Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Gesundheitsrecht»Behandlungsabbruch

Behandlungsabbruch


Behandlungsabbruch – Rechtliche Grundlagen und Regelungen

Der Behandlungsabbruch ist ein zentrales Thema im Bereich des Medizinrechts und umfasst zahlreiche rechtliche, ethische und praktische Fragestellungen. Unter Behandlungsabbruch wird die gezielte Beendigung einer begonnenen medizinischen Maßnahme verstanden, wobei hierbei sowohl kurative als auch palliative Behandlungen betroffen sein können. Die rechtliche Beurteilung des Behandlungsabbruchs ist in Deutschland durch eine Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen und höchstrichterlichen Entscheidungen geregelt.

Definition und Abgrenzung

Der Begriff Behandlungsabbruch bezeichnet die bewusste und endgültige Beendigung einer begonnenen medizinischen Behandlung. Dies kann durch den Patienten, einen gesetzlich ermächtigten Vertreter, oder das behandelnde medizinische Personal erfolgen. Abzugrenzen ist dabei der Behandlungsabbruch von der Therapiebegrenzung oder Therapiezieländerung, bei der Maßnahmen weitergeführt oder angepasst werden.

Rechtsquellen

Die maßgeblichen Rechtsvorschriften zum Behandlungsabbruch finden sich insbesondere in folgenden Normen:

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 630a ff. BGB (Behandlungsvertrag), §§ 1901a, 1904 BGB (Patientenverfügung und Einwilligung)
  • Strafgesetzbuch (StGB), insbesondere §§ 216 (Tötung auf Verlangen), 212 (Totschlag), 223 (Körperverletzung)
  • Betreuungsrecht im BGB
  • Patientenrechtegesetz
  • Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Behandlungsabbruch (BGHSt 55, 191 „Putzich-Entscheidung“)

Rechtliche Voraussetzungen für einen Behandlungsabbruch

Patientenautonomie und Selbstbestimmungsrecht

Ein zentrales Prinzip im Umgang mit dem Behandlungsabbruch ist das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung. Die medizinische Behandlung basiert grundsätzlich auf der Einwilligung des Patienten (§ 630d BGB). Jeder Patient hat das Recht, eine laufende Behandlung jederzeit abzulehnen oder zu beenden, sofern er geschäftsfähig und einwilligungsfähig ist. Die Missachtung dieses Willens kann für medizinisches Personal straf- sowie zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Einwilligungsunfähige Personen

Für einwilligungsunfähige Personen, wie zum Beispiel Schwerstkranke, Komapatienten oder Menschen mit eingeschränkter Geschäftsfähigkeit, ist ein Vertreter befugt, über den weiteren Verlauf der Behandlung zu entscheiden. Die Entscheidung richtet sich vorrangig nach dem durch eine Patientenverfügung erklärten Willen (§ 1901a BGB). Liegt keine konkrete Patientenverfügung vor, muss der mutmaßliche Wille des Betroffenen ermittelt werden.

Patientenverfügung

Eine wirksam abgefasste Patientenverfügung ist nach §§ 1901a, 1901b BGB für medizinisches Personal und rechtliche Vertreter bindend. Sie muss konkret auf die eingetretene Behandlungssituation anwendbar sein, ansonsten entscheidet der Vertreter nach dem mutmaßlichen Willen.

Betreuer und Vorsorgebevollmächtigte

Betreuer und Vorsorgebevollmächtigte sind verpflichtet, den expliziten oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu beachten. Wird eine lebenserhaltende Maßnahme abgebrochen, muss die Einwilligung in besonders schwerwiegenden Fällen durch das Betreuungsgericht genehmigt werden (§ 1904 BGB).

Strafrechtliche Aspekte des Behandlungsabbruchs

Kein Straftatbestand bei Beachtung des Patientenwillens

Ein Behandlungsabbruch stellt keine strafbare Handlung dar, wenn er dem freien Willen des Patienten entspricht oder durch eine wirksame Patientenverfügung oder mutmaßlichen Willen gedeckt ist. Das Unterlassen der Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen kann rechtmäßig sein, wenn keine weitere Einwilligung des Patienten besteht.

Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe

Das Strafrecht unterscheidet zwischen passiver Sterbehilfe (Unterlassen oder Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen) und aktiver Sterbehilfe (aktive Tötung auf Verlangen, § 216 StGB). Während der Behandlungsabbruch im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zulässig ist, bleibt eine aktive Tötung rechtlich verboten. Ebenso ist die sogenannte Beihilfe zum Suizid nach der neueren Rechtsprechung in Deutschland nicht pauschal strafbar, jedoch bestehen Einschränkungen gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechts.

Garantenpflichten des medizinischen Personals

Medizinisches Personal kann sich einer unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) oder eines Totschlags durch Unterlassen (§ 13 StGB) strafbar machen, wenn ein Behandlungsabbruch ohne die erforderliche Zustimmung des Patienten oder dessen rechtlichen Vertreters erfolgt. Eine sorgfältige Dokumentation der Willensäußerungen des Patienten sowie der Entscheidungsfindung ist daher rechtlich unerlässlich.

Zivilrechtliche Haftungsfragen beim Behandlungsabbruch

Haftung wegen Behandlungsfehlern

Wird eine Behandlung entgegen dem Willen des Patienten fortgeführt, kann dies einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und eine Körperverletzung darstellen, die zu zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen führen kann.

Haftungsfreiheit bei korrektem Vorgehen

Ein rechtmäßig durchgeführter Behandlungsabbruch entbindet das medizinische Personal von einer zivilrechtlichen Haftung. Entscheidend ist die Einhaltung aller Dokumentationspflichten und der umfassenden Aufklärung des Patienten oder seiner Vertreter.

Ethische und gesellschaftliche Aspekte

Der Behandlungsabbruch ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine ethisch anspruchsvolle Frage, die sowohl für Ärzte als auch für Angehörige und Betroffene eine besondere Belastung darstellt. Die Würde des Menschen, das Selbstbestimmungsrecht sowie das Prinzip der Fürsorge fließen in die Abwägung mit ein.

Verfahrensfragen und Pflichten in der Praxis

Dokumentationspflicht

Die Entscheidungsfindung sowie der Verlauf des Behandlungsabbruchs sind sorgfältig zu dokumentieren. Hierzu gehören sämtliche Aufzeichnungen über Gespräche mit dem Patienten, Angehörigen, Betreuern und gegebenenfalls die Beiziehung von Ethikkomitees.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

In ethisch schwierigen Situationen empfiehlt sich eine interdisziplinäre Abstimmung. Die Mitwirkung von Palliativmedizin, Pflege, Seelsorge und ggf. eines Ethikkomitees kann zu einer rechtmäßigen und ethisch reflektierten Entscheidung beitragen.

Information und Beratung

Aufklärung und Information des Patienten bzw. seiner Bevollmächtigten zählen zu den elementaren Pflichten vor einem Behandlungsabbruch. Nur durch eine umfassende Aufklärung kann die erforderliche Einwilligung wirksam eingeholt werden.

Fazit

Der Behandlungsabbruch ist im deutschen Recht umfassend geregelt und setzt unter anderem die Beachtung der Patientenautonomie sowie die Einhaltung zahlreicher formaler und materieller Voraussetzungen voraus. Das zentrale Kriterium ist der Wille des Patienten. Die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch bedarf gründlicher Prüfung und sorgfältiger juristischer wie auch ethischer Abwägung. Für die Praxis sind vor allem die genaue Dokumentation, eine transparente Entscheidungsfindung und die Beachtung sämtlicher rechtlicher Vorgaben von größter Bedeutung.


Quellenverzeichnis:

  1. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  2. Strafgesetzbuch (StGB)
  3. Patientenrechtegesetz
  4. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09 (Putzich-Entscheidung)
  5. Gesetz über die betreuungsrechtlichen Einwilligungslösungen (BtG)

Häufig gestellte Fragen

Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen ist ein Behandlungsabbruch zulässig?

Ein Behandlungsabbruch ist im deutschen Recht nur dann zulässig, wenn bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind. Grundlegend ist, dass ein Abbruch der Behandlung nur erfolgen darf, wenn eine medizinisch indizierte Behandlung entweder nicht (mehr) dem Patientenwillen entspricht oder aus medizinisch-ethischen Gründen keine Aussicht auf Besserung oder Lebensverlängerung besteht. Maßgeblich ist insbesondere der erklärte oder mutmaßliche Wille des Patienten, der in einer Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht oder durch die Stellungnahme eines gesetzlichen Betreuers zum Ausdruck kommen kann (§ 1901a, § 1904 BGB). Liegt eine Patientenverfügung vor, die den aktuellen Behandlungssachverhalt eindeutig regelt, muss dieser Wille beachtet werden. Ist keine Verfügung vorhanden, ist der mutmaßliche Wille durch Gespräche mit Angehörigen oder Vertrauenspersonen zu erforschen. Ohne wirksame Einwilligung stellt der Behandlungsabbruch grundsätzlich eine strafbare Handlung, insbesondere nach § 216 StGB (Tötung auf Verlangen), dar, es sei denn, es besteht Rechtfertigung aufgrund des Patientenwillens. Darüber hinaus muss die Maßnahme von Fachärztinnen und Fachärzten sorgfältig geprüft, dokumentiert und im Zweifel auch interdisziplinär abgestimmt werden.

Muss der behandelnde Arzt haftungsrechtliche Konsequenzen fürchten, wenn er eine Behandlung abbricht?

Ja, haftungsrechtliche Konsequenzen können entstehen, wenn der Arzt beim Behandlungsabbruch gegen die medizinische Sorgfaltspflicht oder den dokumentierten oder mutmaßlichen Patientenwillen verstößt. Ein unzulässiger Abbruch kann zu einer zivilrechtlichen Haftung (Schadensersatzansprüche durch Angehörige oder Versicherungen) oder zu strafrechtlichen Sanktionen führen. Das gilt insbesondere, wenn ein Abbruch herbeigeführt wird, ohne dass eine ausreichende Willensbekundung des Patienten vorliegt oder ohne die medizinisch-ethischen Anforderungen zu beachten. Andererseits ist der Arzt verpflichtet, eine medizinisch sinnlose oder vom Patienten explizit abgelehnte Behandlung abzubrechen, um nicht selbst rechtswidrig zu handeln. Die lückenlose Dokumentation aller Entscheidungsprozesse und der Einbezug von Kollegen und ggf. einer Ethikkommission wird dringend empfohlen, um im Falle späterer Auseinandersetzungen den rechtmäßigen Verlauf nachweisen zu können.

Welche Rolle spielt die Patientenverfügung beim Behandlungsabbruch?

Die Patientenverfügung ist ein äußerst bedeutendes Instrument im Kontext des Behandlungsabbruchs. Sie ist rechtlich bindend, sofern sie den aktuellen Behandlungssachverhalt konkret erfasst. Ärzte und das Behandlungsteam sind verpflichtet, dem in der Patientenverfügung explizit geäußerten Willen des Patienten nachzukommen, auch wenn dies einen Behandlungsabbruch und damit das Versterben des Patienten zur Folge hat. Die Verfügung muss eindeutig und spezifisch hinsichtlich der gewünschten und abzulehnenden Maßnahmen formuliert sein. Sind Auslegungsschwierigkeiten vorhanden oder unklar, ob die Verfügung den aktuellen Fall regelt, ist zunächst mit Bevollmächtigten oder nahen Angehörigen der mutmaßliche Wille des Patienten zu klären. Die Missachtung einer gültigen Patientenverfügung kann als Körperverletzung oder sogar als Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) strafbar sein.

Bedarf der Behandlungsabbruch einer Genehmigung durch das Betreuungsgericht?

Ein Behandlungsabbruch bedarf nach § 1904 BGB einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn der gesetzliche Betreuer oder Bevollmächtigte in eine Maßnahme einwilligt oder sie untersagt, die mit der konkreten Erwartung einhergeht, dass der Patient dadurch verstirbt. Die gerichtliche Genehmigung entfällt, wenn Patientenverfügung und Betreuer/Vollmacht eindeutig übereinstimmen und keine Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten bestehen. Kommt es jedoch zu Meinungsverschiedenheiten oder ist die Patientenverfügung nicht eindeutig, muss das Betreuungsgericht angerufen werden, um den mutmaßlichen Willen des Patienten verbindlich festzustellen.

Inwieweit spielt die Dokumentation bei einem rechtssicheren Behandlungsabbruch eine Rolle?

Eine ausführliche und präzise Dokumentation ist im gesamten Prozess des Behandlungsabbruchs unerlässlich und hat immense rechtliche Bedeutung. Sie dient dazu, sämtliche Entscheidungsgrundlagen, Gespräche mit Angehörigen, den Willen des Patienten, die medizinische Indikation sowie die Einbindung weiterer ärztlicher oder ethischer Gremien nachvollziehbar zu machen. Im Falle rechtlicher Überprüfungen (z.B. durch Staatsanwaltschaft oder Betreuungsgericht) kann die Dokumentation die Einhaltung aller rechtlichen Rahmenbedingungen belegen und den ärztlichen Entscheidungsspielraum schützen. Fehlende oder lückenhafte Dokumentation kann im Zweifelsfall haftungsbegründend wirken oder strafrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen.

Welche Konsequenzen drohen bei einem unbegründeten oder nicht rechtmäßig abgestimmten Behandlungsabbruch?

Ein Behandlungsabbruch ohne rechtliche Legitimation (also ohne ausreichende Willensbekundung des Patienten, gültige Patientenverfügung oder gerichtliche Genehmigung, soweit erforderlich) kann erhebliche zivilrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen haben. Ärztinnen und Ärzte setzen sich dabei dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB), der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) oder der Körperverletzung (§ 223 StGB) aus. Neben der strafrechtlichen Verantwortlichkeit drohen auch berufsrechtliche Maßnahmen durch die Ärztekammer sowie Schadensersatzforderungen. Auch das Unterlassen einer notwendigen Aufklärung der Angehörigen oder eine unvollständige Dokumentation können disziplinarische Folgen haben.

Wer entscheidet im Zweifelsfall über den Behandlungsabbruch, wenn keine eindeutige Willenserklärung vorliegt?

Liegt keine schriftliche Patientenverfügung oder eindeutige Willenserklärung vor, ist der mutmaßliche Wille des Patienten zu erforschen. Hierzu werden Angehörige oder andere nahestehende Personen befragt. Gelingt dies nicht, müssen (gesetzliche) Vertreter wie ein gerichtlich bestellter Betreuer oder Bevollmächtigter entscheiden. Sollte es auch hier zu Unsicherheiten oder Meinungsverschiedenheiten kommen, ist zwingend das Betreuungsgericht einzuschalten, das auf Grundlage der vorliegenden Informationen entscheidet. Die Entscheidung über Leben und Tod obliegt in letzter Instanz immer dem Gericht, sofern der Patientenwille nicht zweifelsfrei ermittelbar ist.

Ist ein Behandlungsabbruch in Notfallsituationen rechtlich zulässig?

In akuten Notfallsituationen, in denen die Einholung des Patientenwillens nicht möglich ist und keine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht vorliegt, gilt grundsätzlich das Prinzip der mutmaßlichen Einwilligung; die lebenserhaltende Behandlung ist zunächst durchzuführen. Ein Behandlungsabbruch ist hier rechtlich erst zulässig, wenn bekannt wird, dass der Patient eine Behandlung abgelehnt hätte (z.B. durch nachträglich vorgelegte Verfügung oder Hinweise nahestehender Personen), oder wenn fundierte medizinische Gründe eine Nutzlosigkeit der Therapie belegen. Andernfalls machen sich Ärzte unter Umständen strafbar, wenn sie ohne eine verlässliche Entscheidungsgrundlage die Behandlung abbrechen.