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Alternativfeststellung


Definition und Begriffserklärung der Alternativfeststellung

Die Alternativfeststellung ist ein Begriff aus dem deutschen Recht und bezeichnet im Wesentlichen eine besondere Form der gerichtlichen oder behördlichen Tatsachenfeststellung, bei der bei verbleibenden Unsicherheiten nicht eindeutig entschieden wird, welcher von mehreren möglichen Sachverhaltsvarianten der Realität entspricht, sondern in der Entscheidung mehrere Alternativen offengelassen werden. Diese Form der Feststellung wird insbesondere dann relevant, wenn die genaue Feststellung eines Geschehensablaufs aus tatsächlichen Gründen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, aber dennoch eine rechtliche Entscheidung getroffen werden muss.

Im Gegensatz zur Schuldfeststellung oder Tatbildfeststellung, bei denen ein bestimmter Geschehensablauf als bewiesen angenommen wird, beinhaltet die Alternativfeststellung, dass mehrere Sachverhaltsalternativen als möglich festgestellt werden und eine rechtliche Bewertung auf dieser Basis erfolgt.

Anwendungsgebiete der Alternativfeststellung

Zivilprozessrecht

Im Zivilprozessrecht kann die Alternativfeststellung beispielsweise dann zur Anwendung kommen, wenn unklar bleibt, durch welche konkrete Handlung ein Schaden verursacht wurde, aber feststeht, dass der Schaden durch eine von mehreren möglichen Handlungsalternativen herbeigeführt wurde und der/die Beteiligte(n) als schadensersatzpflichtig in Betracht kommen. Das Gericht hält dann mehrere Handlungsvarianten für möglich, ohne sich auf eine festzulegen, soweit dies für die Zuerkennung des Anspruchs unerheblich ist.

Beispiel: Bleibt offen, ob ein Schaden durch das Handeln von Person A oder Person B verursacht wurde, kann das Gericht dennoch eine Haftung annehmen, wenn beide in vergleichbarer Weise für den Eintritt des Schadens ursächlich waren und sich der Kläger auf Grundlage der alternativen Sachverhaltsvarianten durchsetzen kann.

Strafrecht

Auch im Strafrecht spielt die Alternativfeststellung eine Rolle, etwa wenn offenbleibt, durch welches konkrete Tun eines Angeklagten ein Straftatbestand verwirklicht wurde. Allerdings sind die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung bei Verurteilungen im Strafprozess besonders hoch, sodass Alternativfeststellungen nur in sehr engen Ausnahmefällen zulässig sind. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ („im Zweifel für den Angeklagten“) hat hier Vorrang.

Ein Fallbeispiel ist die Abgrenzung, ob ein Angeklagter einen Diebstahl begangen oder Beutehehlerei betrieben hat, aber feststeht, dass zumindest ein strafbares Verhalten vorliegt. Die Anforderungen an die Alternativfeststellung in solchen Fällen sind durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs streng ausgelegt.

Verwaltungsrecht

Im Verwaltungsrecht kann die Alternativfeststellung beispielsweise bei der Prüfung von Anspruchsgrundlagen oder Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten eine Rolle spielen. Hierbei kann eine Behörde oder ein Verwaltungsgericht mehrere Sachverhaltsalternativen als Grundlage einer Entscheidung heranziehen, sofern die Rechtsfolge in allen Alternativen identisch ist und keine weitergehenden negativen Rechtsfolgen für die Betroffenen entstehen.

Rechtlicher Rahmen und Voraussetzungen der Alternativfeststellung

Grundsätze der richterlichen Überzeugungsbildung

Die Alternativfeststellung steht im Spannungsfeld zwischen dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 286 ZPO, § 261 StPO) und der Voraussetzung, dass der entscheidende Tatrichter sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugt haben muss. Sie ist daher – sowohl im Zivilprozess als auch im Strafprozess – nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig:

Es müssen mehrere Sachverhaltsvarianten vorliegen, die jeweils durch die Beweisaufnahme ausreichend wahrscheinlich erscheinen.
Es darf keine objektive Möglichkeit bestehen, nur eine Variante als allein zutreffend anzusehen.
Die Rechtsfolge muss in allen festgestellten Varianten identisch oder zumindest gleichwertig sein.

Grenzen und Zulässigkeit

Die Alternativfeststellung ist insbesondere dort unzulässig, wo das Gesetz oder das Recht auf einen bestimmten, exakt festzustellenden Sachverhalt abstellt oder die differenzierende Beurteilung verschiedener Sachverhaltsalternativen zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führt. Im Strafrecht ist die Grenze durch den Grundsatz „in dubio pro reo“ besonders eng; ein Angeklagter darf nicht verurteilt werden, wenn unklar bleibt, ob überhaupt ein tatbestandsmäßiges Verhalten im Sinne des ihm zur Last gelegten Deliktes vorliegt.

Anders im Zivilrecht: Hier kann, insbesondere im Bereich der Haftung, die Alternativfeststellung genutzt werden, wenn die Haftung nach beiden Varianten begründet wäre und die Unklarheit ausschließlich im tatsächlichen Bereich verbleibt.

Rechtsprechung zur Alternativfeststellung

Die Rechtsprechung setzt sich regelmäßig mit der Zulässigkeit und den Grenzen der Alternativfeststellung auseinander. Prägend sind insoweit insbesondere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) und der Oberlandesgerichte. Allgemein anerkannt ist, dass eine Alternativfeststellung zumindest dann zulässig ist, wenn jeweils alle für die Rechtsfolge erforderlichen Voraussetzungen durch die verschiedenen Sachverhaltsvarianten gleichermaßen erfüllt sind.

Nicht zulässig ist die Alternativfeststellung dort, wo Einzelaspekte der Sachverhaltsalternativen unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen oder die Feststellung entscheidungserheblicher Tatbestandsmerkmale nicht möglich ist. Im Strafrecht führt jede verbleibende berechtigte Zweifel an der Erfüllung eines bestimmten Straftatbestandes gemäß § 261 StPO zur Anwendung des Zweifelssatzes.

Bedeutung und Folgen der Alternativfeststellung

Die Alternativfeststellung stellt eine wichtige Möglichkeit für Gerichte und Behörden dar, auch dort zu sachgerechten Entscheidungen zu kommen, wo ein vollständiger Tatsachennachweis nicht geführt werden kann, das Prozessrecht aber dennoch eine Entscheidung verlangt. Sie findet ihre Grenzen im Grundsatz der richterlichen Überzeugungsbildung und im Rechtsstaatsprinzip.

Die Folgen einer Alternativfeststellung sind regelmäßig auf diejenige Rechtsfolge beschränkt, die im Rahmen der festgestellten Varianten möglich ist. Eine Erweiterung der Rechtsfolgen über das Maß dessen hinaus, was auch bei der unwahrscheinlichsten, aber noch denkbaren Variante möglich wäre, ist ausgeschlossen.

Literatur und weiterführende Informationen

Kodal, Peter: „Die Alternativfeststellung im Zivilverfahren“, NJW 1996, 2322.
König, Johannes: „Zur Problematik der Alternativfeststellung im Strafprozess“, JZ 2012, 23-29.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.01.2005 – III ZR 244/04.
* Baumgärtel, Heinz: Handbuch der Beweislast, Band 1: Zivilverfahrensrecht, 3. Auflage 2013.


Dieser Beitrag bietet eine umfassende rechtliche Einordnung zur Alternativfeststellung und soll als Nachschlagewerk für rechtliche Praxis und Wissenschaft Zugang zu diesem wichtigen prozessualen Institut verschaffen.

Häufig gestellte Fragen

Wann kommt eine Alternativfeststellung im rechtlichen Kontext zur Anwendung?

Eine Alternativfeststellung spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn eine eindeutige Feststellung eines rechtlich bedeutsamen Sachverhalts, zum Beispiel im Steuerrecht, Zivilprozess oder im öffentlichen Recht, aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. Sie wird angewendet, wenn der Sachverhalt in mehrfacher Hinsicht denkbar ist und es entscheidungsrelevant sein könnte, welcher von mehreren möglichen Ablaufvarianten zutrifft. Ziel der Alternativfeststellung ist es, dem Rechtsanwender (z.B. der Finanzverwaltung oder dem Gericht) die Möglichkeit zu geben, für jede Variante eine rechtliche Bewertung vorzunehmen, damit – selbst wenn der tatsächliche Geschehensablauf letztlich unbeweisbar bleibt – eine rechtssichere Entscheidung getroffen werden kann. Typischerweise wird die Alternativfeststellung dann genutzt, wenn Unklarheiten bestehen, wer beispielsweise ein bestimmtes Vermögen zuzurechnen ist oder ob bestimmte Voraussetzungen für eine Steuerpflicht oder Förderberechtigung erfüllt sind. In der Praxis geschieht dies insbesondere in Bescheiden oder Urteilen, wobei die Entscheidung dann „alternativ“ formuliert wird (z.B.: „Sollte x der Fall sein, gilt …, andernfalls gilt …“). Das Instrument dient somit der Effizienz und Rechtssicherheit im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, indem es ermöglicht, mehrere rechtliche Möglichkeiten in einem Entscheidungssatz zu erfassen, ohne dass für jede Alternative ein gesondertes Verfahren geführt werden muss.

Welche Voraussetzungen müssen für eine Alternativfeststellung erfüllt sein?

Für eine Alternativfeststellung ist erforderlich, dass die relevante Tatsache entweder nicht sicher aufklärbar ist oder mehrere eigenständige Sachverhaltsalternativen zu bejahen sind, deren jeweilige rechtliche Bewertung unterschiedlich ausfallen würde. Weiterhin muss die Feststellung des einen oder des anderen Sachverhalts für die Entscheidung oder den Verwaltungsakt von Bedeutung sein (Entscheidungsrelevanz). Die unterschiedlichen Alternativen dürfen sich allerdings nicht gegenseitig ausschließen, sondern müssen jeweils einen in sich geschlossenen, plausiblen und rechtlich beurteilbaren Sachverhalt darstellen. Darüber hinaus ist im Regelfall vom Rechtsanwender ausdrücklich darzulegen, warum eine abschließende Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist und welche konkreten Alternativen in Betracht kommen. Die Alternativen müssen schließlich hinreichend bestimmt und verständlich beschrieben werden, damit die betroffene Person erkennen kann, wie sich die Entscheidung in Abhängigkeit von den jeweiligen Alternativen auswirkt.

Welche Wirkung entfaltet die Alternativfeststellung gegenüber den Beteiligten?

Die Alternativfeststellung hat zur Folge, dass der Verwaltungsakt oder das Urteil für verschiedene Sachverhaltsvarianten eine jeweilige Rechtsfolge anordnet. Für den Adressaten bedeutet das Rechtssicherheit dahingehend, dass unabhängig davon, welche Alternative zutrifft oder später konkretisiert werden kann, die rechtlichen Konsequenzen klar und nachvollziehbar geregelt sind. Die alternativen Feststellungen binden im Regelfall sowohl den Adressaten als auch die Verwaltung bzw. das Gericht für das spätere Verfahren, insbesondere dann, wenn es bspw. durch neue Beweise oder Ermittlungserkenntnisse möglich wird, den tatsächlich zutreffenden Sachverhalt eindeutig zu bestimmen. Im Steuerrecht kann eine Alternativfeststellung beispielsweise dazu führen, dass Steuerbescheide „für den Fall, dass…“ oder „sollte sich herausstellen, dass…“ bestimmte Rechtsfolgen anordnen, sodass eine nachträgliche Korrektur vermieden werden kann. Die Wirkung ist jedoch auf die festgelegten Alternativen beschränkt, eine darüber hinausgehende rechtliche Geltung entfalten sie nicht.

In welchen Verfahrensarten ist die Alternativfeststellung besonders relevant?

Alternativfeststellungen sind vor allem in Verfahren bedeutsam, in denen Sachverhaltsunsicherheiten häufiger vorkommen und das rechtliche Bedürfnis nach effizienten, praktikablen Lösungen besteht. Typischerweise kommen sie im Steuerverwaltungsverfahren (z.B. bei Feststellungsbescheiden gemäß § 179 AO), im allgemeinen Verwaltungsverfahren sowie im Gerichtsprozess, insbesondere im Zivil- und Verwaltungsprozessrecht, zur Anwendung. Im Zivilprozess werden sie häufig im Zusammenhang mit Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen genutzt, wenn der genaue Sachverhalt offenbleibt, etwa bei Streitigkeiten über die Zurechnung von Vermögenswerten oder die Haftung mehrerer Beteiligter. Im Steuerrecht dienen Alternativfeststellungen der praktikablen Regelung mehrerer Sachverhaltsmöglichkeiten im Rahmen von Feststellungsbescheiden, etwa wenn unklar ist, welche Person wirtschaftlicher Eigentümer von Einkünften ist. Auch in der Sozialverwaltung oder im Beamtenrecht finden Alternativfeststellungen Anwendung, wenn der zutreffende rechtliche Status aus tatsächlichen Gründen nicht abschließend geklärt werden kann.

Welche formellen Anforderungen bestehen an die Alternativfeststellung in Verwaltungsakten oder gerichtlichen Entscheidungen?

Eine Alternativfeststellung ist nur wirksam, wenn die betroffenen Sachverhaltsalternativen klar und eindeutig voneinander abgegrenzt sowie hinreichend bestimmt sind. Jede Alternative muss als eigener, in sich geschlossener Fall dargestellt und mit der entsprechenden Rechtsfolge verknüpft werden. Die Begründungspflicht erfordert, dass die Verwaltung oder das Gericht nachvollziehbar darlegt, warum eine abschließende Feststellung nicht möglich ist und welche konkreten Unsicherheiten bestehen. In der Praxis erfolgt die Darstellung meist durch Formulierungen wie „Für den Fall, dass… gilt …; im Falle, dass … zutrifft, gilt …“. Insbesondere der Bestimmtheitsgrundsatz (§ 119 AO bzw. § 37 VwVfG) verlangt, dass die Rechtsfolgen für jede genannte Alternative zweifelsfrei zu erkennen sind. Insoweit müssen sowohl der Sachverhalt als auch die daraus folgende Rechtsanwendung für jede Alternative vollständig dargelegt werden. Unklare, widersprüchliche oder zu unbestimmte Alternativformeln können zur Rechtswidrigkeit der Feststellung führen.

Wie unterscheidet sich die Alternativfeststellung von einer hilfsweisen Feststellung oder Bedingung im Verwaltungsrecht?

Die Alternativfeststellung unterscheidet sich von einer hilfsweisen Feststellung oder einer Bedingung dadurch, dass sie mehrere Sachverhaltsvarianten einander gegenüberstellt und für jede Variante die Rechtsfolge unabhängig voneinander anordnet. Eine Bedingung im Rechtssinn (§ 36 VwVfG) ist hingegen ein Element, dessen Eintritt oder Nichteintritt außerhalb des Verwaltungsakts liegt und von dessen späterer Verwirklichung die Wirksamkeit oder die Wirkung des Verwaltungsakts abhängt. Eine hilfsweise Feststellung kommt dagegen vor, wenn eine Entscheidung nur unter einer zusätzlichen (sekundären) Voraussetzung oder als „Hilfserwägung“ getroffen wird, um eine mögliche Aufhebung oder Änderung zu adressieren. Während also die Alternativfeststellung nebeneinander mehrere Optionen aufzeigt, in denen jeweils die Rechtsfolge eintritt, fixiert die Bedingung den Verwaltungsakt auf die künftige Verwirklichung eines bestimmten Ereignisses und die Hilfsfeststellung bleibt auf den Eventualfall beschränkt, dass die Hauptfeststellung nicht trägt.

Welche Auswirkungen hat eine fehlerhafte Alternativfeststellung auf die Rechtswirksamkeit eines Bescheids oder Urteils?

Ist eine Alternativfeststellung fehlerhaft, etwa weil die Alternativen nicht ausreichend klar voneinander abgegrenzt oder zu unbestimmt formuliert sind, kann dies zur Rechtswidrigkeit und ggf. zur Aufhebung des Verwaltungsakts oder Urteils führen. Maßgeblich ist, dass die betroffene Person nicht nachvollziehen kann, auf welche tatsächliche Konstellation welche Rechtsfolge anwendbar ist, oder wenn sich die Alternativen inhaltlich überschneiden oder widersprechen. Gerichte prüfen im Rahmen der Anfechtung, ob der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt ist und die jeweiligen alternativen Möglichkeiten tatsächlich entscheidungserheblich sind. Wird eine Alternativfeststellung zu weit oder allgemein gefasst, kann sie als unzulässige „Gummientscheidung“ gelten und damit nichtig sein. Unerhebliche Fehler, die offensichtlich keinen Einfluss auf die Rechtsposition des Betroffenen haben, führen dagegen in der Regel nicht zur Unwirksamkeit, können jedoch berichtigt werden.