Definition und Rechtsgrundlagen von Arbeitsgelegenheiten
Arbeitsgelegenheiten sind eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme im deutschen Sozialrecht, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zur Anwendung kommt. Sie dienen der Integration erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in den Arbeitsmarkt und werden häufig mit dem Begriff „Ein-Euro-Job“ assoziiert. Ziel von Arbeitsgelegenheiten ist es, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern.
Gesetzliche Grundlagen
Die rechtliche Basis für Arbeitsgelegenheiten findet sich primär in § 16d SGB II. Ergänzende Vorschriften ergeben sich aus dem SGB III, dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) sowie aus verschiedenen Verordnungen und Verwaltungsvorschriften.
§ 16d SGB II – Arbeitsgelegenheiten
Nach § 16d SGB II können erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Teilnahme an Arbeitsgelegenheiten verpflichtet werden, sofern andere Eingliederungsmaßnahmen nicht zur Verfügung stehen oder nicht geeignet sind. Die Teilnahme orientiert sich am Grundsatz des Forderns und Förderns.
Abgrenzung zu anderen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten
Arbeitsgelegenheiten unterscheiden sich von anderen beschäftigungsfördernden Maßnahmen wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Förderungen aus SGB III oder Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung dadurch, dass sie keine regulären Arbeitsverhältnisse begründen, sondern einen Zusatzcharakter besitzen.
Voraussetzungen zur Zuweisung
Personenkreis der Berechtigten
Teilnahmeberechtigt sind Personen, die arbeitslos und hilfebedürftig nach SGB II sind und das 15. Lebensjahr vollendet, jedoch das Renteneintrittsalter noch nicht erreicht haben.
Auswahlkriterien und Ermessensausübung
Die Zuweisung zu einer Arbeitsgelegenheit erfolgt durch das zuständige Jobcenter nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 39 SGB I). Dabei sind die individuellen Lebensumstände, Fähigkeiten und die aktuelle Arbeitssituation zu berücksichtigen. Es ist stets die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zu prüfen.
Gestaltung und Durchführung von Arbeitsgelegenheiten
Zusätzlichkeit und öffentliches Interesse
Ein wesentliches Strukturmerkmal ist die Zusätzlichkeit. Arbeitsgelegenheiten dürfen nur für Tätigkeiten geschaffen werden, die
- nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt existieren,
- ohne die Maßnahme nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt durchgeführt worden wären,
- dem öffentlichen Interesse dienen.
Weiterhin müssen die Arbeiten wettbewerbsneutral ausgestaltet sein und dürfen keine regulären Arbeitsplätze verdrängen oder behindern.
Arbeitsentgelt und Mehraufwandsentschädigung
Teilnehmende einer Arbeitsgelegenheit erhalten kein Arbeitsentgelt im klassischen Sinne, sondern eine sogenannte Mehraufwandsentschädigung nach § 16d Abs. 7 SGB II. Diese Entschädigung beträgt je nach Ausgestaltung in der Regel zwischen 1,00 und 2,50 Euro pro Stunde und berücksichtigt den zusätzlichen Aufwand für Fahrtkosten, Verpflegung und Kleidung.
Rechtsverhältnis und sozialversicherungsrechtliche Einordnung
Kein Arbeitsverhältnis
Durch die Zuweisung zu einer Arbeitsgelegenheit wird kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts begründet. Es handelt sich um ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis besonderer Art. Entsprechend gelten die Vorschriften des Arbeitsrechts, wie etwa Kündigungsschutzgesetz (KSchG), Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) und Mindestlohngesetz (MiLoG), nicht.
Sozialversicherungsrechtlicher Status
Arbeitsgelegenheiten begründen kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Es besteht keine Pflicht zur Abführung von Beiträgen zur Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung. Eine Absicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung bleibt jedoch durch den Träger der Arbeitsgelegenheit verpflichtend bestehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII).
Mitwirkungspflichten und Rechtsfolgen bei Nichtteilnahme
Weisungsgebundenheit und Zumutbarkeit
Die Teilnehmenden unterliegen den Weisungen des Trägers der Maßnahme im Rahmen ihrer Zuordnung. Die Zumutbarkeit richtet sich nach § 10 SGB II. Verweigert ein Leistungsberechtigter ohne nachvollziehbaren Grund die Teilnahme, können leistungsrechtliche Sanktionen nach § 31 SGB II ausgelöst werden. Dies kann zur Minderung oder im Wiederholungsfall zur vollständigen Streichung des Arbeitslosengeldes II führen.
Beendigung und Abbruch
Ein Abbruch der Arbeitsgelegenheit kann sowohl durch das Jobcenter als auch den Teilnehmer oder Träger erfolgen, etwa bei gesundheitlichen Problemen oder unzumutbaren Bedingungen. Die Regelungen zur Beendigung sind im Zuweisungsbescheid festzuhalten.
Rechtsschutz und Kontrollmöglichkeiten
Rechtsmittel
Gegen die Zuweisung zu einer Arbeitsgelegenheit ist der Widerspruch möglich, über den das Jobcenter entscheiden muss. Wird diesem nicht abgeholfen, steht der Klageweg zum Sozialgericht offen (§ 54 SGG).
Überprüfung der Zusätzlichkeit
Die Einhaltung der Voraussetzungen für Arbeitsgelegenheiten, insbesondere der Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit, unterliegt der Kontrolle durch die zuständigen Behörden und Gerichte. Bei Verstößen kann die Maßnahme als rechtswidrig eingestuft werden.
Steuerliche Behandlung
Mehraufwandsentschädigungen aus Arbeitsgelegenheiten sind nach § 3 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei. Eine Anrechnung auf das sonstige Einkommen erfolgt jedoch im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nach SGB II.
Literatur und weiterführende Informationen
Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeitsgelegenheiten empfiehlt es sich, regelmäßig die aktuellen Verwaltungsvorschriften, Rundschreiben der Bundesagentur für Arbeit sowie einschlägige Urteile der Sozialgerichtsbarkeit zu berücksichtigen. Regelmäßige Anpassungen der Förderrichtlinien im Zuge arbeitsmarktpolitischer Veränderungen können die rechtliche Lage beeinflussen.
Siehe auch:
- Sozialgesetzbuch II (SGB II)
- Arbeitsförderungsrecht
- Eingliederungsvereinbarung
- Maßnahmen zur Arbeitsförderung
Häufig gestellte Fragen
Unterliegen Arbeitsgelegenheiten dem Sozialversicherungsrecht?
Arbeitsgelegenheiten, die umgangssprachlich auch als „Ein-Euro-Jobs“ bezeichnet werden, sind grundsätzlich sozialversicherungsfrei. Das bedeutet, dass weder Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege-, noch zur Arbeitslosenversicherung abgeführt werden müssen. Sie stellen kein Arbeitsverhältnis im klassischen Sinne dar, sondern dienen der Eingliederung in den Arbeitsmarkt gemäß § 16d SGB II. Das für die Beschäftigung gezahlte Entgelt (Mehraufwandsentschädigung) ist keine sozialversicherungspflichtige Vergütung, sondern stellt lediglich einen Ausgleich für zusätzliche Kosten dar, die durch die Teilnahme an der Maßnahme entstehen. Damit werden Arbeitsgelegenheiten explizit aus dem Anwendungsbereich des Sozialversicherungsrechts herausgenommen. Allerdings sind Teilnehmende im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert, da Arbeitsgelegenheiten als „wie Beschäftigte“ gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII gelten.
Haben Teilnehmende an Arbeitsgelegenheiten Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn?
Teilnehmende an Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II haben keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Dies ist explizit im § 22 MiLoG (Mindestlohngesetz) geregelt, wonach Mehraufwandsentschädigungen, die im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten gezahlt werden, nicht unter die Mindestlohnbestimmungen fallen. Der Grund ist, dass die Arbeitsgelegenheit kein reguläres Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts darstellt. Die Teilnahme daran ist eine ergänzende Maßnahme zur Grundsicherung, nicht aber eine Erwerbstätigkeit mit Vergütungsanspruch. Die Mehraufwandsentschädigung ist nach sozialrechtlichen Vorgaben bemessen und orientiert sich nicht an marktüblichen Löhnen oder Standards des Arbeitsrechts.
Müssen Arbeitsgelegenheiten zwingend „zusätzlich“ und „im öffentlichen Interesse“ sein?
Ja, rechtlich ist explizit vorgeschrieben, dass Arbeitsgelegenheiten nur dann zulässig sind, wenn die zu verrichtende Tätigkeit sowohl „zusätzlich“ als auch „im öffentlichen Interesse“ ist. Dies ist in § 16d Abs. 1 Satz 1 SGB II geregelt. „Zusätzlich“ bedeutet, dass die Tätigkeit ohne die Eingliederungsmaßnahme nicht oder nicht in diesem Umfang ausgeführt worden wäre – sie darf keine regulären Arbeitsplätze verdrängen oder behindern. Das „öffentliche Interesse“ ist erfüllt, wenn die Tätigkeit dem Allgemeinwohl und nicht nur privaten Interessen dient. Diese Kriterien werden bei der Bewilligung der Maßnahme durch die Jobcenter geprüft; Verstöße dagegen können unter anderem zu Rückforderungsansprüchen, Wettbewerbsverzerrungen oder Sanktionen führen.
Welche Rechte und Pflichten haben Teilnehmende an einer Arbeitsgelegenheit?
Teilnehmende an einer Arbeitsgelegenheit haben Rechte und Pflichten, die sich im Wesentlichen aus dem SGB II sowie den jeweiligen Vereinbarungen mit dem Leistungsträger ergeben. Zu den Pflichten gehören insbesondere die regelmäßige Teilnahme und Erfüllung der übertragenen Aufgaben. Die genauen Einsatzzeiten und -orte werden individuell festgelegt und sollten in einer schriftlichen Vereinbarung dokumentiert sein. Zu den Rechten zählt insbesondere der Anspruch auf eine angemessene Mehraufwandsentschädigung, auf Unfallversicherungsschutz und auf Erklärung/Beratung durch das Jobcenter. Zudem haben sie Anspruch auf eine zumutbare Tätigkeit, die gesundheitlich vertretbar ist. Ein fernbleiben ohne wichtigen Grund kann als Pflichtverletzung gewertet werden und Sanktionen nach sich ziehen.
Welche arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften gelten im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten?
Arbeitsgelegenheiten begründen kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts, weshalb die meisten arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften nicht anwendbar sind. So gilt beispielsweise das Kündigungsschutzgesetz (KSchG), das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) oder das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) formal nicht. Ausnahmen bestehen nur insoweit, als insbesondere das Arbeitsschutzrecht, etwa Regelungen zur Unfallverhütung und Gesundheitsschutz, Anwendung findet, weil die Träger für die Sicherheit der Teilnehmenden verantwortlich sind. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) findet im Rahmen von Zuweisungsverfahren Anwendung. Vertragsrechtliche Ansprüche auf Arbeitslohn, Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bestehen hingegen nicht.
Wer trägt die Haftung bei Arbeitsunfällen innerhalb von Arbeitsgelegenheiten?
Für Teilnehmende an Arbeitsgelegenheiten besteht während der Ausübung ihrer Tätigkeit gesetzlicher Unfallversicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII. Das heißt, die Unfallkasse/die Berufsgenossenschaft übernimmt im Schadensfall Leistungen wie Heilbehandlung, Rehabilitationsmaßnahmen oder Entschädigungen. Für Schäden, die Teilnehmende Dritten im Rahmen der Tätigkeit zufügen, haftet der Träger der Maßnahme nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung. Für leichte Fahrlässigkeit besteht in der Regel kein Regress gegen die Teilnehmenden, bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz kann jedoch eine Haftung im Einzelfall geprüft werden. Der Maßnahmeträger muss zudem für die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften sorgen und haftet bei Verletzung seiner Aufsichtspflichten.
Können Arbeitsgelegenheiten freiwillig abgebrochen werden und welche rechtlichen Folgen entstehen?
Die Beendigung einer Arbeitsgelegenheit ist zwar grundsätzlich möglich, sollte allerdings unter Einhaltung rechtlicher Vorgaben erfolgen. Teilnehmende, die eine Arbeitsgelegenheit grundlos abbrechen oder sich wiederholt weigern, die Maßnahme anzutreten, begehen eine Pflichtverletzung nach § 31 SGB II. Dies führt in der Regel zu Sanktionen, das heißt Kürzungen des Arbeitslosengeldes II für einen bestimmten Zeitraum. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes – etwa aus gesundheitlichen Gründen oder bei unzumutbaren Arbeitsbedingungen – ist ein Abbruch sanktionsfrei möglich. Der Maßnahmeträger und das Jobcenter müssen zeitnah informiert und die Gründe entsprechend nachgewiesen werden. Ein Abbruch ohne ausreichende Begründung wird häufig als arbeitsmarktpolitisches Fehlverhalten gewertet.