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Anwartschaftsrecht


Definition und Wesen des Anwartschaftsrechts

Das Anwartschaftsrecht ist ein Begriff aus dem deutschen Zivilrecht, der den Vorgriff auf ein später entstehendes, vollwertiges Recht beschreibt. Es handelt sich um eine rechtliche Position, die bereits einen gesicherten Anspruch auf den Erwerb eines Rechtes vermittelt, das zum aktuellen Zeitpunkt jedoch noch nicht vollständig entstanden ist. Diese gesicherte Erwerbsaussicht ist dem Vollrecht zwar noch nicht gleichgestellt, wird jedoch in ihrer Substanz geschützt und genießt den Vorrang gegenüber der bloßen Aussicht.

Das Anwartschaftsrecht bildet insbesondere im Sachenrecht, aber auch im Schuld-, Erb- und Familienrecht eine wesentliche Rechtsfigur, die der Sicherung von Rechtspositionen dient und zwischen der bloßen Chance und dem vollendeten Recht einzuordnen ist.


Rechtsnatur des Anwartschaftsrechts

Tatbestandsvoraussetzungen

Für die Entstehung eines Anwartschaftsrechts ist Voraussetzung, dass:

  • Die spätere Entstehung eines Rechts nur noch von dem Eintritt einer Bedingung abhängt,
  • der Erwerber sämtliche zur Rechtsentstehung erforderlichen Voraussetzungen geschaffen hat,
  • dem Erwerber die Verfügungsbefugnis über das Anwartschaftsrecht eingeräumt ist und
  • der Veräußerer das Recht nicht mehr einseitig verhindern kann.

Diese Voraussetzungen führen dazu, dass das Anwartschaftsrecht als ein „wesensgleiches Minus“ zum Vollrecht anzusehen ist, das vom Gesetzgeber in vielfältigen Kontexten anerkannt wird.

Dingliches Anwartschaftsrecht

Im Sachenrecht stellt das Anwartschaftsrecht ein selbstständiges dingliches Recht dar. Es kann selbständig veräußert, belastet und verpfändet werden. Das Anwartschaftsrecht wird beispielsweise beim Eigentumsvorbehalt (§§ 929, 158 BGB) relevant: Hier hat der Käufer bereits vor vollständiger Bezahlung eine gesicherte Rechtsposition, die nur noch durch die Kaufpreiszahlung zum Vollrecht erstarkt.


Anwartschaftsrecht im Sachenrecht

Eigentumsvorbehalt

Die größte praktische Bedeutung hat das Anwartschaftsrecht beim Eigentumsvorbehalt. Hier räumt der Verkäufer dem Käufer zunächst lediglich eine gesicherte Erwerbsaussicht auf das Eigentum an einer Sache ein. Erst mit der vollständigen Kaufpreiszahlung erwirbt der Käufer das volle Eigentum, zuvor hat er jedoch eine rechtlich geschützte Position in Gestalt des Anwartschaftsrechts, das gegen Zugriffe Dritter (etwa im Insolvenzfall des Verkäufers) geschützt ist.

Weitere Anwendungsbereiche

Das Anwartschaftsrecht kann auch bei der Sicherungsübereignung, dem Nießbrauch oder Hypotheken bestehen, sofern die Voraussetzungen der Anwartschaft erfüllt sind.


Anwartschaftsrecht im Schuldrecht

Im Schuldrecht findet das Anwartschaftsrecht insbesondere bei befristeten oder bedingten Schuldverhältnissen Anwendung. Hier entsteht das Vollrecht erst mit dem Eintritt der Bedingung (zum Beispiel bei aufschiebenden Bedingungen in Verträgen). Das Anwartschaftsrecht schützt den Erwerber bereits vor dem Eintritt der Bedingung in seinem Anspruch auf das Recht.


Anwartschaftsrecht im Erbrecht

Im Erbrecht können Anwartschaftsrechte insbesondere bei aufschiebend bedingten Verfügungen von Todes wegen entstehen. Ein klassisches Beispiel ist das Nacherbenanwartschaftsrecht: Der Nacherbe erhält bei Eintritt des Erbfalls eine Anwartschaft, die mit weiteren Bedingungen, wie etwa dem Tod des Vorerben, zum Vollrecht erstarkt.


Anwartschaftsrecht im Familienrecht

Auch im Familienrecht spielt das Anwartschaftsrecht eine Rolle. So können während einer Ehe Anwartschaften auf Versorgungsrechte (z. B. Rentenansprüche) entstehen. Diese werden im Versorgungsausgleich bei der Scheidung als Vermögenswerte berücksichtigt, die bereits vor dem Eintritt der Rentenzahlung rechtlich geschützt sind.


Schutz und Übertragbarkeit des Anwartschaftsrechts

Schutz gegenüber Dritten

Das Anwartschaftsrecht ist gegenüber Dritten weitreichend geschützt. Besonders augenfällig wird dieser Schutz bei der Insolvenz des Veräußerers oder bei der Zwangsvollstreckung. Die Position des Anwartschaftsberechtigten kann grundsätzlich nicht mehr ohne dessen Zustimmung entzogen werden.

Übertragbarkeit

Das Anwartschaftsrecht ist grundsätzlich übertragbar, sofern keine gesetzlichen oder vertraglichen Beschränkungen vorliegen. Insbesondere im Sachenrecht kann es verkauft, verpfändet oder auf eine andere Person übertragen werden.


Verlust und Erlöschen des Anwartschaftsrechts

Das Anwartschaftsrecht kann erlöschen durch:

  • Eintritt oder Wegfall der aufschiebenden Bedingung,
  • Vereinbarung zwischen den Parteien,
  • Untergang der zugrundeliegenden Sache (z. B. Zerstörung der betreffenden Sache beim Eigentumsvorbehalt).

Bedeutung des Anwartschaftsrechts in der Rechtsprechung und Literatur

Das Anwartschaftsrecht wird in der deutschen Rechtsprechung als Rechtsposition mit umfassendem Schutz anerkannt. Es wird als selbstständiges, verkehrsfähiges und dingliches Recht behandelt, das gegenüber Dritten Geltung beanspruchen kann. Die Literatur hat die Abgrenzung zur bloßen Erwerbsaussicht genauer herausgearbeitet und die praktisch relevanten Anwendungsfälle im Sachen-, Schuld-, Erb- und Familienrecht aufgearbeitet.


Zusammenfassung

Das Anwartschaftsrecht ist ein eigenständiges, rechtlich geschütztes Recht mit erheblicher praktischer Bedeutung. Es vermittelt vor dem endgültigen Erwerb eines Rechts eine gesicherte Position, die bei erfüllten Voraussetzungen umfassenden Schutz genießt. Das Anwartschaftsrecht gewährleistet Rechtssicherheit für Erwerber und ist in vielen Bereichen des deutschen Zivilrechts von zentraler Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen bestehen für die Entstehung eines Anwartschaftsrechts?

Für die Entstehung eines Anwartschaftsrechts müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss ein Rechtsgeschäft, meist ein Verfügungsgeschäft (zum Beispiel Übereignung einer beweglichen Sache oder Grundstücksübertragung), vorliegen, das zumindest in Teilen bereits wirksam durchgeführt wurde, während andere Vollzugsvoraussetzungen noch ausstehen. Das Anwartschaftsrecht entsteht, sobald der Erwerber eine so gesicherte Rechtsstellung innehat, dass der Veräußerer das Entstehen oder Schicksal des Vollrechts nicht mehr einseitig vereiteln kann. Im deutschen Recht ist dies typischerweise der Fall, wenn bei einem mehraktigen Erwerbstatbestand (z. B. Eigentumsvorbehalt, Auflassungsvormerkung im Grundstücksrecht) die zur Begründung des Vollrechts notwendigen Tatbestandsmerkmale nicht vollständig erfüllt sind, der Erwerber aber eine gesondert geschützte, gesicherte Rechtsposition erlangt hat. Es ist maßgeblich, dass die Rechtsposition des Anwartschaftsberechtigten gegen einen Zugriff des Veräußerers und Dritter (insbesondere Gläubiger) rechtlich geschützt ist und der Erwerber nach vollständigem Eintritt aller weiteren Voraussetzungen ohne weiteres Tätigwerden des Veräußerers das Vollrecht erwerben kann.

Wie unterscheidet sich das Anwartschaftsrecht vom bloßen Erwerbsanwartschaft oder Erwerbsaussicht?

Das Anwartschaftsrecht ist vom bloßen Erwerbsanwartschaft oder von einer bloßen Erwerbsaussicht streng zu trennen. Während eine Erwerbsaussicht lediglich eine faktische Erwartung begründet, dass ein Recht künftig entstehen könnte, ist das Anwartschaftsrecht eine bereits verfestigte, gesicherte Rechtsposition mit Vorrang gegenüber Dritten. Juristisch betrachtet ist das Anwartschaftsrecht ein „wesensgleiches Minus“ zum Vollrecht und wird als echtes, selbstständiges subjektives Recht behandelt (vgl. BGHZ 75, 340). Im Gegensatz zur bloßen Chance oder Hoffnung auf den Rechtserwerb genießt das Anwartschaftsrecht beispielsweise dinglichen Schutz (z. B. über §§ 812 ff. BGB oder § 985 BGB) und kann übertragen, vererbt oder gepfändet werden. Kaufmännische oder schuldrechtliche Sonderrechte sind hiervon deutlich abzugrenzen.

Wie wird das Anwartschaftsrecht rechtlich geschützt?

Das Anwartschaftsrecht genießt umfassenden Rechtsschutz. Es wird sowohl gegenüber dem Veräußerer als auch gegenüber Dritten und insbesondere gegenüber Gläubigern des Vorbehaltsverkäufers geschützt (z. B. im Fall der Insolvenz). Rechtliche Schutzmechanismen umfassen insbesondere die Möglichkeit des Eigentumsherausgabeanspruchs (§ 985 BGB analog), die Anfechtung im Fall unberechtigter Verfügung (§§ 985, 986 BGB), sowie Schutz durch das Besitzrecht (§ 986 BGB analog). Darüber hinaus kann das Anwartschaftsrecht durch Sicherungshypothek, Zwangsvollstreckung oder Zwangsversteigerung belastet werden und unterliegt im Insolvenzfall besonderen Regelungen (§§ 47 ff. InsO). Auch der gutgläubige Erwerb eines Anwartschaftsrechts ist nach h.M. möglich, sofern die Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs eines Vollrechts gegeben wären.

Welche Übertragungsmöglichkeiten bestehen für ein Anwartschaftsrecht?

Ein Anwartschaftsrecht ist, sobald es einmal entstanden ist, im Grundsatz frei übertragbar und vererblich, sofern keine abweichenden Vereinbarungen getroffen wurden oder gesetzliche Verbote bestehen. Die Übertragung erfolgt regelmäßig formfrei, bedarf aber bei Grundstücken der notariellen Beurkundung (§§ 311b BGB) und ggfs. eines Eintrags im Grundbuch (bei grundstücksbezogenen Anwartschaftsrechten, z. B. Auflassungsvormerkung). Die Übertragung des Anwartschaftsrechts auf einen Dritten bewirkt, dass dieser anstelle des ursprünglichen Erwerbers an die Stelle im Kausalverhältnis tritt und die noch ausstehenden Bedingungen erfüllen kann, um das Vollrecht zu erwerben. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung kann das Anwartschaftsrecht ebenfalls wie ein vollwertiges Recht gepfändet oder veräußert werden (§§ 857, 1274 BGB).

Welche Auswirkungen hat das Anwartschaftsrecht auf das Insolvenzverfahren des Veräußerers?

Im Insolvenzverfahren des Veräußerers nimmt das Anwartschaftsrecht eine privilegierte Stellung ein. Der Anwartschaftsberechtigte kann in Anlehnung an § 47 InsO, wonach Aussonderungsrechte bestehen, als Aussonderungsberechtigter behandelt werden. Das bedeutet, dass sein Anwartschaftsrecht nicht Teil der Insolvenzmasse wird und der Insolvenzverwalter nicht über dieses Recht verfügen kann. Der Berechtigte kann die Erfüllung der Bedingungen verlangen, um das Vollrecht zu erwerben, bzw. unterliegt nicht dem allgemeinen Vollstreckungsverbot. Lediglich im Ausnahmefall der Gläubigerbenachteiligung oder bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) kann das Anwartschaftsrecht beeinträchtigt werden.

Wie werden Mängel oder Einreden im Zusammenhang mit dem Anwartschaftsrecht beurteilt?

Mängel oder Einreden, die sich auf das Rechtsverhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber beziehen, wirken auch auf das Anwartschaftsrecht durch. So können beispielsweise Anfechtungs-, Rücktritts- oder Widerrufsrechte des Veräußerers dem Erwerber entgegengehalten werden, solange nicht sämtliche Bedingungen für den endgültigen Rechtserwerb eingetreten sind. Jedoch begrenzt das bereits entstandene Anwartschaftsrecht die einseitigen Rechte des Veräußerers: Er kann das Anwartschaftsrecht in der Regel nicht mehr ohne Zustimmung des Erwerbers oder ohne Eintritt besonderer Umstände (z. B. auflösende Bedingung, berechtigter Rücktritt) einseitig beenden. Solche Einreden müssen also im Lichte des bereits eingeräumten Schutzes des Anwartschaftsberechtigten bewertet werden und sind regelmäßig nur mit Rücksicht auf das rechtlich gesicherte Anwartschaftsrecht durchsetzbar.

Kann das Anwartschaftsrecht belastet oder gepfändet werden?

Das Anwartschaftsrecht ist als selbstständiges, dingliches Recht grundsätzlich belastbar und pfändbar. Es kann beispielsweise sicherungsübereignet, verpfändet oder im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach § 857 BGB gepfändet werden. Das bedeutet, dass Gläubiger des Anwartschaftsberechtigten auf dieses Recht zugreifen und es verwerten können. Grundsätzlich gelten für die Belastung oder Verwertung die gleichen rechtlichen Regelungen wie für das zugrundeliegende Vollrecht, allerdings nur insoweit, als das Anwartschaftsrecht bereits rechtlich entstanden ist und die Übertragbarkeit nicht vertraglich oder gesetzlich ausgeschlossen wurde.