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Abwerbung von Arbeitskräften


Begriff und Einordnung der Abwerbung von Arbeitskräften

Die Abwerbung von Arbeitskräften bezeichnet im deutschen Arbeitsrecht den Vorgang, bei dem ein Arbeitgeber gezielt Beschäftigte eines anderen Unternehmens – meist eines Konkurrenten – dazu auffordert, ihr bestehendes Arbeitsverhältnis zu beenden, um ein neues Arbeitsverhältnis mit ihm einzugehen. Der Begriff umfasst dabei sowohl die aktive Ansprache von Arbeitnehmern (z.B. durch Direktkontakt, Headhunter oder Anzeigen) als auch flankierende Maßnahmen, die einen Wechsel der Arbeitskraft begünstigen sollen.

Die Abwerbung von Arbeitskräften ist ein zentraler Aspekt des Wettbewerbs und unterliegt in Deutschland bestimmten rechtlichen Rahmenbedingungen. Diese sollen einerseits die unternehmerische Freiheit und den Wettbewerb, andererseits die Schutzinteressen des bisherigen Arbeitgebers und die Loyalitätspflichten der Arbeitnehmer wahren.


Rechtliche Grundlagen der Abwerbung von Arbeitskräften

Die Abwerbung von Arbeitskräften tangiert verschiedene gesetzliche Regelungen, insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), im Handelsgesetzbuch (HGB) sowie im Arbeitsvertragsrecht.

Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit

Zentral ist das Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Arbeitnehmer dürfen ihren Arbeitsplatz grundsätzlich frei wählen und wechseln (§ 12 GG, Grundgesetz). Ebenso ist es Unternehmen gestattet, neue Mitarbeiter abzuwerben, solange dabei gesetzliche und vertragliche Grenzen eingehalten werden.


Zulässigkeit und Grenzen der Abwerbung

Die Abwerbung ist im Grundsatz erlaubt. Sie wird erst dann rechtlich bedenklich, wenn sie gegen gesetzliche Verbote oder vertragliche Nebenpflichten verstößt oder den Rahmen des lauterkeitsrechtlichen Wettbewerbs verlässt.

Grenzen durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)

Nach dem UWG ist die gezielte Abwerbung von Arbeitnehmern eines Mitbewerbers grundsätzlich zulässig (§§ 3, 4 Nr. 4 UWG). Rechtlich relevant wird die Abwerbung jedoch, wenn sie unlautere Mittel verwendet:

Unlautere Abwerbungshandlungen

  • Vorsätzliche Verleitung zum Vertragsbruch: Die gezielte Verleitung eines Arbeitnehmers zum Bruch seines bestehenden Arbeitsvertrages mit dem bisherigen Arbeitgeber stellt eine unlautere Handlung dar (§ 4 Nr. 4 UWG). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der abwerbende Arbeitgeber den Arbeitnehmer dazu animiert, nicht die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist einzuhalten oder besondere Treuepflichten zu verletzen.
  • Ausnutzung vertraulicher Informationen: Die Aufforderung, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse mitzunehmen oder weiterzugeben, ist ebenfalls unzulässig und kann nach dem § 17 UWG sowie nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) straf- und zivilrechtliche Konsequenzen haben.
  • Aufforderung zu Kettenabwerbungen: Ebenso kann es wettbewerbswidrig sein, Mitarbeiter dazu anzustiften, weitere Kollegen systematisch abzuwerben, um dem Wettbewerb gezielt zu schaden (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.2014 – I ZR 245/12).

Treuepflichten und Verschwiegenheit der Arbeitnehmer

Arbeitnehmer sind auch während der Abwerbungsphase und vor Beendigung ihres bisherigen Arbeitsverhältnisses an ihre arbeitsvertraglichen Treuepflichten gebunden. Sie dürfen bei der Anbahnung eines neuen Vertragsverhältnisses keine Betriebsgeheimnisse offenbaren oder illoyales Verhalten zeigen.

Wettbewerbsverbot während der Vertragslaufzeit

Nach § 60 HGB gilt für Arbeitnehmer das Verbot, während des laufenden Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber Konkurrenz zu machen. Ein abgeworbener Mitarbeiter darf daher vor Ende seines alten Arbeitsvertrags keine Aktivitäten zur Unterstützung des neuen Arbeitgebers aufnehmen, sofern hierdurch Wettbewerbsinteressen verletzt werden.

Nachvertragliches Wettbewerbsverbot

Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot bedarf der ausdrücklichen Vereinbarung (§§ 74 ff. HGB) und ist nur unter bestimmten Voraussetzungen wirksam, etwa wenn eine Karenzentschädigung gezahlt wird.


Mitwirkung Dritter: Headhunter, Personalberater und Dritte

Die Beauftragung von Personalberatern zur Abwerbung ist in den meisten Fällen rechtlich unproblematisch, solange die Abwerbung lauter durchgeführt wird und die gesetzlichen Vorgaben, insbesondere zum Datenschutz und Wettbewerbsrecht, beachtet werden.

Mitbewerber können ebenfalls für unlautere Abwerbungen haftbar gemacht werden, wenn sie Personalberatern rechtswidrige Handlungsspielräume eröffnen (sog. Störerhaftung).


Rechtsfolgen bei unzulässiger Abwerbung

Wird die Grenze zur unzulässigen Abwerbung überschritten, drohen verschiedene Rechtsfolgen:

Unterlassungsanspruch und Schadensersatz

Der ursprüngliche Arbeitgeber kann vom abwerbenden Unternehmen einen Unterlassungsanspruch geltend machen (§ 8 UWG) und gegebenenfalls Schadensersatz verlangen (§ 9 UWG). Auch einstweilige Verfügungen sind möglich, die das fortgesetzte Abwerben untersagen.

Vertragliche und deliktische Ansprüche

Verletzt der abgeworbene Arbeitnehmer seinerseits Treuepflichten oder verstößt gegen ein wirksames Wettbewerbsverbot, können sowohl arbeitsrechtliche als auch zivilrechtliche Ansprüche gegen ihn selbst bestehen.

Strafrechtliche Konsequenzen

Das empfindliche Unbefugt-Machen von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen kann strafrechtlich relevant sein (§§ 17, 18 UWG; GeschGehG) und mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden.


Besondere Fallkonstellationen und Rechtsprechung

Die Rechtsprechung differenziert je nach Art und Intensität der Abwerbemaßnahmen. Während allgemeine Kontaktaufnahmen oder unverfängliche Informationsgespräche zulässig sind, wird das gezielte und systematische Abwerben größerer Teile der Belegschaft oder ganzer Teams eher als wettbewerbswidrig bewertet.

Beispielhafte Urteile

  • BGH, Urteil vom 30.4.2014 (I ZR 245/12): Anerkennung der Zulässigkeit der Abwerbung als solche; Unzulässigkeit bei missbräuchlichen Mitteln.
  • OLG Frankfurt, Urteil vom 8.2.2007 (6 U 141/06): Unzulässig ist die gezielte systematische Abwerbung, die darauf zielt, den Wettbewerber existenziell zu schädigen.

Zusammenfassung und Praxistipps

Die Abwerbung von Arbeitskräften ist ein zulässiges Mittel des Personalwettbewerbs, sofern sie unter Beachtung gesetzlicher und vertraglicher Schranken erfolgt. Unzulässig sind insbesondere Abwerbungen, die Arbeitnehmer zur Vertragsverletzung verleiten, Betriebsgeheimnisse ausnutzen oder gezielt ganze Teams abziehen.

Unternehmen sind angehalten, ihre sensiblen Arbeitsverträge zu prüfen, ggf. wirksame Wettbewerbsverbote und Vertraulichkeitsklauseln zu vereinbaren, um sich vor unzulässigen Abwerbemaßnahmen zu schützen. Auf der anderen Seite sind abwerbende Unternehmen verpflichtet, die geltenden lauterkeitsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Vorgaben im Interesse eines fairen Wettbewerbs zu beachten.


Weiterführende Literatur und Rechtsprechung

  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere §§ 611a ff.
  • Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), insbesondere §§ 3, 4, 8, 9, 17, 18
  • Handelsgesetzbuch (HGB), §§ 60 ff., 74 ff.
  • Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG)
  • Rechtsprechung: BGH I ZR 245/12, OLG Frankfurt 6 U 141/06

Weitere Informationen bieten einschlägige Kommentare zum Wettbewerbs- und Arbeitsrecht sowie aktuelle Urteile in der arbeitsrechtlichen Praxis.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grenzen bestehen bei der Direktansprache von Arbeitnehmern eines Mitbewerbers?

Im deutschen Recht ist die Direktansprache von Arbeitnehmern eines Konkurrenzunternehmens grundsätzlich erlaubt und wird durch die Berufsfreiheit (§ 12 GG) und die Vertragsfreiheit geschützt. Dennoch existieren hierbei wichtige rechtliche Schranken, die Unternehmen und Personalvermittler beachten müssen. So darf die Ansprache grundsätzlich nicht in einer Weise erfolgen, die gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstößt, insbesondere § 4 Nr. 4 UWG („gezielte Behinderung von Mitbewerbern“). Demnach ist es untersagt, systematisch und mit dem Ziel, den Mitbewerber zu schwächen, dessen gesamte Belegschaft oder Schlüsselmitarbeiter abzuwerben (sog. „flächendeckende Abwerbung“ oder „cold calls“ in großem Umfang). Unzulässig ist auch eine Ansprache, die mit falschen Tatsachen oder verleumderischen Aussagen über den bisherigen Arbeitgeber verbunden ist. Greift das abwerbende Unternehmen rechtswidrig in das bestehende Arbeitsverhältnis ein, können zudem Ansprüche auf Unterlassung oder Schadensersatz entstehen. Eine einzelne, seriöse Kontaktaufnahme zur Unterbreitung eines Angebots ist dagegen erlaubt, solange der Kontakt nicht belästigend oder sittenwidrig ist.

Welche Informationsquellen dürfen zur Gewinnung von potenziellen Kandidaten genutzt werden?

Beim Anwerben potenzieller Kandidaten unterliegt die Informationsbeschaffung strengen datenschutzrechtlichen Vorgaben nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Grundsätzlich dürfen nur öffentlich zugängliche Informationen genutzt werden, wie etwa Profile auf Karrierenetzwerken (z. B. LinkedIn, Xing), Firmenwebseiten oder Veröffentlichungen in der Presse. Der Zugriff auf interne, nicht veröffentlichte Mitarbeiterlisten oder die Nutzung vertraulicher Unternehmensdaten des Mitbewerbers sind unzulässig und rechtlich als Geheimnisverrat (§ 17 UWG) oder Datenmissbrauch zu bewerten. Auch beim späteren Kontakt ist Transparenz über die Datenquelle erforderlich. Beim sogenannten „Active Sourcing“ müssen Recruiter zudem sicherstellen, dass sie die Betroffenen gemäß Art. 14 DSGVO über die Herkunft ihrer Daten aufklären, sofern diese nicht direkt vom Kandidaten selbst stammen.

Unter welchen Umständen kann das abwerbende Unternehmen für Schäden haftbar gemacht werden?

Ein abwerbendes Unternehmen kann haftbar gemacht werden, wenn es bei der Abwerbung gezielt und vorsätzlich in bestehende Arbeitsverhältnisse eingreift oder systematisch Schlüsselkräfte abwirbt, um den Wettbewerber zu schädigen. Eine Haftung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn verbotene Mittel wie Verleumdung, falsche Versprechungen, Anstiftung zum Vertragsbruch oder Ausnutzung von intern erlangten Geschäftsgeheimnissen zum Einsatz kommen. In diesen Fällen können sowohl Schadensersatzansprüche (§ 826 BGB – sittenwidrige Schädigung) als auch Unterlassungsansprüche (z. B. nach § 1004 BGB analog) entstehen. Wird die Abwerbung zudem in missbräuchlicher Weise zur gezielten Schwächung des Konkurrenten genutzt (flächendeckende Abwerbung), ist das abwerbende Unternehmen ebenfalls schadensersatzpflichtig. Die individuelle Haftung richtet sich stets nach der Schwere des Verstoßes und dem nachweisbaren Schaden beim Mitbewerber.

Dürfen wechselwillige Arbeitnehmer ihre vorherigen Kundenkontakte mitnehmen?

Nach deutschem Recht sind wechselnde Arbeitnehmer grundsätzlich zur Verschwiegenheit in Bezug auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse ihres vorherigen Arbeitgebers verpflichtet (§ 17 UWG). Dies schließt meist auch explizite Kundenlisten und interne Kontakte ein. Selbst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht diese Verschwiegenheitspflicht fort. Die Mitnahme oder Nutzung spezifischer Kundeninformationen oder systematischer Abwerbeversuche bei früheren Firmenkunden kann eine Verletzung von Geschäftsgeheimnissen darstellen und Schadensersatz- sowie Unterlassungsansprüche des Ex-Arbeitgebers nach sich ziehen. Allgemeine, im Kopf vorhandene Kenntnisse und Fähigkeiten dürfen jedoch genutzt werden („Erfahrungswissen“). Eine explizite Konkurrenzschutz- oder Kundenschutzklausel im Arbeitsvertrag kann darüber hinaus das Abwerben zusätzlicher Beschränkungen unterwerfen.

Ist die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots zulässig und unter welchen Voraussetzungen?

Die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots ist in Deutschland rechtlich zulässig, unterliegt aber nach §§ 74 ff. HGB strengen Voraussetzungen. Das Verbot muss in Schriftform erfolgen, konkrete zeitliche (maximal 2 Jahre) und sachliche Grenzen einhalten und dem Arbeitnehmer für die Dauer des Verbots eine sogenannte Karenzentschädigung von mindestens 50 % der letzten vertragsmäßigen Bezüge zusichern. Ohne eine solche Entschädigungsregelung ist das Verbot nichtig. Zudem muss das Wettbewerbsverbot berechtigte geschäftliche Interessen des Arbeitgebers schützen und darf die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht übermäßig einschränken. Unangemessen weitgehende Verbote sind gerichtlich auf das zulässige Maß reduzierbar oder vollständig unverbindlich.

Welche Folgen drohen bei Verstößen gegen Wettbewerbs- oder Verschwiegenheitsklauseln?

Verstößt ein abgeworbener Arbeitnehmer gegen vertragliche Wettbewerbsverbote oder Verschwiegenheitsklauseln, drohen ihm sowie gegebenenfalls auch dem neuen Arbeitgeber erhebliche rechtliche Konsequenzen. Typische Rechtsfolgen sind Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz und gegebenenfalls die Zahlung von Vertragsstrafen, sofern solche vereinbart wurden. Im Falle der Preisgabe oder ungenehmigten Nutzung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen können außerdem strafrechtliche Konsequenzen nach §§ 17, 23 UWG drohen. Der neue Arbeitgeber kann zudem als Mittäter oder Anstifter mithaften, wenn er bei der Vertragsverletzung mitwirkt oder profitiert.

Welche Unterschiede bestehen bei der Abwerbung von leitenden Angestellten oder Führungskräften?

Die Abwerbung von leitenden Angestellten oder Führungskräften unterliegt im Wesentlichen denselben rechtlichen Rahmenbedingungen wie bei anderen Arbeitnehmern, allerdings sind hier die Wettbewerbs- und Verschwiegenheitspflichten regelmäßig strenger auszulegen. Leitende Mitarbeiter verfügen häufig über besonders sensible Informationen, so dass ihnen erhöhte Treue- und Vertraulichkeitspflichten obliegen. Ihr Wechsel zur Konkurrenz oder gar ein systematischer Know-how-Transfer kann daher schnell zu rechtlichen Schritten wegen Wettbewerbsverstoß oder Verrat von Geschäftsgeheimnissen führen. Entsprechend sind auch nachvertragliche Wettbewerbsverbote in leitenden Positionen weiter verbreitet und werden von Gerichten mit größerer Toleranz überprüft, sofern sie nicht unverhältnismäßig ausgestaltet sind. Auch das Risiko, Schadensersatz zahlen zu müssen, ist bei Führungskräften tendenziell höher, insbesondere wenn sie für unternehmerische Entscheidungen verantwortlich waren.