Legal Lexikon

Atommüll


Begriff und rechtlicher Rahmen des Atommülls

Atommüll, auch als radioaktive Abfälle bezeichnet, ist ein zentraler Begriff des Atomrechts und umfasst alle Stoffe, die nach dem Gebrauch in kerntechnischen Anlagen oder bei der Anwendung von radioaktiven Materialien als Abfall anfallen und nicht mehr genutzt werden können. Für die Handhabung, Lagerung, Entsorgung und Überwachung von Atommüll bestehen in Deutschland sowie auf europäischer und internationaler Ebene komplexe Regelwerke, welche die besonderen Anforderungen an den Strahlenschutz, die Sicherheit und den Umweltschutz berücksichtigen.

Definition und Abgrenzung

Der Begriff Atommüll ist rechtlich im Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz – AtG) sowie im Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) definiert und differenziert. Nach § 9a Abs. 1 AtG zählen zu den radioaktiven Abfällen insbesondere Stoffe, die nicht wieder eingesetzt werden sollen und deren weitere Nutzung ausgeschlossen ist. Die Kategorisierung erfolgt nach verschiedenen Kriterien, wie der Höhe und Halbwertszeit der Radioaktivität sowie der Entstehungsursache.

Unterscheidung nach Abfallarten

1. Schwach- und mittelradioaktive Abfälle:
Umfassen Abfälle mit geringer bis mittlerer Radioaktivität, etwa aus dem Betrieb von Kernkraftwerken, aus Forschung, Medizin oder Industrie. Sie müssen gemäß §§ 9a ff. AtG sicher gelagert oder entsorgt werden.

2. Hochradioaktive Abfälle:
Enthalten große Mengen hochradioaktiver Stoffe, überwiegend als abgebrannte Brennelemente aus Kernkraftwerksreaktoren. Die Entsorgung ist nach Atomgesetz besonders geregelt und erfordert Endlagerung in tiefen geologischen Formationen.

Nationale Rechtsgrundlagen zum Atommüll

Atomgesetz (AtG)

Das deutsche Atomgesetz regelt die sichere geordnete Nutzung der Kernenergie sowie den umfassenden Strahlenschutz einschließlich der Behandlung von Atommüll. Wesentliche Regelungen zum Atommüll finden sich insbesondere im Sechsten Abschnitt des AtG (§§ 9a bis 9i AtG). Zentrale Inhalte:

  • Grundsätzliche Entsorgungspflicht: Betreiber kerntechnischer Anlagen sind verpflichtet, anfallenden radioaktiven Abfall ordnungsgemäß zu entsorgen (§ 9a Abs. 1 Satz 1 AtG).
  • Abgabe an öffentliche Stellen: Betroffene sind verpflichtet, Abfälle zur weiteren Behandlung und Entsorgung an zuständige öffentliche Stellen abzugeben, etwa an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (§ 9a Abs. 2 AtG).
  • Langzeitlagerung und Endlagerung: Der Bund trägt die Verantwortung für die Errichtung und den Betrieb von Endlagern (§ 9a Abs. 3 AtG).
  • Genehmigungserfordernisse: Jede Zwischen- oder Endlagerung ist nach § 6 AtG genehmigungspflichtig.

Entsorgungsübergangsgesetz

Das Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung regelt die Übertragung der hoheitlichen Pflichten zur Entsorgung und Endlagerung auf den Bund sowie die finanzielle Sicherstellung seitens der Betreiber.

Strahlenschutzrecht

Das Strahlenschutzgesetz (StrlSchG) und die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) enthalten ergänzende Vorschriften zu Überwachung, Sicherung, Transport, Lagerung sowie zu Grenzwerten für Freisetzungen und zur Strahlenschutzvorsorge bei Lagerung und Entsorgung radioaktiver Stoffe.

Europäische und internationale Rechtslage

Europäische Union

Die EU setzt mit der Richtlinie 2011/70/Euratom einen einheitlichen Rechtsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, nationale Programme zur Entsorgung zu etablieren, regelmäßig zu evaluieren sowie Endlagerungsstrategien zu erstellen und umzusetzen.

Internationale Vorgaben

Internationale Übereinkommen, wie das Übereinkommen über nukleare Sicherheit und die Gemeinsame Konvention über die Sicherheit der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle, verpflichten zu hohen Sicherheitsstandards und Zusammenarbeit beim Umgang mit Atommüll.

Verantwortlichkeiten und Akteure

Nationale Zuständigkeiten

  • Bund: Verantwortlich für Endlagerung und langfristige Entsorgung.
  • Betreiber von Kernanlagen: Verpflichtet zur Abgabe und Finanzierung der Abfallbehandlung.
  • Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE): Fachlich zuständig für Planung, Genehmigung, Überwachung und Koordination der Endlagerung.
  • Landesbehörden: Überwachung der Zwischenlager und des Transports.

Verursacherprinzip und Finanzierung

Die rechtlichen Grundsätze folgen dem Verursacherprinzip (§ 9a AtG). Kostentragungspflichtig sind die Betreiber von kerntechnischen Anlagen, die zur Bildung von Rückstellungen und Abführung von Mitteln an einen öffentlich-rechtlichen Fonds verpflichten, der die Finanzierung der Entsorgungsverpflichtungen sicherstellt.

Anforderungen an Lagerung, Behandlung und Transport

Zwischenlagerung

Bis zur Endlagerung wird Atommüll in speziell genehmigten und überwachten Zwischenlagern aufbewahrt. Maßgebliche Vorgaben hierzu ergeben sich aus den §§ 6 und 7 AtG sowie aus dem Strahlenschutzrecht. Zwischenlager bedürfen umfangreicher Sicherheitsnachweise (mechanische Sicherung, Brand- und Strahlungsschutz) und unterliegen fortlaufender behördlicher Kontrolle.

Endlagerung

Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle erfolgt geologisch tief im Untergrund, um einen dauerhaften Einschluss der Radioaktivität zu gewährleisten. Auswahl und Betrieb von Endlagern wie dem geplanten Endlager Konrad oder dem künftigen Standort für hochradioaktive Abfälle unterliegen nationalen und internationalen Prüf- und Beteiligungsverfahren (§§ 9b ff. AtG).

Transport

Transporte von Atommüll (national und grenzüberschreitend) bedürfen einer Vielzahl von Genehmigungen, Freigaben und Sicherungsmaßnahmen und sind durch das Atomgesetz (§§ 4, 7, 9 AtG), das Strahlenschutzgesetz sowie das Gefahrgutbeförderungsgesetz reguliert.

Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz

Beteiligung der Öffentlichkeit

Das Standortauswahlgesetz und das Atomgesetz sehen umfangreiche Beteiligungsverfahren vor, etwa bei der Auswahl und Genehmigung von Endlagern. Interessierte und Betroffene können im Rahmen von Erörterungsterminen und Einwendungen ihre Rechte wahrnehmen.

Rechtsmittel

Gegen Entscheidungen zu Zwischen- und Endlagern, Transporten und Entsorgungsanlagen stehen Rechtsmittel zur Verfügung, insbesondere Verwaltungsrechtsbehelfe (Widerspruch, Klage). Betroffenengruppe sind beispielsweise Kommunen, Grundstückseigentümer, Umweltverbände.

Strafen und Sanktionen bei Verstößen

Verstöße gegen die Vorschriften zur Behandlung, Lagerung, dem Transport oder der Entsorgung von Atommüll werden als Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten im Sinne des Atomgesetzes geahndet (§ 46 AtG). Sanktionen reichen von Geldbußen bis hin zu Freiheitsstrafen, insbesondere bei Gefährdung von Menschen oder Umwelt.

Literatur und Weblinks

Weiterführende Informationen


Hinweis: Der Begriff Atommüll ist im deutschen Recht umfassend normiert und unterliegt einem mehrstufigen Regelungssystem, das dem Schutz von Mensch und Umwelt, der verantwortungsvollen Nutzung der Kernenergie und den internationalen Verpflichtungen im Bereich der nuklearen Sicherheit Rechnung trägt.

Häufig gestellte Fragen

Wer trägt die rechtliche Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll in Deutschland?

Die rechtliche Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll in Deutschland ist auf mehreren Ebenen geregelt. Nach dem Standortauswahlgesetz (StandAG) und dem Atomgesetz (AtG) trägt der Bund die ausschließliche Verantwortung für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle. Konkret wurde hierzu die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) gegründet, die als bundeseigenes Unternehmen den Betrieb, die Planung, den Bau und den Rückbau von Endlagern sicherstellt. Zwischenlagerung obliegt zunächst dem jeweiligen Betreiber der kerntechnischen Anlagen, meist Energieversorgungsunternehmen (EVU), jedoch unterliegt die Überwachung und Genehmigung der Lager dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als zuständiger Aufsichtsbehörde. Mit Inkrafttreten des Entsorgungsübergangsgesetzes (EntsorgÜG) wurden die Pflichten zur Zwischenlagerung ab 2017 ebenfalls sukzessive auf Bundesebene übertragen, während Finanzierungs- und Haftungsfragen im Atomgesetz geregelt bleiben. Verantwortlichkeiten verteilen sich somit auf Bund, spezialisierte Behörden und private Betreiber unter fortlaufender staatlicher Kontrolle.

Welche haftungsrechtlichen Regelungen gelten bei Schäden im Zusammenhang mit Atommüll?

Im Falle von Schäden durch Atommüll gilt in Deutschland das sogenannte Gefährdungshaftungsprinzip nach dem Atomgesetz (§ 25 AtG). Das bedeutet, dass Betreiber kerntechnischer Anlagen grundsätzlich auch ohne Verschulden für Schäden durch radioaktive Strahlung haften („Gefährdungshaftung“). Die Haftung bezieht sich auf Personen-, Sach- und Vermögensschäden. Zusätzlich müssen Betreiber eine entsprechende finanzielle Sicherung nachweisen, meist in Form von Versicherungen oder Garantien, um im Schadensfall für Entschädigungsleistungen aufkommen zu können. Sollte die Haftungssumme den gesetzlich festgelegten Höchstbetrag überschreiten oder die finanziellen Sicherungen nicht ausreichen, übernimmt der Bund subsidiär die Haftung für weitere Schäden, damit die Geschädigten nicht leer ausgehen.

Welche rechtlichen Genehmigungen sind für die Lagerung von Atommüll erforderlich?

Für die Lagerung von Atommüll sind umfassende rechtliche Genehmigungen nach dem Atomgesetz (§ 6 AtG für Zwischenlager, § 9b AtG für Endlager) sowie nach einschlägigen untergesetzlichen Regelwerken (z.B. Strahlenschutzverordnung) erforderlich. Die jeweilige Lagerungsform – ob Zwischen- oder Endlagerung – unterliegt differenzierten Prüfverfahren. Die Genehmigung wird nur erteilt, wenn der Antragsteller detaillierte Sicherheitsnachweise für den Umgang mit radioaktiven Stoffen, die bauliche und organisatorische Gestaltung des Lagers sowie den Schutz von Mensch und Umwelt vorlegt. Das Genehmigungsverfahren ist mit weitreichender Öffentlichkeitsbeteiligung (z. B. Anhörungsverfahren) und Umweltverträglichkeitsprüfungen verbunden. Zuständige Behörde ist in der Regel das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE).

Wie ist die Beteiligung der Öffentlichkeit im rechtlichen Verfahren zur Endlagersuche geregelt?

Die Beteiligung der Öffentlichkeit ist im Standortauswahlgesetz (StandAG) explizit geregelt. Das Gesetz sieht verschiedene Stufen der Öffentlichkeitsbeteiligung vor, unter anderem durch Information, Konsultation im Rahmen von Regionalkonferenzen, Fachkonferenzen sowie digitale Beteiligungsplattformen. Betroffene Bürger*innen, Gemeinden, Umweltverbände und andere Interessenträger erhalten die Möglichkeit zur Einsichtnahme in Planungsunterlagen, zur Stellungnahme sowie zum Einlegen von Rechtsmitteln. Die staatlichen Institutionen sind verpflichtet, diese Eingaben bei der weiteren Planungs- und Entscheidungsfindung zu berücksichtigen und transparent zu kommunizieren. Diese umfassende Beteiligung dient der Akzeptanzförderung und der Rechtssicherheit im Verfahren.

Wie werden Standortentscheidungen für Endlager aus juristischer Sicht abgesichert und überprüft?

Standortentscheidungen für Endlager unterliegen strengen rechtlichen Anforderungen und Kontrollmechanismen. Sie werden auf Basis des Standortauswahlgesetzes (StandAG) unter Einbeziehung wissenschaftlicher, technischer, sicherheitsrelevanter und gesellschaftlicher Kriterien getroffen. Der gesamte Prozess ist von Beginn an gerichtlich überprüfbar und unterliegt dem Verwaltungsrechtsweg. Betroffene können gegen Entscheidungen Widerspruch einlegen oder klagen. Zusätzlich werden Entscheidungen regelmäßig von unabhängigen Fachgremien und Sachverständigen überprüft und evaluiert. Eine endgültige Standortwahl erfordert einen Bundestagsbeschluss, sodass der Prozess vollständig demokratisch legitimiert und rechtlich abgesichert ist.

Welche Regelungen gelten für die grenzüberschreitende Verbringung von Atommüll?

Die grenzüberschreitende Verbringung von Atommüll ist durch internationale, europäische und nationale Rechtsvorgaben (insbesondere das Atomgesetz sowie die EURATOM-Richtlinie 2006/117/Euratom) streng geregelt. Ein Export radioaktiver Abfälle ist nur in Ausnahmefällen zulässig und bedarf umfangreicher Genehmigungsverfahren. Hierzu müssen neben deutschen auch die Anforderungen des Empfangs- und Transitlandes sowie die der EU beachtet werden. Voraussetzung für eine Bewilligung ist stets, dass im Bestimmungsland ein sicheres Endlager existiert, das internationalen Sicherheitsstandards genügt. Schwerpunkt der Regelungen ist der Schutz von Mensch und Umwelt über Landesgrenzen hinweg sowie die Vermeidung eines illegalen oder unkontrollierten Transports radioaktiver Materialien.

Welche rechtlichen Aufbewahrungsfristen und Nachweispflichten bestehen in Bezug auf Atommüll?

Gesetzlich festgelegte Aufbewahrungsfristen für Atommüll existieren insoweit, als langfristige Nachweispflichten und Dokumentationspflichten bezüglich Menge, Art, Herkunft, Zwischenlagerung und Endlagerung nach Atomgesetz und Strahlenschutzrecht bestehen. Betreiber sind verpflichtet, unveränderlich nachvollziehbare und überprüfbare Aufzeichnungen über jeden Schritt des Umgangs mit radioaktiven Abfällen zu führen und umfassende Berichte an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) abzuliefern. Diese Nachweisführung ist tatsächlich über den gesamten „Lebenszyklus“ des Atommülls – in der Regel über Jahrhunderte hinweg – zu gewährleisten, damit auch in ferner Zukunft nachvollzogen werden kann, welche Abfälle wo gelagert wurden. Ein Versäumnis kann straf- oder bußgeldbewehrt sein.