliotheken. Die erhaltenen Gesamtbeträge werden von den Verwertungsgesellschaften nach einem internen Verteilungsplan auf die einzelnen Berechtigten aufgeteilt. Dabei werden differenzierte Verteilungsmodelle angewendet, bei denen Faktoren wie die Anzahl der vorhandenen Exemplare und die Häufigkeit der Ausleihe eines Titels berücksichtigt werden, ebenso wie die Anteile zwischen Autoren, Übersetzern und Verlagen, die meist durch Satzungsrecht oder Verteilungspläne der Verwertungsgesellschaften bestimmt werden. Die genauen Modalitäten können jährlich variieren und sind öffentlich einsehbar (z. B. über die VG Wort-Verteilungspläne).
Unterliegen Zahlungen aus dem Bibliotheksgroschen der Versteuerung?
Ja, Zahlungen, die ein Urheber oder Leistungsschutzberechtigter im Rahmen des Bibliotheksgroschens erhält, sind nach deutschem Steuerrecht als Einkünfte aus selbständiger Arbeit (bei natürlichen Personen) bzw. als Betriebseinnahmen (bei juristischen Personen) steuerpflichtig. Die Verwertungsgesellschaften sind verpflichtet, dem Zahlungsberechtigten jährlich eine Übersicht über die erhaltenen Ausschüttungen auszustellen, die für die Steuererklärung und ggf. Umsatzsteuerangaben zu verwenden sind. Die Anwendung von Umsatzsteuer richtet sich nach dem Status des Berechtigten; ist dieser Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes, unterliegt die Vergütung grundsätzlich der Umsatzsteuerpflicht, es sei denn, eine Kleinunternehmerregelung greift. In internationalen Fällen kann darüber hinaus die Besteuerung nach Doppelbesteuerungsabkommen von Bedeutung sein.
Wie unterscheidet sich der Bibliotheksgroschen von der Ausgleichsregelung für Privatkopien?
Die rechtliche Grundlage für den Bibliotheksgroschen findet sich in § 27 Abs. 2 UrhG und betrifft die öffentliche Ausleihe urheberrechtlich geschützter Werke durch Bibliotheken, während sich die Privatkopievergütung (vgl. § 54 UrhG) auf die erlaubte Vervielfältigung von Werken für den privaten Gebrauch (Private Kopien) bezieht. Die Vergütungsansprüche bei Privatkopien entstehen bereits für das bloße Vervielfältigen durch Endnutzer, unabhängig von einer Ausleihehandlung. Die Bibliotheksausgleichszahlungen hingegen setzen stets eine tatsächliche Ausleihehandlung seitens einer öffentlichen Einrichtung voraus. Die Zahlungs- und Verteilungsmechanismen für beide Systeme greifen zwar oft auf dieselben Verwertungsgesellschaften zurück, unterliegen jedoch jeweils eigenen gesetzlichen Anspruchsgrundlagen, Auslösestatbeständen und Abrechnungsmodalitäten.
Welche Rolle spielen Gesamtverträge zwischen Bibliotheken und Verwertungsgesellschaften im Kontext des Bibliotheksgroschens?
Gesamtverträge nach § 36 UrhG sind für die rechtssichere und pauschalisierte Abwicklung des Bibliotheksgroschens von zentraler Bedeutung. Sie regeln kollektive Zahlungspflichten der Bibliotheksträger – meist Länder, Kommunen oder sonstige öffentliche Institutionen – gegenüber den Verwertungsgesellschaften auf Basis pauschaler Berechnungsgrundlagen (statistische Ausleihdaten, Neuanschaffungszahlen etc.). Gesamtverträge schließen individuelle Nachverhandlungen oder Einzelabrechnungen aus und schaffen planerische sowie rechtliche Sicherheit für beide Seiten. Ohne solche Gesamtverträge würde jede einzelne Bereitstellung und Ausleihe urheberrechtlich geschützter Werke ggf. zu gesonderten Ansprüchen führen und einen unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand bedeuten. Die Inhalte der Gesamtverträge unterliegen dabei der kartellrechtlichen Kontrolle, um eine faire Beteiligung der Rechteinhaber und eine angemessene Belastung der öffentlichen Hand sicherzustellen.
Wie lange kann der Anspruch auf Auszahlung des Bibliotheksgroschens geltend gemacht werden (Verjährung)?
Der Anspruch auf Ausschüttung der Vergütung aus dem Bibliotheksgroschen unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB. Das bedeutet, dass der Anspruch drei Jahre nach dem Schluss des Jahres verjährt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Verwertungsgesellschaften regeln in ihren Satzungen oder AGB regelmäßig, bis zu welchem Zeitpunkt eine Meldung oder ein Nachweis eigener Werke zu erfolgen hat, um an der Verteilung teilnehmen zu können. Nach Ablauf der Fristen oder wenn die Meldung versäumt wird, verfällt der Auszahlungsanspruch unwiderruflich. Die Verjährungsregelung dient dazu, Planungssicherheit für die Verwertungsgesellschaften zu schaffen und die Rechtssicherheit der Verteilungsergebnisse zu gewährleisten.