Begriff und rechtliche Einordnung des Aus- und Einsteigens
Aus- und Einsteigen bezeichnet den gesamten Vorgang, bei dem Personen ein Verkehrsmittel betreten oder verlassen. Erfasst sind Fahrzeuge des Individualverkehrs (z. B. Pkw, Motorrad als Sozius, Fahrrad mit Kindersitz), öffentliche Verkehrsmittel (Bus, Straßenbahn, Zug) sowie Taxis und Mietwagen. Rechtlich wird dieser Vorgang als eigenständiger Teil der Teilnahme am Verkehr betrachtet: Er verbindet das ruhende mit dem fließenden Verkehr und begründet besondere Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten für alle Beteiligten.
Der Vorgang beginnt im Regelfall mit der Vorbereitung des Türöffnens oder dem Betreten des unmittelbaren Einstiegsbereichs und endet, sobald die Person das Fahrzeug sicher verlassen oder betreten hat und keine Interaktion mit dem Verkehrsraum mehr erfolgt (z. B. Tür ist geschlossen, Fahrgast steht sicher auf Gehweg oder im Fahrzeuginnenraum). In diesem Zeitraum besteht ein gesteigertes Gefährdungspotential, weshalb besondere Schutz- und Verhaltensanforderungen gelten.
Sorgfaltspflichten und Verantwortungsbereiche
Türöffnen und unmittelbarer Gefahrenbereich
Das Öffnen von Fahrzeugtüren in den Verkehrsraum ist mit erhöhten Sorgfaltsmaßstäben verbunden. Wer eine Tür öffnet, muss die Umgebung beachten und verhindern, dass andere Verkehrsteilnehmende behindert oder gefährdet werden, insbesondere Radfahrende, E-Scooter-Nutzende und Fußgänger. Das gilt für alle Türen einschließlich Kofferraumklappen und Schiebetüren. Eine geöffnete Tür darf nicht länger offenstehen als erforderlich; der Einstiegsbereich ist zügig wieder zu sichern. Auch Mitfahrende tragen eigenständige Verantwortung, nicht nur die fahrende Person.
Abgrenzung: Halten, kurzes Anhalten zum Aus- und Einsteigen, Parken
Rechtlich wird zwischen kurzem Anhalten zum Aus- und Einsteigen und Parken unterschieden. Das kurzfristige Anhalten allein zum Fahrgastwechsel zählt nicht als Parken, solange der Vorgang ohne Verzögerung erfolgt und der Fahrzeugführende die tatsächliche Gewalt über das Fahrzeug nicht aufgibt. Gleichwohl dürfen dabei keine Gefährdungen oder vermeidbaren Behinderungen entstehen. In besonders sensiblen Bereichen (beispielsweise unübersichtliche Stellen, enge Fahrbahnen, Übergänge für zu Fuß Gehende) sind gesteigerte Rücksicht und das Vermeiden von Blockaden gefordert. Wo Halteverbote oder absolute Verbotsbereiche bestehen, kann das Aus- und Einsteigen eingeschränkt oder unzulässig sein, wenn eine Gefahr geschaffen würde.
Rollenverteilung: Fahrende, Halter und Mitfahrende
Die fahrende Person hat im Zusammenhang mit dem Aus- und Einsteigen eine übergeordnete Verantwortung: Sie wählt den Anhalteort, überwacht den Vorgang und hat die Bewegung des Fahrzeugs so zu steuern, dass Gefahren reduziert werden. Mitfahrende sind verpflichtet, eigenverantwortlich die Türöffnung und den Schritt in oder aus dem Fahrzeug sorgfältig zu gestalten. Der Halter des Fahrzeugs kann für Schäden mitverantwortlich sein, die aus dem Betrieb des Fahrzeugs entstehen; dies umfasst in bestimmten Konstellationen auch Schäden, die beim Aus- und Einsteigen verursacht werden.
Besondere Schutzbedürftigkeit: Kinder und unterstützungsbedürftige Personen
Beim Transport von Kindern, älteren Menschen oder Personen mit Mobilitätseinschränkungen steigen die Anforderungen an Umsicht und Organisation. Rechtlich anerkannt ist, dass in solchen Konstellationen erhöhte Rücksichtspflichten bestehen und der Einstiegsvorgang gegebenenfalls mehr Zeit und Raum beansprucht. Der Schutz dieser Personen hat Vorrang vor zügigem Verkehrsfluss, solange keine vermeidbaren Behinderungen geschaffen werden.
Aus- und Einsteigen im öffentlichen Verkehr
Bus und Straßenbahn: Fahrgastwechsel als besonders geschützter Vorgang
Das Aus- und Einsteigen an Haltestellen gilt als besonders schutzbedürftiger Zeitraum. Andere Verkehrsteilnehmende haben den Fahrgastwechsel zu ermöglichen, ohne Gefahren zu schaffen. Je nach örtlichen Gegebenheiten kann dies verlangsamtes Vorbeifahren oder ein vorübergehendes Nichtvorbeifahren erfordern, insbesondere wenn Fahrgäste den Fahrbahnbereich kreuzen oder Türen geöffnet sind. Straßenbahnen und Busse genießen zum Schutz des Fahrgastwechsels erhöhte Aufmerksamkeit im Straßenraum.
Haltestellen, Haltebuchten und Annäherungspflichten
Haltestellen sind als besondere Bereiche ausgewiesen. Fahrende, die sich Haltestellen nähern, müssen mit ein- und aussteigenden Fahrgästen rechnen, die möglicherweise unvorhersehbar den Fahrbahnbereich betreten. An Haltebuchten gilt, dass der Fahrgastwechsel regelmäßig innerhalb der Bucht stattfindet; dennoch bleibt der Schutz der Ein- und Aussteigenden vorrangig. Beim Wiedereinfahren des Linienverkehrs in den fließenden Verkehr sind besondere Vorrechte möglich, deren praktische Ausgestaltung den Verkehrsfluss und die Sicherheit in Ausgleich bringt.
Bahnsteige und Züge: Betreiberpflichten und Mitwirkung der Reisenden
Auf Bahnsteigen bestehen Betreiberpflichten zur Verkehrssicherung (z. B. Markierungen, Ansagen, Spaltüberbrückungen, Rampen). Reisende haben Mitwirkungspflichten: Sie haben sich so zu verhalten, dass der sichere Fahrgastwechsel nicht gefährdet wird und betriebliche Abläufe nicht beeinträchtigt werden. Der Verantwortungsbereich der Betreiber umfasst regelmäßig die ordnungsgemäße Bereitstellung sicherer Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten; individuelle Unachtsamkeit der Reisenden kann die Verantwortlichkeit beeinflussen.
Taxi und Mietwagen: Beginn und Ende der Beförderung
Beim Taxi- und Mietwagenverkehr ist der Fahrgastwechsel Bestandteil des Beförderungsverhältnisses. Der Vorgang beginnt mit dem Öffnen der Tür zum Einsteigen und endet, wenn der Fahrgast sicher ausgestiegen ist und sich außerhalb des unmittelbaren Gefahrenbereichs befindet. Die Beförderungsseite trägt organisatorische Verantwortung für einen sicheren Halt; Fahrgäste sind verpflichtet, den Vorgang umsichtig und ohne Gefährdung Dritter zu vollziehen.
Haftung und Versicherung
Typische Schadenskonstellationen
Häufige Fälle sind sogenannte „Dooring“-Unfälle, bei denen eine Fahrzeugtür in den Bewegungsraum anderer Verkehrsteilnehmender geöffnet wird. Ebenso verbreitet sind Stürze an Einstiegskanten, Schäden an benachbarten Fahrzeugen beim Türöffnen sowie Unfälle beim Betreten oder Verlassen von Bussen, Straßenbahnen und Zügen. Auch Sachschäden (z. B. an Gepäck oder Haltestelleneinrichtungen) sind erfasst.
Mitverantwortung und Zurechnung
Die Haftung verteilt sich nach dem jeweiligen Beitrag zur Schadensverursachung. Wer die Tür öffnet oder den Schritt in den Verkehrsraum macht, trägt regelmäßig eine zentrale Verantwortung. Fahrende können haften, wenn sie die Auswahl des Halteorts oder die Überwachung des Vorgangs pflichtwidrig gestalten. In Konstellationen mit mehreren Beteiligten kommt eine anteilige Verantwortlichkeit in Betracht. Bei Fahrzeughaltern kann eine Zurechnung über den Betrieb des Fahrzeugs erfolgen.
Versicherungstechnische Einordnung
Schäden, die im Zusammenhang mit dem Betrieb von Kraftfahrzeugen beim Aus- und Einsteigen entstehen, werden regelmäßig über die Kfz-Haftpflicht des Halterkreises abgewickelt. Eigene Schäden von Fahrzeuginsassen können unter Umständen über Insassenunfallversicherungen oder andere Verträge gedeckt sein. Für Schäden, die nicht dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs zuzuordnen sind (z. B. unsorgfältiges Verhalten von Fußgängern beim Betreten eines fremden Fahrzeugs), kommt die private Haftpflichtversicherung in Betracht, sofern deren Bedingungen das Ereignis erfassen. Im öffentlichen Verkehr greifen die Haftungsregeln der Verkehrsunternehmen und deren Versicherungen; die Zurechnung hängt von der konkreten Gefahrenquelle ab (z. B. Fahrzeugtür, Bahnsteig, Personenfluss).
Besondere Situationen
Not- und Gefahrensituationen
In Notlagen kann das Aus- und Einsteigen durch Gefahrenabwehr geprägt sein. Dann treten gewöhnliche Abläufe zugunsten der Abwendung unmittelbarer Gefahren zurück. Die rechtliche Bewertung berücksichtigt, ob Maßnahmen erforderlich und verhältnismäßig waren und ob andere Verkehrsteilnehmende schutzwürdig betroffen wurden.
Baustellen, enge Fahrbahnen, Radfahrstreifen
In Bereichen mit beengter Verkehrsführung ist das Risiko von Konflikten besonders hoch. Das Aus- und Einsteigen kann dort nur eingeschränkt möglich sein, wenn der nötige Sicherheitsabstand zu fließendem Verkehr fehlt. Das Öffnen von Türen in Radfahrstreifen oder schmale Fahrkorridore erfordert erhöhte Umsicht; im Kollisionsfall wird die Verantwortlichkeit nach den konkreten Umständen verteilt.
Barrierefreiheit und Assistenz
Für Personen mit eingeschränkter Mobilität bestehen Anforderungen an barrierearme Ein- und Ausstiege. Verkehrsunternehmen haben organisatorische und technische Vorkehrungen zu treffen, die einen möglichst sicheren Fahrgastwechsel ermöglichen. Begleitpersonen und Hilfsmittel (z. B. Rampen, Hublifte) sind in den Betreiberkonzepten zu berücksichtigen. Auch im Individualverkehr gewinnen barrierefreie Lösungen an Bedeutung, etwa durch geeignete Haltepunkte und rutschhemmende Einstiege.
Ordnungsrechtliche Aspekte
Fehlverhalten beim Aus- und Einsteigen kann ordnungsrechtliche Folgen haben. Dazu zählen das unachtsame Öffnen von Türen in den Verkehrsraum, das Anhalten an ungeeigneten oder verbotenen Stellen mit Gefährdungslage, das Nichtgewähren des nötigen Schutzes an Haltestellen sowie das Abstellen des Fahrzeugs mit blockiertem Fuß- oder Radverkehr während des Fahrgastwechsels. Die Sanktionen richten sich nach Art, Schwere und Folgen des Verstoßes.
Beweisfragen und Dokumentation
Bei Streitfällen sind die konkreten Abläufe maßgeblich: Position der Beteiligten, Sichtverhältnisse, Dauer des Türöffnens, örtliche Gegebenheiten, Bewegungsrichtung des Verkehrs. Beweismittel können Zeugenaussagen, Videoaufzeichnungen zugelassener Systeme, Fahrzeug- und Betreiberdaten (z. B. Türenzustände, Haltezeiten) sowie Schäden am Fahrzeug sein. Die Beweislast verteilt sich nach allgemeinen Grundsätzen; die Einordnung als Teil des Fahrzeugbetriebs kann Einfluss auf die Beweisführung haben.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Gilt das Öffnen einer Autotür bereits als Teilnahme am Verkehr?
Das Öffnen einer Fahrzeugtür in den öffentlichen Raum wird als verkehrsrelevanter Vorgang angesehen. Es unterliegt Sorgfaltspflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmenden, da hierdurch Gefahren entstehen können.
Darf zum Aus- und Einsteigen überall kurz angehalten werden?
Das kurzfristige Anhalten ausschließlich zum Aus- und Einsteigen ist grundsätzlich zulässig, solange keine Gefährdungslage geschaffen und der Verkehrsfluss nicht vermeidbar behindert wird. In verbotenen oder besonders gefährlichen Bereichen kann der Fahrgastwechsel unzulässig sein.
Wer haftet bei einem „Dooring“-Unfall?
Regelmäßig haftet die Person, die die Tür geöffnet hat, gegebenenfalls zusammen mit der fahrendenden Person oder dem Halter, wenn der Schaden dem Betrieb des Fahrzeugs zuzurechnen ist. Eine anteilige Verantwortung anderer Beteiligter ist je nach Umständen möglich.
Welche Pflichten bestehen beim Ein- und Aussteigen an Bus- und Straßenbahnhaltestellen?
Während des Fahrgastwechsels besteht ein besonderer Schutz. Andere Verkehrsteilnehmende haben sich so zu verhalten, dass Ein- und Aussteigende nicht gefährdet und nach Möglichkeit nicht behindert werden. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den örtlichen Gegebenheiten.
Wann endet der rechtliche Vorgang des Aussteigens?
Der Vorgang endet, wenn die Person den Gefahrenbereich des Fahrzeugs verlassen hat und keine Wechselwirkung mit dem Verkehr mehr besteht, etwa wenn die Tür geschlossen ist und der Gehweg sicher erreicht wurde.
Ist das längere Offenhalten von Fahrzeugtüren zulässig?
Das Offenhalten von Türen über den notwendigen Zeitraum hinaus kann eine vermeidbare Behinderung oder Gefahrenquelle darstellen und ist regelmäßig unzulässig, wenn dadurch andere beeinträchtigt werden.
Wie werden Stürze beim Einstieg in Züge rechtlich eingeordnet?
Maßgeblich ist, ob die Ursache dem Verantwortungsbereich des Betreibers (z. B. mangelnde Sicherung) oder der einsteigenden Person (z. B. Unachtsamkeit) zuzuordnen ist. Entsprechend erfolgt die Haftungsverteilung.
Welche Rolle spielt die Versicherung bei Schäden während des Aus- und Einsteigens?
Je nach Zuordnung zum Betrieb eines Kraftfahrzeugs greift die Kfz-Haftpflicht. In anderen Fällen kommen private Haftpflichtversicherungen oder Versicherungen von Verkehrsunternehmen in Betracht.