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Anzeigepflichtige Entlassungen

Anzeigepflichtige Entlassungen: Bedeutung, Zweck und Einordnung

Der Begriff „anzeigepflichtige Entlassungen“ beschreibt Entlassungen in größerem Umfang, die ein Arbeitgeber der zuständigen Agentur für Arbeit vorab anzeigen muss. Ziel ist es, die Auswirkungen umfangreicher Personalabbaumaßnahmen auf den Arbeitsmarkt abzufedern, Transparenz zu schaffen und Vermittlungs- sowie Unterstützungsangebote zu ermöglichen. In der Alltagssprache ist auch von „Massenentlassungen“ oder „Massenentlassungsanzeige“ die Rede.

Was bedeutet „anzeigepflichtig“?

„Anzeigepflichtig“ heißt, dass der Arbeitgeber, sobald bestimmte Schwellenwerte an geplanten Entlassungen erreicht werden, vor Ausspruch der Kündigungen eine formalisierte Anzeige an die Agentur für Arbeit erstatten muss. Die Anzeige ist ein zusätzliches Verfahren neben den allgemeinen Regeln zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen.

Zweck und Schutzziele

  • Vorbereitung des Arbeitsmarkts auf erhöhte Zugänge von Arbeitssuchenden
  • Frühzeitige Beratung und Unterstützung der Betroffenen
  • Transparenz über Gründe, Umfang und zeitliche Planung der Maßnahme
  • Einbindung der betrieblichen Interessenvertretung

Anwendungsbereich und Schwellenwerte

Bezugsgröße „Betrieb“ und betroffene Personen

Entscheidend ist die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem einzelnen Betrieb, nicht im gesamten Unternehmen. Nicht mitzuzählen sind in der Regel Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Betrieb stehen (zum Beispiel externe Dienstleister). Auszubildende werden gewöhnlich nicht einbezogen. Teilzeitbeschäftigte sind grundsätzlich mitzuzählen. Maßgeblich ist stets die tatsächliche Größe des Betriebs zum relevanten Zeitpunkt.

Schwellenwerte und 30-Tage-Zeitraum

Eine Anzeigepflicht entsteht, wenn innerhalb eines Zeitraums von 30 Kalendertagen folgende Entlassungszahlen in einem Betrieb geplant sind:

  • In Betrieben mit 21 bis 59 Beschäftigten: mindestens 5 Entlassungen
  • In Betrieben mit 60 bis 499 Beschäftigten: mindestens 10 Prozent der Belegschaft oder mehr als 25 Entlassungen
  • In Betrieben mit 500 oder mehr Beschäftigten: mindestens 30 Entlassungen

Der 30-Tage-Zeitraum ist rollierend zu verstehen. Entlassungen, die in engem sachlichem Zusammenhang geplant werden, können zusammenzurechnen sein.

Beispiele für Schwellenwerte

  • Betrieb mit 50 Beschäftigten: ab 5 geplanten Entlassungen besteht Anzeigepflicht.
  • Betrieb mit 80 Beschäftigten: ab 8 geplanten Entlassungen (10 Prozent) besteht Anzeigepflicht.
  • Betrieb mit 300 Beschäftigten: ab 30 geplanten Entlassungen (10 Prozent) besteht Anzeigepflicht; alternativ greift auch die absolute Zahl, wenn mehr als 25 Entlassungen beabsichtigt sind.
  • Betrieb mit 600 Beschäftigten: ab 30 geplanten Entlassungen besteht Anzeigepflicht.

Was zählt als „Entlassung“?

Erfasst sind Kündigungen durch den Arbeitgeber, unabhängig davon, ob ordentlich oder außerordentlich, soweit sie aus betrieblichen Gründen erfolgen. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Zählung ist in der Regel der Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer. Nicht mitzuzählen sind reguläre Befristungsabläufe ohne vorzeitige Beendigung. Aufhebungsverträge können einzubeziehen sein, wenn sie auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Umsetzung des einheitlichen Abbauplans geschlossen werden. Eigenkündigungen der Beschäftigten werden nicht als Entlassungen gewertet.

Verfahren und Ablauf

Information und Konsultation des Betriebsrats

Vor der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ist der Betriebsrat umfassend zu unterrichten und anzuhören. Die Information umfasst insbesondere Gründe der geplanten Entlassungen, Zahl und Berufsgruppen der Betroffenen, Zeitraum der Maßnahme, Kriterien der Auswahl und Aspekte zur Milderung der Folgen. Der Stellungnahme des Betriebsrats kommt besondere Bedeutung zu; sie ist der Anzeige beizufügen oder deren Stand ist darzustellen.

Anzeige bei der Agentur für Arbeit

Die Anzeige erfolgt in der Regel schriftlich gegenüber der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit am Sitz des Betriebs. Sie enthält insbesondere:

  • Angaben zu Betrieb, Branche und Belegschaftsstärke
  • Gründe für die geplanten Entlassungen
  • Zahl, Berufsgruppen und Verteilung der betroffenen Beschäftigten
  • Zeitraum, in dem die Entlassungen ausgesprochen werden sollen
  • Informationen zu Auswahlkriterien und etwaigen Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung von Entlassungen
  • Darstellung der Konsultation mit dem Betriebsrat einschließlich Stellungnahme oder deren Stand

Kündigungen dürfen erst nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit erklärt werden.

Sperrfrist und Wirksamwerden von Kündigungen

Nach der Anzeige beginnt eine Sperrfrist von bis zu einem Monat. Die Agentur für Arbeit kann diese Frist verkürzen oder aufheben. Kündigungen können erst nach Anzeige ausgesprochen werden und werden regelmäßig erst nach Ablauf der Sperrfrist wirksam, zusätzlich zu den jeweils geltenden Kündigungsfristen.

Verhältnis zu anderen arbeitsrechtlichen Regelungen

Die Anzeigepflicht ergänzt bestehende Schutzmechanismen. Unverändert gelten unter anderem Auswahlanforderungen bei betriebsbedingten Kündigungen, Beteiligungsrechte des Betriebsrats, gesetzliche Kündigungsfristen sowie besondere Schutzvorschriften, etwa für bestimmte Personengruppen. Erforderliche behördliche Zustimmungen außerhalb des Anzeigeverfahrens bleiben unberührt.

Rechtsfolgen bei Verstößen

Unwirksamkeit von Kündigungen

Werden anzeigepflichtige Entlassungen ohne ordnungsgemäße Anzeige oder ohne vorherige Konsultation des Betriebsrats ausgesprochen, ist dies rechtlich erheblich. Kündigungen können in der Folge unwirksam sein. Betroffene können die Wirksamkeit im vorgesehenen Verfahren überprüfen lassen.

Aufsichts- und Sanktionsmechanismen

Neben der Unwirksamkeit einzelner Kündigungen kommen behördliche Maßnahmen und Geldbußen in Betracht. Die Agentur für Arbeit überwacht die Einhaltung der Anzeige- und Verfahrenspflichten.

Besondere Konstellationen

Kein Betriebsrat

Existiert kein Betriebsrat, entfällt die Konsultation dieser Vertretung. Die Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit bleibt bestehen. Die Anzeige hat dann ersichtlich ohne Stellungnahme des Betriebsrats zu erfolgen.

Befristete Verträge, Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen

  • Befristete Verträge: Laufen Befristungen aus, ohne dass eine vorzeitige Beendigung erfolgt, werden diese Enden nicht als Entlassungen gezählt.
  • Aufhebungsverträge: Werden sie im Rahmen eines einheitlichen Abbauplans vom Arbeitgeber initiiert, können sie als Entlassungen berücksichtigt werden.
  • Eigenkündigungen: Sie zählen nicht als Entlassungen im Sinne der Anzeigepflicht.

Geschützte Personengruppen

Für bestimmte Personengruppen gelten zusätzliche Schutzvorschriften und gegebenenfalls Zustimmungserfordernisse anderer Behörden. Diese Regelungen bestehen neben dem Anzeigeverfahren und sind unabhängig davon zu beachten.

Umgehungsverbot und Zusammenrechnung

Die Staffelung von Entlassungen zur Vermeidung der Anzeigepflicht ist unzulässig. Entlassungen, die in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen, können zusammengerechnet werden, auch wenn sie über 30 Tage hinausreichen.

Häufig gestellte Fragen

Ab wann ist eine Entlassung anzeigepflichtig?

Eine Anzeigepflicht besteht, wenn in einem Betrieb innerhalb von 30 Tagen die gesetzlichen Schwellenwerte an geplanten Entlassungen erreicht werden. Maßgeblich sind die Größe des Betriebs und die Anzahl der beabsichtigten Kündigungen, die in diesem Zeitraum zugehen sollen.

Welche Rolle spielt der Betriebsrat im Verfahren?

Der Betriebsrat ist vor der Anzeige zu informieren und anzuhören. Seine Stellungnahme ist der Anzeige beizufügen oder deren Stand zu erläutern. Ohne ordnungsgemäße Konsultation kann das Verfahren fehlerhaft sein.

Was passiert, wenn keine Anzeige erstattet wird?

Unterbleibt die erforderliche Anzeige oder wird sie fehlerhaft erstattet, können daraufhin ausgesprochene Kündigungen unwirksam sein. Zusätzlich kommen behördliche Maßnahmen und Geldbußen in Betracht.

Zählen Aufhebungsverträge mit?

Aufhebungsverträge können als Entlassungen berücksichtigt werden, wenn sie auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Umsetzung eines einheitlichen Personalabbaus geschlossen werden. Eigenständige Austritte von Beschäftigten werden nicht einbezogen.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Anzeige?

Die Anzeige hat vor dem Ausspruch der ersten Kündigung zu erfolgen. Erst nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit dürfen Kündigungen erklärt werden.

Welche Fristen gelten nach der Anzeige?

Nach Eingang der Anzeige beginnt eine Sperrfrist von bis zu einem Monat. Kündigungen werden in der Regel erst nach Ablauf dieser Sperrfrist wirksam; zusätzlich sind die jeweiligen Kündigungsfristen zu beachten. Die Agentur für Arbeit kann die Sperrfrist verkürzen oder aufheben.

Gelten die Regeln auch bei einer Betriebsstilllegung?

Bei einer vollständigen oder teilweisen Betriebsstilllegung greifen die Vorschriften zu anzeigepflichtigen Entlassungen, wenn die Schwellenwerte innerhalb von 30 Tagen erreicht werden. Die Anzeige- und Konsultationspflichten gelten unabhängig von der Ursache der Entlassungen.