Legal Lexikon

Bewusstlosigkeit


Definition und rechtliche Relevanz von Bewusstlosigkeit

Bewusstlosigkeit bezeichnet einen Zustand, in dem eine Person weder auf äußere Reize noch auf Ansprache reagiert und keine Willensäußerungen mehr möglich sind. Im rechtlichen Kontext kommt der Bewusstlosigkeit insbesondere im Strafrecht, Zivilrecht und Versicherungsrecht eine bedeutende Rolle zu, da sie weitreichende Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit und Rechtsfähigkeit einer Person haben kann.

Medizinisch-rechtliche Abgrenzung der Bewusstlosigkeit

Bewusstlosigkeit wird medizinisch als tiefgreifende Störung der Bewusstseinslage definiert, bei der die betroffene Person auf Reize jeglicher Art nicht mehr adäquat reagiert. Im Gegensatz zu Bewusstseinstrübungen, Benommenheit oder Dämmerzuständen ist bei der Bewusstlosigkeit die Kontaktfähigkeit vollständig aufgehoben. Für die rechtliche Bewertung ist die präzise Abgrenzung zu anderen Bewusstseinsstörungen wesentlich.

Bewusstlosigkeit im Strafrecht

Auswirkung auf Schuldfähigkeit und Handlungsfähigkeit

Im Strafrecht spielt die Bewusstlosigkeit eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB). Eine Person, die sich im Zustand der Bewusstlosigkeit befindet, ist schuldunfähig, da es ihr an der Fähigkeit fehlt, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Demnach können in absoluter Bewusstlosigkeit begangene Handlungen nicht als vorsätzliche Delikte gewertet werden.

Abgrenzung zu anderen Bewusstseinsstörungen

Die Abgrenzung zu Zuständen verminderter Schuldfähigkeit wie Intoxikation, Affekt oder tiefgreifender Bewusstseinsstörung ist im Einzelfall maßgeblich. Während leichte Bewusstseinsstörungen nach § 21 StGB lediglich die Schuldfähigkeit vermindern können, führt die absolute Bewusstlosigkeit regelmäßig zur vollständigen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB.

Bedeutung bei der Notwehr und Nothilfe

Personen im Zustand der Bewusstlosigkeit gelten als besonders schutzwürdig, da sie sich nicht mehr verteidigen können. Notwehrhandlungen zum Schutz einer bewusstlosen Person werden nach § 32 StGB als gerechtfertigt anerkannt. Zudem entfällt bei der Körperverletzung oder Tötung einer bewusstlosen Person regelmäßig die Notwehrfähigkeit des Angreifers.

Bewusstlosigkeit im Zivilrecht

Geschäftsfähigkeit und Willenserklärungen

Nach § 104 Nr. 2 BGB ist eine Person, die sich in einem Zustand der Bewusstlosigkeit befindet, geschäftsunfähig. Während des Zustands können keine rechtswirksamen Willenserklärungen abgegeben oder angenommen werden. Rechtsgeschäfte, die unter Bewusstlosigkeit abgeschlossen werden, sind nach § 105 BGB nichtig.

Bedeutung für notarielle Beurkundungen

Im Rahmen von Verträgen, insbesondere bei Grundstücksgeschäften oder Testamentserrichtungen, muss die Geschäftsfähigkeit der beteiligten Personen gewährleistet sein. Eine während der Bewusstlosigkeit unterschriebene Urkunde ist deshalb nicht rechtswirksam.

Betreuungsrechtliche Implikationen

Besteht Bewusstlosigkeit über einen längeren Zeitraum (z. B. Koma), stellt sich regelmäßig die Frage der Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB. Die rechtliche Vertretung umfasst dabei alle Angelegenheiten, die die betroffene Person nicht mehr selbst wahrnehmen kann.

Bewusstlosigkeit im Versicherungsrecht

Auswirkungen auf den Versicherungsschutz

Für viele Versicherungsverträge, insbesondere Unfall- und Lebensversicherungen, ist der Zustand der Bewusstlosigkeit als Leistungsvoraussetzung oder Ausschlusskriterium relevant. So kann das Herbeiführen der Bewusstlosigkeit durch Eigen- oder Fremdverschulden Einfluss auf den Leistungsanspruch haben.

Sorgfaltspflichten und Obliegenheiten

Im Rahmen der Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer müssen Versicherungsnehmer bei Eintritt einer Bewusstlosigkeit unverzüglich für ärztliche Hilfe sorgen und den Versicherer informieren. Bei Verletzung dieser Mitwirkungspflichten kann eine Leistungsfreiheit des Versicherers eintreten.

Bewusstlosigkeit im Verkehrsrecht

Fahrtüchtigkeit und Sanktionen

Das Führen eines Fahrzeugs trotz Bewusstseinsstörungen oder mit dem Risiko einer Bewusstlosigkeit (z. B. bei bekannten Vorerkrankungen oder Medikamenteneinnahmen) stellt eine erhebliche Gefährdung des Straßenverkehrs dar. Bei Eintritt von Bewusstlosigkeit am Steuer kommt eine strafrechtliche Ahndung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) oder fahrlässiger Körperverletzung in Betracht.

Verpflichtung zur Hilfsleistung

Verkehrsteilnehmer sind durch § 323c StGB verpflichtet, einer bewusstlosen Person Erste Hilfe zu leisten. Die unterlassene Hilfeleistung kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Bewusstlosigkeit im Medizinrecht

Einwilligung und Behandlung

Einwilligungen in medizinische Behandlungen setzen voraus, dass die betreffende Person einsichtsfähig und handlungsfähig ist. Im Fall der Bewusstlosigkeit ist eine wirksame Einwilligung nicht möglich; Behandler dürfen und müssen dann im Sinne des mutmaßlichen Patientenwillens handeln (§ 630d Abs. 1 S. 4 BGB).

Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

Liegt eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht vor, ist diese im Zustand der Bewusstlosigkeit maßgeblich für die weitere Behandlung. Das medizinische Personal hat entsprechende Anweisungen umzusetzen.

Sonstige rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Bewusstlosigkeit

Zeugenfähigkeit und Prozesshandlungen

Während der Bewusstlosigkeit besteht keine Zeugnis- oder Prozessfähigkeit. Aussagen oder sonstige Prozesshandlung einer bewusstlosen Person entfalten keinerlei rechtliche Wirkung.

Bewusstlosigkeit und Betreuung minderjähriger Kinder

Eltern, die aufgrund von Bewusstlosigkeit vorübergehend nicht handlungsfähig sind, können gesetzlich vertreten werden. In akuten Fällen greift das Familiengericht ein und bestellt ggf. einen Vormund zur Wahrnehmung der Interessen minderjähriger Kinder.

Fazit

Bewusstlosigkeit besitzt im deutschen Recht eine umfassende Bedeutung. Sie hat Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit, die Straf- und Deliktsfähigkeit, die Reichweite des gesetzlichen Schutzes, die Haftung und die Rechtsgültigkeit von Willenserklärungen. Für die rechtliche Bewertung ist insbesondere die genaue Feststellung des Bewusstseinszustands entscheidend. Dauer, Ursache und Ausmaß der Bewusstlosigkeit bestimmen dabei, welche Rechtsfolgen ausgelöst werden. Die Berücksichtigung der Bewusstlosigkeit ist damit für viele Bereiche essenziell, in denen die Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Handeln, Schutz oder Verpflichtungen Dritter maßgeblich ist.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Pflichten bestehen bei der Hilfeleistung gegenüber einer bewusstlosen Person?

Wer eine bewusstlose Person auffindet, unterliegt in Deutschland gemäß § 323c StGB (Strafgesetzbuch) der sogenannten „Garantenpflicht“ zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen. Wer nicht hilft, obwohl die Hilfeleistung erforderlich und zumutbar wäre, macht sich strafbar („unterlassene Hilfeleistung“). Die Hilfeleistungspflicht gilt unabhängig von der Beziehung zur bewusstlosen Person und unabhängig davon, wer diese ist. Zugleich darf die Hilfe jedoch nicht den Helfer selbst in erhebliche Gefahr bringen oder ihm andere wichtige Pflichten zumuten. Im Zweifelsfall genügt es, den Rettungsdienst (112) zu verständigen, wenn eigene Maßnahmen nicht möglich sind. Wer Hilfe leistet und dabei fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich, einen Schaden verursacht, ist nach § 323c Absatz 2 StGB und im Kontext des § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) sowie § 680 BGB (Geschäftsführung ohne Auftrag) in der Regel rechtlich geschützt und nicht haftbar zu machen.

Kann eine Behandlung oder medizinische Maßnahme an einer bewusstlosen Person ohne deren Einwilligung durchgeführt werden?

Rechtlich ist in Deutschland die Behandlung einer bewusstlosen Person auch ohne deren ausdrückliche Einwilligung zulässig, sofern diese Maßnahme dem mutmaßlichen Willen der Person entspricht bzw. zur Abwendung akuter Lebensgefahr oder schwerer Gesundheitsschäden erforderlich ist. Dies ergibt sich aus § 630d BGB („Einwilligung“ im Behandlungsvertrag) und aus den allgemein anerkannten Regeln über die „mutmaßliche Einwilligung“. Die Gesetzeslage geht davon aus, dass ein verständiger Patient Maßnahmen zustimmen würde, die zur Rettung seines Lebens oder seiner Gesundheit notwendig sind. Ersthelfer und medizinisches Personal handeln in diesem Fall also rechtmäßig; ein späterer Einwand des Betroffenen, sollte die Maßnahme tatsächlich seinem Willen widersprochen haben, ist unter rechtlichen Gesichtspunkten nur dann relevant, wenn der Wille vorher eindeutig (etwa in einer Patientenverfügung) dokumentiert wurde.

Welche Konsequenzen drohen, wenn keine Hilfe bei Bewusstlosigkeit geleistet wird?

Wer einer bewusstlosen Person keine Hilfe leistet und dabei eine gebotene Hilfeleistung schuldhaft unterlässt, kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden (§ 323c StGB). Darüber hinaus besteht für bestimmte Berufsgruppen (etwa Ärzte oder Pflegekräfte) eine nochmal gesteigerte Garantenstellung – hier kann das Unterlassen unter Umständen sogar als Körperverletzung durch Unterlassen oder, im Extremfall, als Totschlag durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) gewertet werden. Auch zivilrechtliche Konsequenzen sind möglich, sofern durch das Unterlassen Schäden entstehen (Schadensersatz oder Schmerzensgeld).

Wann liegt eine unterlassene Hilfeleistung im Zusammenhang mit Bewusstlosigkeit nicht vor?

Keine strafbare unterlassene Hilfeleistung besteht, wenn die Hilfeleistung unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar ist (z. B. Eigengefährdung) oder die hilfeleistende Person selbst nicht in der Lage ist, geeignete Maßnahmen zu ergreifen (z. B. Kind, Schwerbehinderte). Ebenfalls entfällt die Strafbarkeit, wenn zumutbare Maßnahmen nicht geeignet sind, die Notlage konkret zu beseitigen oder abzumildern. Auch das rechtzeitige Alarmieren des Rettungsdienstes (z. B. Notruf 112) genügt in vielen Fällen, wenn weitere eigene Handlungen körperlich oder psychisch unmöglich oder unzumutbar sind.

Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bei Bewusstlosigkeit?

Beim Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen an einer bewusstlosen Person ist rechtlich zu klären, ob eine wirksame Patientenverfügung, eine Vorsorgevollmacht oder ein rechtlicher Betreuer mit dieser Entscheidungsbefugnis vorliegt und der Wille der Person möglichst genau feststellbar ist (§§ 1901a, 1901b BGB). Ohne entsprechende Verfügung oder Betreuung darf eine Behandlung in der Regel nicht abgebrochen werden – es sei denn, der mutmaßliche Wille ist anderweitig eindeutig eruierbar. Ärzte und Pflegende müssen bei Unsicherheit stets für fortgesetzte Versorgung sorgen und ggf. das Betreuungsgericht zur Klärung anrufen.

Ist man als Ersthelfer rechtlich abgesichert, wenn bei der Hilfeleistung Fehler passieren?

Ersthelfer sind in Deutschland nach § 680 BGB („Geschäftsführung ohne Auftrag“) und gem. § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) weitgehend haftungsfrei, solange sie nach bestem Wissen und Gewissen und nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich handeln. Für Schäden, die bei gebotenem Versuch einer Hilfeleistung versehentlich entstehen (z. B. Rippenbruch bei Herzdruckmassage), besteht daher grundsätzlich keine zivil- oder strafrechtliche Haftung. Anderes gilt bei grob falschem, unachtsamem oder vorsätzlichem Verhalten.

Wie ist die Situation, wenn ein Arzt privat zu einer bewusstlosen Person gerufen wird?

Ärzte unterliegen selbst außerhalb ihres Dienstes einer besonderen Garantenpflicht aufgrund ihrer Qualifikation. Werden sie privat als Fachkundige zu einer bewusstlosen Person gerufen, so sind sie gesetzlich verpflichtet, alle ihnen nach den Umständen zumutbaren und fachlich gebotenen Maßnahmen einzuleiten. Unterlassen sie dies schuldhaft, kann dies über die normale unterlassene Hilfeleistung hinaus mit empfindlicheren Strafen oder auch mit zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen geahndet werden. Besondere Sorgfalt ist daher geboten; Ärzte dürfen sich nicht auf den Laienstatus berufen.