Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Rechtsbegriffe (allgemein)»Aussetzung der Wehrpflicht

Aussetzung der Wehrpflicht


Aussetzung der Wehrpflicht – Begriff und rechtlicher Rahmen

Die Aussetzung der Wehrpflicht bezeichnet die vollständige oder teilweise Unterbrechung der gesetzlichen Verpflichtung von Bürgern eines Staates, Wehrdienst zu leisten. Im deutschen Recht ist dieser Begriff insbesondere im Zusammenhang mit der sogenannten „Friedenswehrpflicht“ gemäß Art. 12a Grundgesetz (GG) sowie dem Wehrpflichtgesetz (WPflG) von zentraler Bedeutung. Im Folgenden werden die verschiedenen rechtlichen Aspekte der Aussetzung der Wehrpflicht umfassend dargestellt.


Rechtliche Grundlagen der Wehrpflicht in Deutschland

Verfassungsrechtliche Verankerung

Die Wehrpflicht ist im Grundgesetz, insbesondere in Art. 12a GG, verfassungsrechtlich geregelt. Dort wird dem Gesetzgeber gestattet, Männer ab Vollendung des 18. Lebensjahres zum Dienst in den Streitkräften oder für den Zivildienst zu verpflichten. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Wehrpflicht eingeführt oder ausgesetzt wird, liegt beim Gesetzgeber.

Art. 12a GG und Alternativdienste

Neben der militärischen Wehrpflicht regelt Art. 12a GG auch den Ersatzdienst (Zivildienst) sowie die Pflicht zu anderen Diensten im Verteidigungsfall. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, die Wehrpflicht auszusetzen und das System auf eine Freiwilligenbasis umzustellen.

Die Ausgestaltung durch das Wehrpflichtgesetz (WPflG)

Das Wehrpflichtgesetz enthält nähere Regelungen zur Erfassung, Musterung und Heranziehung wehrpflichtiger Personen. Es legt Voraussetzungen, Dauer und Durchführung der Wehrpflicht fest und definiert die Voraussetzungen für die Aussetzung.


Rechtliche Form der Aussetzung der Wehrpflicht

Gesetzliche Grundlage der Aussetzung

Die Aussetzung der Wehrpflicht erfolgt nicht durch eine Änderung des Grundgesetzes, sondern anhand einer einfachen gesetzlichen Regelung. Im Fall der Bundesrepublik Deutschland wurde durch das „Wehrrechtsänderungsgesetz“ 2011 (WehrRÄndG 2011, BGBl. I S. 678) geregelt, dass die Einberufung zum Grundwehrdienst ausgesetzt wird. Der § 1a WPflG wurde eingeführt und bestimmt, dass in Friedenszeiten keine Einberufungen mehr stattfinden, wenn der Bundestag dies durch Beschluss feststellt oder aufhebt.

Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz zur Aussetzung der Wehrpflicht liegt nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG beim Bund. Dies ermöglicht es, per Bundesgesetz die Wehrpflicht auszusetzen oder wieder einzusetzen. Hierbei bedarf es allerdings keiner Verfassungsänderung, sondern einer Änderung von Ausführungsgesetzen.

Die konkrete Umsetzung im Jahr 2011

Im Zuge der Neuausrichtung der Bundeswehr wurde die Aussetzung des obligatorischen Grundwehrdienstes mit Wirkung zum 1. Juli 2011 beschlossen. Seitdem besteht die Wehrpflicht dem Grunde nach fort, sie wird aber nicht mehr durch Einberufungen praktisch vollzogen.


Umfang und Inhalt der Aussetzung

Wirkungen der Aussetzung

Die Aussetzung unterbricht die Einberufungspflicht zur Ableistung des Wehrdienstes, beseitigt sie jedoch nicht dauerhaft. Die Rechtspflicht bleibt erhalten, ist aber auf unbestimmte Zeit suspendiert. Eine sofortige Wiederaufnahme wäre durch einen einfachen Gesetzesbeschluss seitens des Bundestages möglich.

Status der Wehrpflichtigen

Personen, die vor der Aussetzung gemustert oder zur Musterung vorgeladen wurden, werden nicht mehr einberufen. Auch bereits erlassene Einberufungsbescheide sind durch die Aussetzung gegenstandslos geworden, sofern die Betroffenen nicht bereits angetreten waren.

Unterschied zur Abschaffung der Wehrpflicht

Von der dauerhaften Abschaffung unterscheidet sich die Aussetzung dadurch, dass das zugrundeliegende Gesetz weiterhin besteht und lediglich die Anwendung (Einberufung) ruht. Eine vollständige Abschaffung würde eine Änderung der gesetzlichen Grundlage bedeuten, im Extremfall sogar eine Anpassung des Grundgesetzes erfordern.


Besondere rechtliche Fragen und Folgeaspekte

Rechtsfolgen für Ersatzdienstleistende

Die Pflicht zur Ableistung eines Ersatzdienstes (z.B. Zivildienst) ist an die Wehrpflicht gekoppelt. Mit deren Aussetzung besteht auch keine Verpflichtung zu zivilen Ersatzdiensten mehr. Dies hat auch Auswirkungen auf weitere Bereiche, wie zum Beispiel den Wehrersatzdienst sowie bestimmte Schutz- und Sonderrechte, die an den Wehrdienst gebunden waren.

Status im Spannungs- oder Verteidigungsfall

Die Aussetzung greift nur in Friedenszeiten. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann durch Parlamentsbeschluss (Art. 12a GG, Abs. 5) die Einberufung reaktiviert werden. Es genügt eine einfache Gesetzesänderung, um die Wehrpflicht wieder einzusetzen.

Dienstpflichten gemäß Art. 12a GG

Im Verteidigungsfall können auch andere Personengruppen zu Dienstleistungen herangezogen werden. Die gesetzlichen Grundlagen bestehen weiterhin fort und können jederzeit aktiviert werden.

Auswirkungen auf das Gleichbehandlungsgebot

Die Aussetzung der Wehrpflicht bezieht sich ausschließlich auf verpflichtend herangezogene Personengruppen (derzeit männliche deutsche Staatsbürger ab 18 Jahren). Seit Inkrafttreten der Aussetzung werden keine Personen mehr zur Ableistung des Wehrdienstes einberufen, wodurch das Gleichheitsprinzip weiterhin gewahrt bleibt.


Historische Entwicklung und internationale Vergleiche

Entwicklung der Rechtslage in Deutschland

Die Wehrpflicht wurde in der Bundesrepublik Deutschland erstmals 1956 eingeführt. Mit verschiedenen Gesetzesänderungen wurde sie stets an sicherheitspolitische Entwicklungen angepasst. Die Aussetzung im Jahr 2011 markiert eine Zäsur und stellt die Wehrpflicht als sogenannte „Schlafende Pflicht“ in den Hintergrund, wobei ihre rechtliche Grundlage nach wie vor fortbesteht.

Regelungen in anderen Staaten

Auch andere Staaten kennen das Instrument der Aussetzung der Wehrpflicht, das sich klar von der Abschaffung unterscheidet. So haben etwa Frankreich, Italien oder Spanien die Wehrpflicht vollständig abgeschafft, während andere Staaten, wie beispielsweise Dänemark oder Finnland, die Möglichkeit der Aussetzung in ihren Gesetzgebungen verankert haben. Die Rechtsformen und Voraussetzungen unterscheiden sich je nach nationalem Recht erheblich.


Fazit

Die Aussetzung der Wehrpflicht ist ein rechtlich komplexes Instrument, das dem Gesetzgeber flexible Handlungsspielräume zur Anpassung an veränderte sicherheitspolitische Anforderungen ermöglicht, ohne dabei die verfassungsrechtlich vorgesehene Wehrpflicht grundsätzlich abzuschaffen. Die Aussetzung lässt die rechtliche Verpflichtung fortbestehen, suspendiert jedoch deren Durchsetzung, meist geregelt durch ein Einfachgesetz und begleitende Durchführungsbestimmungen. In Friedenszeiten bleibt die Wehrpflicht daher gegenwärtig inaktiv, kann jedoch bei veränderten Rahmenbedingungen jederzeit wieder aktiviert werden. Die Aussetzung berührt nicht die Verfassungsgrundlagen, sondern basiert auf der bewussten Nichtanwendung bestehender Gesetze. Das begriffliche und rechtliche Verständnis ist daher stets im Lichte der nationalen Gesetzgebung und des Kontexts zu betrachten.

Häufig gestellte Fragen

Gibt es seit der Aussetzung der Wehrpflicht weiterhin eine rechtliche Verpflichtung zur Ableistung des Grundwehrdienstes?

Mit der Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 ist die allgemeine Verpflichtung zur Ableistung des Grundwehrdienstes in Deutschland gemäß § 1 Abs. 1 Wehrpflichtgesetz (WPflG) außer Kraft gesetzt worden. Die Wehrpflicht selbst wurde jedoch nicht abgeschafft; das entsprechende Gesetz besteht weiter. Die Verpflichtung zur Ableistung des Grundwehrdienstes ruht derzeit und wird nur im Verteidigungs- oder Spannungsfall wieder aktiviert. Dies ist rechtlich im § 2 Abs. 1 Satz 2 WPflG geregelt, wonach im Frieden keine Einberufungen zum Grundwehrdienst erfolgen. Im Ereignis eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls kann die Wehrpflicht durch besonders zu treffende Feststellungen des Deutschen Bundestages gemäß Art. 115a Grundgesetz wieder aufleben.

Welche rechtlichen Regelungen ermöglichen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Die Aussetzung der Wehrpflicht erfolgte durch Änderungsregelungen im Wehrpflichtgesetz (insbesondere § 2 WPflG), nicht durch deren vollständige Abschaffung. Die gesetzliche Grundlage bleibt bestehen, sodass der Gesetzgeber jederzeit durch einfache Mehrheitsentscheidung im Bundestag die Aussetzung aufheben kann. Darüber hinaus sieht das Grundgesetz in Art. 12a Abs. 1 ausdrücklich das Recht auf Wiedereinführung der Wehrpflicht im Falle des Verteidigungs- oder Spannungsfalls vor. Damit ist juristisch sichergestellt, dass eine Reaktivierung kurzfristig möglich wäre, ohne dass eine Grundgesetzänderung erforderlich wird.

Welche rechtlichen Auswirkungen hat die Aussetzung der Wehrpflicht auf Ersatzdienste wie den Zivildienst?

Da der Zivildienst unmittelbar an die Wehrpflicht geknüpft ist, wurde auch die Verpflichtung zur Ableistung eines Ersatzdienstes mit der Aussetzung der Wehrpflicht außer Kraft gesetzt. Gemäß § 1 Abs. 2 Zivildienstgesetz (ZDG) sind seither keine neuen Wehrpflichtigen mehr zum Zivildienst einzuberufen. Bereits begonnene oder laufende Zivildienste wurden unter Bestandsschutz durchgeführt, jedoch finden seit der Aussetzung keine neuen Einberufungen mehr statt. Die rechtlichen Vorschriften zum Zivildienst bestehen weiterhin, werden aber momentan nicht angewendet.

Wie ist die Rechtslage für ehemalige Wehrpflichtige, die vor der Aussetzung nicht einberufen wurden?

Für Wehrpflichtige, die vor dem 1. Juli 2011 nicht einberufen wurden, besteht im Grundsatz keine Verpflichtung mehr zur nachträglichen Ableistung des Grundwehrdienstes. Die Einberufungspflicht ruht aufgrund der gesetzlichen Aussetzung und kann nur im Verteidigungs- oder Spannungsfall wieder aufleben. Allerdings können im Rahmen von Wehrübungspflichten oder bei Reaktivierung der Wehrpflicht in Ausnahmefällen besondere Bestimmungen greifen, beispielsweise für Reservisten oder besonders qualifizierte Fachkräfte. Generell ist jedoch eine rückwirkende Einberufung im Friedensfall ausgeschlossen.

Ist die Aussetzung der Wehrpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar?

Die Aussetzung ist juristisch zulässig, weil das Grundgesetz gemäß Art. 12a Abs. 1 lediglich die rechtliche Möglichkeit zur Einführung einer Wehrpflicht vorsieht, diese jedoch nicht zwingend fordert. Der Bund hat einen weiten Gestaltungsspielraum, die Wehrpflicht gesetzlich auszugestalten oder ruhen zu lassen, solange keine dauerhafte Abschaffung angestrebt wird. Die fortbestehende Rechtsgrundlage und die Option der Wiedereinführung genügen somit den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Können freiwillige Dienste oder der freiwillige Wehrdienst die Wehrpflicht rechtlich ersetzen?

Freiwillige Dienste, wie der seit 2011 eingeführte freiwillige Wehrdienst nach § 54c Soldatengesetz, ersetzen keine Verpflichtung und verändern den Rechtsstatus der Wehrpflicht nicht. Sie bestehen unabhängig von der ausgesetzten Wehrpflicht neben Berufssoldaten und regulären Zeitsoldaten und beruhen auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Eine rechtliche Gleichstellung mit der Wehrpflicht besteht nicht. Die freiwilligen Dienste dienen gegenwärtig der Personalgewinnung der Bundeswehr ohne verpflichtenden Charakter für Bürger.

Welche rechtlichen Vorgaben bestehen für eine eventuelle Reaktivierung der Wehrpflicht?

Die rechtliche Reaktivierung folgt klar festgelegten Gesetzgebungsschritten. Erforderlich ist zunächst ein gesetzgeberischer Akt, durch den die Aussetzung (§ 2 Abs. 1 Satz 2 WPflG) aufgehoben wird. Im Falle einer kriegerischen Bedrohung könnte dies auch beschleunigt durch Notstandsgesetze und mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen. Darüber hinaus ist eine entsprechende Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls durch den Bundestag gemäß Art. 115a GG für die vollständige Aktivierung sämtlicher Wehrpflichtbestandteile notwendig. Parallel sind weitere gesetzliche Maßnahmen zur Organisation und Durchführung von Musterungen und Einberufungen zu treffen.