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Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (AGV)


Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (AGV)

Begriff und rechtliche Einordnung

Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (kurz: AGV) bezeichnen ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Vertragsrecht. Sie sind im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), insbesondere in den §§ 312b bis 312g BGB, geregelt und stellen eine besondere Form von Verbraucherverträgen dar. AGV zielen auf den Schutz von Verbrauchern, die Verträge außerhalb der typischen Geschäftsräume eines Unternehmers abschließen und dadurch besonderen Risiken, etwa durch Überraschung oder Überrumpelung, ausgesetzt sind.

Definition

Nach § 312b Abs. 1 BGB liegt ein außer­halb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag vor, wenn

  • der Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer
  • außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers (§ 312b Abs. 2 BGB)
  • oder bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit von Verbraucher und Unternehmer an einem anderen Ort als den Geschäftsräumen,
  • nach Ansprechen außerhalb der Geschäftsräume in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang in den Geschäftsräumen,
  • auf einer Freizeitveranstaltung, einer Kaffeefahrt oder ähnlichem und
  • unter Nutzung von Fernkommunikationsmitteln nach unmittelbarer persönlicher Kontaktaufnahme außerhalb der Geschäftsräume

geschlossen wird.

Geschäftsräume im Sinne des Gesetzes

Gemäß § 312b Abs. 2 BGB sind Geschäftsräume etwa unbewegliche Gewerberäume, in denen ein Unternehmer seine Tätigkeit gewöhnlich ausübt, oder bewegliche Gewerberäume, die er für gewöhnlich oder saisonal nutzt (zum Beispiel ein Messestand auf einer Messe, die jährlich stattfindet).

Historische Entwicklung und europarechtlicher Hintergrund

Die Vorschriften zu AGV beruhen auf der europäischen Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU), deren Umsetzung in nationales Recht zu einer Vereinheitlichung der Schutzvorschriften für Verbraucher geführt hat. Ziel war es, Verbraucherschutzrechte europaweit zu harmonisieren und insbesondere Risiken durch „Haustürgeschäfte“ und ähnliche Konstellationen zu minimieren.

Anwendungsbereich

Persönlicher Anwendungsbereich

AGV finden Anwendung im Verhältnis zwischen

  • Verbrauchern (§ 13 BGB): jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder gewerblicher noch selbständiger beruflicher Tätigkeit zugerechnet werden können,
  • und Unternehmern (§ 14 BGB): eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die beim Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.

Reine Verträge zwischen Unternehmern oder ausschließlich unter Verbrauchern sind nicht erfasst.

Sachlicher Anwendungsbereich

Erfasst sind entgeltliche Verträge über Waren oder Dienstleistungen, typischerweise Kaufverträge, Werkverträge und Dienstleistungsverträge. Ausgenommen sind gemäß § 312 Abs. 2 BGB etwa Verträge über Finanzdienstleistungen, die unter das Wertpapierhandelsgesetz fallen, oder bestimmte Mietverträge.

Rechtliche Konsequenzen bei Abschluss eines AGV

Informationspflichten des Unternehmers

Unternehmer müssen vor Vertragsschluss verschiedene Informationen bereitstellen, vgl. Art. 246a EGBGB. Dies betrifft insbesondere Informationen über die Identität, die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung, Preise, Liefer- und Zahlungsbedingungen, Laufzeit sowie das Widerrufsrecht.

Diese Pflicht trifft den Unternehmer bereits bei Angebot oder spätestens bei Vertragsschluss. Kommt der Unternehmer den Informationspflichten nicht nach, kann dies die Frist für das Widerrufsrecht verlängern oder zu Sanktionen führen.

Widerrufsrecht bei AGV

Das rechtlich bedeutendste Merkmal von AGV ist das gemäß § 355 BGB geregelte Widerrufsrecht:

  • Widerrufsfrist: Verbraucher können den Vertrag binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen.
  • Beginn der Frist: Die Frist beginnt mit Vertragsschluss, jedoch nicht vor ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerrufsrecht und Erfüllung der Informationspflichten (§ 356 Abs. 3 BGB).
  • Form des Widerrufs: Der Widerruf kann in Textform oder nachweisbar durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer erfolgen.
Folgen des Widerrufs

Mit dem Widerruf entfällt die vertragliche Bindung. Bereits empfangene Leistungen sind zurückzugewähren, gezogene Nutzungen herauszugeben. Der Unternehmer hat geleistete Zahlungen spätestens binnen 14 Tagen nach Eingang des Widerrufs zurückzuzahlen.

Ausnahmen vom Widerrufsrecht

Bestimmte Verträge sind vom Widerrufsrecht ausgenommen, insbesondere nach § 312g Abs. 2 BGB. Dazu zählen etwa:

  • Maßanfertigungen oder Produkte nach Kundenspezifikation,
  • schnell verderbliche Waren,
  • Dienstleistungen, die auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vor Ablauf der Widerrufsfrist begonnen wurden,
  • versiegelte Waren, die aus gesundheitlichen oder hygienischen Gründen nicht zur Rückgabe geeignet sind, sofern ihre Versiegelung entfernt wurde.

Beweislast und Besonderheiten

Den Unternehmer trifft die Beweislast für die ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht (§ 356 Abs. 3 Satz 4 BGB). Versäumnisse führen zur Verlängerung der Widerrufsfrist auf maximal zwölf Monate und 14 Tage nach Vertragsschluss.

Besonderheiten bestehen bei Eintritt von Leistungen während der Widerrufsfrist: Hat der Verbraucher vor Ablauf der Widerrufsfrist die Ausführung verlangt, steht dem Unternehmer ein Wertersatz für bereits erbrachte Leistungen zu, sofern er die Informationspflichten beachtet und der Verbraucher ausdrücklich zugestimmt hat.

Bedeutung in der Praxis

AGV sind in der Praxis vor allem bei sogenannten „Haustürgeschäften“, Verkäufen auf Messen, Freizeitveranstaltungen oder im Rahmen mobiler Dienstleistungsangebote relevant. Sie schützen Verbraucher vor spontanen Vertragsabschlüssen in für sie ungewohnter Umgebung, insbesondere im Gegensatz zum normalen stationären oder Online-Geschäft.

Fazit

Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (AGV) stellen eine wichtige Säule des deutschen Verbraucherschutzrechts dar. Sie gewährleisten durch umfassende Informationspflichten und ein gesetzliches Widerrufsrecht ein hohes Maß an Transparenz und Entscheidungsfreiheit für Verbraucher und tragen somit zu einem fairen Ausgleich zwischen Unternehmer- und Verbraucherinteressen bei. Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ist für Unternehmer verpflichtend und kann bei Missachtung rechtliche Konsequenzen auslösen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Pflichten treffen den Unternehmer bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag?

Der Unternehmer ist bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag (AGV) gemäß §§ 312b, 312d, 312g und 355 BGB an zahlreiche besondere Informations- und Schutzpflichten gebunden. Zunächst muss er den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über alle wesentlichen Vertragsbestandteile informieren, insbesondere über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts, die Bedingungen, Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufs, seine Identität sowie die Hauptmerkmale der Ware oder Dienstleistung, Gesamtpreise, Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen, Laufzeiten und gegebenenfalls die Mindestdauer der Verpflichtungen (§ 312d Abs. 1 i.V.m. Art. 246a § 1 EGBGB). Diese Informationen sind dem Verbraucher auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung zu stellen, spätestens bei Vertragsschluss. Unterlässt der Unternehmer die ordnungsgemäße Information, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen, was zu einem unbefristeten Widerrufsrecht für den Verbraucher führen kann (§ 356 Abs. 3 BGB). Darüber hinaus hat der Unternehmer sicherzustellen, dass dem Verbraucher eine Muster-Widerrufsbelehrung nebst Widerrufsformular überlassen wird. Versäumt der Unternehmer diese Pflichten, drohen ihm erhebliche Sanktionen, wie Kosten der Rückabwicklung, Zahlungsverzögerungen oder behördliche Abmahnungen.

Wie lange beträgt die Widerrufsfrist bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und wie wird sie berechnet?

Gemäß § 355 BGB beträgt die Widerrufsfrist für den Verbraucher bei AGV grundsätzlich 14 Tage. Die Frist beginnt jedoch erst, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt wurde und die Ware erhalten hat (bei Verträgen über Warenlieferungen) oder der Vertragsschluss erfolgt ist (bei Dienstleistungen). Die Frist verlängert sich auf bis zu zwölf Monate und 14 Tage, falls eine ordnungsgemäße Belehrung oder ein erforderliches Widerrufsformular unterblieben sind (§ 356 Abs. 3 BGB). Die Fristwahrung erfolgt durch rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung durch den Verbraucher, wobei keinerlei Begründung des Widerrufs erforderlich ist. Wird der Vertrag etwa am 1. eines Monats geschlossen und die Belehrung nebst Ware am 5. zugegangen, beginnt die Frist am 5. und endet am 19. desselben Monats.

Unterliegen alle Verträge, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, dem Widerrufsrecht?

Nicht jeder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Vertrag unterliegt zwingend dem Widerrufsrecht des Verbrauchers. Es existieren diverse Ausnahmen, geregelt insbesondere in § 312g Abs. 2 BGB. Darunter fallen beispielsweise Verträge zur Lieferung von schnell verderblichen Waren, versiegelten Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung entfernt wurde, maßgeschneiderte oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Waren oder Verträge über bestimmte Freizeitdienstleistungen mit festem Termin. Darüber hinaus sind Verträge zwischen Unternehmern (B2B) sowie im Rahmen von Auktionen grundsätzlich nicht erfasst. Entscheidend ist stets der genaue Vertragsgegenstand und ob der Verbraucherstatus vorliegt.

In welchen Fällen kann der Verbraucher sein Widerrufsrecht verlieren?

Der Gesetzgeber sieht verschiedene Situationen vor, in denen das Widerrufsrecht vorzeitig erlischt (§ 356 BGB). Bei Dienstleistungen kann das Widerrufsrecht erlöschen, wenn der Unternehmer die Dienstleistung vollständig erbracht hat und mit der Ausführung erst begonnen wurde, nachdem der Verbraucher ausdrücklich zugestimmt und zur Kenntnis genommen hat, dass das Widerrufsrecht mit vollständiger Vertragserfüllung entfällt (§ 356 Abs. 4 BGB). Bei versiegelten Waren (etwa Software oder Hygieneartikel) erlischt das Widerrufsrecht, sobald die Versiegelung entfernt wurde. Bei digitalen Inhalten, die nicht auf einem körperlichen Datenträger geliefert werden, ist ein Erlöschen möglich, wenn der Verbraucher ausdrücklich zustimmt und seine Kenntnis vom Verlust des Widerrufsrechts bestätigt. Maßgeblich sind immer die gesetzlich vorgegebenen Bedingungen und die schriftliche Zustimmung des Verbrauchers.

Welche Rechtsfolgen hat ein wirksamer Widerruf für beide Vertragsparteien?

Wird ein Vertrag wirksam widerrufen, sind beide Parteien zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen verpflichtet (§ 355 Abs. 3, § 357 BGB). Der Verbraucher muss erhaltene Waren unverzüglich, spätestens binnen 14 Tagen nach Erklärung des Widerrufs, zurückgeben. Der Unternehmer ist verpflichtet, alle geleisteten Zahlungen – einschließlich etwaiger Lieferkosten für den Hinversand – innerhalb von 14 Tagen zurückzuerstatten. Für eine etwaige Wertminderung der Ware haftet der Verbraucher nur, wenn er einen Wertverlust zu vertreten hat, etwa weil er die Ware über die Prüfung der Beschaffenheit hinaus genutzt hat. Die Rückzahlung muss grundsätzlich auf demselben Zahlungsweg erfolgen, den der Verbraucher gewählt hat, sofern nichts anderes vereinbart wurde. Der Unternehmer trägt im Regelfall auch das Rücksende-Risiko und muss dem Verbraucher vorab mitteilen, wer die Rücksendekosten trägt; unterbleibt diese Information, trägt der Unternehmer die Rücksendekosten.

Was ist bei der Haustürsituation speziell zu beachten?

Der Begriff der Haustürsituation ist eng mit AGV verbunden und meint insbesondere Verträge, die im Rahmen von Besuchen an der Privatwohnung, am Arbeitsplatz oder im Rahmen von sogenannten Werbefahrten geschlossen werden (§ 312b BGB). Hier besteht eine besondere Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, da er in einer für Werbung oder Vertragsschluss ungewöhnlichen Umgebung mit Verkaufssituationen konfrontiert wird. Bis zu einer erfolgreichen und korrekten Widerrufsbelehrung bleibt dem Verbraucher das Recht, auch nach Wochen oder Monaten wieder vom Vertrag zurückzutreten. Ausnahmeregelungen gelten für Bagatellgeschäfte bis zu einem Betrag von 40 Euro oder bei Notarverträgen.

Welche Nachweispflichten bestehen hinsichtlich der erteilten Widerrufsbelehrung?

Der Unternehmer trägt die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verbraucher ordnungsgemäß und vollständig über das Widerrufsrecht belehrt wurde (§ 356 Abs. 3 BGB). Dies bedeutet, dass der Unternehmer dokumentieren sollte, wann, wie und in welcher konkreten Form die Widerrufsbelehrung und das Muster-Widerrufsformular dem Verbraucher übermittelt worden sind. Üblicherweise erfolgt dies durch schriftliche Bestätigung des Verbrauchers oder durch Übergabe auf Papier, bei Fernkommunikationsmitteln auch elektronisch auf einem dauerhaften Datenträger. Im Streitfall muss der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher und gegebenenfalls vor Gericht die Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben nachweisen können. Eine lückenhafte Dokumentation kann erhebliche rechtliche Nachteile bis hin zur Unwirksamkeit der Belehrung und zur Verlängerung des Widerrufsrechts mit sich bringen.