Definition und Bedeutung der Ausfallbürgschaft
Die Ausfallbürgschaft ist eine besondere Form der Bürgschaft im deutschen Schuldrecht, bei der der Bürge erst dann zur Zahlung verpflichtet ist, wenn der Gläubiger nachweist, dass die Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner erfolglos geblieben ist oder mit einer erheblichen Verzögerung zu rechnen ist. Damit unterscheidet sich die Ausfallbürgschaft maßgeblich von der gewöhnlichen (selbstschuldnerischen) Bürgschaft, bei der der Bürge unmittelbar in Anspruch genommen werden kann.
Rechtliche Grundlagen
Die Ausfallbürgschaft ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, sondern wird als eigenständiger Bürgschaftstyp durch Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Sie ist von der gesetzlichen Regelung der selbstschuldnerischen Bürgschaft (§ 773, § 765 ff. BGB) abzugrenzen und beruht auf einer ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien im Bürgschaftsvertrag. Zentrale Vorschrift ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), insbesondere das Recht der Bürgschaft in den §§ 765 bis 778 BGB, wobei die Ausfallbürgschaft als Regel-Ausnahme-Verhältnis zur selbstschuldnerischen Bürgschaft ausgestaltet ist.
Wesen und Wirkungsweise der Ausfallbürgschaft
Abgrenzung zur selbstschuldnerischen Bürgschaft
Bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB) kann der Gläubiger unmittelbar nach Fälligkeit der Hauptforderung den Bürgen in Anspruch nehmen. Einwendungen wie die Einrede der Vorausklage stehen dem Bürgen nicht zu. Im Unterschied dazu verpflichtet sich der Ausfallbürge, erst nach vollständigem Ausfall des Gläubigers gegen den Hauptschuldner Zahlung zu leisten.
Voraussetzungen der Inanspruchnahme
Der Gläubiger muss im Fall der Ausfallbürgschaft nachweisen, dass die Forderung gegen den Hauptschuldner nicht mehr oder zumindest nicht mehr vollständig durchsetzbar ist. Dies geschieht in aller Regel durch Nachweis der erfolglosen Zwangsvollstreckung oder Unmöglichkeit der Durchsetzung aufgrund von Insolvenz oder objektiver Zahlungsunfähigkeit.
Nachweis des Ausfalls
Nach herrschender Meinung genügt es nicht, dass der Hauptschuldner zahlungsunwillig bleibt; vielmehr ist der Gläubiger verpflichtet, den Rechtstitel (beispielsweise durch ein Urteil) zu erlangen und die Zwangsvollstreckung vergeblich zu versuchen oder festzustellen, dass ein solcher Versuch von vorneherein aussichtslos ist (beispielsweise im Insolvenzverfahren).
Umfang der Verpflichtung
Der Bürge haftet nur für den Ausfall, d.h. in Höhe des Betrages, den der Gläubiger vom Hauptschuldner nicht beitreiben kann. Sämtliche auf die Hauptschuld geleisteten Zahlungen sowie der gesamte Verwertungserlös aus Sicherheiten, welche der Gläubiger erhalten hat, sind auf die Bürgschaftssumme anzurechnen.
Rechtsfolgen und Durchsetzung
Die Ausfallbürgschaft begründet eine subsidiäre Haftung des Bürgen. Die Inanspruchnahme ist also auf den Teil der Hauptschuld beschränkt, der verbleibt, nachdem das Vermögen und die Sicherheiten des Hauptschuldners zur Tilgung verwendet wurden.
Verjährung und Durchsetzung
Die Verjährung der Ansprüche aus der Bürgschaft richtet sich nach den allgemein für Bürgschaften geltenden Regeln. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Verjährungsfrist ist im Regelfall der nachgewiesene Ausfall der Hauptforderung.
Typische Anwendungsfälle und Rechtsfolgen
Die Ausfallbürgschaft findet überwiegend im Bankwesen, im Kreditgeschäft sowie bei verschiedenen Finanzierungsgeschäften Anwendung. In der Praxis wird sie häufig bei öffentlichen Bürgschaften (z. B. Landesbürgschaften) oder auch bei der Absicherung von Mängelansprüchen im Bauvertragsrecht vereinbart.
Gestaltungsmöglichkeiten im Bürgschaftsvertrag
Die Parteien bestimmen im Rahmen der Privatautonomie die genaue Ausgestaltung der Ausfallbürgschaft. Regelmäßig werden detaillierte Regelungen zum Nachweis des Ausfalls, zum Verfahren der Inanspruchnahme und zu den Rechten des Bürgen bei vorzeitiger oder teilweiser Zahlung aufgenommen.
Abweichende Vereinbarungen
Vom gesetzlichen Leitbild kann im Bürgschaftsvertrag abgewichen werden. Möglich ist es beispielsweise, dem Bürgen bereits vor Einleitung der Zwangsvollstreckung eine Zahlungspflicht aufzuerlegen, wenn die Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners Zweifel am erfolgreichen Einzug begründen.
Rechtsprechung und Literatur
Die Rechtsprechung hat den Begriff der Ausfallbürgschaft geprägt und im Detail ausgearbeitet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann durch Bürgschaftsvertrag jede graduale Abschwächung bis zur reinen Ausfallhaftung des Bürgen vereinbart werden. In der Literatur wird die Ausfallbürgschaft als wichtige Gläubigersicherung anerkannt, bei der das Interesse des Bürgen an einer subsidiären Inanspruchnahme im Vordergrund steht.
Abgrenzungen und Sonderformen
Abgrenzung zur Eventualbürgschaft
Von der Ausfallbürgschaft zu unterscheiden ist die sogenannte Eventualbürgschaft. Letztere ist daran geknüpft, dass ein bestimmter, im Vertrag definierter künftiger Umstand (z. B. Insolvenz des Hauptschuldners) eintritt.
Verhältnis zu anderen Sicherheiten
Die Ausfallbürgschaft ist von anderen Sicherungsrechten wie der Garantie, dem Schuldanerkenntnis oder der Patronatserklärung abzugrenzen. Während bei der Ausfallbürgschaft der Akzent auf dem echten Sicherungsvertrag liegt, begründen andere Sicherheiten häufig unmittelbare oder abstrakte Zahlungspflichten.
Zusammenfassung
Die Ausfallbürgschaft stellt eine wesentliche Sonderform der Bürgschaft im deutschen Schuldrecht dar, die durch ihre subsidiäre Haftung die Interessen des Bürgen besonders schützt. Sie orientiert sich am tatsächlichen Ausfall des Gläubigers und verlangt einen besonderen Nachweis der Erfolglosigkeit der Inanspruchnahme des Hauptschuldners. Ihre Anwendung findet sie vor allem im Kredit- und Finanzbereich, ihre rechtliche Ausgestaltung liegt weitgehend im Ermessen der Vertragsparteien. Durch die differenzierte Rechtsprechung und vielfältige Ausgestaltungsmöglichkeiten ist die Ausfallbürgschaft ein flexibles Sicherungsmittel, das sowohl aus Sicht des Gläubigers als auch des Bürgen ein hohes Maß an Rechtssicherheit und Transparenz verlangt.
Häufig gestellte Fragen
Wie wirkt sich eine Ausfallbürgschaft auf das Verhältnis zwischen Gläubiger und Bürgen aus?
Im rechtlichen Kontext verpflichtet sich der Bürge bei einer Ausfallbürgschaft erst dann zur Zahlung, wenn der Gläubiger erfolglos alle rechtlichen Maßnahmen zur zwangsweisen Durchsetzung seiner Forderung gegen den Hauptschuldner ausgeschöpft hat. Das bedeutet: Der Gläubiger muss zunächst gegen den Hauptschuldner klagen und im Falle eines Obsiegens das Zwangsvollstreckungsverfahren betreiben. Erst wenn dabei keine oder keine genügende Befriedigung erfolgt, wendet sich der Gläubiger an den Bürgen. Der Bürge profitiert hierbei vom sogenannten Subsidiaritätsprinzip – seine Inanspruchnahme ist streng an den „Ausfall“ nachgewiesen durch Titel und erfolglose Vollstreckung gebunden. Dies unterscheidet die Ausfallbürgschaft von der selbstschuldnerischen Bürgschaft, bei der der Bürge unmittelbar in Anspruch genommen werden kann, ohne dass eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner vorausgeht.
Welcher Nachweis des Gläubigers ist erforderlich, um Ansprüche aus einer Ausfallbürgschaft geltend zu machen?
Damit der Gläubiger den Bürgen aus einer Ausfallbürgschaft in Anspruch nehmen kann, muss er gemäß § 771 BGB in der Regel nachweisen, dass er gegen den Hauptschuldner einen vollstreckbaren Titel (z. B. rechtskräftiges Urteil, Vollstreckungsbescheid) erwirkt hat und die anschließende Zwangsvollstreckung entweder vollständig oder zumindest zu einem nicht ausreichenden Teil erfolglos war. Zu den Beweismitteln zählen in der Praxis häufig ein erfolgloser Pfändungsversuch beim Schuldner, eine sogenannte „fruchtlose Pfändung“ oder eine Vermögensauskunft (früher: Offenbarungseid/„Eidesstattliche Versicherung“), aus der die Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners hervorgeht. Diese Beweise sind zwingend vorzulegen, da das Ausfallrisiko für den Bürgen auf diese Weise rechtlich konkretisiert und abgegrenzt wird.
Welche Regressmöglichkeiten stehen dem Bürgen nach Zahlung aus einer Ausfallbürgschaft zur Verfügung?
Hat der Bürge aufgrund der Ausfallbürgschaft an den Gläubiger gezahlt, geht gestützt auf § 774 BGB die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner kraft gesetzlicher Subrogation auf den Bürgen über. Der Bürge hat sodann einen gesetzlichen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner auf Ausgleich der von ihm geleisteten Zahlung. In der Praxis gestaltet sich die Realisierung des Regresses jedoch häufig schwierig, da die Ausfallbürgschaft voraussetzt, dass der Hauptschuldner bereits zahlungsunfähig oder zumindest erhebliche Zahlungsschwierigkeiten hat. Der rechtliche Anspruch verschafft dem Bürgen zwar eine formale Absicherung, bietet aber aufgrund der spezifischen Ausgangslage oft nur geringe tatsächliche Aussichten auf vollständigen Ausgleich.
Welche Formvorschriften müssen beim Abschluss einer Ausfallbürgschaft nach deutschem Recht beachtet werden?
Gemäß § 766 Satz 1 BGB unterliegt die Bürgschaftserklärung grundsätzlich dem Schriftformerfordernis. Das bedeutet, dass die Verpflichtungserklärung des Bürgen zwingend schriftlich abgefasst und eigenhändig unterzeichnet werden muss, sofern keine Ausnahme, etwa im Handelsverkehr, greift. Eine mündliche Verpflichtung ist – außerhalb bestimmter Sonderfälle (wie bei einer Handelsbürgschaft im Rahmen eines beidseitigen Handelsgeschäfts gemäß § 350 HGB) – rechtlich unwirksam. Auch elektronische Signaturen oder andere Kommunikationsmittel ersetzen die gesetzlich vorgeschriebene eigenhändige Unterschrift des Bürgen nicht. Der Schriftformerfordernis dient dem Schutz des Bürgen vor unbedachten Verpflichtungen und hat insbesondere im Bereich der Ausfallbürgschaft große Bedeutung, da diese oft erhebliche finanzielle Risiken für den Bürgen birgt.
Kann die Einrede der Vorausklage auch bei einer Ausfallbürgschaft vertraglich ausgeschlossen werden?
Die Ausfallbürgschaft ist durch das Recht des Bürgen gekennzeichnet, die sogenannte Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB geltend zu machen. Das bedeutet grundsätzlich, dass der Bürge erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des Hauptschuldners haftet. Im Rahmen der Vertragsfreiheit steht es den Parteien allerdings offen, diese Einrede – etwa durch vertragliche Vereinbarung – abbedingen, also ausschließen. Wird dies ausdrücklich vereinbart, verwandelt sich die Ausfallbürgschaft in eine selbstschuldnerische Bürgschaft, bei der der Bürge bereits mit Fälligkeit der Hauptschuld und unabhängig von einer Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen werden kann. Solche Ausschlüsse begegnen allerdings hinsichtlich des Verbraucherschutzes besonderen Anforderungen, insbesondere wenn der Bürge eine natürliche Person ist und keine geschäftliche Beziehung zum Hauptschuldner hat.
Verjähren Ansprüche aus einer Ausfallbürgschaft und wenn ja, nach welcher Frist?
Auch Ansprüche aus einer Ausfallbürgschaft unterliegen in Deutschland der regelmäßigen Verjährungsfrist. Maßgeblich ist hier grundsätzlich § 199 Abs. 1 BGB, der eine regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat. Da beim Bürgschaftsanspruch der Ausfall und damit die Inanspruchnahme erst mit dem Nachweis der erfolglosen Zwangsvollstreckung entsteht, beginnt die Verjährungsfrist typischerweise erst ab diesem Zeitpunkt – nicht bereits ab Fälligkeit der Hauptschuld. Beachten muss man ferner, dass die Verjährung gestundet werden kann, solange der Hauptschuldner nicht zahlungsunfähig ist oder ein Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet ist. Spezielle Verjährungshemmungen, wie etwa durch Verhandlungen (§ 203 BGB) oder gerichtliche Maßnahmen, können die Frist verlängern.
Inwieweit unterscheidet sich die Ausfallbürgschaft von anderen Bürgschaftsarten hinsichtlich der gesetzlichen Haftungsbegrenzungen?
Im Vergleich zur selbstschuldnerischen Bürgschaft oder zur gewöhnlichen Bürgschaft ergibt sich die Besonderheit der Ausfallbürgschaft daraus, dass die Haftung des Bürgen erst mit Eintritt des nachgewiesenen „Ausfalls“ beginnt und damit der primäre Haftungsumfang subsidiär gestaltet ist. Gesetzlich ist der Bürgen besonders geschützt durch das Erfordernis der Vorausklage (§ 771 BGB). Für weitere Haftungsbegrenzungen – etwa Beschränkungen des Höchstbetrages der Bürgschaft oder zeitliche Limitierungen – gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen, so dass vertraglich Vereinbarungen hierzu zulässig sind. Für Verbraucherbürgschaften greifen ebenfalls die Schutzvorschriften des § 768 BGB ff., insbesondere im Hinblick auf Einreden aus dem Hauptschuldverhältnis und das Verbot der sittenwidrigen Bürgschaft nach § 138 BGB, etwa bei krasser finanzieller Überforderung des Bürgen. In ihrer Rechtswirkung bleibt die Ausfallbürgschaft durch ihren spezifischen Schutzmechanismus jedoch eine für den Bürgen vergleichsweise vorteilhafte Form der Bürgschaft.