Begriff und Grundlagen der Anwartschaft
Die Anwartschaft stellt im deutschen Recht einen bedeutenden Rechtsbegriff dar, der eine gesicherte, jedoch noch nicht voll ausgestaltete Rechtsposition beschreibt. Sie ist ein zentrales Instrument vor allem im Sachenrecht, aber auch im Sozialversicherungs-, Gesellschafts- und Beamtenrecht. Die Anwartschaft sichert dem Berechtigten das Recht, bei Eintritt weiterer Voraussetzungen das volle Recht zu erlangen. Aufgrund ihrer rechtlichen Eigenständigkeit und Schutzfähigkeit ist die Anwartschaft Gegenstand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten und Kommentierungen.
Definition der Anwartschaft
Die Anwartschaft ist das „Vorstadium“ eines Rechts, das noch nicht voll ausgeprägt ist, dem Inhaber jedoch bereits eine gesicherte Rechtsstellung verleiht. Nach herrschender Meinung in der Rechtsprechung und Literatur handelt es sich um eine rechtlich geschützte Position, die einem vollständigen Recht in gewissem Umfang schon weitgehend angenähert ist. Die Voraussetzungen für das Entstehen der Anwartschaft sind umfassend geregelt und unterliegen einer strengen Auslegung.
Entstehung und Erwerb der Anwartschaft
Voraussetzungen
Eine Anwartschaft entsteht, wenn von mehreren zur vollständigen Entstehung eines (meist absoluten) Rechts notwendigen Voraussetzungen derart viele bereits erfüllt sind, dass der Erwerber gegen den Veräußerer oder einen Dritten gesichert und geschützt ist. Weitere Bedingungen sind:
- Die Erfüllung der übrigen Voraussetzungen zur Entstehung des Vollrechts liegt nicht mehr im Belieben des Verpflichteten.
- Die Anwartschaft kann dem Berechtigten nur noch durch eigene Schuld vereitelt werden.
- Die Anwartschaft ist regelmäßig übertragbar, vererbbar und pfändbar, soweit dies nicht durch besondere gesetzliche Vorschriften ausgeschlossen ist.
Wesentliche Anwendungsbereiche
Sachenrecht
Im Sachenrecht zeigt sich die Anwartschaft besonders deutlich beim Eigentumsvorbehalt. Hier erwirbt der Käufer mit Abschluss des Kaufvertrags und Übergabe der Sache eine Anwartschaft auf das Eigentum, solange der Kaufpreis noch nicht vollständig bezahlt ist. Erst nach vollständiger Zahlung des Kaufpreises wandelt sich die Anwartschaft automatisch in volles Eigentum um.
Sozialversicherungsrecht
Im Sozialversicherungsrecht ist mit dem Begriff der Anwartschaft häufig der „Anwartschaftsberechtigte“ im Bereich der Renten- oder Krankenversicherung gemeint. So kann eine Anwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung entstehen, wenn bestimmte Beitragsjahre zurückgelegt wurden, der volle Leistungsanspruch aber noch weiterer Erfüllungstatbestände bedarf.
Beamtenrecht
Im Beamtenrecht bezeichnet die Anwartschaft den Status einer Person, die sich im Vorbereitungsdienst befindet und mit dem Abschluss bestimmter Prüfungen die Ernennung zum Beamten erwerben kann.
Gesellschaftsrecht und Arbeitsrecht
Anwartschaften finden sich weiterhin beim Erwerb von Gesellschaftsanteilen, bei Optionen auf den Erwerb von Aktien (insbesondere im Rahmen von Beteiligungsprogrammen), wie auch bei betrieblicher Altersversorgung durch Versorgungszusagen.
Rechtsnatur der Anwartschaft
Rechtliche Einordnung
Die Anwartschaft stellt ein dem Vollrecht inhaltlich angenähertes Recht dar, das jedoch noch von der Erfüllung einzelner Voraussetzungen abhängt. Die Rechtswissenschaft erkennt in der Anwartschaft ein dem Rechtsschutz unterliegendes vermögenswertes Recht. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass die Anwartschaft eigentumsähnlichen Schutz genießt (vgl. BGHZ 16, 350).
Schutz der Anwartschaft
Die Anwartschaft ist, soweit sie besteht, gegen Eingriffe Dritter grundsätzlich geschützt. Sie kann beispielsweise Gegenstand von Sicherungsübereignungen, Pfändungen und anderen Verfügungshandlungen sein. Zugleich ist sie – sofern gesetzlich nicht beschränkt – vererbbar.
Übertragung, Belastung und Beendigung der Anwartschaft
Übertragung und Veräußerung
Die Übertragung der Anwartschaft ist in der Regel möglich, bedarf aber der Einhaltung der für das zugrundeliegende Recht gültigen Formvorschriften. Im Bereich des Grundeigentums ist die Übertragung der Anwartschaft beispielsweise durch formgerechte Abtretung möglich, soweit im Grundbuch allein ein Eigentumsvorbehalt eingetragen ist.
Pfändung und Vererbung
Anwartschaften können grundsätzlich gepfändet werden. Sie gehen im Falle des Todes ebenfalls auf die Erben über, soweit keine spezielleren Regelungen entgegenstehen.
Erlöschen der Anwartschaft
Die Anwartschaft kann durch Erfüllung der ausstehenden Voraussetzungen in das Vollrecht umschlagen oder – beispielsweise durch Rücktritt vom Vertrag oder Eintritt einer auflösenden Bedingung – erlöschen.
Abgrenzung zu ähnlichen Rechtspositionen
Die Anwartschaft ist von bloßen Aussichten, der „Contingentia“ und Anwartschaft auf den Erwerb eines Anspruchs abzugrenzen. Im Unterschied zu einer reinen Aussicht auf ein zukünftiges Recht ist die Anwartschaft bereits rechtlich abgesichert und geschützt. Die bloße Erwartung, durch zukünftige Entwicklungen ein Recht zu erwerben, gewährt noch keinen Rechtsschutz.
Praktische Bedeutung und Zusammenfassung
Die Anwartschaft besitzt in vielen Rechtsgebieten eine hohe praktische Relevanz, da sie im Spannungsfeld zwischen bloßer Hoffnung und voller Rechtsposition einen rechtlich geschützten Zwischenstatus darstellt. Sie dient als Sicherungsmechanismus, als Rechtsbefugnis im wirtschaftlichen Verkehr und als Instrument der Risikosteuerung bei Verträgen und Vorsorgeleistungen.
Durch ihre Eigenständigkeit im deutschen Rechtssystem genießt die Anwartschaft umfassenden Schutz und ist deshalb ein zentrales Element vielfältiger Rechtsgeschäfte, insbesondere im Grundstücks-, Kauf-, Sozialversicherungs- und Beamtenrecht.
Häufig gestellte Fragen
Wie unterscheidet sich die Anwartschaft rechtlich vom Vollrecht?
Im juristischen Kontext bezeichnet die Anwartschaft ein bereits entstandenes, aber noch nicht voll ausgebildetes Recht. Im Gegensatz zum Vollrecht, bei dem sämtliche Voraussetzungen für die vollständige Verfügungsgewalt des Berechtigten gegeben sind, befindet sich das Anwartschaftsrecht noch in einem Stadium, in dem einzelne rechtliche Bedingungen zur vollständigen Ausübbarkeit des Rechts fehlen. Wird beispielsweise ein Grundstück unter einer aufschiebenden Bedingung übertragen, so entsteht für den Erwerber eine Anwartschaft. Während er noch nicht als Eigentümer im Grundbuch steht, erhält er bereits einen bedingten Anspruch darauf. Diese rechtliche Konstellation bewirkt, dass der Anwartschaftsberechtigte gegen Einwirkungen Dritter besonderen Schutz genießt, etwa über einen Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) oder durch Eintragung einer Vormerkung im Grundbuch. Allerdings ist die Anwartschaft grundsätzlich weniger weitgehend als das Vollrecht, da sie mit dem Risiko des Wegfalls vor Bedingungseintritt behaftet ist (etwa, wenn die aufschiebende Bedingung gar nicht eintritt).
Unterliegt die Anwartschaft besonderen Übertragungsregelungen?
Aus rechtlicher Sicht ist das Anwartschaftsrecht als vermögenswertes Recht grundsätzlich übertragbar, soweit dem keine Vereinbarungen oder gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch Abtretung beziehungsweise Einigung und Besitzübertragung bei beweglichen Sachen oder durch Abtretung der entsprechenden Anwartschaftsansprüche. Besonders bedeutsam sind die Übertragungsmechanismen im Zusammenhang mit dem Eigentumsvorbehalt, wie er etwa bei Ratenkaufverträgen zur Anwendung kommt. Hier kann ein Käufer die von ihm erworbene Anwartschaft – vorbehaltlich anderslautender Vereinbarungen im Kaufvertrag – grundsätzlich weiterveräußern, sodass der Erwerber wiederum die Anwartschaft und nicht sofort das Vollrecht erwirbt. Die Übertragbarkeit kann jedoch durch schuldrechtliche Vereinbarungen beschränkt werden.
Welche rechtlichen Schutzmechanismen bestehen für den Anwartschaftsberechtigten?
Ein wesentlicher Punkt des Anwartschaftsrechts ist der Rechtsschutz für den Anwartschaftsberechtigten. Sobald eine Anwartschaft entstanden ist, steht deren Inhaber ein eigentumsähnlicher Schutz zu. Insbesondere ist er berechtigt, im Falle eines unbefugten Besitzentzuges von Dritten die Herausgabe gemäß § 985 BGB zu verlangen (Eigentümer-Besitzer-Verhältnis). Im Grundbuchrecht kann er sich durch Eintragung einer Vormerkung zusätzlich absichern. Im Insolvenzfall des Veräußerers werden die Rechte des Anwartschaftsberechtigten durch die Vorschriften zum Aussonderungsrecht (§§ 47, 49 InsO) besonders geschützt. Der Anwartschaftsberechtigte kann damit die Herausgabe der Sache aus der Insolvenzmasse verlangen, da sein Recht derart erstarkt ist, dass es dem Vollrecht nahekommt.
Wie wirkt sich eine Insolvenz des Eigentümers auf die Anwartschaft aus?
Tritt über das Vermögen des Eigentümers einer mit Anwartschaft belasteten Sache die Insolvenz ein, ist der Anwartschaftsberechtigte in weiten Teilen rechtlich geschützt. Nach Maßgabe der §§ 47, 49 InsO kann der Anwartschaftsberechtigte als sogenannter Aussonderungsberechtigter verlangen, dass die Sache beziehungsweise das Anwartschaftsrecht nicht zur Masse gezogen wird. Wichtig ist jedoch, dass die Anwartschaft zum Zeitpunkt des Insolvenzantrages bereits entstanden sein muss. Eine aufschiebend bedingte Anwartschaft, bei der die Bedingung noch nicht eingetreten ist, entfaltet diesen Schutz hingegen nicht; das Recht geht dann am Insolvenzverfahren unter. Darüber hinaus können besondere insolvenzrechtliche Vorschriften greifen, die etwa die Rückabwicklung anfechtbarer Rechtsgeschäfte betreffen.
Welche Rolle spielt die Anwartschaft im Kontext des Eigentumsvorbehalts?
Der Eigentumsvorbehalt ist ein klassisches Anwendungsfeld der Anwartschaft im deutschen Zivilrecht. Bei einem sogenannten einfachen Eigentumsvorbehalt bleibt der Verkäufer bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung Eigentümer der Kaufsache, während der Käufer bereits durch Übergabe der Sache eine Anwartschaft erwirbt. Nach Zahlung des letzten Kaufpreisteils verwandelt sich diese Anwartschaft automatisch in das Vollrecht (Eigentum). Rechtlich relevant ist diese Konstellation vor allem bei Pfändungen, Weiterveräußerungen oder Insolvenz. Der Anwartschaftsberechtigte ist bereits so stark geschützt, dass eine Veräußerung oder Belastung der Kaufgegenstände an Dritte nicht ohne sein Zutun erfolgen kann, sofern er die Anwartschaft offenlegt.
Welche Bedeutung hat die Anwartschaft bei der Vormerkung im Grundstücksrecht?
Im Grundstücksrecht besteht eine besondere Bedeutung für das Anwartschaftsrecht durch die sogenannte Auflassungsvormerkung (§ 883 BGB). Sobald im Grundbuch eine Vormerkung für den Käufer eingetragen ist, erhält dieser eine Anwartschaft auf die künftige Eigentumsübertragung. Diese Anwartschaft schützt den Erwerber gegen Verfügungen des Verkäufers, die nach Eintragung der Vormerkung getroffen werden, etwa durch eine anderweitige Veräußerung oder Belastung des Grundstücks. Rein rechtlich betrachtet wird hier dem Schutz des zukünftigen Eigentums faktisch vorgegriffen, solange die vereinbarte Bedingung (meistens die endgültige Kaufpreiszahlung und Auflassung) erfüllt wird.
Können Anwartschaftsrechte gepfändet werden?
Das Anwartschaftsrecht unterliegt grundsätzlich der Zwangsvollstreckung, da es ein vermögenswertes Recht darstellt. Die Pfändung erfolgt nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung (§§ 828 ff. ZPO). Dabei ist jedoch zu beachten, dass aufgrund der begrenzten Rechtsposition des Anwartschaftsberechtigten lediglich dessen Aussichten auf künftiges Vollrecht gepfändet werden, nicht das Endrecht selbst. Der Erwerber einer gepfändeten Anwartschaft kann mit Eintritt der zur Eigentumsübertragung notwendigen Bedingung das Vollrecht unmittelbar erlangen. Die Pfändbarkeit kann jedoch durch vertragliche Vereinbarungen eingeschränkt oder ausgeschlossen sein, etwa durch Abtretungs- oder Veräußerungsverbote.
Wie verhalten sich Anwartschaftsrechte zu Sicherungsrechten Dritter?
Anwartschaften können mit Sicherungsrechten Dritter kollidieren, insbesondere wenn beispielsweise ein Dritter ein Pfandrecht auf den Gegenstand erwirbt, an dem bereits eine Anwartschaft besteht. In diesem Fall ist ausschlaggebend, zu welchem Zeitpunkt das Sicherungsrecht bestellt wurde und wie sich die Reihenfolge der Rechte darstellt. Der Anwartschaftsberechtigte wird in der Regel wie ein künftiger Eigentümer behandelt, sodass sein Recht gegenüber späteren Sicherungsrechten vorrangig ist. Kommt es jedoch zu einer Verwertung oder Durchsetzung des Sicherungsrechtes, bleibt das Anwartschaftsrecht bestehen und geht mit der endgültigen Rechtsausübung in das Vollrecht über, womit das Sicherungsrecht dann erlischt.