Begriff und rechtliche Einordnung des Aufrechnungsvertrags
Ein Aufrechnungsvertrag ist ein eigenständiger schuldrechtlicher Vertrag, durch den mindestens zwei Parteien vereinbaren, bestimmte gegenseitige Forderungen miteinander zu verrechnen (aufzurechnen). Es handelt sich um ein Instrument zur Beendigung oder Reduzierung von Verbindlichkeiten, das insbesondere im Zivilrecht eine bedeutende Rolle spielt, beispielsweise bei Dauerschuldverhältnissen, im Handelsrecht sowie im Allgemeinen Schuldrecht.
Während die gesetzliche Aufrechnung gemäß §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) voraussetzt, dass die Forderungen bereits bestehen und erfüllbar sind, eröffnet der Aufrechnungsvertrag den Vertragsparteien flexiblere Möglichkeiten der Forderungsverrechnung – auch über die gesetzlichen Voraussetzungen hinaus.
Grundzüge und Bedeutung des Aufrechnungsvertrags
Abgrenzung zur gesetzlichen Aufrechnung
Die gesetzliche Aufrechnung ist ein Gestaltungsrecht, das einseitig durch Erklärung gegenüber dem Vertragspartner ausgeübt werden kann. Sie erfordert u. a. zwei verschiedene Personen als Gläubiger und Schuldner, Gleichartigkeit der Forderungen sowie deren Fälligkeit und Durchsetzbarkeit. Im Gegensatz dazu basiert der Aufrechnungsvertrag auf dem Konsens beider Parteien und ermöglicht es, abweichend vom gesetzlichen Regelungsrahmen Verrechnungen auch dann zuzulassen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen (wie Fälligkeit oder Gleichartigkeit) nicht erfüllt sind.
Vertragscharakter und Abschluss
Der Aufrechnungsvertrag ist ein schuldrechtlicher Vertrag. Er kommt durch Angebot und Annahme zustande. Seine Hauptfunktion besteht darin, einen Verrechnungsmechanismus zu schaffen, der rechtlich verbindlich ist und unmittelbar zur Erlöschung der aufgerechneten Forderungen führt, soweit sich diese decken.
Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen
Normative Basis in Deutschland
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt die allgemeine Aufrechnung in den §§ 387 ff. BGB, jedoch enthält es keine explizite Regelung für den Aufrechnungsvertrag. Vielmehr wird dessen Zulässigkeit aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit abgeleitet (§ 311 Abs. 1 BGB). Der Aufrechnungsvertrag kann im Rahmen zulässiger privatrechtlicher Gestaltung als schuldrechtlicher Vertrag vereinbart werden.
Formerfordernisse und Inhalte
Grundsätzlich unterliegt der Aufrechnungsvertrag keinem besonderen Formerfordernis und kann daher formfrei, also mündlich oder schriftlich, geschlossen werden. Ausnahmen bestehen, wenn sich die aufgerechneten Forderungen ihrerseits nach dem Gesetz nur in bestimmter Form abbedingen oder aufheben lassen, etwa bei Grundstücksgeschäften oder bestimmten Bürgschaftsverträgen.
Der Aufrechnungsvertrag sollte insbesondere die konkreten Forderungen bezeichnen, den Zeitpunkt und den Umfang der Aufrechnung festlegen sowie etwaige Sondervereinbarungen (z. B. Verrechnungsklauseln, aufschiebende Bedingungen) enthalten.
Anwendungsbereiche und praktische Relevanz
Im Handels- und Gesellschaftsrecht
Insbesondere im kaufmännischen Geschäftsverkehr und im Rahmen von gegenseitigen Liefer- und Leistungsverhältnissen bieten Aufrechnungsverträge ein flexibles Instrument zur Verrechnung gegenseitiger Forderungen, beispielsweise in Kontokorrentverhältnissen oder bei Verrechnungsvereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen.
Im Bank- und Finanzwesen
Im Finanzsektor werden häufig Rahmenverträge geschlossen, die explizite Verrechnungsmechanismen vorsehen. Beispielhaft sei hier der ISDA Master Agreement im Derivatehandel genannt, in dem Nettierung und Aufrechnung als zentrale Risikominderungsinstrumente vertraglich geregelt werden.
Rechtsfolgen des Aufrechnungsvertrags
Erlöschen der Forderungen
Durch die vertraglich vereinbarte Aufrechnung erlöschen die aufgerechneten Forderungen gemäß § 389 BGB, soweit sie sich decken. Eventuell verbleibende Restbeträge bleiben als selbständige Forderungen bestehen, sofern nichts anderes vereinbart wurde.
Wirkung gegenüber Dritten
Die Bindungswirkung des Aufrechnungsvertrags wirkt grundsätzlich nur inter partes, also zwischen den vertragsschließenden Parteien. Dritten gegenüber entfaltet der Aufrechnungsvertrag keine unmittelbare Wirkung, es sei denn, Dritte werden ausdrücklich in den Vertrag einbezogen oder sollen begünstigt werden (z. B. Vertrag zugunsten Dritter).
Besonderheiten und Einschränkungen
Insolvenzanfechtung und Aufrechnungsausschluss
Im Insolvenzverfahren gelten besondere Regeln: Gemäß § 94 InsO bleibt die Aufrechnung grundsätzlich zulässig, jedoch können bestimmte vertragliche Aufrechnungsabreden der Insolvenzanfechtung (§ 129 ff. InsO) unterliegen, sofern sie dem Zweck dienen, benachteiligend in die Insolvenzmasse einzugreifen.
Unabdingbare Forderungen und gesetzliche Verbote
Dem Abschluss eines Aufrechnungsvertrags sind da Grenzen gesetzt, wo gesetzliche Aufrechnungsverbote bestehen. Dazu zählen beispielsweise Forderungen, die der Pfändung nicht unterliegen (§ 394 BGB) oder deren Aufrechnung durch Gesetz ausgeschlossen ist (z. B. Unterhaltsforderungen gemäß § 394 BGB).
Abgrenzung zum Erlassvertrag und zur Verrechnungsvereinbarung
Während der Erlassvertrag (§ 397 BGB) im vollständigen Verzicht auf eine Forderung besteht, wird beim Aufrechnungsvertrag nur eine wertmäßige Verrechnung von gegenseitigen Forderungen vorgenommen. Die Verrechnungsvereinbarung kann als Sammelbegriff gesehen werden, unter welchem neben Aufrechnungsverträgen auch andere Modelle der Forderungsreduzierung (etwa Kontokorrentabrede) subsumiert werden können.
Internationales Privatrecht
Die rechtliche Behandlung von Aufrechnungsverträgen im internationalen Kontext richtet sich nach den allgemeinen Regeln des Internationalen Privatrechts (z. B. nach der Rom-I-Verordnung in der EU). Die beteiligten Parteien können die anwendbare Rechtsordnung wählen; mangels einer Rechtswahl kommen die Regeln über das auf Schuldverhältnisse anzuwendende Recht zur Anwendung, wobei jeweils auf die maßgebenden nationalen Vorschriften zurückgegriffen wird.
Zusammenfassung
Der Aufrechnungsvertrag ist ein wesentliches Instrument zur flexiblen und rechtssicheren Verrechnung gegenseitiger Forderungen außerhalb der engen Vorgaben der gesetzlichen Aufrechnung. Seine Wirksamkeit hängt von der wirksamen vertraglichen Vereinbarung und der Einhaltung etwaiger gesetzlicher Schranken ab. Im Wirtschafts- und Geschäftsverkehr ist er besonders verbreitet und bietet Parteien die Möglichkeit, Forderungsstrukturen zu vereinfachen und Risiken zu begrenzen.
Häufig gestellte Fragen
Welche Formerfordernisse müssen bei einem Aufrechnungsvertrag beachtet werden?
Ein Aufrechnungsvertrag unterliegt grundsätzlich dem Grundsatz der Formfreiheit gemäß § 311b BGB, sofern nicht für die zugrunde liegenden Forderungen eine spezielle Form gesetzlich vorgeschrieben ist. Dies bedeutet, dass ein Aufrechnungsvertrag sowohl mündlich als auch schriftlich abgeschlossen werden kann. Werden jedoch Forderungen etwa aus einem notariellen Kaufvertrag oder einer Grundschuld aufgerechnet, kann sich aus diesen eine Formvorgabe ergeben, die sich dann auch auf den Aufrechnungsvertrag erstreckt. Im Zweifel empfiehlt sich zu Beweiszwecken jedoch stets eine schriftliche Fixierung, da dies sowohl Klarheit über die Vertragsinhalte als auch den Zeitpunkt der Aufrechnung verschafft. In bestimmten Fällen kann auch eine Beglaubigung oder notarielle Beurkundung erforderlich sein, insbesondere wenn Grundbucherklärungen betroffen sind. Daher sollte stets geprüft werden, ob für die konkreten Forderungen, die Gegenstand der Aufrechnung sind, spezielle Formvorschriften bestehen.
Gibt es Beschränkungen oder Verbote bezüglich der Aufrechnung per Vertrag?
Im Rahmen eines Aufrechnungsvertrags können vertraglich grundsätzlich alle gegenseitigen Forderungen zur Aufrechnung gebracht werden, unabhängig davon, ob die gesetzlich vorgesehenen Aufrechnungsvoraussetzungen (Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Fälligkeit) erfüllt sind. Allerdings unterliegt der Aufrechnungsvertrag Beschränkungen dort, wo das Gesetz ein Aufrechnungsverbot statuiert. Solche Verbote bestehen etwa bei unpfändbaren Forderungen (§ 394 BGB), bei Aufrechnungsverboten aufgrund spezieller gesetzlicher Regelungen (beispielsweise im Insolvenzverfahren), oder wenn durch Vertrag ausdrücklich ein Aufrechnungsverbot vereinbart wurde. Auch kann durch vertragliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Aufrechnung nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden, allerdings sind hierbei die Vorgaben der §§ 305 ff. BGB zu beachten. Ferner ist die Aufrechnung mit Forderungen, die aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen stammen, gemäß § 393 BGB grundsätzlich ausgeschlossen.
Können auch künftige oder bedingte Forderungen Gegenstand eines Aufrechnungsvertrags sein?
Ein Aufrechnungsvertrag kann durchaus künftige oder bedingte Forderungen umfassen. Anders als die gesetzliche Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB, die nur gegenwärtige und fällige Forderungen betrifft, eröffnet der Aufrechnungsvertrag die Möglichkeit, bereits für die Zukunft eine automatische Aufrechnung zu vereinbaren, auch wenn die entsprechenden Forderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen oder unter einer Bedingung stehen. Dies ist insbesondere in Dauerschuldverhältnissen, wie etwa Miet- oder Lieferverträgen, von praktischer Relevanz. Allerdings entfaltet die Aufrechnung im Zweifel erst dann Wirkung, wenn die jeweils aufgerechneten Forderungen tatsächlich entstehen und fällig werden. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht lediglich eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Durchführung der Aufrechnung, aus der im Zweifel Schadensersatzpflichten bei Nichterfüllung resultieren können.
Welche Rechtsfolgen ergeben sich aus dem Abschluss eines Aufrechnungsvertrags?
Mit Abschluss eines Aufrechnungsvertrags verpflichten sich die Parteien zur Durchführung der im Vertrag näher bezeichneten Aufrechnung, unabhängig davon, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB vorliegen. Die wichtigste Rechtsfolge ist, dass die im Vertrag vereinbarten Forderungen in dem maßgeblichen Umfang erlöschen, sobald die jeweils vereinbarten Aufrechnungsbedingungen erfüllt sind. Das Erlöschen der Forderungen tritt zum vereinbarten Zeitpunkt oder Bedingungseintritt ein, ohne dass eine gesonderte Aufrechnungserklärung notwendig ist. Wird der Vertrag verletzt – etwa durch unberechtigte Weigerung der Aufrechnung – besteht ein Anspruch auf Erfüllung beziehungsweise auf Schadensersatz gegen die jeweils säumige Partei. Außerdem hat ein vertraglich vereinbarter Ausschluss der gesetzlichen Aufrechnung Vorrang, sodass eine Partei ihre Forderung unter Umständen nicht mehr einseitig aufrechnen kann.
Ist ein Aufrechnungsvertrag im Insolvenzverfahren wirksam?
Im Insolvenzverfahren gelten für die Aufrechnung besondere Regelungen. Grundsätzlich bleibt die Möglichkeit der Aufrechnung auch im Insolvenzverfahren erhalten (§ 94 InsO), allerdings sind hier gesonderte Vorschriften und mögliche Einschränkungen zu beachten. Ein bereits außerhalb des Insolvenzverfahrens geschlossener Aufrechnungsvertrag ist auch in der Insolvenz wirksam, soweit die darin geregelten Forderungen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind bzw. deren rechtlicher Grund im Sinne von § 96 Abs. 1 InsO vor Eröffnung gelegt wurde. Forderungen, die erst nach Insolvenzeröffnung entstanden sind, unterliegen einem gesetzlichen Aufrechnungsverbot. Wurde der Aufrechnungsvertrag missbräuchlich oder gezielt zur Umgehung der insolvenzrechtlichen Vorschriften abgeschlossen, kann der Vertrag nach den Vorschriften zur Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) angefochten werden. Das Insolvenzrecht schränkt also die Wirkungen eines Aufrechnungsvertrags in gewissem Umfang ein.
Was ist im Zusammenhang mit einem internationalen Aufrechnungsvertrag zu beachten?
Wird ein Aufrechnungsvertrag zwischen Parteien mit Sitz in verschiedenen Staaten geschlossen, stellt sich insbesondere die Frage nach dem anwendbaren Recht. Nach der sog. Rom I-Verordnung steht es den Vertragsparteien grundsätzlich frei, das auf ihren Vertrag anzuwendende Recht zu bestimmen (Art. 3 Rom I-VO). Fehlt eine Rechtswahl, so bestimmt sich das maßgebliche Recht nach den objektiven Anknüpfungspunkten gemäß Art. 4 ff. Rom I-VO. Zu berücksichtigen ist, dass das jeweilige nationale Recht unterschiedliche Formerfordernisse, Einschränkungen und Rechtsfolgen für Aufrechnungsverträge vorsehen kann. Auch steuerliche oder devisenrechtliche Vorschriften können international bedeutsam sein. Daher empfiehlt es sich bei internationalen Aufrechnungsverträgen, explizit eine Rechtswahl aufzunehmen und möglichst klare vertragliche Regelungen zu treffen, um Streitigkeiten zu vermeiden.
Können Dritte in einen Aufrechnungsvertrag einbezogen werden?
Grundsätzlich ist ein Aufrechnungsvertrag ein zweiseitiges Rechtsgeschäft zwischen je zwei Gläubiger- und Schuldnerparteien. Es ist jedoch möglich, Drittbeteiligungen zu vereinbaren, etwa durch Schuldübernahme, Schuldbeitritt oder im Rahmen von Abtretungen. In der Praxis bedeutet dies beispielsweise, dass in komplexeren Geschäftsbeziehungen etwa eine Muttergesellschaft für Forderungen ihrer Tochtergesellschaft aufrechnen kann, sofern alle Beteiligten einem Dreipersonenverhältnis ausdrücklich zustimmen und alle relevanten Verträge eine entsprechende Regelung enthalten. Die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen hängt davon ab, dass die Interessen und Rechtspositionen aller Beteiligten hinreichend gewahrt werden und keine gesetzlichen Verbote, insbesondere § 404 BGB bei Abtretungen, entgegenstehen. Unklare Vertragsgestaltungen bergen Rechtsunsicherheiten, daher sollten Drittbeteiligungen stets klar und transparent im Vertrag geregelt werden.