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Aufrechnungslage


Begriff und Bedeutung der Aufrechnungslage

Die Aufrechnungslage ist ein zentrales rechtliches Konzept im deutschen Schuldrecht und beschreibt die Voraussetzung, unter der eine wirksame Aufrechnung zwischen gegenseitigen Forderungen stattfinden kann. Die Aufrechnung dient dem Zweck, zwei sich gegenüberstehende Forderungen durch Erklärung einseitig zu tilgen, sodass lediglich eine etwa verbleibende Restforderung bestehen bleibt. Die Aufrechnungslage ist dabei die rechtliche Grundvoraussetzung für die Möglichkeit der Aufrechnung und umfasst eine Vielzahl von Teilaspekten, welche in diesem Beitrag umfassend dargestellt werden.

Voraussetzungen der Aufrechnungslage

Gegenseitigkeit der Forderungen

Für das Entstehen einer Aufrechnungslage ist erforderlich, dass der Aufrechnende Gläubiger der Gegenforderung und Schuldner der Hauptforderung ist, während der Aufrechnungsgegner Gläubiger der Hauptforderung und Schuldner der Gegenforderung sein muss (sog. Gegenseitigkeit gemäß § 387 BGB). Ein Beispiel ist der Fall, dass Person A von Person B 1.000 Euro fordern kann und gleichzeitig Person B von Person A ebenfalls 1.000 Euro verlangt.

Gleichartigkeit der Forderungen

Gemäß § 387 BGB müssen beide Forderungen ihrem Gegenstand nach gleichartig sein. Im Regelfall bedeutet dies, dass es sich um Geldforderungen handelt. Andere vertretbare Sachen (z. B. Kilogramm Zucker) können gleichermaßen zum Gegenstand der Aufrechnung gemacht werden. Im Gegensatz dazu ist eine Aufrechnung mit gegenseitigen Forderungen auf verschiedene Leistungsgegenstände (z. B. Geldforderung gegen Herausgabe einer Sache) nicht möglich.

Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Forderungen

Hauptforderung

Die Hauptforderung muss bestehen und durchsetzbar sein, das heißt, sie darf insbesondere nicht unter einer aufschiebenden Bedingung stehen oder noch nicht fällig sein, es sei denn, der Schuldner verzichtet auf die Einrede der Nichtfälligkeit.

Gegenforderung

Auch die Gegenforderung muss bestehen und erfüllbar sein (§ 387 BGB). Sie darf ferner nicht unter einer aufschiebenden Bedingung stehen und muss einredefrei, d. h. durchsetzbar, sein. Ist beispielsweise die Gegenforderung verjährt, kann nicht wirksam aufgerechnet werden, sofern der Aufrechnungsgegner sich auf die Verjährung beruft (§ 390 BGB).

Kein Aufrechnungsverbot

Die Aufrechnungslage ist nicht gegeben, wenn durch Gesetz oder Vereinbarung die Aufrechnung ausgeschlossen oder beschränkt wurde. Bekannte gesetzliche Beispiele für ein Aufrechnungsverbot finden sich etwa in § 393 BGB (Ausschluss der Aufrechnung gegen eine deliktische Forderung) sowie in bestimmten mietrechtlichen (§ 556b Abs. 2 BGB) und arbeitsrechtlichen Regelungen.

Zeitpunkt und Entstehen der Aufrechnungslage

Die Aufrechnungslage muss im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung vorliegen. Gilt eine der Forderungen als noch nicht entstanden oder fehlt es am Kriterium der Fälligkeit, kann keine wirksame Aufrechnung erfolgen. Die Wirkung der Aufrechnung tritt rückwirkend auf den Zeitpunkt ein, zu dem erstmals die Aufrechnungslage bestand (sog. Rückwirkung der Aufrechnung, § 389 BGB).

Besondere Konstellationen der Aufrechnungslage

Bedingt und befristete Forderungen

Befristete Forderungen oder unter einer aufschiebenden Bedingung stehende Forderungen berechtigen erst nach Eintritt der Fälligkeit oder Erfüllung der Bedingung zur Aufrechnung. Steht eine Forderung unter einer auflösenden Bedingung, bleibt eine bereits eingetretene Aufrechnungslage bis zum Bedingungseintritt bestehen.

Mehrfache Aufrechnungslagen

Bestehen zwischen denselben Parteien mehrere reziproke Forderungen, kann jeweils für jede Einzelforderung eine eigene Aufrechnungslage entstehen. Der Aufrechnende kann wählen, mit welcher seiner Gegenforderungen er aufrechnet.

Besonderheiten im Insolvenzverfahren

Im Insolvenzverfahren bestehen nach §§ 94 ff. InsO Besonderheiten hinsichtlich der Aufrechnungslage. Forderungen, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, berechtigen in der Regel nicht zur Aufrechnung. Die Aufrechnungslage muss bereits zur Verfahrenseröffnung oder auf eine alte Forderung zurückgehen.

Folgen der Aufrechnungslage

Wird die Aufrechnung wirksam erklärt und lag zum maßgeblichen Zeitpunkt die Aufrechnungslage vor, so gelten beide Forderungen, soweit sie sich decken, als erloschen (§ 389 BGB). Dies beeinflusst unmittelbar das Forderungs- und Schuldnerverhältnis und bewirkt sodann eine sogenannte „tilgende“ Wirkung.

Ausschluss der Aufrechnungslage

Die Aufrechnungslage ist nicht gegeben oder entfällt, wenn gesetzliche oder vertragliche Ausschlussgründe vorliegen. Dies betrifft neben dem oben genannten Aufrechnungsverbot unter anderem den Fall der Unmöglichkeit der Leistung, der Leistung an Erfüllungs statt oder bei Forderungen, die aus einem nicht abtretbaren Anspruch resultieren.

Literatur und Praxishinweis

Die Aufrechnungslage ist ein vielschichtiger Begriff und erfordert die sorgfältige Prüfung sämtlicher Voraussetzungen. Sie stellt ein essentielles Konstrukt im Schuldrecht dar und kommt auch im wirtschaftlichen Alltag häufig vor, etwa bei gegenseitigen Forderungen zwischen Kaufleuten, Unternehmen und Privatpersonen.


Quellenangaben (Auswahl):

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) §§ 387-396
  • Insolvenzordnung (InsO) §§ 94-96
  • Palandt, BGB-Kommentar
  • MüKoBGB, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Dieser Beitrag stellt die wesentlichen Elemente und sämtliche rechtlichen Gesichtspunkte der Aufrechnungslage umfassend dar, um einen schnellen und strukturierten Überblick sowie eine detaillierte Information zu bieten.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für eine wirksame Aufrechnungslage im rechtlichen Sinne vorliegen?

Für das Vorliegen einer wirksamen Aufrechnungslage ist erforderlich, dass zwei gegenüberstehende, gleichartige Forderungen existieren, die jeweils zwischen denselben Parteien bestehen. Die Forderungen müssen so beschaffen sein, dass sie sich gegenseitig aufheben können, das heißt insbesondere, dass es sich um Geldforderungen oder um andere vertretbare Sachen handelt. Zudem müssen beide Forderungen rechtskräftig, durchsetzbar und fällig sein. Das bedeutet, dass die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird, und die Gegenforderung des Aufrechnenden erfüllbar und nicht mehr durch Einreden wie Stundung oder Verjährung ausgeschlossen sein dürfen. Ferner muss der Aufrechnende im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung zur Leistung berechtigt sein. Ein Aufrechnungsverbot kann sich aus gesetzlicher Regelung, vertraglicher Absprache, Natur des Rechtsverhältnisses oder nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben.

Kann eine Aufrechnungslage auch dann vorliegen, wenn eine der Forderungen erst künftig fällig wird?

Nein, eine Aufrechnungslage setzt die Fälligkeit beider Forderungen voraus, damit diese tatsächlich miteinander verrechnet werden können. Erst wenn sowohl die Forderung des Aufrechnenden als auch die Forderung des Aufrechnungsgegners durchsetzbar und fällig sind, besteht eine rechtliche Aufrechnungslage. Forderungen, die lediglich betagt oder aufschiebend bedingt sind, können erst im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit bzw. mit Bedingungseintritt aufgerechnet werden. Davor besteht keine einfache Verrechnungsmöglichkeit im rechtlichen Sinne.

Welche Bedeutung hat die Gegenseitigkeit der Forderungen für die Aufrechnungslage?

Die Gegenseitigkeit bedeutet, dass der Aufrechnende Gläubiger der Gegenforderung und zugleich Schuldner der Hauptforderung sein muss, während der Gegner der Aufrechnung Gläubiger der Hauptforderung und Schuldner der Gegenforderung sein muss. Diese personenbezogene Zuordnung ist zwingend – ein Aufrechnungsrecht besteht nur im Verhältnis der korrespondierenden Personen und kann grundsätzlich nicht auf Dritte übertragen werden. Nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen, etwa bei Gesamtschuldverhältnissen oder Zession, kann hiervon abgewichen werden.

In welchen Fällen ist die Aufrechnungslage gesetzlich ausgeschlossen?

Ein gesetzlicher Ausschluss der Aufrechnungslage kann insbesondere in § 393 BGB (Ausschluss der Aufrechnung gegen unpfändbare Forderungen), § 394 BGB (Ausschluss der Aufrechnung durch vertragliche Vereinbarung oder Treu und Glauben) sowie weiteren Sonderregelungen, etwa insolvenzrechtlichen Bestimmungen, begründet sein. Auch bei Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung ist die Aufrechnung ausgeschlossen. Ebenso werden in einzelnen Rechtsverhältnissen, zum Beispiel im Mietrecht oder Arbeitsrecht, spezifische Verbote oder Einschränkungen vorgesehen.

Welche Rolle spielt die Durchsetzbarkeit der Forderungen in Bezug auf die Aufrechnungslage?

Die Durchsetzbarkeit ist ein wesentliches Erfordernis für die Aufrechnungslage. Eine Forderung ist nur dann zur Aufrechnung geeignet, wenn ihr keine dauerhaften oder vorübergehenden Einreden, wie beispielsweise Stundung, Leistungsverweigerungsrechte oder Verjährung, entgegenstehen. Die Forderungen beider Seiten müssen also nicht nur bestehen, sondern auch tatsächlich gegen den Schuldner durchsetzbar sein. Bestehen Einreden, die die Geltendmachung vorübergehend oder dauerhaft verhindern, ist das Erfordernis der Aufrechnungslage nicht erfüllt.

Gibt es nach Entstehung der Forderungen weitere rechtliche Hürden, die eine Aufrechnungslage verhindern können?

Ja, neben den grundsätzlichen Voraussetzungen wie Fälligkeit, Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit können vertragliche Aufrechnungsverbote oder gesetzliche Bestimmungen die Aufrechnungslage verhindern. Auch Treu und Glauben können der Verrechnung im Einzelfall entgegenstehen, etwa wenn die Aufrechnung willkürlich oder schikanös erfolgt. Die Parteien können darüber hinaus durch individuelle Vereinbarungen die Aufrechnungslage einschränken oder ausschließen, sofern kein gesetzliches Aufrechnungsverbot umgangen wird. Schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte, Anfechtungen oder schwebende Ungewissheiten bezüglich des Bestands einer Forderung können eine sichere Aufrechnungslage ebenfalls verhindern.

Wie wirkt sich eine Insolvenz auf die Aufrechnungslage aus?

Im Insolvenzverfahren gelten gemäß § 94 ff. InsO besondere Regeln für die Aufrechnungslage: Eine wirksame Aufrechnungslage kann auch noch im Insolvenzverfahren genutzt werden, sofern sie bereits vor Eröffnung des Verfahrens bestand. Forderungen, die erst nach Eröffnung der Insolvenz entstehen, können hingegen nur unter besonders engen Voraussetzungen aufgerechnet werden. Wurde die Aufrechnungslage erst durch Handlungen nach Insolvenzeröffnung geschaffen, ist eine Aufrechnung regelmäßig unzulässig, sofern sie nicht durch das Insolvenzrecht ausdrücklich gestattet ist. Dies dient dem Schutz der Gläubigergleichbehandlung im Insolvenzverfahren.